Vierter Abschnitt. Die Erkundung der Zukunft

»Wo wäre eine Nation, wo eine Bürgerschaft, welche sich nicht bestimmen ließe durch Voraussagungen, die von Eingeweideschauern, Ausdeutern von Mißgeburten und Blitzstrahlen, Auguren, Sterndeutern, Losen, Träumen und Wahrsagern ausgehen?«

So ruft Cicero1, und im Namen des Altertums mit vollem Recht. Die unermeßliche Menge von Vorzeichen und Weissagungen jeder Art, von welchen die alten Schriftsteller bei jedem Anlaß und meist im vollen Ton des Glaubens berichten, sind von jeher allen Lesern aufgefallen. Die Kunde von diesen Dingen erscheint schon auf den ersten Blick als unentbehrlich für die Erkenntnis der griechischen und römischen Religion, und die Betrachtung2 hat sie gerne zusammengefaßt unter dem Gesamtnamen »Offenbarungen«. Wir glauben indes einen Titel vorziehen zu müssen, welcher gestattet, den Gegenstand auch abgelöst von der Religion zu betrachten, weil er mit derselben nur teilweise zusammenhängt.

Die Zukunft durch allerlei Tun zu bewirken und herbeizuführen hat man in allen Zeiten und bei allen Völkern gewünscht und versucht. Außerdem will unsere jetzige Zeit die Zukunft womöglich voraus berechnen, so sehr auch Ungeduld und leidenschaftliches Wünschen sie dabei stören mögen. Ob diejenige Quote Wahnes, von welcher sie dabei geführt wird, wesentlich geringer ist als in den Zeiten des sogenannten Aberglaubens, wird schwer zu sagen sein. Das Altertum dagegen, wie die meisten Heidentümer überhaupt, glaubte das Künftige auf wunderbare Weise erfahren zu können3. Wo das neuere Weltalter auf denselben Pfaden ging, war dies entweder ein Rest des keltisch-germanischen Heidentums, oder eine Einwirkung des antiken Aberglaubens, wie hie und da zur Zeit der Renaissance. Wenn nicht die Kirche des Mittelalters mit[255] allen Kräften diese Dinge bekämpft hätte, so würde noch sehr vieles davon lebendig vorhanden sein. Nun aber dürfen wir im ganzen wohl sagen: es sei einer der stärksten Unterschiede, welche zwischen uns und der alten Welt obwalten, daß diese die Zukunft wunderbar zu erkunden hoffte oder glaubte und wir nicht. An der Tatsache des Zeichens, der Ahnung zweifelte damals niemand, und sobald wir die Griechen deshalb zur Rede stellen wollten, so würden sie uns antworten: wenn ihr unsere Augen hättet, so würdet ihr sehen, daß sich uns die Zukunft durch Vorzeichen aller Art aufdrängt. Täglich aber ließ man sich dieselben auch gefallen, nur um bei den gewöhnlichsten Handlungen sich das Nachdenken und den Entschluß zu ersparen. Von dieser ganzen Denkweise ist die unsrige durch eine tiefe Kluft geschieden.

Hört man bloß auf das Epos, so stammt allerdings, was die Heroen Wunderbares erfahren, von den Göttern, welche sich ja selber – verwandelt oder in voller göttlicher Erscheinung – mitten unter ihnen bewegen; auch die Vorzeichen und Ahnungen, welche sich einstellen, sind hier von den Göttern gesendet, und Homer kennt keine Zufallsorakel. Die Folgezeit sodann, als sie sich systematisch auf Vorzeichen und Weissagung zu besinnen anfing, hat oft einen Zusammenhang mit dem Göttlichen, eine Theopneustie angenommen und in zahlreichen Wendungen mehr oder weniger deutlich davon geredet. Neben und über den Göttern aber stand das Schicksal4, dessen Herrschaft eine der allerältesten Überzeugungen des Griechenvolkes gewesen sein muß. Wenn es auch häufig die Götter sind, welche den Menschen die Zukunft irgendwie wissen lassen, so ist also noch gar nicht gesagt, daß sie über dieselbe verfügen. Inkonsequenter Weise hat man freilich immer zu den Göttern gebetet, sogar um Wohlergehen aller Art und um Rettung aus Gefahren, überhaupt um Sendung günstiger Schicksale. Der echt griechischen Grundansicht aber, welche sich immer wieder laut machte, entsprach ein Glaube, welcher höchstens einen guten Willen der Götter, das Künftige zu melden, voraussetzte und dasselbe auch ohne sie auf mancherlei Weise erkunden konnte. Die Vorzeichen können von Göttern gesandt sein, und das betreffende Ereignis wird hie und da, wie gesagt, sogar als Götterwille betrachtet werden – ebensogut aber kann das Zeichen nur der götterlosen Notwendigkeit entsprechen. Bei den Orakeln wird es sich deutlich zeigen, daß man nicht gewiß war, ob man den Willen des betreffenden Gottes oder den des Schicksals erfuhr. Die Zukunft, mag sie als einzelnes Ereignis oder als größerer Zusammenhang von Schicksalen aufgefaßt werden, liegt gleichsam unter einer leichten Hülle, welche ein fähiges Menschenauge hie und da durchdringen und die Hand eines höher Begabten vollends[256] wegziehen kann. Eine ausgedehnte Mantik entspricht recht wohl einem starken Fatalismus; wenn das Altertum an ein bestimmtes Schicksal glaubte, so lag das Erkundenwollen desselben gar nicht so ferne; waren hierbei Götter gerne behilflich, so fragte man sie, sonst aber hatte man noch zahlreiche andere Wege. Der heimliche, ja unbewußte Vorbehalt, daß man sich auf das Erkundete einrichten, d.h. das Schicksal unter Umständen umgehen könne, versteht sich bei Sterblichen von selbst. Auch wird öfter statt eines Ereignisses geradezu eine Anweisung zum Tun oder Lassen geoffenbart; eins aber ist niemals von der Mantik weder erfragt noch gegeben worden, nämlich Auskunft über irgendeine allgemeine (religiöse oder sittliche) Wahrheit.

