II

[183] Der Fürst von Hohenzollern, der sich überzeugte, daß die Prinzessin, und Schleinitz durch sie, stärker waren als er, zog sich bald nachher von den Geschäften thatsächlich zurück, wenn er auch dem Namen nach bis zum September 1862 Ministerpräsident blieb. Die Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freundlichem Verkehr blieb. Er war von besonders liebenswürdigen Formen und hervorragender politischer Begabung; und nachdem ich zwei Jahre später Ministerpräsident geworden war, leistete er mir einen wohlwollenden Beistand namentlich dadurch, daß er bei dem Kronprinzen die Bedenken und Besorgnisse über die Zukunft unsres Landes bekämpfte, die demselben von England aus gegen mich als Russenfreund beigebracht worden waren und die später zu dem Danziger Pronunciamento führten. Auf seinem Sterbebette ließ er den Kronprinzen zu sich bitten, warnte eindringlich vor den Gefahren, welche die Opposition der Monarchie bereiten könnte, und bat den Prinzen, an mir festzuhalten.

Im Sommer 1861 war es innerhalb des Ministeriums zu einem Kampfe gekommen, der in dem nachstehenden Brief des Kriegsministers von Roon vom 27. Juni geschildert ist:


»Berlin, den 27. Juni 1861


Sie sind wohl im Allgemeinen über die jetzt kritische Huldigungsfrage orientirt. Sie ist zum Brechen scharf zugespitzt. Der König kann nicht nachgeben, ohne sich und die Krone für immer zu ruiniren. Die Mehrzahl der Minister kann es ebenso wenig; sie würden sich die unmoralischen Bäuche aufschlitzen, sich politisch[183] vernichten. Sie können nicht anders als ungehorsam sein und bleiben. Bis jetzt haben ich, der ich eine ganz entgegengesetzte Position zur brennenden Frage eingenommen, und (Edwin) Manteuffel mit Mühe verhindert, daß der König sich beuge. Er würde es thun, wenn ich dazu riethe, aber ich hoffe zu Gott, daß er meine Zunge lähme, bevor sie zustimmt. Aber ich stehe allein, ganz allein; Edwin Manteuffel geht heute auf die Festung. Gestern endlich hat mir der König erlaubt, mich für ihn nach andern Ministern umzusehen. Er ist der trostlosen Ansicht, er fände, außer bei Stahl und Cp., keine Männer, die die Huldigung mit Eidesleistung für zulässig erachten. Ich frage nun, ob Sie die althergebrachte Erbhuldigung für ein Attentat gegen die Verfassung halten? Antworten Sie darauf mit Ja, so habe ich mich getäuscht, wenn ich annahm, daß Sie meiner Ansicht seien. Treten Sie dieser aber bei und meinen Sie, daß es ein doctrinärer Schwindel, eine Folge politischer Engagements und politischer Parteistellung [sei], wenn die lieben Gespielen sich nicht in der Lage zu befinden glauben: so werden Sie auch nicht Anstand nehmen, in den Rath des Königs einzutreten und die Huldigungsfrage in correcter Weise zu lösen. Dann werden Sie auch Mittel finden, die beabsichtigte Urlaubsreise unverzüglich anzutreten und mich ungesäumt durch den Telegraphen zu benachrichtigen. Die Worte: ›Ja, ich komme!‹ reichen aus, besser noch, wenn Sie das Datum Ihrer Ankunft hinzufügen können. Schleinitz geht unter allen Umständen, ganz abgesehen von der Huldigungsfrage. Das steht fest! Aber es ist fraglich, ob Sie sein oder Schwerins Portefeuille zu übernehmen haben werden. S.M. scheint für letzteres mehr als für ersteres disponirt. Doch ist das cura posterior. Es kömmt darauf an, den König zu überzeugen, daß er ohne affichirten Systemwechsel ein Ministerium finden kann, wie er es braucht. Ich habe außerdem ähnliche Fragen an Präsident von Möller und von Selchow gerichtet, bin aber noch ohne Antwort. Es ist eine trostlose Lage! Der König leidet entsetzlich. Die Nächsten aus seiner Familie sind gegen ihn und rathen zu einem faulen Frieden. Gott verhüte, daß er nachgibt. Thäte er es, so steuerten wir mit vollen Segeln in das Schlamm-Meer des parlamentarischen Regiments.

Ich zittere vor Geschäfts-Aufregung, denn die vermehrten Lasten erdrücken mich fast im Verein mit dieser politischen misère, indeß – ein braves Pferd stürzt, aber versagt nicht. – Die Geschäftsnoth entschuldige daher auch die Kürze dieser Zeilen. Daher nur noch das Eine, daß ich die Brücke hinter mir abgebrochen habe,[184] daß ich daher gehe, wenn der König nachgibt, obwohl sich dies eigentlich von selbst versteht.

