Die Quartierfreiheit

[509] [509] Die Quartierfreiheit der Gesandten ist eins ihrer vorzüglichsten Rechte, und besteht darin, daß sie in ihrem Pallaste (den man das Quartier nennt) von aller Gerichtsbarkeit, nicht nur der Stadt, wo sie sich aufhalten, sondern auch des Staats, an welchen sie geschickt werden, völlig frei und unabhängig sind. Daß sich dieses Recht nicht bloß auf den Gesandten selbst, sondern auch auf das ganze Personale der Gesandtschaft beziehe, ist keinem Zweifel unterworfen; und dieser befreite Gerichtsstand wird gewöhnlich auch dem Hausgesinde des Gesandten beigelegt, obschon darüber nicht überall einerlei Gewohnheiten sind. Der Grund dieser Freiheit liegt darin, weil der Gesandte eines freien Staats, sobald er angenommen worden ist, die Person des Regenten seines Staats vorstellt. Die Quartierfreiheit hört jedoch bei ausbrechendem Kriege zwischen den Völkern, die sich Gesandte zuschicken, auf; und Letztere werden, um der Verhaftung zu entgehen, sogleich zurückberufen. Ehedem maßten sich die Botschafter häufig das Recht an, Verbrecher aufzunehmen und sie gegen den Arm der strafenden Gerechtigkeit zu sichern; allein obgleich in ihrem Pallaste selbst keine Arretirung von Seiten des Hofes, wo sie sich aufhalten, vorgenommen werden kann, so muß doch die Auslieferung jetzt allemahl geschehen. – Die neueste Zeitgeschichte liefert uns zwei wichtige Beispiele, wo die Quartierfreiheit durch Volksaufruhr gestört wurde: das eine zu Rom, als der Gesandte der Fränkischen Republik am Römischen Hofe, Joseph Buonaparte, am 28. December 1797 durch den wüthenden Pöbel beinahe das Leben verlor – ein Vorfall, der bekanntlich den Umsturz der päpstlichen Herrschaft nach sich zog –; und das andre am Wiener Hofe, am 13. April 1798, bei Gelegenheit der von Bernadotte, Gesandten eben jener Republik, an seinem Quartiere aufgesteckten Fahne. Ueberhaupt hat theils die zu große Ausdehnung, theils die Verletzung der Quartierfreiheit beständigen Anlaß zu Streitigkeiten und blutigen Kriegen gegeben.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 509-510.
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