Soweit die Erkundung der Zukunft durch Menschen geschieht, sei es daß solche unmittelbar weissagen, oder daß sie den übrigen die vorgekommenen (ja hervorgerufenen) Zeichen deuten, wird sie in der Folge unter diesem Namen Mantik zusammengefaßt5. Den einzelnen Mantis in besonderm Sinne des Wortes werden wir bald kennenlernen; vorläufig ist nur festzustellen, daß die (jetzt unbezweifelte) Etymologie des Wortes von μαίνεσϑαι, Außersichsein, noch keinerlei Beziehung auf Götter oder göttliche Sendung in sich enthält6. Die Alten fanden etwa, die Mantik sei das Gegenteil des Gedächtnisses7, womit vielleicht nicht mehr gemeint ist, als daß jene sich auf Künftiges, dieses auf Vergangenes beziehe. Das Höchste vielleicht, was vom mantischen Seelenzustand ausgesagt wird, ist, daß er wach werde in der Nähe des Todes; in dem Augenblick, da die Täuschungen des Erdenlebens wertlos werden, kommt die der Seele von Natur eigene Seherkraft zu ihrem Rechte. Dem Dulder auf Kolonos bezeugt es Theseus8: »Vieles schon weissagtest du, was ohne Lug war« – und jetzt braucht der Blinde auch keinen Führer mehr und wird selber die übrigen an die furchtbare Stelle geleiten, wo seiner das Ende wartet. Aber eine Masse von Zukunft wird dem Menschen auch ohne mantische Vermittelung unmittelbar kund.

Der wichtigste Anlaß, zunächst von den Göttern den Ausgang irgend einer Sache zu erfahren9, waren diejenigen Bittopfer, bei welchen Tiere geschlachtet wurden, und hier war die Anwesenheit eines Zeichendeuters[257] wenigstens erwünscht, wenn auch nicht notwendig. Alle Opfer sind im Grunde ominös, dieses aber in vorzüglichem Grade, weil aus der normalen Beschaffenheit der Eingeweide, besonders der Leber des Tieres, einstweilen geschlossen wurde, daß das Opfer der Gottheit mindestens genehm sei, und hieran schloß sich jener geheime Gedanke an Erhörung. Die ungesprochene Voraussetzung ist, daß die Gottheit je nach ihrem Willen dem Opfernden ein innerlich normales oder anormales Tier in die Hände gespielt habe10. Vorbedeutungsvoll war auch das Verhalten des Opfertieres, ja der bereits auf dem Altar brennenden Teile desselben11, sowie die Art der Flamme, an welche sich sogar ein besonderer Zweig der Weissagung (die Empyromantie) anschloß. Mag nun die italische Eingeweideschau die griechische an ängstlicher Umständlichkeit noch um vieles überboten haben, so wurde doch auch die letztere sehr ernst genommen, wovon weiterhin bei Anlaß des Mantis die Rede sein wird.

Sodann gewähren im Epos, wie gesagt, die Götter hie und da den Menschen Vorzeichen auf deren Bitten hin. Priamos erbittet sich12 von Zeus als Zeichen eines günstigen Ausganges bei seiner Fahrt nach dem Lager des Achilleus die Sendung des Adlers; Odysseus, bevor er sich im Wettschießen mit den Freiern offenbaren wird, erfleht ebenfalls von Zeus13 ein Wunder (τέρας) und eine vorbedeutende Rede; das erstere erfolgt in Gestalt eines Donners, die letztere im zufällig belauschten Worte einer Mühlsklavin. Die großen Himmelserscheinungen aller Art, Donner, Blitz, Sonnenfinsternisse usw. galten immer dann als gottgesandt und vorbedeutungsvoll, wenn die Gemüter gespannt und aufgeregt waren14; aber auch im gewöhnlichen Leben scheint der Grieche nie ganz gleichgültig dabei gewesen zu sein, wenn er gleich weit davon entfernt blieb, einer umständlichen Blitzlehre anheimzufallen wie die Etrusker. Die Erscheinung und die Flugweise der Vögel, zumal der hochschwebenden Raubvögel, welche bei verschiedenen Völkern als Zeichen von etwas Künftigem galt, kann von göttlicher Sendung sein, wenn dies ausdrücklich gesagt wird, sonst aber ist die Schicksalsbedeutung hier von zu[258] altem und universalem Ursprung, als daß wir sicher sagen könnten, wie weit ein Götterwille mitwirkt15. Die Vogelschau ist die Zukunftserkundung auch wandernder Völker, die kein festes Heiligtum und keine geweihte Örtlichkeit haben; sie war vielleicht schon eine Fähigkeit des Jägers und des Hirten in sehr frühen Zeiten der Menschheit, und ihr Anfang liegt jedenfalls jenseits aller bekannten Religionen. Wie uralt sie bei den Griechen war, geht schon sprachlich daraus hervor, daß »Vogel« hat zum Namen für alle Vorzeichen überhaupt werden können »bis zum Niesen«, wie Aristophanes16 sagt, welcher ja in seinen »Vögeln« die ganze Mantik dieser Tiere auf das vergnüglichste verwertet. Bei den Italiern ist die Vogelschau, wie die Eingeweideschau, noch beträchtlich systematischer; allein auch bei den Griechen hatte sie eine große Ausdehnung und drückte auf die Entschlüsse, so daß einmal Hektor die Bande dieses Aberglaubens zerreißen muß mit dem herrlichen Ausruf: »Ein Vogelzeichen ist das rechte: die Heimat zu erretten«17. Oft ist der Vogelflug nur ein vorläufiger Wink, daß ein Schicksal im Anzuge sei – welches, wird man dann in einem Orakelheiligtum erfahren müssen18.

