Der Hagestolziat

[423] Der Hagestolziat: so nannte man in den ältern Zeiten das sehr verhaßte und sogar mit gewissen Nachtheilen verbundene ehelose Leben einer Mannsperson, welches über die in den Landesgesetzen zur Verheirathung bestimmte Zeit hinaus bis an den Tod dauerte. – Ueber die Entstehung des Namens hat man verschiedene Meinungen, unter denen folgende wohl die wahrscheinlichste ist: Haga hieß in der alten deutschen Sprache ein Hof, der mit einem Zaune umgeben ist; Stolze hingegen soviel als ein Sitz oder Wohnung. Nach der Verfassung der alten Deutschen [423] erbte nun der älteste Sohn den Hof seines Vaters, und die übrigen Kinder erhielten nur etwas Weniges aus dem Nachlaß. Weil aber die Familien gern beisammen blieben, so erbauten sich die Brüder an dem Hofe ihres Vaters kleine Wohnungen und erhielten deswegen den Namen Hagestolze. Da sie, wegen Mangel an Gütern, meistentheils im ehelosen Stande lebten, so gab man nach und nach den jungen Mannspersonen, die ehelos blieben, diesen Namen. – Schon bei den Römern, zur Zeit der Republik, war das ehelose Leben der Mannspersonen verhaßt, und die Censoren (s. dies. Art.) pflegten von alten ehelos gebliebenen Mannspersonen, als Strafe, ein sogenanntes Weibergeld (aes uxorium) einzufordern, da hingegen Verheirathete verschiedene Ehrenbezeigungen genossen. Als durch die bürgerlichen Kriege, während des Triumvirats, die Bevölkerung in Rom sehr gelitten hatte, so dachte August nach Antritt seiner Oberherrschaft über Rom sehr darauf, die Ehen zu befördern, zumal da die Römer überhaupt, theils aus Liebe zu einem ausschweifenden Leben, theils wegen sehr gewöhnlicher Verschwendung der Weiber, theils wegen der Geschenke und Schmeicheleien, mit denen sie von Erblustigen überhäuft zu werden pflegten, gern ehelos blieben. Er gab deshalb im Jahr Roms 763, oder im 10ten nach Christi Geburt, ein sehr merkwürdiges Gesetz (lex Papia Poppaea), durch welches den Ehemännern, und besonders den Vätern von 3 bis 5 Kindern (je nachdem sie in Rom, Italien oder in den römischen Provinzen lebten) viele Vortheile (das sogenannte jus trium liberorum) zugestanden, den ehelosen Mannspersonen aber verschiedene Strafen angedroht wurden, welches Gesetz auch, mit einigen Zusätzen vermehrt, bis auf die Zeiten Constantins des Großen, der die Strafen des Caelibats (ehelosen Lebens) aufhob, seine Gültigkeit behielt. Bei den Deutschen, welche die Ehen liebten, und mithin keine Strafen für das ehelose Leben nöthig hatten, war dasselbe sogar erlaubt. Allein man führte doch in einigen Provinzen Deutschlands, besonders [424] in der Unterpfalz und am Ober- und Nieder-Rhein, das sogenannte

Hagestolzen-Recht ein, nach welchem der Landesherr oder die Obrigkeit einen gewissen Theil des Vermögens eines Hagestolzen erbte. Es mußte jedoch eine ehelose Mannsperson erst gewisse Jahre – gemeiniglich das 50ste – erreicht haben, ehe er als ein Hagestolz angesehen werden konnte. Auch erstreckte sich das Erbrecht des Fürsten oder der Obrigkeit nur auf das Allodialvermögen (s. Allodium in den Nachtr.) und dasjenige, was der Hagestolz sich wirklich erworben, nicht aber ererbt hatte, indem man dieses den übrigen Verwandten nicht entziehen wollte. An einigen Orten bestand das Hagestolzenrecht blos in dem Rechte, von einer ledigen Mannsperson, die erst in späten Jahren sich verehelichte, ein gewisses Stück Geld zu fordern. Nur an wenigen Orten fand auch in Ansehung der ehelosen Frauenzimmer das Hagestolzenrecht Statt. Daß es jetzt ganz außer Gebrauch ist, bedarf wohl kaum bemerkt zu werden.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 423-425.
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