Gewiß

[667] Gewḯß, -sser, -sseste, adj. et adv. Es kommt vornehmlich in doppelter Gestalt vor.

I. Als ein Bey- und Nebenwort.

1. Eigentlich, fest, unbeweglich, ohne Gefahr zu fallen, zu weichen, oder zu wanken, wo es nur noch als ein Nebenwort gebraucht wird. Der Tisch steht nicht gewiß, er wackelt. Etwas gewiß halten, im gemeinen Leben. Das Bret liegt gewiß, fest, unbeweglich.

2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. 1) Vor unwillkührlichen Bewegungen sicher, fest. Der Boden ist so schlüpfrig, daß man keinen gewissen Tritt hat. Ein Kupferstecher muß eine gewisse Hand, einen gewissen Grabstichel, ein Mahler einen gewissen Pinsel haben. Auch als ein Adverbium. Ich stehe hier nicht gewiß. Und stellete meine Füße auf einen Fels, daß ich gewiß treten kann, Ps. 40, 3. 2) Ohne Gefahr aufzuhören, oder verändert zu werden. Kein gewisses Einkommen haben. Mein Einkommen ist mir gewiß. Eine gewisse Besoldung, ein gewisser Gewinn. 3) Zuverlässig, worauf man sich verlassen kann. Das Pferd gehet sehr gewiß, hat einen gewissen Gang. Gebt mir ein gewisses Zeichen, Jos. 2, 12. ich habe diese Nachricht von gewissen Leuten. 4) Ohne Gefahr des Gegentheils. Die Heirath ist so gewiß noch nicht. Der Tod ist uns allen gewiß. Dieser Gewinn ist mir gewiß. Der Ekel ist der gewisse Gefährte aller Überladungen. Der Friede ist gewiß. Der Tod ist die gewisse Strafe der Sünde. Folgen denn Ehre und Tugend so gewiß der Tugend nach, als man uns in unsern jüngern Jahren verheißt? Gell. 5) Besonders der Erkenntniß, der Überzeugung nach, wo dieses Wort so wohl objective, als subjective gebraucht wird. (a) Objective, von dem Daseyn eines Dinges, so fern es mit völliger Überzeugung erkannt wird. Die Sache ist keinem Zweifel mehr unterworfen, sie ist gewiß. Die Sache ist mehr als zu gewiß, d.i. völlig gewiß. Eine gewisse Wahrheit. Gewisse Nachricht von etwas haben. Das Gewisse für das Ungewisse nehmen. Es ist der gewisse, unläugbare, Aussatz. Es läßt sich davon nicht viel Gewisses sagen. Einem etwas für gewiß erzählen, als eine gewisse Sache. Moralisch gewiß, dessen Gegentheil aus vernünftigen Ursachen nicht zu befürchten ist; geometrisch, mathematisch gewiß, oder gewiß im engsten Verstande, dessen Gegentheil unmöglich ist. (b) Subjective, von der Überzeugung, von der Erkenntniß, und derjenigen Person, welche selbige hat, völlig von einer Sache überzeugt. Eine gewisse Überzeugung, Erkenntniß, von etwas haben. Der Gewissen Hoffnung leben. Allein der Herr macht des Herz gewiß, Sprichw. 16, 2. Gib[667] mir einen neuen gewissen Geist, Ps. 51, 12. Es wird mir immer gewisser, daß der Brief verloren gegangen ist. Etwas gewiß wissen, glauben. Ingleichen als ein Nebenwort, mit den Zeitwörtern seyn und werden und der zweyten Endung des Nennwortes. Einer Sache gewiß seyn, völlig von derselben überzeugt seyn. In einer Sache gewiß seyn. Einer, oder von einer Sache gewiß zu werden suchen. O daß ich dieser Hoffnung gewiß wäre! Weiße. Der Hund macht den Jäger gewiß, wenn er ihm gewisse Zeichen gibt von dem was er suchet. Ich bin gewiß, daß er sie noch liebt. 6) Bestimmt, fest, unveränderlich, als ein Adjectiv allein, und ohne Comparation. Keine gewisse Lebensart haben. Sich ein gewissen Aufenthalt wählen. Er will sich zu nichts Gewissem verstehen. Daß Sonne und Gestirn ihren gewissen Lauf haben, Ps. 74, 16. Einen gewissen Entschluß fassen. 7) Nach einer noch weitern Figur gebraucht man es, doch gleichfalls nur als ein Adjectiv und ohne Comparation, von solchen Dingen, von welchen man nur einige allgemeine Bestimmungen weiß, oder die man nur allgemein bestimmen will. Ich verspüre eine gewisse Widersetzlichkeit bey mir, von der ich keinen Grund anzugeben weiß, ich verspüre etwas bey mir, wovon ich weiter nichts weiß, als daß es Widersetzlichkeit ist, von der u.s.f. Ich habe so eine gewisse Vermuthung, daß Greif der Dieb ist, eine dunkle, unbestimmte Vermuthung. Es hat mir es ein gewisser Reisender, ein gewisser Mensch gesagt, eine Person, von der ich weiter nichts weiß, als daß sie ein Reisender, ein Mensch ist. Ein gewisser Damon, ein Mensch, von dem ich weiter nichts weiß, als daß er Damon heißt. Ingleichen, wenn man es nicht für nöthig hält, eine Sache näher, als durch ein allgemeines Hauptwort zu bezeichnen. Die göttliche Begnadigung der Menschen ist an eine gewisse Ordnung gebunden, ohne von dieser Ordnung mehr zu bestimmen, als daß es Ordnung ist. In gewissen Nothfällen ist diese Sorgfalt nicht unnütz. Man hat eine gewisse Verläugnung seiner selbst in der Freundschaft zum Wunder der Tugend erhaben, die doch oft nur ein glücklicher Eigensinn des Naturells war, Gell. Es gibt ganze Völker, die an gewissen Vergnügungen keinen Geschmack finden. Zuweilen auch im Plural mit einem schwachen Nebenbegriffe der Vielheit, für einige, manche. Entbehret Damis ja gewisse Freuden des Geschmacks, so entbehret er sie, weil er sie nicht bedarf, Gell. Noch mehr in der Sprache des vertraulichen Umganges mit dem Nebenbegriffe der Bendenklichkeit, da man eine Person aus ihr nachtheiligen Ursachen nicht gern näher bestimmen will. Ein gewisser guter Freund von dir meint es nicht redlich. Ein gewisser handelt auch so. Ey, mein Fräulein ist kein gewisses Fräulein! Es hat meisten Theils gewisse Umstände mit denen Leuten, die man gewisse Leute nennt, Schleg. Oft auch der Verachtung. Ein gewisser Damon, ein Mensch, von dem nichts Merkwürdiges zu sagen ist, als daß er Damon heißt. Im mittlern Lat. wurde certus auf eben diese Art gebraucht, das quidam der Römer auszudrucken, wornach die Franzosen ihr certain gebildet haben. Daß dieses schon sehr frühe geschehen, erhellet aus dem übersetzten Isidor, wo quidam schon durch chiuuisso übersetzt wird. S. Sicher, welches bey einigen, obgleich nicht auf die beste Art, in eben diesem Verstande üblich ist.