In betreff jener größern Raubvögel ist zu erwägen, daß sie vor Erfindung des Feuergeschosses kaum je zu erlegen oder sonst zu bemeistern waren und damit ein Privilegium der Erhabenheit genossen. Außerdem aber galten die Vögel insgesamt für klug und ihre Stimmen für Sprachen, durch welche sie sich mitteilen könnten19; auch gestattete ihnen ja ihr Schweben und Fliegen, unendlich vieles zu sehen und zu wissen. Bei der Ahnungsfähigkeit, die man ihnen zutraut, braucht durchaus nicht an höhere Eingebung gedacht zu werden; Euelpides und Peisthetairos lassen sich am Anfang der aristophanischen Komödie von der mitgetragenen Dohle und der Krähe, welche sie eben beim Vogelhändler gekauft, den Weg weisen, ohne sie deshalb mit der mindesten Achtung zu behandeln.

Im Verlauf der Zeit ist die Begegnung bestimmter Vogelgattungen eines der alltäglichsten Vorzeichen, wobei kaum jemand an eine göttliche Sendung dachte20. Allein auf solchen Vögeln, welche zu der[259] Begleitung bestimmter Gottheiten (auch als deren Ergötzung, ἀϑύρματα) gehörten, wird wohl ein Abglanz der Göttlichkeit geruht haben und die Raben Apollons schufen, wie es scheint, für alle Raben überhaupt ein höheres Vorurteil21. Die Eule, wo man sie irgend sah22, galt als das geweihte Tier der Athene, und Agathokles bei seiner überkühnen Fahrt nach Libyen führte heimlich einen Schwarm von Eulen mit23 für den Fall einer völligen Mutlosigkeit der Mannschaft; als die Tiere losgelassen wurden, durch die Phalanx flogen und sich auf Schilde und Helme der Soldaten setzten, wurden diese alle voll Mutes, indem ihnen die Göttin damit den Sieg weissage. Bei Tempeltieren war das Verhalten ominös, weil sie (dachte man) ein Mitwissen von dem Willen oder Vorauswissen der betreffenden Gottheit haben konnten; wenn man beim Apollotempel von Myra in Lykien die Fische fütterte, und dieselben tüchtig einbissen, wurde auf die Gnade des Gottes geschlossen, wenn sie dagegen das Essen verschmähten, auf seinen Zorn24. Auch was sonst in irgendeinem Bezug zu einem Tempel gehörte, wenn es vorbedeutungsvoll war, konnte dies doch nur sein durch die Nähe der Gottheit. So sind z.B. manche Quellen bei Heiligtümern wahre Orakel gewesen. Wer in diejenige des Apollon Thyrxeus im lykischen Kyaneä hineinschaute, konnte[260] sehen, »was er wollte«, d.h. irgendein künftiges Ereignis, um welches ihm besonders zu tun war. Vor dem Demetertempel zu Paträ stieg man eine Treppe nieder zu einer Quelle, welche nur von Kranken besucht wurde; sie hätten können unmittelbar in das Wasser schauen und sich dort lebend oder tot sehen, wie Marko, der Serbe, als er auf dem Gebirge in den Brunnen zwischen den Tannen blickte:


»Sah im Wasser spiegeln sich sein Antlitz,

Und er sahe, wann er sterben werde.«


Allein, offenbar zur Milderung des Grauens, senkte der Kranke zu Paträ einen Spiegel an einer Schnur bis an den Rand des Wassers, betete, opferte Rauchwerk und schaute endlich nur im Spiegel das eigene Bild als eines noch Lebenden oder Toten25. Eine sehr mächtige Götternähe, tröstlich oder furchtbar je nach dem guten oder schlechten Gewissen, haftete an dem Heiligtum der Paliken in Sizilien26: in einem mit Hallen und Wohnungen umgebenen heiligen Bezirk sprudelten zwei hohe Strahlen heißen Schwefelwassers, jeder von einem Becken umfaßt, ein Naturwunder, welches als eine unmittelbare göttliche Kraft, als Erscheinung göttlicher Zwillingsbrüder muß gegolten haben. Reinigungseide wurden auf Täflein geschrieben und in eines der Becken geworfen; sank die Schrift unter, so war der Eid ein Meineid, und es hieß, der Schuldige werde dann verbrannt oder in einem der Becken ertränkt; entwichene Sklaven, für welche jene Wohnungen ein Asyl waren, empfingen hier von ihren Herrn das eidliche Versprechen besserer Behandlung, und dieses soll dann nie gebrochen worden sein; bei Hungersnot gaben die Paliken Orakel (sie befahlen z.B. einen Heroenkult) und erhielten dann bei wiedergekehrtem Überfluß reiche Opfer. Eine ganz ernste Anfrage war in Sizilien auch die an den Krater des Ätna: schlang er die (meist kostbaren) Gaben herunter, so war das Zeichen ein gutes, wo nicht, ein unglückliches27.

