Nachsehen

[387] Nachséhen, verb. irreg. (S. Sehen,) welches in einer doppelten Gestalt üblich ist.

1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, hinter einem Dinge her sehen, ihm mit den Augen folgen. 1) Eigentlich, wo auch im Oberdeutschen nachschauen, in der vertraulichen Sprechart der Hochdeutschen nachgucken und im Nieders. nakiken üblich sind. Alles Volk sahe Mosi nach bis er in die Hütte kam, 2 Mos. 33, 8. Als sie ihm nachsahen gen Himmel fahrend, Apostelg. 1, 10. 2) Figürlich, in der Hoffnung eines zu erlangenden Guten betrogen werden, wo doch die R.A. das Nachsehen haben am üblichsten ist, gleichsam dem vorüber gehenden Guten unbefriedigt nachsehen müssen. So viel du dir auch versprichst, so wirst du doch nur das Nachsehen haben müssen. Man hatte mir viele Hoffnung gemacht, aber am Ende hatte ich das leere Nachsehen.

2. Als ein Activum. 1) Die Forderung einer Schuldigkeit, ingleichen die Ahndung, Bestrafung ganz oder doch auf eine Zeit lang um des andern Besten willen unterlassen, so wohl absolute mit der dritten Endung der Person, als auch mit der vierten Endung der Sache; eine Figur der vorigen Bedeutung. Der Gläubiger siehet dem Schuldner nach, wenn er nicht mit der befugten Schärfe auf die Bezahlung der Schuld dringet. Denn länger sieht sie ihm nicht nach, Gell. Einem Kinde siehet man aus Zärtlichkeit manches nach. Man muß ihr wegen ihrer jetzigen Verfassung sehr liebreich nachsehen. Eine Härte, welche man der Sprödigkeit der reinsten Tugend kaum nachsehen würde. Da denn auch das Mittelwort nachsehend, als ein Bey- und Nebenwort gebraucht wird. Sehr nachsehend seyn. Ein nachsehender Vater. S. auch Nachsicht und Nachsichtig. Übersehen wird in ähnlichem Verstande gebraucht, nur daß es eine gänzliche Unterlassung der Ahndung bezeichnet, nachsehen aber auch mehr Empfindung des Unrechtes bey der nachsehenden Person voraus setzt als jenes. 2) Nach etwas sehen, in der Absicht, es zu untersuchen. Eine Rechnung nachsehen, sie durchsehen, ob sie richtig sey. Die Wäsche nachsehen, ob sie vollzählig sey. Ich weiß nicht, ob ich es noch habe, ich will aber nachsehen. Siehe doch nach, wie viel Uhr es ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 387.
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