Dieser Brief soll Ihnen durch den Englischen Courier zugehen, wie Schließen verheißt. Antworten Sie mir sogleich durch den Telegraphen.«


Ich antwortete am 2. Juli:


»Ihr Schreiben durch den Engländer kam erst gestern in Sturm und Regen hier an und störte mich in dem Behagen, mit welchem ich an die ruhige Zeit dachte, die ich in Reinfeld mit Kissinger und demnächst in Stolpmünde zu verbringen beabsichtigte. In den Streit wohlthuender Gefühle für junge Auerhähne einerseits und Wiedersehn von Frau und Kindern andrerseits tönte Ihr Commando: ›an die Pferde‹ mit schrillem Mißklang. Ich bin geistesträge, matt und kleinmüthig geworden, seit mir das Fundament der Gesundheit abhanden gekommen ist. Doch zur Sache. In dem Huldigungsstreit verstehe ich nicht recht, wie er so wichtig hat werden können, für beide Theile. Es ist mir rechtlich garnicht zweifelhaft, daß der König in keinen Widerstreit mit der Verfassung tritt, wenn er die Huldigung in herkömmlicher Form annimmt. Er hat das Recht, sich von jedem einzelnen seiner Unterthanen und von jeder Corporation im Lande huldigen zu lassen, wann und wo es ihm gefällt, und wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches er ausüben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet, es zu verfechten, wenn ich auch an sich nicht von der praktischen Wichtigkeit seiner Ausführung durchdrungen bin. In diesem Sinne telegraphirte ich, daß ich den ›Besitztitel‹, auf dessen Grund ein neues Ministerium sich etabliren soll, für richtig halte, und sehe die Weigerung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn ich hinzufügte, daß ich die ›sonstige Vermögenslage nicht kenne‹, so meinte ich damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen wir das Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm, auf dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird m.E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der Hauptmangel unsrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte unsres Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten: eine natürliche Folge des Dualismus zwischen der constitutionellen Richtung der Minister und der legitimistischen,[185] welche der persönliche Wille Seiner Majestät unsrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich nicht leicht zu der Erbschaft Schwerins entschließen, schon weil ich mein augenblickliches Gesundheits-Capital dazu nicht ausreichend halte. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde ich auch im Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unsrer auswärtigen Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unsrer ›auswärtigen‹ Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern von dem Andrang degagirt werden, dem sie auf die Dauer sonst thatsächlich nicht widerstehen wird, obschon ich an der Zulänglichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Pression der Dämpfe im Innern muß ziemlich hoch gespannt sein, sonst ist es garnicht verständlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Twesten u. dergl. so aufgeregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen, wie die Huldigungsfrage das Cabinet sprengen konnte. Man sollte glauben, daß eine lange und schwere Mißregirung das Volk gegen seine Obrigkeit so erbittert hätte, daß bei jedem Luftzug die Flamme aufschlägt. Politische Unreife hat viel Antheil an diesem Stolpern über Zwirnsfäden; aber seit vierzehn Jahren haben wir der Nation Geschmack an Politik beigebracht, ihr aber den Appetit nicht befriedigt, und sie sucht die Nahrung in den Gossen. Wir sind fast so eitel wie die Franzosen; können wir uns einreden, daß wir auswärts Ansehn haben, so lassen wir uns im Hause viel gefallen; haben wir das Gefühl, daß jeder Würzburger uns hänselt und geringschätzt und daß wir es dulden aus Angst, weil wir hoffen, daß die Reichsarmee uns vor Frankreich schützen wird, so sehen wir innere Schäden an allen Ecken, und jeder Preßbengel, der den Mund gegen die Regierung aufreißt, hat Recht. Von den Fürstenhäusern von Neapel bis Hannover wird uns keins unsre Liebe danken, und wir üben an ihnen recht evangelische Feindesliebe, auf Kosten der Sicherheit des eignen Thrones. Ich bin meinem Fürsten treu bis in die Vendée, aber gegen alle andern fühle ich in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit, den Finger für sie aufzuheben. In dieser Denkungsweise fürchte ich von der unsres allergnädigsten Herrn so weit entfernt zu sein, daß er mich schwerlich zum Rathe seiner Krone geeignet finden wird. Deshalb wird er mich, wenn überhaupt, lieber im Innern verwenden. Das bleibt sich aber m.E. ganz gleich, denn ich verspreche mir von der Gesammtregierung keine gedeihlichen Resultate, wenn unsre auswärtige Haltung nicht kräftiger und unabhängiger von dynastischen Sympathien wird,[186] an denen wir aus Mangel an Selbstvertrauen eine Anlehnung suchen, die sie nicht gewähren können und die wir nicht brauchen. Wegen der Wahlen ist es Schade, daß der Bruch sich gerade so gestaltet; die gut königliche Masse der Wähler wird den Streit über die Huldigung nicht verstehen und die Demokratie ihn entstellen. Es wäre besser gewesen, in der Militärfrage stramm zu halten gegen Kühne, mit der Kammer zu brechen, sie aufzulösen und damit der Nation zu zeigen, wie der König zu den Leuten steht. Wird der König zu solchem Mittel im Winter greifen wollen, wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für diesmal, obschon grade die Huldigungen dem König manches Mittel gewähren, darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflösung nach handgreiflichen Ausschreitungen der Majorität ist ein heilsames Mittel, vielleicht das richtigste, zu dem man gelangen kann, um gesunden Blutumlauf herzustellen.

