Valentinus

[780] Valentinus, Gnostiker, der erst (bis gegen 135 n. Chr.) in Alexandrien, dann (bis 160 n. Chr.) in Rom lehrte und in Cypern starb. Er hatte viele Anhänger (Valentinianer: Herakleon, Ptolomaeus, Secundus, Marcus, Axioneikos, Ardesianes u.a.).

V., der vom Parsismus, von Plato, dem Neuplatonismus, den Ophiten beeinflußt ist, gehört zu den bedeutendsten der »häretischen« Gnostiker. Nach seinem Emanationssystem ist das oberste Wesen der göttliche Vater (patêr) oder Vorvater (propatôr) die ewige, unendliche, ungewordene Einheit (monas agennêtos) die »Urtiefe« bythos der »vollkommene Äon« teleios aiôn dem nach manchen Valentinianern ein weiblicher Äon, das »Schweigen« (sigê oder ennoia) entspricht. Der Urvater setzt aus Liebe eine Geisterwelt aus sich heraus, dreißig Äonen, ewigwährende, göttliche Kräfte, deren Inbegriff das »Pleroma« (plêrôma) das Reich göttlich-geistiger Fülle und Lebendigkeit (im Gegensatz zum kenôma der stofflichen Leere) ist. Die zwei ersten Äonen sind, der eingeborene Verstand (nous) das Prinzip von allem archên tôn pantôn und die Wahrheit (alêtheia) die mit der Tiefe und dem Schweigen die erste Vierheit (tetraktys) bilden. Zur zweiten Vierheit gehören der Gedanke und das Leben (zôê) der Urmensch (anthrôpos) und die Gemeinde (ekklêsia). Aus dieser Achtheit (ogdoas) gehen eine Zehnheit und eine Zwölfheit von Äonen hervor, deren letzter die »Weisheit« (sophia) ist. Diese begehrte die Vereinigung mit dem Urvater, um ihn zu erfassen und zeugte einen formlosen Stoff, worauf sie durch den Äon »Grenze« (horos) gereinigt und ihres Begehrens und Leidens ledig wird. Dieses Begehren wurde von der Sophia als eine niedere Weisheit, Achamoth (achamôth) abgelöst und in eine niedere Region geschleudert. Die körperliche Welt hat der aus der Achamoth hervorgegangene Demiurg geschaffen. Eine Emanation von »Verstand« und »Wahrheit« ist Christus, ein anderes Produkt der Äonen der himmlische Jesus, mit dem der irdische Jesus sich verbindet. Durch Christus findet die Erlösung der Weisheit statt. Die Menschen zerfallen in »Hyliker« (materielle Menschen), wie die meisten Heiden, »Psychiker« (seelische Menschen), wie die meisten Juden, und »Pneumatiker« (Geistesmenschen), d.h. wahrhaft erkennende und erkenntnisgemäß handelnde Menschen, die der Werke nicht bedürfen (die Gnostiker). Vgl. Pistis sophia.

Schriften nicht erhalten. Berichte über V. und die Valentinianer bei Irenaeus, Tertullian, Clemens Alexandrinus (vgl. Gnostiker). – Vgl. W. SCHULTZ, Dokumente der Gnosis, 1910. – G. HEINRICI, Die Valentinianische Gnosis u. d. heil. Schrift, 1871. – R. A. LIPSIUS, V. u. seine Schule, Jahrb. für Theol., 1887.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 780.
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