Vorschießen

[1290] Vorschießen, verb. irregul. S. Schießen, welches in doppelter Gestalt üblich ist.

1. Als ein Neutrum, und zwar: (1) Von schießen, sich schnell fortbewegen, mit dem Hülfsworte seyn. a. Vorwärts schießen. Der Strom schießt vor. Wo es zuweilen figürlich für weit vorragen gebraucht wird. Das Dach schießt eine Elle vor, vor der Mauer. Siehe Vorschuß. b. Hervor schießen, schnell hervor kommen; doch hier nur selten. Die Blume ist vorgeschossen. c. Vor etwas schießen. So schießet im Bergbaue das Gebirge vor, wenn die Erde plötzlich vor etwas schießet. (2) Von schießen, ein Feuergewehr losbrennen. a. Einem vorschießen, eher schießen, als er. b. Einem vorschießen, näher zum Ziele schießen, als er. In seiner Gegenwart schießen, damit er nachschießen lerne. d. jemanden im Schießen übertreffen.

2. Als ein Activum, doch nur in einigen Bedeutungen des Zeitwortes schießen. (1) Schnell vorschieben. Den Riegel vorschießen. (2) Die Schneider schießen einen Saum, ein Gebräme vor, wenn sie denselben an einen Theil eines Kleidungsstückes setzen. (3) Von schießen, Geld zählen, eigentlich schußweise zählen, ist einem Geld vorschießen, es schußweise in seiner Gegenwart zählen, damit er von der Richtigkeit der Summe überzeugt werde. Vermuthlich ist es eine Figur von dieser Bedeutung, wenn (4) die Kosten vorschießen, so viel bedeutet, als sie für einen andern auslegen, Vorschuß thun. Ich kann nicht länger vorschießen, habe schon viel vorgeschossen. Ingleichen mit der dritten Endung der Person, einem die Kosten, den Arbeitslohn, die Fracht, seinen Gehalt u.s.f. vorschießen, voraus bezahlen. (5) In noch weiterer Bedeutung schießet man jemanden Geld vor, wenn man ihm selbiges leihet oder borget, ohne zu bestimmen, ob es auf Zinsen geschehe oder nicht, wofür auch vorstrecken üblich ist. Vorgeschossenes Geld.

Daher das Vorschießen, in einigen wenigen Fällen die Vorschießung, und in den letzten beyden Bedeutungen der Vorschuß, S. dasselbe.

Anm. In den beyden letzten Bedeutungen auch im Schwedischen förskjuta. Da schießen hier ohne Zweifel Geld schußweise zählen bedeutet, so ist es allerdings richtig, daß es, wie Stosch bemerkt, nur von Geld und Geldsummen üblich ist. Eben daraus wird auch begreiflich, warum es nicht von kleinen unbedeutenden Posten, die nicht geschossen werden können, sondern nur von bertächtlichern geborgten Geldsummen gebraucht wird. Vier Groschen leihet oder borget man, aber zehn Thaler kann man auch vorschießen. Allein, daß vorschießen und vorstrecken den Begriff der Zinsen ausschließen, und den Begriff einer kurzen Zeit mit sich führen, daß[1290] vorstrecken nur allein in der Gegenwart geschehen, und ein geschwinderes und fertigeres Leihen bezeichnen soll, als vorschießen, wie gleichfalls Stosch will, zu allen diesen Bestimmungen finde ich in der Abstammung und Zusammensetzung keinen Grund, zweifele auch, ob sie sich aus dem Sprachgebrauche werden behaupten lassen. Eigentlich erfordern vorschießen und vorstrecken, so wie vorspielen, vortanzen u.s.f. eine persönliche Gegenwart; allein, nach einer sehr gewöhnlichen Figur können sie beyde auch von Abwesenden gebraucht werden, so wie man einem Abwesenden schriftlich vorplaudern, vorschwatzen, vorlügen u.s.f. kann. Und warum sollte man jemanden nicht tausend Thaler auf zehn, zwanzig Jahr, auf Interessen u.s.f. sowohl vorschießen als vorstrecken können? Zwischen beyden Zeitwörtern scheint mir dem Gbrauche nach kein anderer Unterschied Statt zu finden, als daß dieses im Hochdeutschen seltener gebraucht wird, als jenes. In manchen Gegenden sagt man sehr gewöhnlich, die Kosten vorstrecken, für auslegen, obgleich im Hochdeutschen vorschießen üblicher ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1290-1291.
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