In hohem Grade vorbedeutungsvoll waren bis spät in die römische Zeit die Veränderungen, welche vor großen Ereignissen mit den Bildern, Geräten und Weihgeschenken in und an den nahen Tempeln vor sich gingen: das Aufgehen der Pforten, das Schwitzen der Götterbilder, die Spinneweben an denselben, das Verschwinden der in die Heiligtümer geweihten Waffen usw. Offenbar liegt die Voraussetzung zugrunde, daß die Gottheit selbst die Veränderung bewirkt habe, um den Menschen etwas Wichtiges anzukündigen, und dieser Glaube war im Volke so stark verbreitet, daß verwegene Anführer in entscheidenden Augenblicken solche[261] Wunder künstlich bewerkstelligten oder erdichteten, wie z.B. Epaminondas vor der Schlacht bei Leuktra28. In kritischen Stunden konnte überhaupt einer Mannschaft schon das ganz Zufällige leicht zum Vorzeichen werden, und der Anführer mußte, womöglich, nur die nötige Fassung behaupten, alles zugunsten des Heeres zu deuten29. Überhaupt ist man bei allem Aberglauben dieser Art stündlich in den Händen der Masse und ihres Wahnes und muß damit rechnen. Das bloße Niesen z.B. war von alters her ominös, und recht hübsch beniest schon Telemachos draußen einen ahnungsvollen Wunsch, welchen drinnen im Gemach seine Mutter ausspricht30; als aber in dem hochgebildeten IV. Jahrhundert Timotheus mit der ganzen attischen Flotte ausfahren sollte31, brachte ein bloßes Niesen alles in Stillstand, der Steuermann wollte anhalten, und die Matrosen weigerten sich einzusteigen, bis Timotheos lachend sagte: was für ein Vorzeichen soll das sein, wenn von einer solchen Menge einer hat niesen müssen? und darauf lachten doch auch die Leute und man konnte abfahren. – Besonders bedenklich aber waren und blieben, nicht bloß bei einem großen Vorhaben vieler und nicht bloß bei Opfern, sondern im täglichen Leben eines jeden, unvorsichtig gesprochene Worte, welche eine schlimme Vorbedeutung enthalten konnten, denn gerade aus dem unabsichtlich Gesagten tönte vielleicht ein böses Künftiges hervor32: »Außer den Übeln, welche uns ohnehin verfolgen, schaffen wir uns noch künstliche: wir sehen trübe drein, wenn einer niest; sagt einer etwas Unglückliches, so werden wir aufgebracht; hat jemand einen Traum, so befällt uns Furcht; schreit eine Eule, dann entsetzen wir uns« – so scherzt das heitere Gemüt Menanders33, aber er wird damit seine Athener nicht haben ändern können. Es war das beste, wenn man diesen Dingen im Bewußtsein einen besondern Winkel überließ, sowie die Stadt einen Ort hatte, welcher ausdrücklich unheimlich und von schlimmer Vorbedeutung war. »Die Städte haben«, sagt Plutarch, »gewisse verrufene und[262] düstere Pforten, durch welche man die zur Hinrichtung Bestimmten hinausführt und Schandmenschen und Verbrecher hinausjagt, Heiliges und Geweihtes aber geht da weder aus noch ein«34.


