Rieth, das

[1115] Das Rieth, des -es, plur. die -e. Dimin. das Riethchen, ein in verschiedenen Bedeutungen übliches Wort, welche zwar zu verschiedenen nähern Stämmen gehören, aber am Ende doch aus einer und eben derselben Quelle herstammen. 1) Das Rohr, Schilfrohr, so wohl in Ober- als Nieder-Deutschland. Der Teich ist mit Rieth bewachsen, mit Rohr oder Schilf. Ein Haus mit Rieth decken. Spanisches Rieth, Spanisches Rohr; wo es auch individuell, folglich auch im Plural gebraucht werden kann, zwey Spanische Riethe. Im Nieders. Reit, Reet, Riet, im Engl. Reed, im Angels. Hreod, alle in der Bedeutung des Rohres. Da s und t beständig in einander übergehen, so gehören auch das Raus des Ulphilas, das Franz. Roseau, und mittlere Lat. Rausea, alle in der Bedeutung des Rohres, hierher, ja unser Rohr selbst ist davon nur im Endlaute verschieden. Schon Gellius nennt solche Bäume und Gesträuche, (arbores et virgulta) welche an den Ufern der Flüsse wachsen, Retas, wodurch er doch wohl zunächst das Rohr verstehen mag, weil retare bey ihm einen Fluß von Rohr reinigen ist, wenn dieses letztere nicht vielmehr unser reuten ist. Man siehet bald, daß der Begriff der Ausdehnung in die Länge, vielleicht auch der Beweglichkeit, hier am meisten hervorsticht, da denn dieses Wort als ein Abkömmling von reisen, reiten, in ihren weitesten Bedeutungen angesehen werden muß. In Boxhorns Glossen ist Ritta, culmus, ein Halm. In einigen Gegenden ist es in dieser Bedeutung männlichen Geschlechtes; der Ried (Rieth) lispelt, in der neuen Arria. 2) Bey den Tuchmachern und andern Arten der Weber wird der Kamm oder das so genannte Blatt, das Rieth genannt, entweder, weil es aus Rohr verfertiget[1115] wird, oder so wie das gleichbedeutende Blatt von dem veralteten Ret, dem Stammworte von Bret und breit, oder endlich auch wie Kamm, von reißen, Nieders. riten. 3) Ein Bach; eine nur in einigen Gegenden, besonders Niedersachsens, übliche Bedeutung, da es denn auch männlichen Geschlechtes ist, und in einigen andern Gegenden auch Rieß lautet; von riesen, ehedem für fließen, Griech. ῥεειν, S. Reisen, Anm. und Rieseln. 4) Ein Berg, und eine Reihe von Bergen, eine nur noch in einigen eigenthümlichen Benennungen übliche Bedeutung. In Österreich ist Rieth noch jetzt eine Weinbergsflur, nactus vincarum. Von riesen, riten, sich in die Höhe ausdehnen, daher ein Gebirge in einigen Gegenden auch das Rieß heißt, S. Riese. 5) Eine sumpfige, moorige Gegend, eine Bedeutung, welche in vielen Gegenden gangbar ist; in der Schweiz eine Riedachten. Der ganze mit Wald bewachsene niedrige Strich am Rheine heißt in Elsaß das Rieth, in welcher Bedeutung es auch in vielen eigenthümlichen Nahmen vorkommt, Dattenried im Sundgau u.s.f. S. Frischens Wörterbuch, v. Ried. Im Lappländischen ist Rete und im Ungarischen Ret eine Wiese. Selbst das Lat. Pratum scheinet hierher zu gehören, weil man bey allen mit einem Doppelbuchstaben anfangenden Wörtern, den ersten in der Etymologie als bloß zufällig ansehen muß. Rhätien hat entweder von diesen sumpfigen Gegenden, oder auch von seinen Bergen den Nahmen. S. auch viele der folgenden Zusammensetzungen. 6) In andern Provinzen hingegen, z.B. in Thüringen, wird eine unbebauete Gegend, welche nur zur Viehtrift gebraucht wird, wenn sie gleich hoch liegt, und nichts weniger als sumpfig ist, das Rieth genannt; so wie es auch Fälle gibt, wo es aus Reut verderbt ist, besonders in eigenthümlichen Nahmen; Neurieth für Neureut.

Anm. Gemeiniglich schreibt man dieses Wort Ried. Allein die Aussprache, besonders in der Verlängerung des Wortes, ist Beweises genug, daß man es Rieth oder doch Riet schreiben müsse.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1115-1116.
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