Versuchen

[1156] Versuchen, verb. regul. act. 1. * Bitten, eine veraltete Bedeutung, in welcher jetzt ersuchen üblich ist. Bey dem Ottfried firsuachen, und noch im Niederdeutschen versöken, wo Versök auch die Bitte ist.

2. * Besuchen, eine gleichfalls veraltete Bedeutung, welche ehedem, besonders im Niederdeutschen, üblich war, dagegen wurde besuochen bey den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern häufig für versuchen in den folgenden Bedeutungen gebraucht.

3. Durch eine in einem Dinge verursachte Veränderung die Eigenschaft und Grade der Kraft desselben zu entdecken suchen.

(1) Im weitesten Verstande, wo es ehedem häufig für prüfen, probieren, auf die Probe stellen, zuweilen auch für untersuchen gebraucht wurde. Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seyd, 2 Cor. 13, 5, prüfet, untersuchet. Dieselbigen lasse man zuvor versuchen, 1 Tim. 3, 10; prüfen. Und so in andern Stellen mehr. In einigen Oberdeutschen Gegenden wird der Münz-Probierer oder Münz-Wardein noch der Versucher genannt. Doch in dieser ganzen weitern Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet. In der Deutschen Bibel und in der theologischen Schreibart wird es noch in einigen engern Einschränkungen gebraucht, welche aber außer derselben gleichfalls veraltet sind. Man versucht Gott, wenn man von bekannten Eigenschaften und Versicherungen desselben neue Beweise verlangt, ihn auf eine ungebührliche Art auf die Probe stellen will. Gott versucht den Menschen, wenn er ihn in Umstände versetzt, worin seine Beschaffenheit entdeckt wird. Der Teufel versucht den Menschen, wenn er ihm Gelegenheit und[1156] Reitzung zur Sünde gibt, besonders, wenn er ihn durch Scheingründe zur Sünde zu reitzen sucht. S. Versucher und Versuchung.

(2) In einigen noch üblichen engern Bedeutungen. a. Die Beschaffenheit eines Körpers durch den Geschmack zu erkennen suchen, wie kosten. Einen Wein versuchen. Die Speisen versuchen. Jemanden etwas zu versuchen geben. Daher das Versuchen. b. Durch eine veranstaltete Veränderung die Möglichkeit oder den Grad der Kraft eines Dinges zu erfahren suchen; einen Versuch machen. Ich will versuchen, ob ich es heben kann, ob ich der Sache gewachsen bin. Mein Herz ist gepreßt, ich will versuchen, ob ich ihm Luft machen kann. Es gehet nicht an, ich habe es schon versucht. Es mit einem Bedienten versuchen, zu erfahren suchen, ob man ihn gebrauchen könne. Sein Glück in der Welt versuchen. Versuche nur dein Heil, dein Glück. Daher sagt man noch figürlich in der reciproken Gestalt, er hat sich etwas versucht, er hat sich in der Welt was versucht, wenn jemand viel in der Welt erfahren hat, besonders, wenn er weit gereifet ist. In einem etwas andern Verstande sind versuchte Soldaten, welche schon viel im Kriege versucht, d.i. erfahren haben, wo das Mittelwort der vergangenen Zeit nach dem Vorgange so vieler anderer eine thätige Bedeutung hat. In der engsten physischen Bedeutung, die Körper durch Hülfe der Kunst zu gewissen Wirkungen nöthigen, ihr Verhältniß dadurch zu erfahren, gebraucht man lieber die R.A. einen Versuch machen oder anstellen, als das Zeitwort versuchen.

Daher das Hauptwort die Versuchung, S. solches hernach besonders.

Anm. In dem alten Fragmente auf Kaiser Carln den Großen bey dem Schilter versuochen, dagegen andere alte Schriftsteller in der dritten Hauptbedeutung dafür besuochen und irsuachen gebrauchen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1156-1157.
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