Bisher war nur von Vorzeichen die Rede, welche ungefragt oder nur im allgemeinen um ein Ja oder Nein befragt oder erbeten sich kundgaben; bisweilen stellten sie ein bestimmtes (ersehntes oder gefürchtetes) Ereignis in Aussicht, oft aber bezeichneten sie nur dunkel die Zeit und den Augenblick als irgendwie entscheidungsvoll. Näheres und einzelnes dagegen mußte erkundet werden durch Erfragung, sei es, daß man selber die betreffende Kunst lernte, oder daß man einen Wahrsager und Zeichendeuter zu Hilfe nahm. Von diesem »Mantis« und seiner Stellung im Mythus und der Poesie wird weiterhin die Rede sein und ebenso von seiner besondern Aufgabe in der geschichtlichen Zeit; allmählich aber war daneben auch eine dem gewöhnlichsten Wahn entsprechende Menschengattung entstanden, welche das natürliche Interesse hatte, den Zeichenglauben unter den Menschen nach Kräften aufrecht zu halten. Diese Art von Wissen ist es, welche später eine so umständliche literarische Aufzeichnung gefunden hat35. Da hört man von einer Zukunftsermittlung ausgelegten Losen, aus Stäbchen und Steinen, aus einem Sieb oder einem Becken, aus den Linien der Hand, aus den Zügen der Gesichter, aus dem Verhalten von dressierten Hähnen, aus der Feuerflamme usw., wozu eine Menge von gesprochenen Formeln, geschriebenen Worten, Knoten, Zahlen, Amuletten und Talismanen gehörten; ein endlos wogendes Meer von Vorgängen, wovon eine Menge Leute lebten, zum Teil dieselben, welche auch Traumdeuter, Kurpfuscher und Beschwörer waren. Denn an das Weissagen knüpfte sich unvermeidlich bei frevelhafternA1 Menschen das vermeintliche Bewirken der Zukunft durch bösen Zauber, die operative Magie, und wäre es auch nichts gewesen als eine kräftige Verwünschungsformel gegen die Gesundheit und das Ackerfeld eines verhaßten Nachbars. Solche herumziehende oder seßhafte Goeten und Agyrten, zu welchen man außerdem die historisch sichern thessalischen Zauberinnen rechnen mag, besaßen neben ihren Sprüchen und Zeremonien auch noch täuschende Wunderstückchen zur Betörung der Augen; ihr Bild mag man sich ergänzen nach Maßgabe derjenigen Zauberer und Gaukler, welche noch heute bei Völkern anderer Rassen tätig sind gegen die Dämonen aller Art, welche das tägliche Leben umziehen. Inwieweit einzelne Goeten die Götter in ihr Spiel mischten und sich ein priesterliches[263] Ansehen gaben, erscheint ziemlich gleichgültig; wichtig für die Beurteilung des griechischen Lebens ist nur die allgemeine Tatsache, daß dieses so hoch begabte Volk täglich und stündlich, auch beim gewöhnlichsten Beginnen den Entscheid von Vorzeichen und deren Deutung erwartete. Praktisch gab es damit viel weniger den Göttern als dem Fatum die Ehre, dessen Stimme aus dem Verhalten jener Stäbchen, Steine, Becken, Hähne usw. vernehmbar wurde.

Andere aber befragten irgendwie die Gottheit. Von den eigentlichen Orakeln sprechen wir später; zunächst mag es sich nur um die flüchtige Anfrage wegen eines Falles im täglichen Leben handeln. In den »Wolken« des Aristophanes36 neigt Strepsiades das Ohr an die Herme vor seinem Hause, flüstert dem Gott seine Frage zu und glaubt die Antwort zu vernehmen, er möge diesmal keinen Prozeß erheben. Auf der Agora zu Pharä in Achaja37 stand eine solche Herme mit einem steinernen Herd und ehernen Leuchtern; man kam abends, zündete diese an, opferte Weihrauch, legte eine Münze hin, fragte den Gott ins Ohr und ging dann mit verhaltenen Ohren von dannen; erst außerhalb der Agora nahm man die Hände von den Ohren, und das nächste Wort, welches man dann zufällig zu hören bekam, war Weissagung (μάντευμα). Ähnliches mag später auch in Italien vorgekommen sein; in Ravenna wußte man noch im Mittelalter38, daß einst auf der Piazza ein Merkur gestanden habe, marmorn, mit Kopf und Füßen von Gold, welcher »zu den Leuten redete, populo loquebatur«. Bei magischen Begehungen aller Art wurde übrigens Hermes insbesondere angerufen als carminum vector39; der Götterbote wird dafür in Anspruch genommen, die Formeln höhern Orts zu übermachen. Sonst gehört ihm entschieden eher die niedere Mantik, wie Apollo die höhere40.

Zur niedern gehört u.a. die Ermittlung der Zukunft aus Lossteinchen (κλῆροι, ψῆφοι) und Würfeln. Alles Loswerfen und Losziehen ist eine altbekannteA2 Praxis des täglichen griechischen Lebens, welche sich gewiß meist ohne einen Gedanken an die Götter als bloßer Entscheid für das Handeln oder als bloße Erkundung des Schicksals vollzog, und auch die Würfel dienten gewiß von jeher nicht bloß dem Spielgewinn; außer diesen[264] Steinchen, Astragalen, Würfeln, Stäbchen usw. aber pflegte das Altertum noch mit andern Gegenständen einen Entscheid oder Bescheid hervorzurufen, in der römischen Zeit sogar mit dem Aufschlagen des Virgil. Soweit aber jene Befragung von Losen und Würfeln in Tempeln vor sich geht, ist sie wohl in der Form etwas scheinbar Zufälliges, tatsächlich jedoch eine Befragung der Gottheit oder wenigstens eine Sache des göttlichen Schutzes. Geworfen, gelegt, gedeutet wurden die Lose (welche hier heilige Lose, ἱεροὶ κλῆροι heißen) auf die verschiedenste Weise, auch mit Hilfe von Erläuterungstafeln; bisweilen mögen sie alle von derselben Gattung gewesen sein, so daß es auf ihre Zahl und Sprungart ankam, sonst aber war jedes besonders bezeichnet, auch wohl mit aufgemalten Figuren41; die sortes in dem berühmten Fortunatempel von Präneste waren von Eichenholz und trugen alte Buchstaben42. Im Tempel von Delphi befand sich »oberhalb« des heiligen Dreifußes eine Schale mit Losen, und wenn Apollon (d.h. die Pythia) die Weissagung aussprach, hüpften und sprangen zugleich diese Steine43, wie in unfreiwilligem Mitgefühl des Augenblickes. Wie ein größeres und allgemeineres Schicksal diesen Organen des Einzelfatums einstweilen ein Ende machen könne, scheint symbolisiert zu sein in einem Ereignis unmittelbar vor der Schlacht von Leuktra: in Dodona war ein Gefäß mit solchen Losen, und dieses schüttete damals ein Affe des Molosserkönigs um und warf alles durcheinander44. Wenn nun aber auch die in Tempeln vorhandenen und befragten Lose und Würfel eine höhere Weihe hatten als andere, und wenn man sogar voraussetzte, daß die Gottheit dieselben lenke, so war damit nicht gesagt, daß sie auch die betreffenden Schicksale bestimme, sondern nur, daß sie dieselben offenbare.


