Roh

[1142] Roh, -er, -este, adj. et adv. welches 1) mit rauh eigentlich ein und eben dasselbe Wort ist, und in einigen Oberdeutschen Gegenden noch wirklich für dasselbe gebraucht wird; ein roher Boden, rohe Witterung, für rauh. Im Hochdeutschen kennet man es 2) nur in figürlicher Bedeutung, da es denn von Körpern gebraucht wird, welche keine andere Zurichtung bekommen haben, als die Natur ihnen ertheilet. Rohe Producte, so wie sie aus den Händen der Natur kommen, und noch nicht verarbeitet sind. Rohe Seide, welche noch nicht gesponnen und nicht gefärbt ist. Es bildete die Kunst den rohen Marmor aus, Gell. Oft werden unter diesem Worte besondere Arten der Zubereitung oder Zurichtung verstanden. Von Dingen, welche zur Nahrung dienen, ist es dem gekocht oder gebraten entgegen gesetzt. Rohes Fleisch, rohe Fische, ein rohes Ey, welche nicht gekocht sind. Das Fleisch ist noch ganz roh, bey weitem noch nicht gar gekocht oder gebraten; wo man im Oberdeutschen auch das im Hochdeutschen unbekannte röhlich, ein wenig roh, hat. Daher roh in den gemeinen Sprecharten auch für wund gebraucht wird. Sich roh liegen, wund. Rohe Leinwand ist im Leinwandhandel ungebleichte; ein rohes Tuch, bey den Tuchmachern, ein ungewalktes; rohe Erze, im Hüttenbaue, ungeröstete Erze; ein rohes Buch, ein ungebundenes, so wie es aus der Druckerey oder aus dem Buchladen kommt. Nach einer noch weitern Figur ist roh aller sittlichen Verfeinerung oder Ausbildung beraubt. Ein roher Mensch. Rohe Sitten haben. Ein rohes Leben führen, ein ungesittetes, ausschweifendes. Ein gesunder aber roher Verstand.

Anm. Im Nieders. rau, im Angels. hreaw, im Engl. raw, im Schwed. rå, im Isländ. rha, im Finnländ. raaca, im Wend. mit dem vorgesetzten Zischlaute frow, (S. Schroff,) im Latein. rudis und crudus. S. Rauch, Rauh und Grob. In einigen Gegenden gebraucht man es auch für rehe von den Pferden, für verfangen, S. dasselbe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1142.
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