IV

[46] Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner Versammlung für die deutsche Sache nutzbar zu machen, während ihre Uebergriffe wuchsen; es reifte daher der Gedanke, sie nach einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke der Einschüchterung zu entziehen, eventuell sie aufzulösen. Damit steigerte sich die Schwierigkeit, ein Ministerium zu Stande zu bringen, welches diese Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon seit der Eröffnung der Versammlung war es dem Könige nicht leicht geworden, überhaupt Minister zu finden, besonders aber solche, welche auf seine sich nicht immer gleichbleibenden Ansichten gefügig eingingen und deren furchtlose Festigkeit zugleich die Bürgschaft gewährte, daß sie bei einer entscheidenden[46] Wendung nicht versagen würden. Es sind mir aus dem Frühjahre mehrere verfehlte Versuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung, er sei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Opposition und nicht zu einer Ministerrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung eines Ministeriums nur übernehmen, wenn die äußerste Rechte sich ihm unbedingt hingebe und ihm den König sicher mache. Männer, welche in der Nationalversammlung Einfluß hatten, wollten sich die Aussicht nicht verderben, künftig, nach Herstellung geordneter Zustände, constitutionelle Majoritätsminister zu werden und zu bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handelsminister in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herstellung der Ordnung durch ein Fachministerium von Beamten und Militärs bewirkt werden müsse, ehe verfassungstreue Minister die Geschäfte übernehmen könnten, später sei man bereit.

Die Abneigung, Minister zu werden, wurde verstärkt durch die Vorstellung, daß persönliche Gefahr damit verbunden sein könne, wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conservativer Abgeordneter auf der Straße schon gezeigt habe. Nach den Gewöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen, und bei dem Einflusse, welchen Abgeordnete der äußersten Linken auf dieselbe besäßen, müsse man auf größere Ausschreitungen gefaßt sein, wenn die Regierung dem demokratischen Andringen Widerstand zu leisten und in festere Wege einzulenken versuchte.

Als der Graf Brandenburg, gleichgültig gegen solche Besorgnisse, sich bereit erklärt hatte, das Präsidium zu übernehmen, kam es darauf an, ihm geeignete und genehme Collegen zu gewinnen. In einer Liste, welche dem Könige vorgelegt wurde, fand sich auch mein Name; wie mir der General Gerlach erzählte, hatte der König dazu an den Rand geschrieben: »Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet«1. Der Graf Brandenburg selbst sagte mir in Potsdam: »Ich habe die Sache übernommen, habe aber kaum die Zeitungen gelesen, bin mit staatsrechtlichen Fragen unbekannt und kann nichts weiter thun, als meinen Kopf zu Markte tragen. Ich brauche einen ›Kornak‹, einen Mann, dem ich traue und der mir sagt, was ich thun kann. Ich gehe in die Sache wie ein Kind in's Dunkel, und weiß Niemanden als Otto Manteuffel (Director im Ministerium des Innern), der die Vorbildung und zugleich mein[47] persönliches Vertrauen besitzt, der aber noch Bedenken hat. Wenn er will, so gehe ich morgen in die Versammlung; wenn er nicht will, so müssen wir warten und einen Andern finden. Fahren Sie nach Berlin hinüber und bewegen Sie Manteuffel.« Dies gelang, nachdem ich von 9 Uhr bis Mitternacht in ihn eingeredet und es übernommen hatte, seine Frau in Potsdam zu benachrichtigen, und die für die persönliche Sicherheit der Minister im Schauspielhause und in dessen Umgebung getroffenen Maßregeln dargelegt hatte.

Am 7. früh Morgens kam der zum Kriegsminister ernannte General v. Strotha zu mir, weil ihn Brandenburg an mich gewiesen hatte, um sich die Situation klar machen zu lassen. Ich tath das nach Möglichkeit und fragte: »Sind Sie bereit?« Er antwortete mit der Gegenfrage: »Welcher Anzug ist bestimmt?« – »Civil,« erwiderte ich. – »Das habe ich nicht,« sagte er. Ich besorgte ihm einen Lohndiener, und es wurde glücklich noch vor der festgesetzten Stunde ein Anzug aus einer Kleiderhandlung beschafft. Für die Sicherheit der Minister wurden mannigfache Vorsichtsmaßregeln getroffen. Zunächst waren im Schauspielhause selbst außer einer starken Polizeitruppe ungefähr dreißig der besten Schützen des Garde-Jäger-Bataillons so untergebracht, daß sie auf ein bestimmtes Signal im Saale und auf den Gallerien erscheinen und mit ihren der größten Genauigkeit sicheren Schüsse die Minister decken konnten, wenn sie thätlich bedroht wurden. Es ließ sich annehmen, daß auf die ersten Schüsse die Insassen des Saales denselben schnell räumen würden. Entsprechende Vorkehrungen waren an den Fenstern des Schauspielhauses und in verschiedenen Gebäuden am Gensdarmenmarkt getroffen, in der Absicht, den Rückzug der Minister aus dem Schauspielhause gegen etwaige feindliche Angriffe zu decken; man nahm an, daß auch größere etwa dort versammelte Massen sich zerstreuen würden, sobald aus verschiedenen Richtungen Schüsse fielen.