Die umfangreiche und vielbehandelte Frage über die Traumweissagung der Griechen kann hier nur in kurzen Andeutungen berührt werden; ihr größtes Interesse würde sie ohnehin nur gewinnen, wenn sie im Zusammenhang mit dem Traumwesen aller Völker besprochen werden könnte. Nach der großen Zahl und dem Ernst der Berichte bedeutungsvoller Träume von der mythischen bis auf die späteste Zeit zu urteilen, muß der Traum bei den Griechen ein ganz besonderes Gewicht gehabt haben, und die starke theoretische Beschäftigung mit demselben würde dies noch außerdem beweisen. Alle möglichen Entschlüsse erfolgen auf gehabte Träume hin, ohne daß in der Regel gesagt würde, dieselben seien gottgesandt gewesen. Wie in der Erkundung der Zukunft überhaupt, so[265] sind namentlich hier Altertum und moderne Zeit völlig verschiedene Welten, indem ja heute selbst im ärmsten Volke der Traumglaube (etwa den an Lotterienummern ausgenommen) nahezu erloschen ist. Zur Pflege des Traumwesens gehört, scheint es, eine gewisse Muße, welche in dem eiligen Leben der heutigen Zeit weder Groß noch Klein gegönnt wird, auch hat die Wissenschaft das Physiologische daran zu deutlich bloßgelegt. Wem aber noch von Zeit zu Zeit ein Wink darüber zuteil wird, daß Traum, Ahnung und Fernsehen einander nicht immer fremd sind, der wird vielleicht für klug finden, kein Aufhebens davon zu machen.

In betreff der Griechen gilt vorweg auch hier der Satz, daß selbst die Gottheit, wenn sie vorbedeutende Träume sendet, die Schicksale nur zu wissen und nicht zu bestimmen braucht, denn diese gehören vielleicht nur dem allgemeinen Strom der bloßen Notwendigkeit an45. Doch gibt es außer den weissagenden Träumen auch solche, die in die Warnung übergehen und den Menschen befähigen sollen, Kommendes abzuwenden46, und hier tritt allerdings die Gottheit mittelbar als schicksalsbestimmend auf. Für gesendet nämlich gilt der deutungswürdige Traum ganz im allgemeinen und hat daher immer etwas von einer höhern Offenbarung, nur sind es nicht bloß Götter, sondern auch Mittelwesen wie Heroen und Dämonen, welche im Schlaf das menschliche Bewußtsein mit Bildern heimsuchen. Für bloß dämonisch hielt Aristoteles die Träume: »wenn ein Gott sie sendete, so kämen sie auch bei Tage, und den Weisen« – nämlich nicht den ersten besten. Natürlich blieb alle Spekulation der Philosophenschulen über die Fähigkeit der »im Schlafe frei gewordenen Seele« ohne allen Einfluß auf die enorme tatsächlichste Traumpraxis.

Von allem Anfang an ist der Mythus reich an Traumsagen und der epische Gesang bemächtigte sich ihrer in der ergreifendsten Weise. Bei Homer47 kommt der Traum überhaupt von Zeus; im Hymnus48 ist dann Hermes der »Führer der Träume«, der »Nachtspäher«. Die Träume werden Persönlichkeiten und haben ihren besondern Ausflug aus dem hörnernen und dem elfenbeinernen Tor49; erst spät tritt dann ein allgemeiner Traumgott, Morpheus auf, nachdem es einen Schlafgott schon bei Homer gegeben50. Der Traumdeuter kommt schon in der Ilias (I, 63) vor in derselben Reihe mit dem Mantis und mit dem Opferer, und er könnte einer der ältesten Berater der Mächtigen sowohl als der Leute vom Volk[266] gewesen sein51. Die historische Zeit ist dann dauernd so traumsüchtig wie die mythische und heroische, und bis in das späteste Heidentum bleibt die Traumdeutung, neben so zahlreichen andern Weisen die Zukunft zu erkunden, vielleicht die allerhäufigste.

Zunächst befehlen die Götter dem Menschen eine Menge von Sachen im Traum, u.a. bestimmte heilige Dienste und den Besuch ihrer Tempel52, und wenn z.B. dem Pausanias so oft das Geheimhalten von Mysterien in Träumen vorgeschrieben wird, so ist wohl die Erscheinung der betreffenden Gottheit vorauszusetzen. Überhaupt erscheinen die Götter häufig53, und die spätere Traumdeuterkunst besaß eine umständliche Lehre über den sehr verschiedenen Wert solcher Träume, je nach Stand, Lage und Charakter des Schauenden und dem Verhalten des Gottes54. Merkwürdigerweise erscheinenA3 statt der Götter oft ihre Statuen, welche in der spätern Volksphantasie sich mögen dem Gedankenbild von den Göttern substituiert haben.

