Schleichen

[1514] Schleichen, verb. irreg. Imperf. ich schlich; Mittelw. geschlichen; Imper. schleiche, schleich. Es ist eine unmittelbare Nachahmung des langsamen, leisen, kaum in das Gehör fallenden Ganges, und in weiterer Bedeutung einer solchen Bewegung, und ist in doppelter Gestalt üblich.

I. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert, sich auf solche Art fortbewegen.

1. Für kriechen, doch zunächst nur von solchen Thieren, welche ohne alle Füße sich durch Bewegung des Leibes fortbewegen, dagegen kriechen sehr kurze Füße voraus setzet. Die Schlangen schleichen. Was auf Erden schleicht, soll euch unrein seyn, 3 Mos. 11, 41 f. Im Hochdeutschen ist es in dieser Bedeutung wenig gangbar, weil man dafür kriechen gebraucht selbst von solchen Gewürmen, welche aller Füße beraubt sind. S. Blindschleiche.

2. Einen leisen und dabey langsamen Gang haben, leise und langsam gehen, besonders so fern man dadurch seinen Gang zu verheimlichen sucht, und in weiterer Bedeutung, sich auf solche Art unbemerkt bewegen. 1) Eigentlich. Er schleicht wie eine Katze, wie ein Fuchs. Er ist davon geschlichen. Ein alter Bauer, der mit seinem Knotenstocke an der Hecke schlich. Jacobi.


Gleich schlich zu seinem Glücke ein siecher Alter vor ihr Haus,

Gell.


Und schleicht mit scheuem Blicke

Und mehr als diebischer Furcht zurücke,

Haged.


[1514] Die Pest, die im Finstern schleicht, Ps. 91, 6. Schleichend kommen, wofür doch, wie bey den meisten übrigen Zeitwörtern der eigenen Bewegung, das Mittelwort der vergangenen Zeit, geschlichen kommen, üblicher ist. Das Blut, das so träge in deinen Adern schleicht.


Ha, wenn ein solcher Wunsch in meine Seele schlich,

Weiße.


Ingleichen in Gestalt eines Reciproci, wo es aber eigentlich das folgende Activum ist, daher es alsdann auch wie alle Reciproca das Hülfswort haben bekommt. Jetzt schlich ich leise zu ihrem Bette mich hin, Geßn. Sich in das Haus schleichen. Er schlich sich ganz leise wieder nach seinem Zimmer. Diese Thräne, die sich aus ihrem Auge schleicht, Less. In meine Spiele schleicht sich nicht späte Klage, Weiße. 2) Figürlich. (a) Ein schleichendes Fieber, welches den Kranken langsam und unbemerkt auszehret. (b) Ein Stück Butter zerschleichen lassen, in den Küchen, es langsam und bey gelinder Wärme zergehen lassen. (c) In seinem Betragen mit merklicher Verheimlichung seiner Absichten und Mittel verfahren. Von einem solchen Menschen sagt man, er schleiche. Ein schleichendes Wesen haben. Siehe Schleicher.

II. Als ein Activum, auf eine leise und langsame Art fortbewegen; wo es doch nicht so gangbar ist, als das vorige Neutrum. Hier schlich sie ihre Hand in die seinige. Verbothene Waaren in eine Stadt schleichen, heimlich bringen, wofür doch schleifen üblicher ist.

So auch das Schleichen.

Anm. Bey dem Ottfried sleihen, bey dem noch ältern Kero slihhan, von welcher Form das Imperfect und Mittelwort unsers schleichen herstammen, im Nieders. sliken, im Schwed. slika, slinka, im Angels. mit dem Naselaute slincan, im Lettischen slenku. Es ist eine unmittelbare Nachahmung des Lautes, und daher mit Schlick und Schlich, Schleiche u.s.f. in welchen der Begriff des Schleimigen und Glatten der herrschende ist, nahe verwandt. S. auch Schleifen, welches diesem Zeitworte nahe angehöret.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1514-1515.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika