Vorstrecken

[1305] Vorstrêcken, verb. regul. act. 1. Vorwärts oder hervorstrecken. Die Hand, die Zunge vorstrecken. 2. Leihen, doch nur in solchen Fällen, wo man jemanden etwas leihet, welches er in einem andern Dinge von eben derselben Art und eben demselben Werthe wieder gibt. Man strecket jemanden Geld vor, wenn man ihm selbiges vorschießt. Die Kosten vorstrecken. Aber man streckt ihm auch Getreide vor, so fern es der andere mit anderm Getreide eben derselben Art und Menge wieder erstattet. Im gemeinen Leben höret man auch oft, jemanden ein Brot, eine Mandel Eyer u.s.f. vorstrecken. Aber wenn eben dasselbe Ding wieder gegeben wird, z.B. ein Buch, ein Pferd, so wird dieses Zeitwort im Hochdeutschen nicht gebraucht. S. auch Vorschießen. Im Oberdeutschen ist für vorstrecken auch darstrecken üblich. So auch die Vorstreckung.

Anm. Strecken ist hier das Intensivum von reichen, daher es auch von andern Dingen als Geld gebraucht werden kann. Daß es aber im Hochdeutschen nicht in den Fällen üblich ist, wo man ein und eben dasselbe Ding leihet und wieder gibt, rühret bloß von dem Gebrauche her. In manchen Provinzen gebraucht man es ohne Unterschied für leihen oder borgen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1305.
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