Ich kann mich schriftlich über eine Situation, die ich nur ungenügend kenne, nicht erschöpfend aussprechen, mag auch Manches nicht zu Papier bringen, was ich sagen möchte. Nachdem der Urlaub heut bewilligt, reise ich Sonnabend zu Wasser und hoffe Dienstag früh in Lübeck zu sein, Abend in Berlin. Früher kann ich nicht, weil der Kaiser mich noch sehn will. Diese Zeilen nimmt der englische Courier wieder mit. Mündlich also Näheres. Bitte mich der Frau Gemahlin herzlich zu empfehlen. In treuer Freundschaft der Ihrige

v. Bismarck.«


Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen gesehen, als ich in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im Bahnhofe allein vorhandenen schwedischen Ystädter Zeitung ersah, daß der König und die Minister Berlin verlassen hatten, die Krisis also beigelegt sein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifest erlassen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung festhalte, aber in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfassung der Monarchie unter der Regierung seines Bruders eingetreten, beschlossen habe, anstatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet sei. Ueber den Verlauf der Krisis schrieb mir Roon am 24. Juli von Brunnen (Kanton Schwyz):


»Ich habe gelobt, Ihnen am ersten Regentage zu antworten, und muß es daher leider schon heute thun und zwar aus einem versiegenden[187] Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt, auf einige Minuten zum Fenster hinaushalten werde, um seiner Armuth aufzuhelfen. – Daß wir uns immer wieder verfehlten, halte ich kaum für providentiell, lieber für sehr fatal. Die Depesche aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienstpersonals, erst am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine sofortige Antwort darauf nach einigen Stunden als unbestellbar zurück. Um so bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreise. Aber ich konnte sie nicht verschieben. Schleinitz im Dienste der Königin Augusta hat uns vor der Hand sehr geschadet. Das Geschwür war reif. Schl. selbst, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems, hat vornehmlich deshalb seinen Abtritt genommen, wie die Ratten ein baufälliges Schiff zu verlassen pflegen. Aber er und v.d. Heydt stimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch den galvanischen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder lebendig machen dürfe, und darum gegen mich Schl., unterstützt von der K.A. und der Großfürstin Helene, haben obgesiegt mit Hülfe der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel schon im Februar bestellt worden waren. Der schlecht maskirte Rückzug wurde nun angetreten und die fast fertige Ministerliste ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben sehr geneigt, daß Schl., wie die K.A. und selbst der Fürst Hohenzollern, an den nahen Untergang des jetzigen Lügensystems glauben und ihn zu befördern geneigt sind. Daß Schl. ausgetreten, ist in jeder Beziehung ein Fortschritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden von Patow, Auerswald und Schwerin steht. Abgesehen von seiner Impotenz im Handeln stützte seine Anwesenheit das Ministerium nach oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er ist nun im Hafen. Wenn Graf Bernstorff nur halb der Mann ist, für den er von Vielen ausgegeben wird, so ist dieser zweite Keil wirksamer als der erste, oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der Huldigungsfrage mit meinen Gespielen für immer auch äußerlich entzweit, wissen Sie wohl durch Manteuffel oder Alvensleben. Wenn ich dennoch in ›dieser Gesellschaft‹ bleibe, so geschieht es, weil der K. darauf besteht und ich, unter den jetzigen Umständen von jeder Rücksicht entbunden, nunmehr mit offenem Visir fortkämpfen kann. Es sagt meiner Natur mehr zu, daß die Herren wissen, ich bin gegen ihre Recepte, als daß sie es, wie bisher, blos glauben. Gott möge weiter helfen! ich kann wenig mehr thun, als ein ehrlicher Mann bleiben und in meinen Ressorts thätig sein und Vernünftiges wirken. – Das größte Unglück in aller[188] dieser misère ist indeß die Mattigkeit und Abgespanntheit unsres Königs. Er ist mehr wie je in der Botmäßigkeit der K. und ihrer Gehülfen. Wird er nicht körperlich wieder frischer, so ist Alles verloren, und wir schwanken weiter in das Joch des Parlamentarismus und der Republik und der Präsidentschaft Patow. Ich sehe keine, keine Rettung, wenn uns Gott der Herr nicht hilft. In dem Proceß der allgemeinen Zersetzung vermag ich nur noch einen widerstandsfähigen Organismus zu erkennen, die Armee. Sie unverfault zu erhalten: das ist die Aufgabe, die ich noch für lösbar erachte, aber freilich nur noch auf einige Zeit. Auch sie wird verpestet werden, wenn sie nicht zu Thaten kömmt, wenn ihr nicht von Oben gesunde Lebensluft zugeführt wird, und das, auch das wird alle Tage schwieriger. Habe ich darin Recht, und ich glaube es, so kann man auch nicht tadeln, daß ich in dieser Gesellschaft weiter diene. Ich will damit nicht sagen, daß ein Andrer mein Amt nicht mit gleicher oder größerer Einsicht und Energie zu verwalten vermöchte, aber auch der Fähigste wird ein Jahr zu seiner Orientierung brauchen und – ›die Todten reiten schnell‹. Wie gern ich mich zurückzöge, brauche ich Niemand zu versichern, der mich genauer kennt. In meiner Natur liegt vielmehr Neigung zur Behaglichkeit, als vor Gott Recht ist, und diese würde ich mit meiner verdienten reichlichen Pension finden, da ich weder verwöhnt bin noch ehrbedürftig. Wie sehr ich zur Faulheit neige, fühle ich jetzt, nachdem ich, wie ein abgetriebenes Arbeitsroß, des Zaumes und Geschirrs ledig, auf die Koppel gelassen bin. Fällt nichts Besonderes vor, so will ich erst in den ersten Septembertagen in mein Joch zurückkehren. Dann, denke ich, verfehlen wir uns nicht wieder. Zwar muß ich schon am 9. September wieder nach dem Rhein zu den Manövern, aber doch nur auf zehn, elf Tage. Ob der König, wie er will (?), auch Anfang September auf einige Tage nach B. gehen wird, scheint eine offene Frage. Mir scheint, es sei unerläßlich, wenn überhaupt noch von königlichem Regiment in Preußen die Rede ist.

