Muthwille, der

[339] Der Muthwille, des -ns, oder der Muthwillen, des -s, plur. inus. eines der ältesten zusammen gesetzten Wörter in der Deutschen Sprache, welches daher auch in verschiedenen Bedeutungen vorkommt. 1) * Ehedem bedeutete es so viel als das einfache Wille, in welchem Verstande es bey dem Ottfried mehrmahls vorkommt. Z.B. der Wind bläset thara imo ist muatuuillo, wo ihm muthwillig ist, d.i. wo er will; und an einem andern Orte sagt Christus seinen Jüngern then sinan Muatuuillon, seinen Willen. Eben derselbe gebraucht es aber auch für Willkühr, Lust, Neigung im guten Verstande, und bey dem Notker werden Wollüste, Vergnügungen, Muotuuillon genannt; ja der noch ältere Übersetzer Isidors gebraucht Muotuuillu sogar für das Gemüth.[339] 2) * In engerer Bedeutung war Muthwille ehedem der freye Wille, im Gegensatze des Zwanges; in welchem Verstande es auch in guter Bedeutung in den Schriften der mittlern Zeiten sehr häufig vorkommt. Von Mutuuillen, freywillig, im Schwabensp. Jetzt gebraucht man es, 3) nur noch von einer Art der Freywilligkeit in bösen Dingen, und da ist der Muthwille eine böse Handlung, welche bloß aus Lust Böses zu thun, oder aus einem sinnlichen Vergnügen an dem Bösen, in der Absicht sich an dem Bösen sinnlich zu vergnügen, begangen wird, da er denn eine Art des Übermuthes ist, so wie Boßheit eine böse oder schädliche Handlung ist, welche aus Neigung Schaden zu thun, und in der Absicht zu schaden, unternommen wird. Muthwillen treiben. Allerley Muthwillen begehen. Ein Narr treibet Muthwillen und hats noch dazu seinen Spott, Sprichw. 10, 23. Im Buche der Richter Kap. 20, 6 wird die geschehene Schändung und Ermordung des Kebsweibes des Leviten ein Muthwille und Thorheit genannt, wo Michaelis die Ausdrücke Bubenstück und Frevel hat. Ihr verlasset euch auf Frevel und Muthwillen, Es. 30, 12. Auf daß sonst niemand an Daniel Muthwillen übte, Dan. 6, 17. Wo es auch die Fertigkeit Böses aus Lust, oder zur Lust zu thun bezeichnet. Herr laß dem Gottlosen seine Begierde nicht und stärke seinen Muthwillen nicht, Ps. 140, 9. Am häufigsten wird es im Hochdeutschen von geringern aus Lust begangenen bösen Handlungen und der Fertigkeit dazu gebraucht, welche wider kein ausdrückliches Gesetz streiten, dagegen man für diese die härtern Ausdrücke Frevel, Boßheit u.s.f. hat. Ein Kind treibt Muthwillen, wenn es aus Lust in Kleinigkeiten Böses oder Schaden thut, wo es mit Leichtfertigkeit beynahe überein kommt. In noch weiterer und gelinderer Bedeutung ist der Muthwille oft auch eine jede unschädliche, aber doch unnützliche Handlung, welche bloß aus Lust, aus Neigung zum Vergnügen begangen wird. Der Muthwille eines feinen Ohres könnte in der Musik nichts vollkommners wünschen.

Anm. Im Nieders. gleichfalls Moodwille, ehedem aber auch Sulfmood, d.i. Selbstmuth. Die Verfasser des Bremisch Nieders. Wörterb. und einige andere Sprachforscher halten die letzte Hälfte dieses Wortes für das Nieders. Wehle, welches zuweilen auch für Muthwille gebraucht wird, und mit Keros Welii, Anmuth, Vergnügen, zu unserm wohl gehöret, von welchem Worte wehlig im Nieders. stark und lebhaft bedeutet. Allein aus den erstern ältern Bedeutungen erhellet wohl unstreitig, daß unser Wille den gegründetsten Anspruch darauf habe. Die erste Hälfte scheinet entweder das Hauptwort Muth zu seyn, so fern es auch eine auf Gefühl der Stärke gegründete Lustigkeit bedeutet, oder auch das alte Beywort muat, gemuat, freudig, angenehm, lustig, da doch der Begriff der Lustigkeit mit diesem Worte nicht nur in den heutigen Bedeutungen genau verbunden ist, sondern auch in der ältern Bedeutung des freyen Willens, und des Willens überhaupt, obgleich in einem geringern Grade, angetroffen wird. In dem Schwed. Motwilja, Hartnäckigkeit, Eigensinn, ist die erste Hälfte nicht unser Muth, sondern das nordische Vorwort mot, gegen, gleichsam Gegenwille, Widerspenstigkeit, wovon im Nieders. möten, entgegen kommen, ist. Muthwille ist der Analogie und dem Alterthume gemäßer als Muthwillen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 339-340.
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