II. Als ein Adverbium allein. 1) Als ein versicherndes Nebenwort, das Gegentheil einer Sache von derselben zu verneinen. Er kommt gewiß. Er wird gewiß nicht kommen. Es gehet ganz gewiß. Es ist ihm gewiß zu viel geschehen, oder, gewiß, es ist ihm zu viel geschehen. Mir soll er es gewiß gestehen 2) Oft auch nur eine Vermuthung zu begleiten. Sie wollen[668] gewiß sehen, ob ich bey einer Lobeserhebung noch roth werde? Gell. Er hat es ihm gewiß mit Fleiß gesagt. Man wird ganz gewiß schon mit dem Essen auf uns gewartet haben. 3) Besonders, wenn selbige einen Verweis, die Bezeugung seines Unwillens enthält. Ich werde es gewiß nicht gesehen haben, da er dich vorhin in der Nebenstube küßte? Gell. Du wirst gewiß nicht Zeit genug zu einer Herde kleiner Kinder kommen? ebend.

Anm. Im Isidor chiuuisso, bey dem Kero keuuisso, bey dem Ottfried giuuisso, im Angels. wis, im Nieders. wisse, im Schwed. wiss und wist. Es scheinet seinem ersten Ursprunge nach zu dem Worte fest zu gehören, weil es mit demselben in einigen, besonders der ersten Bedeutung, überein kommt. S. auch Wissen. In der Form eines Adverbii war es bey den ältern Oberdeutschen Schriftstellern von einem sehr weiten Umfange der Bedeutung, indem es unter andern auch daher, aber, auch, nehmlich, zwar u.s.f. bedeutete. Jemanden gewiß nehmen, ihn in Verhaft nehmen, und, den greifet und führet ihn gewiß, Marc. 14, 44, sind im Hochdeutschen nur in der niedrigen Sprechart üblich.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 667-669.
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