Truchseß, der

[705] Der Truchsêß, des -ssen, plur. die -ssen. 1) Ein Bedienter, dessen Amt es ist, die Speisen bey feyerlichen Vorfällen auf die Tafel zu tragen; in welchem Verstande man so wohl an einigen alten Höfen, als auch bey feyerlichen bürgerlichen Gastmahlen, gewisse Bedienten mittlerer Art, welche diese Verrichtung auf sich haben, Truchsessen zu nennen pflegt. 2) In engerer und höherer Bedeutung, an fürstlichen Höfen und bey geistlichen Stiftern ein vornehmer Hofbeamter, welcher die Aufsicht über die Küche und Tafel seines Lehensherren hat, und jetzt gemeiniglich der Oberküchenmeister genannt wird. Man gebraucht es nur noch von den erblichen Würden dieser Art an fürstlichen Höfen und bey geistlichen Stiftern, da denn diejenigen, welche damit bekleidet sind, auch bey feyerlichen Gelegenheiten die Speisen auf die Tafel des Lehensherren setzen, der Erz-Truchseß, Erb-Truchseß.

Anm. Dieses Wort kommt so, wie es jetzt lautet, allem Ansehen nach zuerst im Schwabenspiegel vor, wo es Kap. 51. heißt: Diu gaistlichen und diu uueltlichen fürsten ampt, diu sint von ersten gestiftet mit fürsten ampten, mit ainem Kamrer, mit ainem Truhsaezzen und mit ainem Marschalk. Ein halbes Jahrhundert darauf lautet es in Ober-Deutschland Drugtsatz, bey dem Königshof. Trosesse, im Nieders. im Sachsensp. Druzte. Die Böhmen haben dieses Wort auch, vermuthlich nur von den Deutschen, angenommen, und da lautet es Trucksas. Das Schwed. Drottsät bedeutete ehedem gleichfalls einen vornehmen Hofbeamten, der zunächst die Tafel des Landesherren zu besorgen hatte, außer dem aber der zweyte nach dem Könige war, und daher auch zu andern wichtigen Reichsgeschäften gebraucht wurde; in ältern Schwed. Urkunden Trockezes.

