Leiten

[2023] Leiten, verb. reg. welches seinem ganzen Umfange nach in einer doppelten Bedeutung vorkommt.

1. * Als ein Neutrum, für gehen; eine im Hochdeutschen längst veraltete Bedeutung, von welcher sich aber noch sehr häufige Spuren finden. Im Isidor ist arliudan hinaus gehen, und bey dem Kero kalidan weggehen.


Sid er 'nan thar uberuuant,

Ioh leitta in ander art land,


nachdem er ihn überwunden hatte, und in ein anderes Land gezogen war, Ottfried B. 5, Kap. 4, V. 103; wo es in Schilters Ausgabe, wie auch Ihre bemerket, irrig durch ducebat übersetzt ist. Liess der Heidine man obar si lidan, ließ die heidnischen Soldaten über sie hingehen, in dem alten Gedichte auf den König Ludwig. Das alte Gothische leithan, Angels. lithan, Schwed. lida, Isländ. leita, Holländ. lyden, bedeuten gleichfalls gehen, wohin auch das Griech. λιαζομαι, ich gehe, komme, und ελευθω, ich komme, gehören. Im Nieders. ist verleden noch für verwichen, vergangen, von der Zeit üblich; anderer zu geschweigen.

II. Als ein Activum oder vielmehr Factitivum, gehen machen, d.i. die Richtung der Bewegung eines Gehenden, und in weiterer Bedeutung die Richtung einer Bewegung, und zwar die ganze Bewegung hindurch, bestimmen.

1. In mehr eigentlichem Verstande. Ein Kind am Führ- oder Leitbande leiten. Einen Blinden bei der Hand leiten. Jemanden auf den rechten Weg leiten, mit der vierten Endung, Ursache seyn, daß er auf den rechten Weg komme; dagegen leite mich auf rechter Bahn, Ps. 27, 11, ich bin dein Gott der dich leitet auf dem Wege, den du gehest, Es. 48, 17, mit der dritten, schon die Anwesenheit auf diesem Wege voraus[2023] setzen. Der Stern leitete die Weisen aus Morgenlande, S. Leitstern. Einen Hund, einen Ochsen am Stricke leiten, S. Leithund. Das Wasser in das Thal, in einen Garten leiten. Einen Fluß um die Stadt leiten. Den Faden auf die Spule leiten. Bey den Jägern leitet der Habicht ein Feldhuhn, wenn er es wegführet. Leiten setzt, wie Herr Stosch bemerket, freylich voraus, daß derjenige, welcher geleitet wird, dieser Leitung bedürfe, weil er ohne dieselbe nicht im Stande ist zu gehen, oder den Weg zu finden. Allein es läßt sich doch nicht in allen den Fällen gebrauchen, wo dieser Begriff Statt findet, und ich glaube, daß sich die Fälle, wo man führen gebrauchen müsse, bloß durch die Übung zu erlernen sind, weil sie bloß von dem Eigensinne des Gebrauches abhangen. So sagt man: eine Armee führen, eine Herde führen, einen Dieb zum Galgen führen, den Ochsen zur Schlachtbank führen, die Transcheen bis an den Hauptwall führen, einem Kinde die Hand führen u.s.f. In welcher und hundert andern Fällen das Zeitwort leiten nicht hergebracht ist, obgleich in einigen sogar der Begriff des Festhaltens zugegen ist, der doch dem Worte leiten nicht wesentlich anklebet. Ehedem wurde es auch häufig für geleiten und begleiten gebraucht; einen Reisenden leiten, ihn zur Sicherheit begleiten, ihn geleiten. Woraus zugleich der ehemahlige weite Umfang dieses Zeitwortes erhellet, wovon der heutige Gebrauch nur noch ein schwacher Überrest ist.

2. In mehr figürlichem Verstande, die Richtung der Veränderungen eines Dinges bestimmen. Eines Gewissen leiten, oder führen. Eine Intrigue leiten. Jemanden zum Guten leiten, wofür anleiten beynahe üblicher ist. Sich von jemanden in allen Stücken leiten lassen. Gehorsam gegen die Leitungen Gottes, gegen die von ihm herrührende Bestimmung unserer Veränderungen, welche auch die Führung genannt wird. Ein Wort von einem andern herleiten, zeigen, glauben, daß es von demselben herstamme, S. Ableiten. Alle seine Empfindungen werden von Liebe geleitet. Ein dunkles Gefühl der Glückseligkeit leitete ihn. Der Trieb der Schamhaftigkeit wird nur auf das äußerliche der Handlung- geleitet, Gell. So auch die Leitung.

Anm. In der thätigen Bedeutung schon von des Kero Zeiten an leitan, im Nieders. leiden, im Angels. lädden, läden, im Dän. lede, im Isländ. leida, im Schwed. leda, im Engl. to lead, bey den Krainerischen Wenden ladam, ich leite. Zu den Ahnherren dieses alten Wortes gehöret vornehmlich das im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Leit, Leige, der Weg, die Reise, Holländ. Ley, Schwed. Led, Angels. Late, Isländ. Leid, wovon Geleit noch häufig im Theuerdanke vorkommt. Auf ein pös geleyt hat der Knecht euch geführt, Kap. 20. Das Geleyt was scharpf, stickel an all hab, Kap. 40. Es kann dieses Wort mit lege, niedrig, tief, und Lehne und Leite, der Abhang, Eines Geschlechtes seyn; es kann aber auch seinen Ursprung der unmittelbaren Nachahmung des Schalles eines Gehenden zu danken haben. S. Leicht, Geleise, 2. Leite, Gleiten u.s.f.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 2023-2024.
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