Wahn

[1341] * Wahn, adj. & adv. welches im Hochdeutschen längst veraltet ist, und nur noch hin und wieder in einigen Zusammensetzungen lebt. Es bedeutete: 1. Leer; eine sehr alte Bedeutung, welche noch in einigen gemeinen Mundarten so wohl Ober- als Niederdeutschlandes angetroffen wird. Das Faß ist wahn, nich ganz voll. Ein wahnes Faß, ein leeres, nicht ganz volles Faß. 2. Abwesend, fehlend und Mangel an etwas leidend; ein wenigstens eben so alter Gebrauch. Ains thus wan ist, eines fehlet dir, im Ulphilas, wo es im Angelsächsischen heißt; an thing the is wana. Meisterlicher Künste wahn, derselben beraubt, daran Mangel leidend, im Jeroschin. Wan uuesan, fehlen, im Kero. 3. Thöricht, ungereimt. Ein wahner Mensch, noch in einigen Gegenden, ein Narr. 4. Einen Fehler habend, er sey von welcher Art er wolle; eine sehr weit ausgebreitete Bedeutung, welche vornehmlich in vielen Zusammensetzungen lebt, welche doch in den Provinzen gangbarer sind, als im Hochdeutschen, wo man dafür in vielen Fällen die Zusammensetzungen mit Miß- oder Un- hat. Siehe viele dieser Wörter im folgenden. Andere Wörter dieser Art sind: wahnartig, unartig, Wahnart, Unart, Wahnmaß, ein falsches, allzukleines Maß, Wahnhoffnung, Verzweifelung, Wahnorder, Unordnung, Wahnsprache, fehlerhafte Aussprache, Wahnkauf, ein ungültiger Kauf, Wahnwaare, falsche oder auch verdorbene Waare, wahngläubig, ungläubig, wahngönnen, mißgönnen, wahnmüthig, mißmüthig, ingleichen wahnsinnig oder unsinnig, Wahntrauen, Mißtrauen, Wahnmacht, Schwachheit, Ohnmacht, Wahnehre, Schande u.s.f. welche wieder aufzunehmen wenigstens sehr unnöthig seyn würde, indem wir andere gangbare, und theils bestimmtere Ausdrücke haben, jeden der obigen Begriffe auszudrücken. Da dieses wahn seiner ersten ursprünglichen Bedeutung nach so dunkel, und folglich in allen Arten des Gebrauches so schwankend ist, so ist dieß wohl die vornehmste Ursache, warum man es im Hochdeutschen in denjenigen Fällen hat veralten lassen, wo man bestimmtere Ausdrücke dafür hatte. So konnte wahngläubig, so wohl schwachgläubig, als schwergläubig, als ungläubig, als endlich auch einen irrigen Glauben habend, bedeuten, und bedeutete alles dieses wirklich. Wahnhoffnung bedeutete nicht allein Verzweifelung, sondern auch eine ungegründete, ferner eine fehlerhafte Hoffnung. Wörter dieser Art, welche in jeder Sprache ein Fehler sind, entledigt sich jede derselben, so bald sie kann.

Anm. Die Kürze dieses Wortes und die Abwesenheit eines sichtbaren Ableitungslautes ist ein Beweis, daß dieses Wort ein wahres Wurzelwort ist; es ist daher auch eins der ältesten, nicht allein in der Deutschen, sondern auch in allen verwandten, und selbst in vielen fremden Sprachen. Was die Deutsche betrifft, so ist es die Wurzel von wenig, und vermuthlich auch von Wandel, ein Fehler, und ein Verwandter von ohne und un. Im Englischen ist to wane abnehmen, und want, der Mangel. Das Lateinische vanus ist genau damit verwandt. Man hatte davon ehedem auch ein Substantivum, der Wahn, der Mangel, Abgang, Fehler u.s.f. Tausend Gulden ohne Wahn, genau tausend Gulden.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1341-1342.
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