Vieh, das

[1194] Das Vieh, des -es, plur. die -e, im gemeinen Leben und im Oberd. -er, Diminut. welches doch nur zuweilen im Scherze gebraucht wird, das Viehchen.

1. Im weitesten Verstande, ein jedes unvernünftiges Thier, wie Thier in engerer Bedeutung. (1) Eigentlich, wo dieses Wort wiederum entweder collective und ohne Plural, oder auch von einzelnen Thieren und mit dem Plural vorkommt. Collective. Du Schlange seyst verflucht vor allem Vieh, 1 Mos. 3, 14; vor allen Thieren. Die Erde bringe herfür Vieh, 1 Mos. 1, 24. Gott machte das Vieh nach seiner Art, V. 25. Nach 1 Mos. 7 mußte Noah reines und unreines Vieh mit in seinen Kasten nehmen. Gott macht uns gelehrter, denn das Vieh auf Erden, Hiob 35, 11; und so in andern Stellen mehr. Disjunctive. Der Mensch gab einem jeglichen Vieh seinen Nahmen, 1 Mos. 2, 20. Gottlose müssen davon und fahren dahin, wie ein Vieh, Ps. 49, 13, 21. In einem alten 1501 zu Rom gedruckten Deutschen und Ital. Vocabul. heißt es: le Bestie, die Fiher.


Sein Leib verfällt in Staub, sein Blut verfliegt in Rauch;

So stirbt ein großer Mann, so sterben Vieher auch,

Hall.


In dieser ganzen weitern Bedeutung gebraucht man es nur noch zuweilen im harten und verächtlichen Verstande, wenn man besonders die Dummheit und höchste Sinnlichkeit der unvernünftigen vierfüßigen Thiere, besonders größerer Art bezeichnen will. Ein Mensch, wie ein Vieh. So dumm, wie das Vieh, oder wie ein Vieh. S. Viehisch. Daher denn auch (2) Figürlich, ein im höchsten Grade dummer oder sinnlicher Mensch, im harten und verächtlichen Verstande auch wohl ein Vieh genannt wird. Er ist ein wahres Vieh. Solche Viehe von Menschen. Zum Viehe werden, zum höchsten Grade der Sinnlichkeit hinab sinken.


Sechs Viehe vor dem Wagen, und sechse hinten drauf,

Heräus.


2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung werden die zahmen Thiere, welche der Mensch zu seinem Gebrauche um sich hält, collective[1194] Vieh genannt. Daher Federvieh, Lastvieh, Zugvieh, Zuchtvieh, Mastvieh, Schlachtvieh, Schafvieh, Schafe, Hammel, Lämmer, Böcke, Schweinvieh, Rindvieh, Ochsen, Kühe, Kälber u.s.f. Da man denn im weitesten Verstande nicht allein das zahme Geflügel, ingleichen Hunde und Katzen, sondern auch die Bienen mit dem Nahmen des Viehes zu benennen pflegt. Das junge Vieh im Stocke, d.i. die jungen Bienen, so lange sie noch in den Scheiben stecken. Gewöhnlicher versteht man darunter die größern vierfüßigen zahmen Thiere. Vieh halten. Das Vieh hüthen, d.i. die Schafe, Schweine, oder Kühe und Ochsen. Wenn der Hirt das Vieh austreibet. Wilde Thiere sollen euer Vieh zerreissen, 3 Mos. 26, 22. Hastu Vieh, so warte sein, Sir. 7, 24. Da denn oft auch besondere Arten nur Vieh schlechthin genannt werden. Reines Vieh, reine Schafe, im Gegensatze des Schmierviehes. Am häufigsten gebraucht man es auch in dieser Bedeutung collective, folglich ohne Plural. Indessen kommt es auch nicht selten disjunctive vor, ob es gleich auch hier nur im Singular am üblichsten ist. Sie sind so gar verheeret, daß man auch nicht Ein Vieh schreyen höret, Jer. 9, 10. Du armes Vieh! Philax ist ein gutes Vieh. Im Plural ist es von Individuis nicht so gangbar, am wenigsten mit Zahlwörtern. Für zwey, vier Viehe, sagt man allemahl zwey, vier Stück Vieh, oder mit näherer Bezeichnung der Art, Kühe, Ochsen, u.s.f.

Anm. Hieraus erhellet, daß unsere meisten Sprachlehrer sich irren, wenn sie diesem Worte den Plural so schlechterdings absprechen, welches nur gilt, wenn es collective gebraucht wird. Ich Hochdeutschen lautet dieser Plural, wenn er ja gebraucht wird, am häufigsten Viehe, im Oberd. Vieher. Dieses Wort ist eines der ältesten, nicht allein in der Deutschen, sondern fast in allen Europäischen Sprachen. Es lautet bey dem Ottfried u.s.f. Fihu, im Nieders. Vee, im Angels. Feon, Fea, im Engl. Fee, im Gothischen Fue, und im Schwed. Fä; womit noch das Griech. πωυ, eine Herde, und das Lat. Pecus verwandt sind, welches letztere sich bloß durch die härtern Mitlauter unterscheidet. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in allen diesen Wörtern der Begriff des Lebens, der Bewegung der herrschende und unrsprüngliche ist, daher man sie als Abkömmlinge von vivere, leben, und ihren Verwandten ansehen kann, zumahl, da die Bedeutung eines Thieres überhaupt in diesem Worte ohne Zweifel die erste und älteste ist. Auf ähnliche Art heißt ein Thier im Griechischen ζωου, im Lat. Animal, und im Nieders. ist Quek, Quik, lebendiges Vieh überhaupt. Bey dem Notker kommt noch das veraltete Beywort fehegelih für beseelt, lebendig, vor: fehegelih lichamo, ein lebendiger, beseelter Körper, eigentlich viehlich. Da zahmes Vieh die erste Art des Eigenthumes ist, wenn sich ein Volk aus der Wildheit dem gesitteten Zustande nähert, so wurde hernach jedes Eigenthum Vieh genannt, daher man sich nicht wundern darf, wenn bey dem Ulphilas Faihu, Reichthümer überhaupt, im Lat. Peculium, Eigenthum, und Pecunia, Geld, und bey den Angelsachsen und ältern Schweden liegendes Vieh, Geld und andere leblose Habe, zum Unterschiede von dem gehenden Viehe, oder dem eigentlichen Viehe, bedeutet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1194-1195.
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