Eucken, Rudolf

[160] Eucken, Rudolf, geb. 1846 in Aurich, seit 1874 Prof. in Jena.

E. lehrt, unter dem Einfluß besonders von Plato und Fichte, einen objektiven Idealismus als Weltanschauung, der aber nicht intellektualistisch ist, sondern auf selbständige, aktive Gestaltung des Lebens gerichtet ist (Aktivismus). Es ist ihm überall um eine Erhöhung des Lebens zu tun, um Gewinnung eines festen Standpunktes, von dem aus das Leben Sinn und Wert erhält, indem es als in einem universalen Geistesleben verankert erscheint, zu dein es sich aktiv im Kampfe gegen alles bloß Naturhafte und Hemmende zu erheben hat. E. geht nicht von der Psyche des Einzelnen, nicht psychologisch vor, sondern »noologisch«, vom geistigen Lebensprozeß und großen geistigen Zusammenhängen aus. Das »Geistesleben«, umspannt Gott und Welt, Subjekt und Objekt in einer selbständigen, übergeordneten Einheit. – Die einheitlichen Zusammenhänge von Lebensanschauungen und Lebenstendenzen nennt E. »Lebenssysteme« oder »Syntagmen«. Die Einseitigkeiten derselben, des Naturalismus, Intellektualismus, Asthetizismus, werden von E. scharf beleuchtet. Die wahre geistige Kultur muß dem Menschen eine selbständige Stellung in der Natur geben, eine neue Art des Seins, eine Erhöhung seines Wesens, eine Innerlichkeit und Kraft, die über Natur und Intellekt hinausführt in das[160] Reich des Geistes und seiner Werte. Daß Geistesleben muß in uns immer voller und reiner zum Durchbruch kommen, unser Leben sinnvoll erfüllen, uns erhöhen und vom Drucke des Daseins, des Ichs befreien.

Der bei sich selbst befindliche Lebensprozeß ist Geist. Dieser »erzeugt aus seinem Schaffen eine neue Wirklichkeit und will die vorgefundene Lage damit umwandeln«. Im schaffenden Geistesleben erfolgt ein »Aufsteigen der Wirklichkeit zu einer innern Einheit und zu voller Selbständigkeit«. Durch Kampf und Selbsttätigkeit muß die geistige Welt immer neu erobert werden; das Geistige ist aktive Selbstentwicklung. In der Geschichte eröffnet sich uns das – an sich selbständige – Geistesleben durch die Arbeit der Gesamtheit. Das Geistesleben ist eine an sich bestehende, selbständige Wirklichkeit, aber für unser Bewußtsein und unsere Tätigkeit ist es erst zu gewinnen und anzueignen, nur damit kann es eine deutliche Gestalt und einen bestimmten Inhalt gewinnen. Die Geschichte der Menschheit ist nur dadurch möglich, daß hier »eine Eröffnung des Geisteslebens als einer neuen Stufe der Wirklichkeit in Fluß kommt und vordringt«. Ein Gesamtgeschehen trägt alles Einzelne, treibt alles einem gemeinsamen Ziele zu. Die Natur ist Vorstufe des Geistes, ein Trieb zum Geistigen wirkt schon in ihr. Die Wirklichkeit ist nichts Abgeschlossenes, daher auch nicht rein begrifflich erschöpfbar. Unser seelisches Leben wird von der (transzendenten und zugleich immanenten) Einheit der göttlichen All-Person getragen und zu einem »personalen Lebenssystem« verknüpft. Von vornherein gehören die Einzelwegen einem universalen Personalleben an. Die Entfaltung eines wahrhaft personalen (einheitlich-aktiven) Geisteslebens ist eine unendliche Aufgabe, die einerseits durch unsere Selbsttätigkeit, anderseits durch das uns tragende, in unser Leben hineinreichende Wirken der geistigen Überwelt ermöglicht wird. Daher ist die (universale) Religion eine wahre Lebensmacht. Es gehört zu ihr, daß sie »der nächsten unmittelbar vorhandenen Welt eine andere Art des Seins, eine neue überlegene Ordnung der Dinge entgegenhält«.

Von E. beeinflußt sind O. Siebert, J. Goldstein, O. Braun, M. Scheler, H. Leser, E. Fuchs, O. Trübe, O. Kästner u. a.

SCHRIFTEN: Geschichte der philos. Terminologie, 1879. – Beiträge zur Geschichte 4. neueren Philosophie, 1886; 2. A. 1906. – Geschichten Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart, 1878; 4. A, 1909 (Geistige Strömungen der Gegenwart). – Prolegomena zu Forschungen über d. Einheit d. Geisteslebens, 1885. – Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und Tat der Menschheit, 1888. – Die Lebensanschauungen der großen Denker, 1890; 8. A. 1909. – Der Kampf um e. geistigen Lebensinhalt, 1896; 2. A. 1907. – Das Wesen der Religion, 1901. – Der Wahrheitsgehalt der Religion, 1901. 2. A. 1905. – Thomas von Aquino u. Kant, 1901; 2. A. 1910. – Gesammelte Aufsätze, 1903. – Hauptprobl. d. Religionsphilos., 3. A. 1909. – Grundlin. e. neuen Lebensansch., 1907. – Der Sinn u. Wert des Lebens, 1908; 2. A. 1910. – Einfuhr, in eine Philos. des Geisteslebens, 1908, u. a. – Vgl. O. SIEBERT, R. E.s Welt- und Lebensanschauung, 1904.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 160-161.
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