Die Theophilanthropen

[129] Die Theophilanthropen (a. d. Griech. die Gott und Menschen liebenden): so nannte sich eine Gesellschaft in Paris, welche im Anfange des Jahres 1796 entstand, und die Beförderung der Moralität zum Zwecke hatte. Bei der gänzlichen Verachtung, womit die Anhänger der ehemahligen Jacobiner die Freunde der Religion ansahen, und bei dem Bestreben einer gewissen andern Partei, welche unter der Anführung des Laharpe und ähnlicher Fantasten die Mummereien des blinden Catholicismus wieder herzustellen versuchten, schien es einigen Freunden der wahren Moralität und Frömmigkeit nothwendig, eigene Versammlungen zur Beforderung des Guten, und zur Ausbreitung der Grundsätze der echten Weisheit anzustellen. Die Versammlungen wurden an den ehemahligen Sonntagen gehalten; bald aber wuchs die Anzahl der Mitglieder so sehr an, daß noch ein Tag hinzugethan werden mußte. Man wählte hierzu den Decadi, den republikanischen Sonntag, vielleicht absichtlich, um zu erkennen zu geben, daß aller Parteigeist aus dieser Gesellschaft verbannt, und jedermann, was für einen Glauben er auch immer haben möchte, dabei willkommen sein sollte. Die Gesellschaft hatte eigne Secretaire und Aufseher, welche die vorzulesenden Abhandlungen untersuchten, und über das Ganze die Aufsicht führten. Abwechselnd wurden entweder moralische Abhandlungen vorgelesen, oder Reden gehalten, oder auch religiöse Hymnen gesungen. Auf das System irgend einer bestimmten Religionspartei wurde durchaus keine Rücksicht genommen. Man beschäftigte sich bloß mit allgemeinen Wahrheiten, welche alle Menschen jedes Alters und Standes beherzigen sollten. Die Grundsätze dieser Theophilanthropen findet man in einer eignen Schrift, welche auch ins Deutsche übersetzt worden ist, näher aus einander gesetzt. Einige Pariser Schriftsteller vermutheten, daß hinter den Theophilanthropen ehemahlige Jacobiner verborgen wären, welche die Vernunftreligion des Robespierre, und mit ihr das Schreckenssystem herstellen wollten.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 129.
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