Die Abstammung dieses alten und dunkeln Wortes hat mancherley Meinungen veranlasset, wovon aber keine befriedigend ist. Ich will nur die vornehmsten anführen. 1) Schilter sahe die Schwedische Form Drottsät, als die ächte und wahre an, und leitete es von dem alten Druht, Drukt, Herr, und Set und Sez, ein Gesetzter, Vorgesetzter, ab, und erklärete es durch einen Vorgesetzten so wohl des königlichen Pallastes, als auch einer Provinz. Allein, dawider streitet theils, daß das Hauptwort Saß, Seß, Nieders. Sat, in Zusammensetzungen von einem Sitzenden, aber nie von einem Gesetzten, gebraucht wird, z.B. Beysaß, Landsaß, Freysaß, Kotsaß u.s.f. theils auch, daß diese Ableitung keinen Begriff von der Auftragung der Speisen gewähret, welcher doch in diesem Worte her herrschende zu seyn scheinet. 2) Wachter war von diesem Begriffe sehr wohl überzeugt, und sahe es daher,[705] wie schon andere vor ihm gethan hatten, als eine Zusammenziehung der R.A. er trugs Essen an, da es denn zugleich eine buchstäbliche Übersetzung des Lat. Dapifer seyn würde. Das ist denn nun wohl aller möglicher Zwang, welchen man einem Worte anthun kann, und ein Mann, wie Wachter, hätte wissen können, daß weder die Deutsche, noch irgend eine andere Sprache aus solchen ganzen Redensarten Wörter zu bilden, oder Redensarten in der gegenwärtigen und vergangenen Zeit in einem einzigen Hauptworte zusammen zu ziehen, pflegt. Hätten diese Begriffe in Einem Worte vereiniget werden sollen, so würde das Wort nach der Analogie der Deutschen Sprache Essenträger haben lauten müssen, wenn auch erwiesen werden könnte, daß Essen für Speise, oder Gericht, so alt ist, als Truchseß. Überdieß ist noch nicht ausgemacht, ob Truchseß nach Dapifer gebildet ist, oder ob nicht vielmehr dieses spätere Lateinische Wort nach Trucheß geformet worden. 3) Ottfried übersetzt B. 2. Kap. 8. V. 75, Triclinium durch Thriosezzo, und dieß gab Frischen Gelegenheit, dieses Ottfriedische Wort als das Stammwort von Truchseß anzusehen. Allein, so scheinbar diese Ableitung bey dem ersten Anblicke ist, so unbedeutend wird sie bey einer genauern Untersuchung. Ottfried pflegt in mehrern Fällen Wörter, für welche er in seiner damahls noch armen Sprache keinen gleichgültigen Ausdruck wußte, buchstäblich zu übersetzen. Dieß ist auch der Fall mit seinem Thriosezzo, welches er buchstäblich nach Triclinium modelte, ohne vielleicht selbst etwas dabey zu denken. Ist es nun wohl glaublich, daß man ein von einem unbedeutenden Mönche ausgehecktes Wort sogleich in die Sprache aufgenommen, und es zur Benennung vornehmer Hofbeamten gebraucht haben sollte? 4) Ihre endlich hält sein Drottsät, für eine Zusammensetzung von Drott, Herr, und Sät, Saß, und erkläret es durch einen, der in den Versammlungen zunächst neben dem Landesherren sitzet; indessen ist er noch ungewiß, ob dieses Wort bey ihm einheimisch ist, oder aus einer fremden Sprache eingeführet worden.

Wenn man alles zusammen nimmt, so wird man leicht einräumen, daß von diesem Worte noch keine genugthuende Ableitung aufgefunden worden. Der Begriff der Auftragung der Speisen scheinet allerdings der Stammbegriff zu seyn, zumahl, da im mittlern Lat. der Truchseß Dapifer, Discophorus, Discifer, und noch früher in dem Salischen Gesetze Infertor, (nicht, wie es in Herolds Ausgabe heißt, Infestor,) genannt wird. Daß diese Benennung nachmahls auch einem vornehmen Hofbeamten beygelegt worden, darf man sich nicht befremden lassen, indem Marschall, Schenke, Richter, Kanzler, und hundert andere in ähnlichem Falle sind. Es ist auch außer allen Streit ein zusammen gesetztes Wort, welches unter andern auch daraus erweislich ist, weil beyde Sylben den Ton haben. Da sich nun dieser Begriff aus der Deutschen Sprache auf keine leichte und ungezwungene Art herleiten lassen will, so ist sehr wahrscheinlich, daß dieses Wort im Deutschen fremd, und bey dem aufkeimenden Luxus mit der Sache selbst von einem fremden Volke entlehnet worden ist. Es ist auch nicht wahrscheinlich, daß das Niederdeutsche Drost, Amts- oder Landeshauptmann, Holländ. Drossaert, mit unserm Truchseß einerley sey, indem dieser mit der Auftragung der Speisen nichts zu thun hatte; ob man gleich in der Schwedischen Sprache den Truchseß, als man ihn daselbst eingeführet, mit dem Drottsät oder Drost verwechselt, und ihm den Nahmen des letztern beygeleget haben kann, da denn das ältere Schwedische Trockezes, aus Unkunde der Bedeutung, mit dem Drottsät zusammen schmelzen können. Denn daß dieses ursprünglich einen Statthalter in der Provinz bedeutet hat, nachmahls aber auch für Truchseß gebraucht worden, ist aus Ihre Gloss. v. Drott unleugbar. Vielleicht findet sich dieses Wort einmahl in einer der morgenländischen Sprachen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 705-707.
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