Vorkommen

[1275] Vorkommen, verb. irreg. neutr. (S. Kommen,) mit dem Hülfsworte seyn. 1. Von vor, eher; einem vorkommen, eher kommen, als er. Ahimaatz kam Cusi vor, 2 Sam. 10, 23. Wir werden denen nicht vorkommen, die da schlafen, 1 Thess. 4, 15. Ingleichen figürlich, wie vorbeugen. Einem Übel, einer Krankheit vorkommen. Der kann viel Böses (vielem Bösen) vorkommen, Sir. 30, 30. In dieser ganzen Bedeutung sagt man jetzt lieber zuvor kommen, vermuthlich die Verwechselung mit den folgenden Bedeutungen zu vermeiden.

2. Von vor, sofern es sowohl den vordern Theil eines Dinges, als auch die Gegenwart bedeutet. (1) Vor jemanden kommen, absolute und mit Verschweigung der Person. Ich suchte Gehör, konnte aber nicht vorkommen. Wir sind gestern vorgekommen, vorgelassen worden. Die Sache ist noch nicht vorgekommen[1275] noch nicht vorgenommen worden. (2) Vor jemanden kommen, d.i. bey ihm angebracht werden. Mir ist von euch vorkommen (vorgekommen), daß Zank unter euch sey, 1 Cor. 1, 11. Eine auch nur noch im gemeinen Leben übliche Bedeutung. (5) Figürlich bedeutet vorkommen oft so viel, als unvermuthet gegenwärtig werden, sich ereignen, zutragen, oft auch nur empfunden werden, begegnen; wie das ähnliche vorsahen. Jeder schlug, was ihm vorkam, 1 Kön. 20, 20; was ihm begegnete, ihm vor die Hände kam. Er ißt alles, was ihm vorkommt. Das Wort kommt nicht oft vor, wird nicht oft gehöret, gebraucht. Der Fall ist mir noch nicht vorgekommen, ich habe ihn noch nicht erfahren. Wenn ihr etwa unterdessen eine gute Gelegenheit zu heirathen vorkäme, Less. Tausend kleine Umstände, die immer von neuen vorkommen. Vorkommen bedeutet, daß sich die Sache uns gleichsam von selbst darstelle, hat aber doch den Nebenbegriff des Plötzlichen nicht so, wie vorfallen. (4) Scheinen, mit der dritten Endung der Person. Es kam mir vor, als sähe ich ihn, als hätte ich es gehöret, es schien mir so. Das kommt mir wunderlich vor. Ich weiß gar nicht, wie sie mir heute vorkommen, Gell. Er kommt mir sehr bekannt vor. Du kommst mir ganz munter vor, Gell. Ich weiß nicht, daß (warum) ich heute allen so verdächtig vorkomme, eben ders. (5) Hervor kommen, nur im gemeinen Leben. Komm vor, besser hervor. Er wollte nicht vorkommen.

Anm. In der ersten Bedeutung für zuvor kommen, bey dem Kero furichuueman, im Oberdeutschen in allen Bedeutungen fürkommen. Im Niederdeutschen bedeutet dieses Wort noch: 1. empor kommen, in mehr Ansehen, bessere Glücksumstände kommen. 2. Etwas bestreiten, demselben gewachsen seyn. Wir können es nicht alles vorkommen, aufessen, ingleichen bestreiten; in welchem Falle man in Obersachsen in den niedrigen Sprecharten verkommen braucht.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1275-1276.
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