Wahn, der

[1342] Der Wahn, des -es, plur. inusit. 1. * Eine jede Meinung, d.i. Urtheil nach bloß wahrscheinlichen Gründen, ohne Rücksicht auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit, daher es ehedem auch im guten Verstande gebraucht wurde, in welchem es schon im Ottfried vorkommt.


So verdirbet mir min lieber wan

Der mir volleclich an die minneclichen riet,

Gr. Conrad von Kirchberg.


Selbst Opitz sagt noch Ps. 119.


Wenn du dein Wort beginnest aufzuschließen

Es bringet viel auf einen rechten Wahn,

Und macht die klug, so nur von Einfalt wissen.


In den Provinzial-Rechten mancher Gegenden ist daher Wahn noch so viel als Vermuthung. In dieser allgemeinen Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo die Ausdrücke ein falscher, ein irriger Wahn noch ein Zeuge davon sind, indem dergleichen Beysätze jetzt überflüßig sind, da 2. dieses Wort jetzt nur noch im nachtheiligen Verstande von einer ungegründeten, irrigen Meinung gebraucht wird. Es ist der gemeine Wahn. In dem Wahne stehen. Einen Wahn hegen. Einem seinen Wahn benehmen. Der größte Theil unserer Unzufriedenheit entspringet aus dem stolzen Wahne, daß wir nicht so glücklich sind, als wir es zu seyn verdienen, Gell.

Anm. Schon bey dem Kero Vuan, im Schwedischen vån. Im Ulphilas ist venjan, und im Angelsächsischen venan, meinen, wähnen. Das Wort ist mit seinem Verbo, wähnen, so alt, daß sich dessen erste eigentliche Bedeutung nicht mit Gewißheit bestimmen läßt, Siehe Wähnen. Zu den jetzt veralteten Bedeutungen desselben gehören noch: 1. Die Absicht, der Vorsatz.


Nun hat Neydelhart vorhin bestelt

Etlich fußknecht mit argem wan

Die auf den Helden solten gan,

Theuerd. Kap. 87.


Argwohn bedeutet jetzt bey uns etwas anders, Siehe dasselbe. 2. Verdacht, Argwohn, im Ottfried, so wie noch das Schwedische Vån. 3. Die Hoffnung, in welcher Bedeutung schon Kero es gebraucht. Auch bey dem Ulphilas ist vena, Hoffnung. 4. Wille, Begierde, Lust; mehrmahls im Horneck. 5. Treue. Glaube; auch im Horneck.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1342.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika