Condillac, Etienne Bonnot de

[104] Condillac, Etienne Bonnot de, geb. 1715 in Grenoble, wurde Abbé, verkehrte mit Diderot und Rousseau, will durch den Verkehr mit einem Fräulein Ferrand zu seinem Sensualismus gekommen sein, wurde Erzieher des Infanten Ferdinand, späteren Herzogs von Parma, für den er einen »Cours d'étude« (1755) in 13 Bänden schrieb, wurde Mitglied der französischen Akademie und starb 1780 auf seinem Landgute Flux bei Beaugency.

Von Locke ausgehend, hat C. den neueren Sensualismus begründet, indem er nur eine Quelle der Erkenntnis, die Sinnesempfindung annimmt, aus der auch die Vorstellungen der Lockeschen »reflexion« entspringen: »Le principal objet de cet ouvrage est de faire voir comment toutes nos connaissances et toutes nos facultés viennent des sens, ou, pour parler plus exactement, des sensations.« An der Fiktion einer empfindungsfähigen Statue (vgl. Arnobius, Bonnet, Lamettrie u. a.), deren Sinne allmählich erwachen (zuerst der Geruchssinn), zeigt er, wie alle Vorstellungen und psychischen Vorgänge (Aufmerksamkeit; Vergleichen, Urteilen, Wille usw.) sich aus Empfindungen bilden da es absolut nichts Angeborenes gibt. Die Empfindung selbst wandelt sich sukzessiv zur Aufmerksamkeit usw. um, alles ist nur »sensation transformée«. Die Empfindung (Sinneswahrnehmung) schließt alle psychischen Fähigkeiten ein. Im Empfinden verhält sich die Seele rein passiv, aufnehmend, aber sie ist doch Bedingung des Empfindens, ist das Empfindende (»c'est l'âme seule qui sent à l'occasion des organes«), ist eine immaterielle Substanz. In genetischer Weise zeigt C., wie als Spur der Empfindung die Erinnerung entsteht, wie die Verbindung von Empfindungen zum Vergleiche zwischen ihnen führt, wie durch Festhaltung des Gemeinsamen Begriffe entstehen, wie der Tastsinn den Gesichtssinn unterstützt und eine Rolle bei dem Bewußtsein der Existenz von Außendingen (Körpern) und bei der Bildung der Raumvorstellung spielt, wie Gefühl, Begierde, Wille, Vernunft usw. sich entwickeln, wie Erfahrung zustande kommt und verwertet wird u. dgl. Das Denken ist auch nur Empfindung, denn Urteilen heißt, Ähnlichkeit oder Verschiedenheit, eine Beziehung zwischen zwei Vorstellungen gewahren. Die (passive oder aktive) Aufmerksamkeit, die hierbei wirksam ist, ist selbst mir eine lebhaftere Empfindung (»une sensation plus vive que toutes les autres«). Das Begehren entspringt aus Empfindungen, ist durch ein Bedürfnis ausgelöst. Es wird zum Willen, wo wir das Bewußtsein haben, daß das Begehrte in unserer Macht liegt. Das Ich (Selbstbewußtsein) hängt mit der Erinnerung zusammen (das Ich der »Statue« ist »la conscience de ce qu'elle est et le souvenir de ce qu'elle a été«) und ist nur eine Sammlung (collection) von Empfindungen und Erinnerungsbildern, [104] also von der Seele selbst zu unterscheiden. Die Dinge können an sich ganz anderes sein, als wir sie erkennen (Trait. d. sens. IV, 5, 1). Die Sprache führt C. auf Schreie, Assoziation und Übung zurück.

SCHRIFTEN: Essai sur l'origine des connaissances humaines, 1746; deutsch 1780. – Traité des systèmes, 1749. – Recherches sur l'origine des idées que nous arons de la beauté, 1749. – Traité des sensations, 1754, 1885 (nebst »Extrait« daraus); deutsch 1870 (Hauptwerk). – Traité des animaux, 1755 (gegen Buffon). – Logique, 1781, 1811. – Oeuvres, 1795, 1803, 1822. – Vgl. RÉTHORÉ, C. ou l'empirisme et le rationalisme, 1864. – L. DEWAULE, Cond. et la psychol. anglaise contemporaine, 1892.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 104-105.
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