Stammler, Rudolf

[707] Stammler, Rudolf, geb. 1856 in Alsfeld, Prof. der Rechtswissenschaft in Halle a. S.

S.s Rechtsphilosophie beruht auf Kantscher Grundlage, ihre Methode ist die teleologisch-kritische, indem sie für das Empirische ein objektives Richtmaß aufstellt und die grundlegende Gesetzmäßigkeit des Rechtslebens bestimmt. Sie ist ein Teil der »Orthosophie«, der Erkenntnis des Richtigen. Ein festes Naturrecht gibt es nicht, auch keine konkreten apriorischen Rechtssätze, wohl aber ein im positiven Recht gesetztes oder zu setzendes »richtiges« Recht. Während die Wirtschaft die »Materie« des sozialen Lebens ist, bildet dessen »Form« das Recht, als notwendige Bedingung gesetzmäßiger Ausgestaltung des sozialen Lebens. Das Recht ist »die ihrem Sinne nach unverletzbar geltende Zwangsregel menschlichen Zusammenlebens«. Es ist seiner Idee nach ein »Zwangsversuch zum Richtigen«. Das richtige Recht ist jenes Recht, welches in einer besonderen Lage mit dem Grundgedanken des Rechts überhaupt zusammenstimmt, also nicht ein ideales Recht. »Alles gesetzte Recht ist ein Versuch, richtiges Recht zu sein«. Die Idee des richtigen Rechts ist die Einheit von Einzelzwecken nach einem Endzweck der Gesellschaft; seine Richtigkeit, besteht in der »Übereinstimmung mit dem sozialen Ideal«, d.h. mit der Idee der »Gemeinschaft frei wollender Menschen«. Die Sozialphilosophie untersucht, unter welcher grundlegenden formalen Gesetzmäßigkeit das soziale Leben der Menschheit steht; ihr Ziel ist Erkenntnis derjenigen Begriffe und Grundsätze, die für alles soziale Leben einheitlich gelten, ihr Objekt die »Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens der Menschen als solche«. Soziales Leben ist »ein durch äußerliche verbindende [707] Normen (Recht, Konvention) geregeltes Zusammenleben von Menschen«. Die Materie desselben ist die »Wirtschaft«, d.h. »das auf Bedürfnisbefriedigung gerichtete menschliche Zusammenwirken«. Die Form der Gesellschaft ist das Recht. Der »Monismus des sozialen Lebens« sucht die Ursachen und Wirkungen auf sozialem Gebiete in der Einheit des Ganzen des gesellschaftlichen Lebens der Menschen zu erfassen. Das Wesen des sozialen Daseins der Menschen liegt im Wollen und in der Verfolgung von Zwecken. Richtig ist jener Zweck, der in der Richtung des obersten einheitlichen Zweckes liegt. Dieser Zweck, das soziale Ideal, ist die Gemeinschaft freiwollender Menschen, d.h. die »Menschengemeinschaft, in der ein jeder die objektiv berechtigten Zwecke des anderen zu den seinigen macht«. – Gegner S.s sind M. Weber, Kantorowicz, M. Adler u.a.

Schriften: Die Methode der geschichtl. Rechtstheorie, 1888. – Theorie des Anarchismus, 1894. – Wirtschaft und Recht, 1896; 2. A. 1906. – Die Lehre von dem richtigen Rechte, 1902 (beide letzteren sind Hauptwerke). – Die Gesetzmäßigkeit in Rechtsordnung und Volkswirtschaft, 1902. – Die Unbestimmtheit des Rechtsubjekts, 1907, u.a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 707-708.
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