Herr von Manteuffel machte noch darauf aufmerksam, daß der Eingang zum Schauspielhause in der dort engen Charlottenstraße nicht gedeckt sei; ich erbot mich, zu bewirken, daß die ihm gegenüber liegende Wohnung des beurlaubten hannöver'schen Gesandten, Grafen Kniephausen, von Militär besetzt würde. Ich begab mich noch in der Nacht zu dem Obersten von Griesheim im Kriegsministerium, der mit den militärischen Anordnungen betraut war, stieß aber bei ihm auf Bedenken, ob man eine Gesandtschaft zu solchem Zwecke benutzen dürfe. Ich suchte nun den hannöver'schen Geschäftsträger, Grafen Platen, auf, der das dem Könige von[48] Hannover gehörige Haus unter den Linden bewohnte. Derselbe war der Ansicht, daß das amtliche Domizil der Gesandtschaft zur Zeit in seiner Wohnung unter den Linden sei, und ermächtigte mich, dem Obersten von Griesheim zu schreiben, daß er die Wohnung »seines abwesenden Freundes«, des Grafen Kniephausen, für polizeiliche Zwecke zur Verfügung stelle. Spät zu Bett gegangen, wurde ich um 7 Uhr Morgens durch einen Boten Platen's mit der Bitte, ihn zu besuchen, geweckt. Ich fand ihn sehr erregt darüber, daß eine Abtheilung von etwa 100 Mann im Hofe seiner Wohnung also gerade dort, wo er den Sitz der Gesandtschaft bezeichnet hatte, aufmarschirt war. Griesheim hatte wahrscheinlich den durch meine Mittheilung veranlaßten Befehl irgend einem Beamten ertheilt, der das Mißverständnis angerichtet hatte. Ich ging zu ihm und erwirkte den Befehl an den Führer der Abtheilung, die Kniephausen'sche Wohnung zu besetzen, was denn auch geschah, nachdem es schon Tag geworden, während die Besetzung der übrigen gewählten Häuser in der Nacht heimlich erfolgt war. Vielleicht bewirkte gerade der zufällige Anschein offener Entschlossenheit, daß der Gensdarmenmarkt, als die Minister sich in das Schauspielhaus begaben, ganz leer war.

Als Wrangel an der Spitze der Truppen eingezogen war, verhandelte er mit der Bürgerwehr und bewog sie zum freiwilligen Abzuge. Ich hielt das für einen politischen Fehler; wenn es zum kleinsten Gefecht gekommen wäre, so wäre Berlin nicht durch Capitulation, sondern gewaltsam eingenommen, und wäre dann die politische Stellung der Regierung eine andre gewesen. Daß der König die Nationalversammlung nicht gleich auflöste, sondern auf einige Zeit vertagte und nach Brandenburg verlegte und den Versuch machte, ob sich dort eine Majorität finden würde, mit der ein befriedigender Abschluß zu erreichen war, beweist, daß in der politischen Entwicklung, welche dem Könige vorschweben mochte, die Rolle der Versammlung auch damals noch nicht ausgespielt war. Daß diese Rolle auf dem Gebiete der deutschen Frage gedacht war, dafür sind mir einige Symptome erinnerlich. In Privatgesprächen der maßgebenden Politiker während der Vertagung der Versammlung trat die deutsche Frage mehr in den Vordergrund als vorher, und innerhalb des Ministeriums wurden in dieser Beziehung große Hoffnungen auf den Sachsen von Carlowitz gesetzt, dessen anerkannte Beredsamkeit in deutsch-nationalem Sinne wirken würde. Wie der Graf Brandenburg über die deutsche Sache dachte, darüber habe ich damals von ihm unmittelbare Mittheilungen[49] nicht erhalten. Er gab nur seine Bereitwilligkeit zu erkennen, mit soldatischem Gehorsam zu thun, was der König befehlen würde. Später in Erfurt sprach er sich offener zu mir darüber aus.

1

Gerlach ist zuverlässiger als die Quelle, aus welcher der Graf Vitzth um von Eckstädt geschöpft haben muß, wenn er – »Berlin und Wien« S. 247 – die Randbemerkung so gibt: »Rother Reactionär, riecht nach Blut, später zu gebrauchen.«

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 50.
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