Allein der Mensch wartete oft solche Erscheinungen nicht ab, sondern suchte selber gewisse Tempel auf, um dort zu schlafen und im Traume Vorschriften für sein Verhalten zu empfangen; der Tempeltraum tritt in eine Reihe mit den weiterhin zu besprechenden Orakeln. Es konnte sich dabei um wichtige politische Entscheide handeln. Im Heiligtum der rätselhaften Pasiphae zu Thalamiai in Lakonien schliefen zu kritischen Zeiten Ephoren, um Offenbarungen zu erhalten55, und noch spät im IV. Jahrhundert v. Chr. sandte der athenische Demos drei Boten nach Oropos, um im dortigen Amphiaraostempel träumend Auskunft zu bekommen wegen eines zweifelhaften Besitzes von Tempelland56. Sonst wird auch um Entscheide für das Privatleben geträumt worden sein, und z.B. Tempel von Meeresgottheiten wird man wegen des Erfolges von[267] Seefahrten aufgesucht haben. Ein solcher war das Heiligtum der Ino unweit jenes nämlichen Thalamiai, offenbar eine stark besuchte Stätte, denn Pausanias fand das Tempelbild dergestalt in Kränze eingehüllt, daß er den Stoff, aus welchem es bestand (es war Erz) nicht erkennen konnte; die Göttin »ließ in bezug auf das, was man zu erfahren wünschte, Träume erscheinen«57.

Bis hierher enthalten wir uns gerne jeder Erklärung und gönnen dem so eigentümlich organisierten Griechenvolke ein Gebiet selbständiger Ahnung, welche uns versagt sein kann. Anders aber verhält es sich wohl mit dem Schlaf von Kranken in den Tempeln der Heilgötter, einer zumal in der spätern Zeit außerordentlich häufigen Praxis. Es scheint, als hätte der kranke Mensch die großen, seligen Olympier gar nicht mit seinen Leiden bemühen dürfen, und so kam ein besonderer Krankengott mächtig in die Höhe, welchen man dann als Sohn an den allgemeinen Gott des Heiles, Apollon, anschloß, Asklepios. Daß er zu den später gekommenen Göttern gehörte, verrät sich u.a. in der übermütigen Sage der Athener, wonach sie ihm die eleusinischen Weihen erteilt58 und ihn seither für einen Gott »anerkannt« hätten. Sein Gefolge waren mehrere weibliche Genien der Heilung, darunter Hygieia, das Abstraktum der Gesundheit als solcher, auch ein kleiner Dämon des Genesens im Krankenkittelchen mit Kapuze, der sogenannte Telesphoros oder Euamerion. Außerdem gab es noch hie und da konkurrierende Krankengötter mit eigenen Tempeln, nur daß bei diesen vom Tempelschlaf (vielleicht zufällig) nicht die Rede ist; so Machaon und PolemokratesA4, welche dann Sohn und Enkel des Asklepios hießen59, denn wie bei Ärzten das Publikum bisweilen die Abwechslung liebt, so wird man auch gerne von einem heilenden Gott zum andern gegangen sein. Auf seltsame Ereignisse hin beförderten die Thasier sogar ihren berühmten Athleten Theagenes zum Gott, und nun heilte er Krankheiten, und bis ins Barbarenland gab es hierauf Statuen, welche ihn darstellten60. Ein eigentlicher Ersatz für Asklepios mit ganz großem Kultus und Traumtempeln war dann der aus dem hellenisierten Ägypten stammende Serapis, dessen Dienst sich weit im römischen Reiche verbreitete.

Wie es nun in den Asklepiostempeln zuging, wäre aus dem bekannten Bericht im »Plutos« des Aristophanes (V. 659 ff.) umständlich zu ersehen,[268] wenn es dem Dichter nicht beliebt hätte, eine phantastische, stellenweise ganz wüste Karikatur zu entwerfen, welche der Wirklichkeit nicht näher entsprochen zu haben braucht als etwa die »Denkhütte« des Sokrates in den »Wolken«; auch mag das Asklepieion des damaligen Athen ohnehin nicht maßgebend sein für andere und Spätere. Es waren umständliche Anlagen mit besondern Traumlokalen; nach gewissen Reinigungen und andern Zeremonien, welche je nach den Orten verschieden sein konnten61, legte man sich nieder und erwartete den Traum mit der Offenbarung des Heilmittels, vermutlich auch des Ausganges der Krankheit. Nachher wurde ein Protokoll darüber aufgenommen und in Stein eingegraben oder sonst aufbewahrt; von den hieraus entstandenen Archiven soll die Heilkunde der Griechen großen Gewinn gezogen haben, und Hippokrates verdankte sein Wissen zum Teil dem Tempel seiner Vaterstadt Kos. Wenn Pausanias im Tempel von Epidauros nur noch sechs steinerne Inschriftpfeiler mit solchen Heilungsberichten vorfand, so wird dies seinen Grund darin gehabt haben, daß man längst vom Stein zu anderm Stoff, etwa Bleitäfelchen übergegangen war, weil der Raum sonst nicht genügt hätte62.

