Nothdurft, die

[527] Die Nothdurft, plur. inus. ein Wort, welches in einem doppelten Hauptverstande gebraucht wird.

1. Als ein Abstractum. 1) Der Zustand, da etwas mit Mühe, d.i. kaum und genau, zu einer Absicht hinreicht, wie Noth 2; doch nur in den Ausdrücken zur Nothdurft und nach Nothdurft, welche im gemeinen Leben und in den Kanzelleyen häufig vorkommen. Es reicht zur Nothdurft hin, zur Noth. Nach Nothdurft zu leben haben. Daß sie einen Tag länger nach Nothdurft haben möchten, Judith 7, 12. Ingleichen, so viel als nöthig ist, auch nur in den Hoch- und Oberdeutschen Kanzelleyen. Meine frau die wil die sach nach nottdurft ratschlagen, Theuerd. Daß Kläger dasjenige, so ihm zu erweisen aufgeleget war, und er sich angemaßet, zur Nothdurft erwiesen, auch in den Obersächsischen Gerichten. Im Oberdeutschen sagt man auch, seine Nothdurft essen, trinken, schlafen u.s.f. so viel als man bedarf. 2) Der Zustand, da man eines Dinges bedarf, ingleichen, der Zustand, da ein Ding nöthig und nothwendig ist, wie Noth 3 und 6; gleichfalls nur in Oberdeutschen und in den Obersächsischen Kanzelleyen. Wir haben der Nothdurft zu seyn ermessen, erachtet u.s.f. haben für nöthig gehalten. Ob nicht dasjenige einer vorgängigen Nothdurft sey u.s.f. vorher nothwendig sey. 3) * In engerer Bedeutung, der Zustand, da man die zur Wohlfahrt unentbehrlichster Mittel bedarf, Mangel an denselben leidet, besonders zur Erhaltung des natürlichen Lebens; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Nehmet euch der Heiligen Nothdurft an, Röm. 12, 13. Nothdurft leiden, im Oberdeutschen, Mangel an den unentbehrlichsten Erhaltungsmitteln, Noth leiden. In Nothdurft[527] stecken, eben daselbst, wo man es denn auch wohl für Noth 7, im Plural gebraucht, in diesen Nothdurften, in diesen Nöthen. Auch in der Bedeutung der Blöße, des Zustandes; da man an den unentbehrlichsten Kleidungsstücken Mangel leidet, ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich. Kleider damit er seine Nothdurft decken kann, Sir. 29, 28.

2. Als ein Concretum; wo es doch nur collective und ohne Plural gebraucht wird. 1) In der weitesten Bedeutung, alles was nöthig, zu einer Sache erforderlich ist; eine im Oberdeutschen und den Hochdeutschen Kanzelleyen noch sehr gangbare Bedeutung, welche aber in der zierlichern Schreibart veraltet ist. Die Schreibenothdurft, Schreibe-Materialien, Feder, Tinte und Papier; der Schreibebedarf. Seine Nothdurft reden, was man für nöthig, für nothwendig hält. Die Gläubiger sind zur Pflegung der Güte und Beobachtung sonstiger Nothdurft vorgeladen, in den Gerichten. Daß ihr eures Orts die Nothdurft dabey beobachten möget, in den Kanzelleyen, für, was nöthig ist. Wir haben bereits die Nothdurft in Schriften an ihn gelangen lassen, ebend. Nehmet die Nothdurft für euer Haus und ziehet hin, 1 Mos. 42, 33. 2) In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, dasjenige, was zur Erhaltung des natürlichen Lebens unentbehrlich nothwendig ist, und so viel als unentbehrlich dazu erfordert wird. Seine Nothdurft haben. Einem die Nothdurft verschaffen. Zur Leibes Nahrung und Nothdurft. Zur Nothdurft und nicht zur Lust. Auch der unentbehrlichsten Nothdurft beraubet seyn. Sich etwas an der Nothdurft abbrechen. 3) Seine Nothdurft verrichten, in der anständigen Sprechart, dem Dringen der Natur zur Erleichterung des Leibes eine Genüge thun.

Anm. In allen diesen Bedeutungen schon bey dem Kero Notduroft, bey dem Ottfried Notthurf, im Gegensatze des bey ihm gleichfalls befindlichen Vnthurft, was nicht nöthig ist, im Schwabenspiegel in der letzten Bedeutung Noturft, im Angels. Neaththarf, im Schwed. Nötthorft, im Isländ. Naudthurft. Es ist aus Noth und Durft zusammen gesetzet, welches letztere ehedem auch nur allein für Nothdurft gebraucht wurde, so wie dieses bey den ältern Schriftstellern in allen Bedeutungen des einfachern Noth vorkommt. Noth scheinet in dieser Zusammensetzung das veraltete Bey- und Nebenwort noti zu seyn, welches bey dem Ottfried noch so häufig ist, und unter andern auch sehr bedeutete, so daß die Bedeutung des Durft dadurch nur erhöhet wird. Ehedem war nothdurft auch als ein Bey- und Nebenwort für nothwendig üblich. Do kumpt die pestilentz, so ist notturft den luft zu rechtfertigen und ihm sin bosheit zu benemmen, die Luft zu reinigen, im Liber Pestilenz. von 1500.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 527-528.
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