Offen

[582] Offen, -er, -ste, welche Grade doch nur in der 5ten und 7ten figürlichen Bedeutung gebraucht werden, adj. et adv. Es ist dem verschlossen und eingeschlossen und, so fern es als ein Nebenwort gebraucht wird, dem zu entgegen gesetzet.

1. Eigentlich, auf Einer oder mehrern Seiten mit keinen körperlichen Einschränkungen versehen, nicht eingeschlossen, nicht zugemacht. Ein offener Helm, im Gegensatze eines geschlossenen. Ein offenes Glas, ein offener Topf, ein offenes Gefäß, im Gegensatze eines zugedeckten. Eine offene Thür, ein offenes Fenster, im Gegensatze so wohl eines verschlossenen, als auch eines zugemachten. Den Mund offen haben, ein offener Mund. Den Himmel offen sehen. Mit offenen Augen nicht sehen. Jemanden mit offenen Armen empfangen, mit ausgebreiteten, und figürlich, mit fröhlicher Bereitwilligkeit. Mit Entzückung eil ich in deine offnen Arme, Geßn. Ein oben offener Spaziergang, im Gegensatze eines bedeckten. Ein offner Schade, eine Wunde[582] an dem Körper, welche nicht geheilet werden kann oder darf. Ein freyes offenes Feld, welches durch keine Gegenstände eingeschlossen ist. Ein offener Brief, der nicht versiegelt ist, daher denn offene Briefe, offene Befehle, im mittlern Lat. Litterae patentes, auch solche obrigkeitliche Befehle genannt werden, welche jedermann angehen.

2. In verschiedenen engern Bedeutungen. Die Erde ist noch nicht offen, sagt man in der Landwirthschaft, wenn sie noch nicht aufgethauet, sondern durch den Frost gleichsam verschlossen ist. Man hat offenen Leib, wenn die Ausleerungen gehörig erfolgen, im Gegensatze des verstopften Leibes. Den Leib offen halten, dafür sorgen, daß die Ausleerungen gehörig erfolgen. In offener Rechnung mit jemanden stehen, in uneingeschränkter, d.i. daß jeder von dem andern so viel auf Rechnung bekommen kann als er will oder bedarf. Offene Casse bey jemanden haben, so viel Geld von ihm bekommen können, als er will. Ein offener Wechsel, ein uneingeschränkter, der auf keine gewisse Summe gerichtet ist. Mein Haus stehet ihnen offen, sie können zu allen Zeiten ungehindert in dasselbe kommen.

3. Figürlich. 1) Unbefestigt. Eine offene Stadt, ein offener Platz, ein offener Ort, der mit keinen Festungswerken, mit keinen Mauern versehen ist. Ein überall offenes Land, wo der Eingang durch nichts erschweret wird. 2) Ein Lehen wird offen, in dem Lehenswesen, wenn es dem Lehensherren anheim fällt, wenn es eröffnet wird. Ein offenes Lehen. 3) Die offene Zeit, im Gegensatze der geschlossenen, d.i. diejenige Zeit, da der Genuß oder Gebrauch eines Dinges einem jeden frey stehet; in der Landwirthschaft, diejenige Zeit, da die Äcker, Wiesen und Wälder mit dem Viehe betrieben werden können. Das Vieh zu offnen Zeiten in das Gehölz treiben. 4) Für öffentlich; doch nur als ein Beywort. Etwas in offener Gant verkaufen, im Oberdeutschen, d.i. in öffentlicher Auction. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur noch in einigen Fällen. Auf offener Sraße, auf öffentlicher. Offene Tafel halten, öffentlich speisen; ingleichen, jeden der mitspeisen will, mit zur Tafel ziehen. Einen offenen Laden haben, öffentlich verkaufen. 5) Ein offener Kopf, der etwas geschwinde und deutlich begreift. Einen offenen Kopf haben. Ingleichen eine Person, welche einen offenen Kopf hat. Er ist ein offener Kopf. 6) Das offene e, bey einigen Sprachlehrern, dasjenige e, welches wie ein ä ausgesprochen wird, wie das erste e in geben, leben, Steg; weil der Mund dabey mehr geöffnet wird, als bey dessen Gegensatze dem geschlossenen, welches in den ersten Sylben der Wörter gehen, stehen, das Lehen, Statt findet. Beyde Kunstwörter sind nach den Französischen Kunstwörtern e ouvert, und e fermé gebildet. Andere Sprachlehrer nennen das offene e nicht so bestimmt das dunkle, und das geschlossene das helle. Besser nennt man es das tiefe e, zum Unterschiede von dem hohen. 7) Eine offene Miene, ein offenes Gesicht, ein freyes, unverstelltes Gesicht, welches keine Verstellung, keine Zurückhaltung verräht. Ein offenes Herz, welches seine Gedanken und Empfindungen andern vertraulich bekannt macht. Du verdienest, daß ich mit offnem Herzen zu dir rede. Er scheint nicht mit offnem Herzen gehandelt zu haben. S. Offenheit.

Anm. 1. Diese Wort lautet schon bey dem Ottfried und Willeram offan, im Nieders. apen, im Angels. open und yppe im Engl. open, im Dän. aaben und aabent, und im Schwed. öppen, yppen. Es stammet, vermittelst der adverbischen Endung -en, von auf her, welches in der Zusammensetzung mit Zeitwörtern noch für offen gebraucht wird.

Anm. 2. Dieses auf macht zuweilen manchen Deutschen Schwierigkeit, welche in einigen Fällen nicht wissen, ob sie auf oder offen gebrauchen sollen, und daher beyde sehr oft mit einander verwechseln.[583] Offen ist ein eigentliches Nebenwort, und kann als ein solches nicht mit einem Zeitworte zusammen gesetzet werden; soll dieses geschehen, so muß dafür das Vorwort auf gebraucht werden, welches dagegen außer der Zusammensetzung nicht für offen gebraucht werden kann. Gehöret nun das Wort unmittelbar als ein Theil der Zusammensetzung zum Zeitworte, so muß auf, im widrigen Falle aber offen gebraucht werden. Er ließ die Thüre offen, ist unrichtig, weil das Zeitwort auflassen dafür üblich ist. So sagt man auch das Fenster steht auf, das Thor bleibt die ganze Nacht auf, den Kasten aufmachen, sie hielt die Schürze auf u.s.f. Wohl aber, den Himmel offen sehen, den Mund offen haben, u.s.f. weil aufsehen, aufhaben, in diesen Bedeutungen nicht üblich sind. Alles dieß gilt nur, wenn auf und offen in der eigentlichen Bedeutung üblich sind, denn so bald sich eine Figur mit einmischt, muß offen stehen, es müßte denn das mit auf zusammen gesetzte Zeitwort diese Figur hergebracht haben. Die Thüre steht auf; aber, mein Haus stehet ihnen zu allen Zeiten offen, zur Aufnahme bereit. Das Thor bleibt auf, aber unser Herz bleibt jedermann offen.

Offen druckt schon im Positiv verschiedene Grade aus, oder vielmehr, ein Ding kann nur auf Eine Art offen seyn, d.i. so bald die Flächen, welche es auf allen Seiten einschließen, unterbrochen werden. Der Positiv druckt schon alle diese Grade allein aus, daher fallen der Comparativ und Superlativ, außer der 5ten und 7ten figürlichen Bedeutung, schon von sich selbst weg.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 582-584.
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