Spüren

[255] Spüren, verb. regul. act. welches in einer doppelten Hauptbedeutung vorkommt. 1. In mehr thätiger, vermittelst einer oder mehrerer Spuren ein Ding zu erkennen, zu erforschen suchen. Nach etwas spüren, die Hunde spüren im Walde, spüren nach dem Wilde. Es ist hier als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben und dem Vorworte nach am üblichsten, wird aber noch häufiger in den Zusammensetzungen aufspüren, ausspüren, nachspüren; u.s.f. gebraucht. In einigen Mundarten lautet es in dieser thätigen Bedeutung spuren. 2. In mehr leidender Bedeutung, an[255] einer oder mehr Spuren oder Merkmahlen erkennen, wobey es doch gemeiniglich den Nebenbegriff der geringen Erkenntniß, oder der Erkenntniß aus wenig Merkmahlen bey sich führet, merken, schwach empfinden. Ich spüre, daß mich der Herr segnet, um deinetwillen, 1 Mos. 30, 27. Es ist kaum zu spüren. Ich spüre nichts. Die Katze spüret eine Maus, die Hunde spüren ein Wild. Es ist so leicht, daß man das Gewicht kaum spüret. Einen unangenehmen Geruch spüren. S. auch Verspüren, welches häufig für das einfache spüren gebraucht wird. So auch das Spüren.

Anm. Schon bey den alten Oberdeutschen Schriftstellern spuron, wovon das Iterativum spurilon bey dem Ottfried nachdenken, meditari, bedeutet; im Nieders. spören, im Angels. spyrian, spuran, im Schwed. spåra, im Schottländ. speer, im Ißländ. spiria, im Engl. to spere, alle bald in thätiger Bedeutung für forschen, aufsuchen, bald auch in leidender für merken, empfinden. Die Abstammung ist ungewiß, weil mehrere Wörter darauf Anspruch machen können. Da -ren oft ein Merkmahl eines Iterativi und Intensivi ist, so kann man es als ein solches von spähen, sehen, zu sehen suchen, betrachten, und dann würde spüren, für späheren stehen. Man kann es aber auch als ein vermittelst des Zischlautes von wahr und wahrnehmen, gewahr, erfahren u.s.f. abstammendes Wort ansehen, so daß es eigentlich durch die Sinne empfinden bedeuten würde. Am wahrscheinlichsten läßt es sich indessen doch von Spur ableiten, welches theils das aus dem u entstandene ü glaublich macht, theils aber auch der Nebenbegriff der schwachen oder dunkeln Erkenntniß aus geringen oder dunkeln Merkmahlen. Das Lat. vestigare, mit welchem spüren in der thätigen Bedeutung überein kommt, stammet auf ähnliche Art von Vestigium ab, welches wiederum Pes, Fuß, und steigen, gleichsam Fußtapfe, für seine Stammwörter erkennet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 255-256.
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