Nach Ihrem Schreiben darf ich hoffen, daß Sie nicht vor der Krönung nach Petersburg zurückkehren werden. Ich halte es für einen großen politischen Fehler, daß die Kreuzzeitung das Krönungs-Manifest so schonungslos kritisirt hat.1 Ein nicht geringerer würde es sein, wenn die Anhänger des Blatts bei der Ceremonie fehlten. Das sagen Sie Moritz. Man hat durch jenen unglücklichen Artikel viel Terrain verloren; es muß wiedergewonnen werden.[189]

Zum Schluß noch die besten Wünsche für Ihre verschiedenen Kuren. Möchten Sie recht gestärkt daraus hervorgehen! Die Zeit ist nahe, wo Sie alle Ihre Kräfte gebrauchen werden, zum Heile Ihres Landes. – Ihrer Frau Gemahlin meine, unsre respectvollsten freundlichsten Grüße!

Diesen Brief sende ich über Zimmerhausen und recommandirt; er darf nicht in unrechte Hände fallen!«


Vor Empfang dieses Briefes hatte ich mich nach Coblenz begeben, um mich bei dem Könige zu melden. Er schien von meinem Erscheinen unangenehm überrascht in der Meinung, ich komme wegen der Ministerkrisis. Ich erwähnte, ich hätte gehört, dieselbe sei beigelegt, und sagte, ich sei nur gekommen, um seine persönliche Zustimmung dazu zu erbitten, daß ich meinen Urlaub [bis] nach der im Herbst bevorstehenden Krönung, also über die gegebenen drei Monate hinaus ausdehnen dürfe. Der König sagte das in freundlicher Weise zu und lud mich persönlich zur Tafel.

Nachdem ich den Juli gleichzeitig mit dem Könige in Baden-Baden, den August und September in Stolpmünde und Reinfeld zugebracht hatte, traf ich am 13. October in Königsberg ein, wo am 20. die Krönung vor sich ging.

Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz' zusammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung natïonal-deutscher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehen und begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, welchem der sie führende König, eine Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß der Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympatisch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahrscheinlich[190] in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reaktionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatischer, als ich war. Nicht ohne Einfluß war wohl auch die Erinnerung an meine Kritik der Befähigung des neuen Cabinets, die ich ihm vor meinem Abgange nach Petersburg gegeben hatte.

1

Der König hat seit jenem Artikel die Kreuzzeitung nicht wieder gelesen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 191.
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