Toll

[621] Toll, -er, -este, adj. & adv. ein Wort, in welchem der Begriff einer Art eines ungestümen Geräusches der herrschende zu seyn scheinet. Es bedeutet überhaupt, ein solches ungestümes betäubendes Geräusch verursachend und darin gegründet. 1. Im weitesten Verstande, wo man es im gemeinen Leben noch in allen den Fällen gebraucht, wenn jemand ohne Noth ein betäubendes Geräusch verursacht, es geschehe aus welchen Bewegungen es wolle. Ein toller Mensch. Ein toller Lärm. In den gemeinen Sprecharten mancher Gegenden hat man auch das Zeitwort tollen, einen betäubenden Lärmen verursachen. 2. In einigen engern und theils figürlichen Bedeutungen. (1) Aus Zorn oder Trunkenheit ungestüm tobend. Ein toller Kopf, welcher leicht in einen ungestümen Zorn geräth. Du wirst mich noch toll machen, ungestüm zornig. Da es denn in der vertraulichen Sprechart oft für zornig überhaupt gebraucht wird, besonders als ein Nebenwort. Da dieß der König hörte, ward er toll, 2 Macc. 7, 39. Ich bin so toll auf ihn, daß ich ihn prügeln möchte. Toll und voll seyn, im höchsten Grade betrunken. Etwas toller Weise thun, in der Trunkenheit. (2) Aus Beraubung des Verstandes und Bewußtseyns tobend und rasend. Ein toller Hund, ein rasender, wüthender. Toll werden. Tolle Personen, welche man einsperren oder an Ketten legen muß. Toll verbindet hier nebst dem Begriff des Wahnsinnes auch noch den Begriff des ungestümen und mit Beschädigung seiner und anderer begleiteten Tobens. (3) Figürlich. (a) Des gehörigen Gebrauches des Verstandes und Bewußtseyns beraubt, ohne den Nebenbegriff des ungestümen Lärmens, daher alsdann auch der harte Nebenbegriff wegfällt. Jemanden mit Schreyen den Kopf toll machen, zum vernünftigen Bewußtseyn unfähig. Der tolle Pöbel, der unvernünftige, ungestüme Pöbel. Bist du toll? des gesunden Verstandes beraubt? (b) Seltsam, wunderlich, in der vertraulichen Sprechart. Ein tolles Kleid. Ein tolles Betragen. Das wäre doch toll.

Anm. Im Nieders. dull, wo auch Dullerjaan, die tolle Laune, ein Anfall von Wuth und Zorn ist; im Schwed. mit vorgesetztem Zischlaute stollig, wo Stolle, ein Narr, ein toller Mensch ist, woraus zugleich die Verwandtschaft mit dem Lat. stolidus und stultus erhellet. Das doppelte l deutet auf ein Intensivum. Das Schwed. dålig, das alte Gothische dwala, und das alte Oscische dalivus, wahnsinnig, haben noch die einfachere Form. Es ist wenigstens sehr wahrscheinlich, daß der Begriff des ungestümen Lärmens der Stammbegriff ist. Verwandt sind damit das Englische doleful, traurig, Schwed. dålig, und das Lat. Dolor, vermuthlich, so fern der laute Ausbruch des Grames der Grund der Benennung ist. Bey dem Pictorius bedeutet toll auch stumpf und dumm,[621] welche Bedeutung auch das Engl. dull hat. Wenn aber in einigen gemeinen Oberdeutschen Mundarten, einen etwas toll machen, so viel ist, als es ihm rauben, so scheinet es alsdann ein eigenes Wort zu seyn, welches ein Intensivum von dem Stammworte unsers tilgen, delere, seyn könnte. Mit andern Endlauten sind mit unserm toll auch toben, welches gleichfalls von der Beraubung des Verstandes gebraucht wird, Thor, Tos in Getöse und andere mehr verwandt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 621-622.
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