Vorgang, der

[1264] Der Vorgang, des -es, plur. die -gänge, von vorgehen. 1. Die Handlung des Vorgehens. (1) Die Handlung, da man vor einem andern eher als er gehet, und das Recht, ihm der Ordnung nach vorzugehen, ohne Plural; der Vortritt. Den Vorgang vor jemanden haben. Sich um den Vorgang streiten. Christus hat in allen Dingen den Vorgang, Col. 1, 18; wo es in nicht so üblichem weiterm Verstande für Vorzug überhaupt gebraucht wird. (2) In Oberdeutschland wird der Kirchgang der Sechswöchnerinnen, der Vorgang oder Hervorgang genannt, weil sie alsdann zum ersten Mahle wieder hervor, d.i. unter das Publicum, gehen. (3) Die Handlung, da man jemanden zum Muster der Nachahmung vorgehet, d.i. in seiner Gegenwart gehet; da denn[1264] Vorgang oft für Beyspiel, Muster, überhaupt gebraucht wird. Nach deinem Vorgange, Beyspiele. Sich nach jemandes Vorgange richten.

2. Dasjenige, was vorgehet. (1) Dem Orte nach. So werden in einigen Gegenden, z.B. am Niederrheine, dem Frisch zufolge, die Waldgränzen Vorgänge genannt. (2) Bey dem Destillieren des Branntweines ist der Vorgang, ohne Plural, dasjenige, was zuerst übergehet. S. Vorlauf. (3) Was vorgehet, eine Begebenheit, ohne zu bestimmen, ob sie wichtig oder nicht, schädlich oder nützlich u.s.f. ist. Es unterscheidet sich dadurch von Vorfall, daß dieses eigentlich von plötzlich sich ereignenden Umständen, Vorgang aber ohne diesen Nebenbegriff und nur von Begebenheiten gebraucht wird. Es ist hier ohne Zweifel eine Figur des Hervorgehens. Ein angenehmer, unangenehmer Vorgang. Ein trauriger Vorgang.

Ehedem bedeutete Vorgang und in der Oberdeutschen Mundart Fürgang auch eine Beförderung, promotio, in welchem Verstande es noch in dem 1514 gedruckten Deutschen Livius vorkommt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1264-1265.
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