Meine Reise nach Nord-Amerika.

[328] Kaum waren seit der Wiener Weltausstellung zwei Jahre ins Land hineingegangen, als in dem Staate Pennsylvanien der United-States der Gedanke auftauchte und sich verwirklichte,[328] zur hundertjährigen Feier ihres Bestehens eine Weltausstellung in der Quäkerstadt Philadelphia ins Leben zu rufen. Auch an den Khedive Ägyptens erging die Einladung, sie in umfangreichster Weise zu beschicken, um neue Lorbeern im Wettkampfe der Weltindustrie einzuernten. Um meine eigene Meinung befragt, bemühte ich mich dem Vizekönig davon abzuraten, Ägypten in diesen Wettkampf eintreten zu lassen, indem ich meine Ansicht dadurch begründete, daß sein Land keine Industrie besitzt, die im stande wäre, an der Konkurrenz der Völker teilzunehmen, daß die früheren Sammlungen aus den Ländern des Sudan als Geschenk an Österreich übergeben worden seien, und daß die Zeit nicht mehr ausreiche, um eine zweite anzulegen, die höchstens als Kuriosität bestehen würde, daß es ferner nicht ratsam sei, auserwählte Denkmäler des Museums die weite Reise nach Amerika antreten zu lassen, und daß schließlich bei der augenblicklichen schwierigen Finanzlage der erforderliche Kostenaufwand zu berücksichtigen sei. Meine Gründe scheiterten an dem Drängen des amerikanischen Generalkonsuls und ich wurde aufs neue mit der Aufgabe betraut, eine ägyptische Ausstellung, wenn auch in kleinerem Maßstabe, zu organisieren. Ein Kredit von zehntausend Pfund Sterling wurde mir bei einem Bankhause in New-York eröffnet.

Die Vorarbeiten und die Zusammenstellung der für die Ausstellung bestimmten Gegenstände nahmen wieder meine ganze Zeit und Thätigkeit in Anspruch. Außerdem trat ein Zwischenfall ein, der drohte, die Ausstellung überhaupt unmöglich zu machen. Als die Kisten bereit standen, um nach Amerika versendet zu werden, präsentierte mir ein Huissier des internationalen Tribunals einen gerichtlichen Befehl, wonach ihm die Versiegelung und Pfändung der Ausstellungskisten aufgetragen worden sei. Im Weigerungsfalle werde nach dem[329] Gesetze militärische Hilfe herbeigezogen werden, um seinem Auftrage Nachdruck zu verleihen. Ich bat um eine Stunde Bedenkzeit, eilte zum Vizekönig, der in hellem Zorn aufbrauste, um so mehr, als das Gericht an seinem Palais denselben Versuch gemacht habe mit Androhung militärischen Beistandes. »Meine eigenen Soldaten«, rief er aus, »sollen gegen mich feindlich vorgehen? Das ist unmöglich! Ein Khedive steht über dem internationalen Tribunal.«

Glücklicherweise fühlte man sich bewogen, in Rücksicht auf die internationalen Interessen einer Ausstellung, mir die Kisten auszuliefern, mit deren Versendung ich keinen Augenblick zögerte. Ich selber nahm meinen Weg nach Göttingen, um von meiner dort befindlichen Familie Abschied zu nehmen und ohne längeren Aufenthalt die Weiterreise auf einem Bremer Dampfer anzutreten. Im Begriff, nach dem nahgelegenen Bahnhofe zu gehen, um den nach Bremen abgehenden Frühzug zu benutzen, erhielt ich auf dem Wege eine Drahtmeldung, die ich sofort öffnete, um ihren Inhalt noch vor der Abreise kennen zu lernen. Sie lautete kurz und bündig: »Der Khedive ersucht Sie, augenblicklich nach Kairo zurückzukehren«. Mit dem nächsten Eilzuge schlug ich die Richtung nach Triest ein, um mit dem fälligen Lloyddampfer mich nach Ägypten zurückzubegeben. Ich hatte seit meiner Abreise keine Zeitung gelesen und mußte nicht wenig überrascht sein, als mir von dem Kommandanten des Schiffes die Nachricht mitgeteilt wurde, daß auf dem letzten Bremer Dampfer, demselben, mit welchem ich die Reise antreten wollte, eine von einem Amerikaner Namens Thomas konstruierte Höllenmaschine vorzeitig explodiert sei und mehrere Reisende und sonstige Personen getötet und verwundet habe. Ich dankte Gott im stillen, einer möglichen Gefahr für Leib und Leben durch meine Rückberufung entgangen zu sein, und stellte mich bei meiner Ankunft in Kairo[330] sofort dem Vizekönig vor. In der Meinung, von ihm nachträglich besondere Aufträge zu erhalten, die er mir nur mündlich mitteilen könne, war ich nicht wenig erstaunt, aus seinem Munde die Versicherung zu erhalten, er sei hoch erfreut, mich heil und gesund zu sehen, habe mir aber durchaus nichts zu sagen. Er habe sich bewogen gefühlt mich sofort durch den Draht zurückzurufen, da in der Nacht ein Traumbild ihm angeraten habe, mich sofort kommen zu lassen, widrigenfalls mir ein großes Unglück bevorstände.

