Gomperz, Heinrich

[209] Gomperz, Heinrich, geb. 1873 in Wien, Privatdozent in Wien.

G. ist von Avenarius, Kant, Hegel u. a. beeinflußt. Er vertritt (wie Mach u. a.) einen »Monismus des Geschehens«, für den die Welt eine Ordnung von Vorgängen ist. Nach dem »Pathempirismus« ist die Form des Erkennens Gefühl. Die »Formgefühle« (mit den »Charakteren« von Avenarius verwandt) gehören der »reaktiven Erfahrung« an im Unterschiede vom Erfahrungsinhalt; aus jener entspringen die Kategorien als Formgefühle, welche den Inhalt der Erfahrung vereinheitlichen. Der »Aussageinhalt« ist der logische Gehalt, der den Sinn der Aussagen ausmacht; »Aussagegrundlage« sind die Tatsachen, auf die sich die Aussage bezieht. Der Aussageinhalt ist ein »gegliederter Komplex von generell-typischen Totalimpressionen«. Die Logik ist nicht eine psychologische Wissenschaft, auch nicht normativ. Die »Noologie« ist der Teil der »Kosmotheorie«, der sich mit dem Widerspruch zwischen subjektiven und objektiven Gedanken und den Problemen daraus beschäftigt. Ihre Aufgabe ist es, »jene Widersprüche auszugleichen, die sich aus der sachgemäßen Bearbeitung der Gedanken in der Logik einerseits, in der Psychologie anderseits ergeben«. Sie zerfällt in »Semasiologie« (Lehre von den Denkinhalten) und »Alethologie« (Lehre von den Denkwerten). Die »Weltanschauungslehre« (Kosmotheorie) ist jene Wissenschaft, welche die Aufgabe hat, »einen widerspruchslosen Zusammenhang aller jener Gedanken herzustellen, die von den Einzelwissenschaften, sowie vom praktischen Leben zur Nachbildung der Tatsachen verwendet werden«.

Das Kausalgesetz ist ein Postulat, indem wir uns entschließen, die Erscheinungen soweit als möglich gesetzlich aufzufassen. Hierbei verhält sich unsere Welt unserem »Ordnungsstreben« gegenüber wie ein Stoff von mittlerer Bildsamkeit. Es ist denkbar, daß schon die materiellen Elemente individuelle und momentane Besonderheiten ihres Verhaltens zeigen, die sich aber kompensieren und erst im Organischen, noch mehr im Psychischen, im Willen hervortreten. Nach dieser »spontanistischen Theorie« wären die Naturgesetze »Durchschnittsregeln des stofflichen Massenverhaltens«. Eine allgemeine Notwendigkeit an sich existiert nicht, noch weniger ein allgemeiner Zwang. Der Wille ist weder durch die Motive determiniert, noch wählt er frei zwischen ihnen. Die Lebhaftigkeit der Motive ist keine konstante Größe. Im Streite der Motive ist die Chance des Sieges für jedes Motiv seiner relativen Stärke proportional; mit der Dauer des Schwankungsprozesses nimmt die antreibende Komponente an Kraft zu (vgl. über die Wahrscheinlichkeit der Willensentscheidungen, Sitzungsber. d. K. Akademie der Wiss. in Wien, Philos.-histor. Klasse, Bd. 149).

SCHRIFTEN: Zur Psychologie der logischen Grundtatsachen, 1897. – Kritik d.[209] Hedonismus, 1898. – Die Welt als geordnetes Ereignis, Zeitschr. f. Philos. Bd. 118, 1901. – D. Lebensauffass. d. griech. Philosophen u. d. Ideal d. inneren Freiheit, 1904. – Weltanschauungslehre I – II, 1905-08. – Das Problem der Willensfreiheit, 1907.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 209-210.
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