Verfallen

[1028] Verfallen, verb. irreg. neutr. S. Fallen, welches das Hülfswort seyn erfordert, und nach Maßgebung sowohl der Partikel, als auch des einfachen Zeitwortes, in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird.

1. Für das einfache fallen, so daß ver hier eine bloße Intension bezeichnet, doch nur in einigen figürlichen Bedeutungen. (1) In ein Übel gerathen. In Sünde, in Laster verfallen, wofür man doch lieber fallen sagt. Da sieht man, wohin ein so böses Gemüth verfallen kann. In Strafe verfallen, straffällig werden. Unter das Todesurtheil Gottes verfallen seyn, (2) In weiterer Bedeutung ist auf etwas verfallen, so wie fallen, mit den Gedanken von ungefähr darauf gerathen, einen Einfall bekommen. Wie verfällst du darauf? Darum bin ich auf Blumen verfallen, weil sie jetzt selten sind. In beyden Fällen kann indessen auch die folgende vierte Bedeutung Statt finden.

2. Einfallen, zu Boden fallen, eigentlich nur von Gebäuden und deren Theilen. Ein Haus ist verfallen, wenn es entweder ganz, oder zum Theil eingefallen ist. Der Brunnen war verfallen, Sir. 50, 3. Eine verfallene Mauer. Figürlich bedeutete es ehedem auch, in einen üblen Zustand der Nahrung, in Abnahme gerathen, ingleichen nicht mehr beobachtet, nicht mehr geübt werden. Das Christenthum verfällt. Wofür man jetzt lieber sagt, in Verfall kommen und gerathen.

3. * Von einem eingefallenen Dinge verschüttet werden; eine im Hochdeutschen fremde Bedeutung.


Sind durch den Dampf erstickt, verfallen durch die Wände,

Opitz.


4. In folgenden Fällen hat ver zunächst die Bedeutung des Fort, der Entfernung, doch mit verschiedenen Schattierungen. (1) In der Schifffahrt verfällt ein Schiff, wenn es von seinem Laufe abfällt. Schiffe, welche nach dem Vorgebirge der guten Hofnung segeln wollen, verfallen oft auf die Brasilische Küste. (2) Die Zeit ist verfallen, die bestimmte Zeit ist um, verstrichen; in welcher Bedeutung es noch hin und wieder gangbar ist. Am häufigsten gebraucht man es in diesem Verstande von Zahlungen, Schuldverschreibungen u.s.f. wenn die Zeit, da eine Zahlung geschehen sollte, um ist. Ein Wechsel ist verfallen, wenn die Zahlungszeit da ist. (3) Einem andern Eigenthümer anheim fallen, doch nur, so fern solches sowohl durch Versäumniß der bestimmten Zeit, als auch durch Unterlassung der schuldigen Pflicht, geschiehet. Im ersten Falle verfällt ein Pfand, wenn es durch Versäumniß der bestimmten Einlösungszeit dem Inhaber[1028] anheim fällt. Verfallene Pfänder. Im Oberdeutschen gebraucht man dafür auch das Zeitwort verstehen; verstandene Pfänder. Im zweyten Falle verfällt ein Lehn, wenn es durch versäumte Lehensempfängniß, ingleichen durch unterlassene Lehenspflichten, dem Lehensherren anheim fällt. Eine Waare ist verfallen, wenn der gehörige Zoll davon nicht entrichtet wird. Sein Haus soll dem Gericht verfallen seyn, um der That willen, Esr. 6, 11. In ähnlichem Verstande wird auch verwirken gebraucht, nur daß dieses mehr Thätigkeit, verfallen aber mehr eine Unterlassung bezeichnet. Ungewöhnlich ist es im Hochdeutschen, wenn verfallen seyn in dieser Bedeutung mit der ersten Endung der Person und der vierten der Sache als ein Activum gebraucht wird. Das ist das Schuldopfer, das er dem Herren verfallen ist, 3 Mos. 5, 19.


Sie sollten Habe, Geld und Land verfallen seyn,

Opitz.


In welchem letztern Beyspiele es in noch weiterm Verstande für verlustig seyn, oder verlustig gehen, stehet. (4) An gutem Wohlstande, an blühender Gesundheit abnehmen. Er verfällt ganz, sagt man von jemanden, welcher mager und kraftlos wird. Daß euch die Angesichte verfallen, und der Leib verschmachte, 3 Mos. 26, 16. Meine Gestalt ist ganz verfallen, Ps. 6, 8. Sein verfallnes Gesicht war in Schwermuth und Verdruß eingehüllet. Abfallen wird im gemeinen Leben in ähnlichem Verstande gebraucht. (5) * Sterben, umkommen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Eure Leiber sollen in der Wüste verfallen, 4 Mos. 14, 29. 32. Wenn aber beyde in Gott den Herren verfallen sind, in einer alten Urkunde. In andern Urkunden kommen auch die R.A. vor, Todes wegen verfallen, Todes halben verfallen, Todes verfallen, wo dieses Zeitwort so wie Todes verfahren gebraucht wird. Nach einer noch weitern, aber eben so veralteten Figur heißt es in der Deutschen Bibel: es ist keines von allen seinem Worten verfallen, 1 Kön. 8, 56, umgekommen, auf die Erde gefallen.

So auch das Verfallen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1028-1029.
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