Mit dem nächsten Dampfer trat ich meine Rückreise nach Europa an, erreichte von neuem Göttingen und zog es vor diesmal nicht über Bremen, sondern über Liverpool auf einem Schiffe der Cunard-Line meinen Weg auf dem Atlantischen Ozean nach dem Westen zu nehmen.

Es war eine Seereise, an die ich mein Lebtag denken werde. Die Wellen wälzten sich haushoch über das starke Schiff, dem ein straffer Westwind auf der ganzen zwölftägigen Fahrt die ruhige Fortbewegung erschwerte. Niemand war im stande seine Kabine zu verlassen, ohne sich an ausgespannten Stricken festzuhalten. Schon am zweiten Tage hatten die Wasserberge die Küche vom Decke weggespült, so daß unsere Nahrung während der ganzen Überfahrtszeit nur aus Brot und gebratenen Fischen bestand. Gegen Ende des Monats Dezember 1875 zogen wir endlich in den Hafen von New-York ein und wenige Stunden später erreichte ich mein Reiseziel, die Stadt Philadelphia.

Die Ausstellungsarbeiten nahmen sofort ihren Anfang. Ich entwarf mit Hilfe meines Bruders, der mir als Kommissar beigegeben war, die erforderlichen Pläne und unterzeichnete Kontrakte, um mir die pünktliche Lieferung der Arbeiten zu sichern, gleichzeitig mit der Verpflichtung, sie am Tage der Ablieferung zu zahlen.[331]

Wer beschreibt meinen Schrecken, als ich bei einer Reise nach New York von dem Bankier, an den mein Wechsel gerichtet war, an Stelle der zu erhebenden Geldsumme ein Telegramm vorgelegt erhielt mit den verhängnisvollen kurzen französischen Worten: »Crédit suspendu«. Ich kehrte in einer unbeschreiblich trüben Stimmung nach Philadelphia zurück, ließ den teuren Draht nach dem fernen Kairo spielen, sandte Briefe auf Briefe an die ägyptische Regierung, ohne auch nur eine einzige Zeile als Rückantwort zu erhalten. Ich war Verpflichtungen eingegangen, sah mich von fünf Beamten umgeben, für die ich zu sorgen hatte, war zum Schlusse genötigt, auf Wechsel größere Geldsummen zu erheben und nach siebenmonatlichem Aufenthalte Philadelphia wieder zu verlassen, um von New-York aus über Bremen nach Ägypten zu eilen und meinen Klageruf an Ort und Stelle persönlich laut werden zu lassen.

Die Reise war von dem schönsten Wetter begünstigt, so daß ich nach einer fünfzehntägigen Wanderung gegen Ende des Monats September wohlbehalten in Kairo eintraf. Es war natürlich, daß meine unvermutete Ankunft dem Finanzminister keine besondere Freude bereitete, denn er hatte Wechsel zu zahlen und mir gegenüber alle Verpflichtungen zu erfüllen, die ihm die Regierung vor meiner Abreise auferlegt hatte. Ich verstand es wohl, daß der Herr Mufettisch und Wesir der Finanzen mir jede Audienz verweigerte, und ich begriff die Verlegenheit des Khedive, wenn ich klagte und meine eigene Not zu schildern nicht müde wurde. Die Verfallzeit drohte demnächst abzulaufen, so daß mir nichts weiter übrig blieb, als die Hilfe und Vermittlung des Vertreters Deutschlands anzurufen, um meine gerechten Forderungen anerkennen und die Schuldfrage aus der Welt schaffen zu lassen.[332]

Quelle:
Brugsch, Heinrich Ferdinand Karl: Mein Leben und mein Wandern. Zweite Auflage, Berlin 1894, S. 328-333.
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