Verrathen

[1106] Verrathen, verb. irreg. act. S. Rathen, welches besonders in einem dreyfachen Verstande vorkommt. 1 * Von rathen, Rath geben, war verrathen ehedem einen üblen bösen Rath geben, wo ver die entgegen gesetzte schlimmere Bedeutung hat. Es kommt in dieser jetzt veralteten Bedeutung, in welcher auch das Angelsächsische forraedan üblich war, noch bey den Oberdeutschen Schriftstellern des mittlern Zeitalters vor. 2. Von rathen, reden, ist verrathen, durch die Rede, und in weiterm Verstande, auch durch Zeichen bekannt machen, wie verschwatzen, verplaudern,[1106] doch so, daß sich etwas von der vorigen Bedeutung der Partikel ver mit einmischet. (1) Im engsten Verstande, etwas, das verschwiegen oder verborgen bleiben sollte, in der Absicht dem andern zu schaden, bekannt machen, besonders, so fern es heimlich geschiehet. Jemandes Geheimniß verrathen. Seine Mitschuldigen verrathen, sie heimlich angeben. Verrathe den Knecht nicht gegen seinem Herrn, Sprichw. 30, 10. Simon verrieth den Schatz, 2 Macc. 4, 1. Rodocus alle Heimlichkeit, Kap. 13, 21. Wenn du mich nicht verrathen willst, will ich es dir gestehen. (2) Im weitesten und figürlichem Verstande, zu erkennen geben, auch von leblosen Dingen, und am häufigsten von solchen, welche man zu verbergen sucht. Deine Sprache verräth dich, Matth. 27, 4. Das verrieth (entdeckte) den ganzen Handel – Es (dein Auge) verräth sich mir durch unleugbare Zeichen, Weiße. Dein Auge verräth seit einiger Zeit einen geheimen Gram. War je ein Wunsch, den mein Auge verrieth, den du nicht erfülltest? Geßner. Sich selbst verrathen, aus Versehen etwas merken lassen, was man verschweigen wollte. Es ist noch ungewiß, ob es in dieser Bedeutung auch wirklich von reden abstammet, indem es auch mit der folgenden Bedeutung zusammen hangen kann.

3. In der Absicht zu schaden dem Feinde überliefern. So verrieth Judas Christum. Die dein Brot essen, werden dich verrathen, Obad. v. 7. Sein Vaterland verrathen, es dem Feinde verrathen, dessen Beßtes dem Feinde überliefern. Ich weiß nicht, ob ich hier verrathen oder verkauft bin.

Anm. In dieser letzten Bedeutung schon bey dem Notker ferraten, bey dem Ottfried aneratin, im Nieders. verraden, im Schwed. förråda, und auch nur råda. Die eigentliche Bedeutung beyder Theile der Zusammensetzung ist den meisten Wortforschern dunkel und unbekannt gewesen, die es bald als eine Figur der ersten Bedeutung erkläret, bald als den Gegensatz von gerathen, consultum, angesehen, bald noch anders abgeleitet haben. Allein, es ist wohl gewiß, daß verrathen in dieser dritten Bedeutung eine buchstäbliche Übersetzung des Lat. prodere ist, und eigentlich übergeben, überliefern, und, im engeren Verstande, dem Feinde übergeben bedeutet. Rathen bedeutete ehedem nicht nur reichen, sondern auch geben, wie noch aus einigen Bedeutungen von berathen erhellet. Auch das Schwed. råda bedeutete ehedem geben, daher es auch noch jetzt ohne die Partikel für verrathen gebraucht wird. Im mittlern Lateine kommen tradere und Traditor mehrmahls für verrathen und Verräther vor, daher der letztere im Französischen noch Traitre, im Span. Tradidor, und im Ital. Traditore genannt wird. Ver hat hier die Bedeutung der Entfernung, eigentlich ausliefern. Dahin scheinet auch der dunkele Artikel in dem alten Friesischen Gesetze de Forresni zu gehören, wo wirklich von einer Art der Verrätherey gehandelt wird.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1106-1107.
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