Ledig

[1965] Lédig, adj. et adv. welches seiner Natur nach, die erste Bedeutung ausgenommen, nicht leicht eine Comparation verstattet.

1. Bey den Jägern bedeutet es so viel als schlaff. Das Hängeseil wird daselbst ledig, wenn es schlaff wird, zu lang[1965] herunter hänget. In dieser Bedeutung scheinet es zu los zu gehören, indem das s und d oder t in den Mundarten häufig in einander übergehen. S. auch Liederlich und Schlottern, welches letztere vorn nur den groben Zischlaut und hinten das ern, das Zeichen der Frequentativen, angenommen hat.

2. Leeren, unausgefüllten Raum habend. 1) Eigentlich. (a) Von Gefäßen oder hohlen Räumen; wo es doch nur noch in einigen Fällen, besonders des gemeinen Lebens üblich ist, dagegen man in der anständigern Sprechart lieber leer gebraucht. Das Haus steht schon lange ledig, besser leer. Es ist nur noch ein Zimmer im Hause ledig. Ledige Krüge, Richt. 7, 16. Das Glas ist ledig, besser leer. (b) Noch häufiger, unbesetzt, mit keinen andern Körpern besetzt, belegt oder beladen; obgleich auch in diesem Verstande in der edlen Schreibart leer fast üblicher ist. Der Wagen gehet ledig (unbeladen) wieder zurück. Ein lediger Wagen. Ein lediges Schiff. Einen Wagen ledig machen. Das Pferd geht ledig, wenn es nicht beladen ist, oder keinen Reiter auf sich hat. Ein lediger Tisch, der mit nichts besetzt ist. Der Stuhl steht ledig, wenn niemand darauf sitzt. Daher im figürlichen Verstande, der päpstliche Stuhl, der Thron steht ledig, siehe Erledigen. Im Feldbaue Meißens ist die Ledige ein unbebauetes Stück Ackers. Viele Ledigen geben bey Bauergütern eine schlechte Aussicht. In andern Gegenden werden sie die Lehden genannt, S. dieses Wort. 2) Figürlich. (a) Unvermischt; doch nur im Bergbaue, wo ein lediger Stein, ein fast reiner Erzstein ist, so wie er in den Seifen gefunden wird. (b) Des Besitzers, des Eigenthümers, des Oberherren beraubt. Ein Amt, eine Bedienung steht ledig, wenn sie mit niemanden besetzt sind. Das Lehen wird ledig, wenn der Besitzer stirbt, oder dessen auf andere Art verlustig wird, welches man auch mit offen werden ausdruckt. (c) Unverheirathet; eine mit der vorigen genau verwandte Bedeutung. Eine ledige Manns- oder Weibesperson. Der ledige Stand. Er, sie ist noch ledig. Im Schwabenspiegel kommt in dieser Bedeutung ledeclich als ein Nebenwort vor. (d) Müßig; eine doch nur im Niedersächsischen übliche Bedeutung, wo ledig gehen müßig gehen, der Lediggang der Müßiggang, und der Lediggänger der Müßiggänger ist. (e) Von Banden, von der Gefangenschaft frey; eine noch in den Rechten übliche Bedeutung, welche mehrmahls auch in der Deutschen Bibel vorkommt. Einen Verhafteten ledig lassen, ihn los lassen. S. Erledigen. (f) Frey von Schuld und Strafe; auch nur in den Rechten und in der Deutschen Bibel. Jemanden ledig sprechen, ihn frey sprechen. Sich von der Missethat ledig sprechen, Dan. 4, 24. Siehe Entledigen. (g) Ledig ausgehen, nichts bekommen; wofür doch im Hochdeutschen leer ausgehen üblicher ist.

Diese letzte ist zugleich die einzige figürliche Bedeutung, in welcher sich ledig durch leer ersetzen lässet. S. auch das letztere.

Anm. Bey dem Notker im figürlichen Verstande für frey, leidig, der es zugleich mit der zweyten Endung verbindet, leidig iro sunndon, frey von ihren Sünden; in dem alten Gedichte auf den heil. Anno für leer, ledig, im Nieders. leddig, und mit der dieser Mundart sehr gewöhnlichen Ausstoßung des d und dd, leeg, lieg, welche auch im Holländischen üblich sind, im Schwed. ledig. Die Endsylbe ig bedeutet in den meisten und gewöhnlichsten Fällen so viel als habend; das Stammwort ist also Led, Läd oder Lad. Wer siehet nicht, daß dieses unser heutiges Lade ist, so fern solches überhaupt einen hohlen Raum bedeutet? Ledig bedeutet also einen hohlen, und in engerer Bedeutung einen unausgefüllten hohlen, und in weiterm Verstande, einen unbesetzten Raum habend; welche Ableitung weit wahrscheinlicher[1966] ist, als Wachters von laten, lassen, und Frischens von laden, onerare, nach welcher letztern es gerade das Gegentheil von dem bedeuten müßte, was es wirklich bedeutet. Ihre bemerket, daß die ältern Schweden statt dieses Wortes lös, los, gebraucht haben, und es kann seyn, daß dieses auch in einigen figürlichen Bedeutungen zum Grunde liegt, welche alsdann Figuren von ledig, so fern es in der ersten Bedeutung schlaff bedeutet, seyn würden.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1965-1967.
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