Perrücken

[167] Perrücken, einst so beliebt, daß ein ganzes Zeitalter (die Regierungen Ludwig's XIV. und XV. von Frankreich) nach ihnen benannt wurde, haben für die Gegenwart nicht nur ihre frühere Ehrwürdigkeit verloren, sondern man duldet sie überhaupt nur noch da, wo sie den wirklichen Verlust des Haupthaars ersetzen sollen; auch dann aber müssen sie, so viel immer möglich, die Natur nachahmen, und dürfen nie mehr jene abenteuerlichen Formen annehmen, die unsere Vorfahren schön und unerläßlich hielten. Schon in mehreren Artikeln (siehe Haare und Moden verschiedener Völker) ist erwähnt worden, daß die Perrücken bereits bei den Römern gebräuchlich waren, und daß man damals die vom blonden Haare der Deutschen und Gallier besonders theuer bezahlte, doch hatten diese Perrücken, den natürlichen Lockenfall nachbildend, gar keine Uebereinstimmung mit den Allongen-, Zopf-, Stutz- und andern Perrücken des 18. Jahrhunderts. Im Mittelalter hatten Fürsten, wie Franz I., denen Krankheiten ihre Haare raubten, sich mit Perrücken bedeckt, doch nur aus Nothwendigkeit. Ihre Höflinge ahmten dieses aus Schmeichelei nach, und daraus entstand in der Folge eine Mode, die wie gewöhnlich fortschreitend in's Ungebührliche ausartete und unter Ludwig XIV., dessen ungeheuere, [167] schwarze Allongenperrücke ihn wie eine Wolke umhüllte und bis zu den Ellenbogen herabhing, am Glorreichsten paradirte. Niemand, hätte er auch die schönsten Haare von der Welt besessen, vermochte solche Lockenmassen aufzubringen, und da die Mode sie sogar von den Kriegern forderte, so begreift man leicht, wie groß der Verbrauch falscher Haare ward. Die Zopfperrücken machten einen Uebergang zum Einfachern. (Ueber ihr Entstehen siehe französische Moden.) Thierhaare und selbst gesponnenes Glas sollten das Material vermehren; da erfand man auch den Haarbeutel (siehe ebendaselbst) und die hinreißende Stutzperrücke, von deren ehrenfesten Eleganz sich die alten Stutzer von 1700 so schwer trennten. Die französische Revolution, welche der Köpfe so viele abschlug, schonte auch die Perrücken nicht. Mit den englischen Fracks war auch das Tragen natürlichen Haares von England herüber gekommen. Wer eine Perrücke trug, riskirte während der Revolution königlich gesinnt zu gelten. Frisuren, d. h. Perrücken formen aus eignem Haar, hatten damals schon die eigentlichen, nur noch von ältern Personen getragenen Perrücken ersetzt; die Drath- und Glasperrücken wurden nie allgemein. Sonderbar erscheint es, daß die Priester, welche vor Alters am Meisten, selbst von den Kanzeln gegen die Gottlosigkeit des Perrückentragens eiferten, doch am spätesten von ihnen lassen wollten, nachdem sie dieselben einmal angenommen hatten. An manchen Orten trugen Geistliche deren als eingebildetes Würdezeichen noch vor einem Jahrzehend, und in England, wo man sie zuerst zu verbannen anfing, müssen noch heut die jüngsten Männer, wenn sie ein Richteramt bekleiden, dergleichen aufstülpen. Für die Frauen sind die Perrücken nie eine Mode geworden, als im alten Rom, wo man durchaus blond sein wollte. Wer später Perrücken tragen mußte, verbarg dieß so gut wie möglich, indem alle Moden, selbst die barocksten (siehe Kopfputz), zu deren Ausführung fremdes Haar unerläßlich war, doch immer den Schein bewahrten, als sei diese Fülle der Trägerin Eigenthum.

F.

[168]

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 167-169.
Lizenz:
Faksimiles:
167 | 168 | 169
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika