Verkehren

[1068] Verkehren, verb. regul. act. welches in einer doppelten Hauptbedeutung gebraucht wird.

1. Anders kehren oder wenden, so daß ver hier bloß eine Änderung, andere Richtung, oder auch nur eine Intension bezeichnet. Es ist in dieser Bedeutung nur noch in einigen figürlichen Fällen gangbar. (1) Absolute bedeutet verkehren noch im gemeinen Leben, besonders mancher Gegenden, Waaren absetzen Handel und Wandel treiben, verkaufen; Nieders. gleichfalls verkeeren. Jemand verkehrt viel, wenn er viel Waaren absetzt. Es wird bey ihm, an diesem Orte nicht viel verkehrt. Nach einer noch weitern Figur sagt man im gemeinen Leben, sowohl Ober- als Nieder-Deutschlandes, mit jemanden verkehren, Gemeinschaft, Umgang mit ihm haben. Ich habe in meinem Leben viel mit ihm verkehrt. (2) Verwandeln, in den entgegen gesetzten guten oder bösen Zustand versetzen. Swenne si wil mir verkeren den Kumber min, der Schenke von Limburg. Das Leid in gute Tage verkehren, Esth. 9, 22. Eure Traurigkeit soll in Freude, Joh. 16, 20; eure Freude in Traurigkeit verkehret werden, Jac. 4, 9. Die Sonne in Finsterniß verkehren, Apost. 2, 20. In dieser Bedeutung ist es um der Zweydeutigkeit mit der folgenden Willen veraltet.

2. Aus der gehörigen oder doch gewöhnlichen Richtung in die entgegen gesetzte falsche oder ungewöhnliche bringen. (1) Eigentlich, wo es in manchen Fällen von allen Richtungen gebraucht wird. Die Augen verkehren, besser verdrehen. Am häufigsten aber nach der gewöhnlichen oder gehörigen Richtung der entgegen gesetzten kehren, das obere unten, das vordere hinten kehren; umkehren hat den Begriff der falschen ungehörigen Richtung nicht, welchen verkehren gewähret. Ein Buch verkehren. Am üblichsten ist indessen in dieser Bedeutung das Mittelwort verkehrt, in Gestalt eines Nebenwortes. Das Buch verkehrt nehmen, halten, so daß das untere oben komme. Die Strümpfe verkehrt anziehen, so daß die innere Seite wider die Gewohnheit auswärts komme. Etwas verkehrt angreifen, an dem ungewöhnlichen, unrechten Ende. (2) Figürlich, wo es, (a) in vielen Fällen gebraucht wird, wo man etwas in derjenigen Art thut, welche der gewöhnlichen und allein als richtig angenommenen Art entgegen gesetzt ist. Die Ordnung der Natur verkehren. Jemandes Worte verkehren, besser verdrehen, ihnen die entgegen gesetzte unrichtige Deutung geben. Das Recht verkehren, besser verdrehen, so fern von einer unrichtigen Deutung die Rede ist. Die Geschenke verkehren die Sache der Gerechten, 2 Mos. 23, 8. So auch das Mittelwort verkehrt. Alle seine Sachen verkehrt anfangen, anstellen. Lauter verkehrte Arbeit machen. Außer dieser objektiven und passiven Bedeutung wird das Mittelwort nach dem Muster so vieler anderer auch noch in subjectivem und thätigem Verstande gebraucht, und da ist ein verkehrter Mensch, welcher die Gewohnheit, Fertigkeit besitzt, auf eine der gewöhnlichen oder richtigen, entgegen gesetzte Art zu handeln, und darin gegründet. Ein verkehrtes Betragen. S. Verkehrtheit. (b) In der deutschen Bibel ist verkehren, zur Sünde verleiten, von dem Wege der Tugend auf den entgegen gesetzten bringen. Die reitzende Lust verkehrt unschuldige Herzen, Weish. 4, 12. Daß die Bosheit seinen Verstand nicht verkehre, V. 11. Und haben etlicher Glauben verkehrt, 2 Mos. 2, 18. Da denn auch das Mittelwort[1068] häufig für lasterhaft, böse, gebraucht wird. Die verkehrte Art, 5 Mos. 32, 5, 20. Bey den Verkehrten bist du verkehrt, 2 Sam. 22, 27. Ein verkehrter Sinn, Röm. 1, 28. Außer der biblischen Schreibart wird diese Bedeutung wenig mehr gebraucht, außer, wo sie mit der vorigen weitern zusammen schmilzt.

So auch die Verkehrung.

Anm. Das Verkehren, eine Art des Bretspieles, wo man mit fünf Steinen und Banden spielet, gehöret zur ersten veralteten weitern Hauptbedeutung des Veränderns, indem es seinen Namen unstreitig von den schnellen Glücksfällen, die dabey vorfallen, hat. Huiusmodi appellationem meruit hic ludus, propter subitas mutationes, quae inter ludendum accidere solent u.s.f. Hyde de ludis orient. Im Holländ. wird es gleichfalls Varkeer, im Dän. Forkeering, und im Französ. mit einem aus dem Deutschen gemodelten Worte Verquier genannt. Hyde zeigt, daß es bey den Arabern und andern Morgenländern üblich ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1068-1069.
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