Knapp, Ludwig

[354] Knapp, Ludwig, geb. 1821 in Darmstadt, 1848 Privatdozent an der jurist. Fakultät in Heidelberg, gest. 1858 in Darmstadt.

K. ist ein von L. Feuerbach beeinflußter, aber in vielem selbständiger Philosoph. Er lehrt im Sinne des Positivismus, Empirismus, Naturalismus und Psychologismus. Von dem reinen, der Wirklichkeit gerecht werdenden Denken unterscheidet er das phantastisch-spekulative Denken, welches theoretischen Wünschen dient, sich von der Wirklichkeit entfernt, Abstraktionen und Fiktionen für[354] Wirklichkeiten nimmt. Die Philosophie hat das Denken von solchen Irrtümern zu befreien und die »Einheit von Naturgesetz und Denkprozeß« darzulegen. Durch Aufzeigen der subjektiven Quellen der Denkphantasmen werden diese eliminiert. Das Einheitsstreben des Denkens muß sich auf den objektiven Zusammenhang richten, muß die Sinnlichkeit und Erfahrung zur Grundlage haben. Apriorische Gedanken gibt es nicht, auch ist, wie die Erfahrung, das Wissen nie abgeschlossen. Die Denkgesetze sind psychologische Gesetze und haben wie alles Psychische eine physiologische Grundlage, so daß das Denken ein Naturprozeß ist. Das Geistige ißt vom Materiellen abhängig, eine immaterielle Seelensubstanz ist ein Unding. Das Ich ist der Leib als Träger der Empfindungen oder der ideelle wandelbare Schwerpunkt einer Vielheit von Zuständen. Die Seele besteht nur aus den einzelnen Bewußtseinserscheinungen, welche der Stoffwechsel im lebenden Nerv produziert. Wie das Anorganische ist das Organische ein Mechanismus. Das Denken kann auch unbewußt erfolgen, das Bewußtsein ist nur eine Begleiterscheinung. Das Begehren wird stets durch Gefühle ausgelöst, und diese sind im Grunde Tastempfindungen, die von Muskelspannungen ausgehen. Im Wollen und Handeln kommt das »muskelerregende Denken« zur Geltung.

Dieses Denken betätigt sich praktisch, im Rechte und in der Sittlichkeit. Die Weltgeschichte ist ein notwendiger Naturprozeß, in welchem sich das muskelerregende Denken die Gegenstände, die Natur unterwirft und das erkennende Denken zu sozial zweckmäßigen Institutionen führt. Die muskulär erzwungene Unterwerfung der Natur unter die menschliche Gattung ist die Volkswirtschaft, die des Menschen unter seine Gattung die in Moral und Recht sich gliedernde Sittlichkeit. Diese besteht in der Triebeinschränkung durch die Vorstellung der sozialen Gesamtheit, durch das »Gattungsinteresse«. Sittlich ist nur, was »dem vorgestellten, also wirklichen oder vermeintlichen Gattungsinteresse angepaßt« ist. Auf die Gattungswohlfahrt, den »Gesellschaftswert« kommt es hier an, nicht etwa auf phantastische, transzendente Zwecke. Die sittlich zwingenden Affekte bilden das Gewissen. Die Rechtsphilosophie ist die »Darlegung der philosophischen Erkenntnis des Rechts« und die »Erkenntnis der Rechtsphantasmen«. Das Recht ist die gewaltsame Unterwerfung des Menschen unter das vorgestellte Gattungsinteresse. Ist dieselbe dem Denken der Individuen und Völker gemäß, dann sind diese frei. Die Erkenntnis der wahren Natur des Rechts ist die Grundlage der Politik.

SCHRIFTEN: System der Rechtsphilosophie, 1857.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 354-355.
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