Die erste Frage ist nun die nach den Priestern des Asklepios, welche anderer Art gewesen sein müssen als diejenigen der übrigen Götter. Einen mittelbaren Wink hierüber gibt uns nun Pausanias bei Anlaß dieses prächtigen Asklepieions von Epidauros63. Nicht nur sollte der Gott hier geboren sein, sondern von hier aus war sein Dienst übertragen worden nach Pergamon und von da nach Smyrna, ferner wiederum von Epidauros selbst nach Kyrene und dann von hier nach Lebene auf Kreta. Nun haben Kultusübertragungen (ἀφιδρύσεις) in einer solchen Reihe eine ganz andere Bedeutung, als wenn sie vereinzelt geschehen; hier muß ein Wissen und eine Handhabung desselben mitgewandert sein; mit bloßer Übernahme identischer Götterbilder und Ritualien wäre es nicht getan gewesen. Auch die übrigen berühmten Asklepiostempel in Trikka, Kos, dem sizilischen Ägä u.a.a.O. mögen durch eine echte medizinische Tradition mit den genannten und unter sich zusammengehangen haben. Ferner ist bemerkenswert, daß oft die Priester an Stelle der Kranken[269] träumten64, ohne Zweifel, weil diese nicht immer des Traumes fähig waren, und im äußersten Falle suchten auch Nichtpriester den Traum für einen wichtigen Kranken. Als Alexander in Babylon dem Tode nahe war, hielten in einem dortigen Heilgottestempel mehrere seiner Marschälle und Vertrauten Traumschlaf, um zu erfahren, ob man auch den König dorthin bringen solle; der Gott aber ließ sagen: wenn er im Palast bleibe, sei dies besser für ihn. Alexander vernahm den Bescheid noch und starb65.

Unsere neueste Zeit hat nun zur Erklärung des Tempeltraumes die erstaunlichen Phänomene der Hypnose und der dabei möglichen Suggestion zu Hilfe genommen, und unter gewissen Vorbehalten wahrscheinlich mit Recht. Während es kaum zu glauben ist, daß spartanische Ephoren und attische Demagogen für Hypnose empfänglich gewesen, wird es doch immer und überall empfängliche Menschen in großer Anzahl gegeben haben; das Phänomen aber zu entdecken und es dann nach Gefallen hervorzurufen, mag lange vor den Griechen schon den Ägyptern und Orientalen gelungen sein und ebenso die Verbindung der Hypnose mit irgendeinem Verfahren zur Heilung von Krankheiten. Man sagt uns nun: der Tempelschlaf der Kranken war ein durch magnetische Behandlung erzeugter Somnambulismus, und der Laie in dieser Wissenschaft wird sich hiermit zufrieden geben müssen. Unter den Göttern ist sonst Hermes derjenige, welcher in Schlaf versenkt und aus dem Schlafe weckt, allein hier handelt es sich um den Heilschlaf, und man wird zunächst den Heroenmythus anhören müssen. Laut einer freilich erst späten Aufzeichnung66 wird der vor Troja angelangte Philoktet nach einem Bade von Apollon in Schlaf versenkt, worauf der Sohn des Asklepios, Machaon, erst die berühmte Wunde öffnen, mit Wein auswaschen und einheilen des Kraut auflegen kann. Eine weitere Spur gewährt der Name jenes zauberkräftigen Völkchens, der Telchinen, in welchem man schon längst eine magnetische Manipulation (ϑέλγειν, mulcere) geahnt hat. Sonst aber möchte bei den Erklärungen aller und jeder antiken Magie durch Hypnose Vorsicht anzuraten sein. Gerade von einem der auffallendsten unter den uns bekannten hypnotischen Experimenten, dem Festbannen und Erstarrenmachen, wird bei den Griechen kein Beispiel erwähnt, denn die Versteinerung beim Anblick des Gorgonenhauptes wird man schwerlich hierher ziehen wollen. Die Selbstverwundung der Priester der großen Göttin usw., welche man geltend gemacht hat, erfolgte im Taumel der Raserei und war doch stark verschieden von den Verwundungen, welche den erstarrten Hypnotisierten durch den Hypnotisierer beigebracht[270] werden. Vollends wird alle aufgeregte Verzückung, alles μαίνεσϑαι, alles Toben der dionysischen SchwärmeA5 ganz andere Quellen gehabt haben als diese Art von Bannung. Unleugbar aber und auffallend genug bleiben die zur völligen Übung gewordenen Tempelträume der Kranken und somit ihr Vertrauen auf die Priester, welches auch deren rituelles und medizinisches Verfahren gewesen sein möge. Wir erlauben uns, dieselben nicht für Betrüger zu halten, verzichten auch darauf, eine rationalistische Erklärung zu geben von ihrem und der Kranken Glauben an die Anwesenheit ihres Gottes67. Auch die Krankheiten mögen für sie nicht bloß physische Vorgänge, sondern noch das Werk dunkler Mächte gewesen sein: an der Basis des gewaltigen Chryselephantinbildes im Asklepieion von Epidauros sah man in Relief gebildet die Siege des Bellerophontes über die Chimaira, des Perseus über die Medusa. Wohl waren es, wie Pausanias bemerkt, Taten von Heroen des argivischen Landes, wozu Epidauros gehörte, allein die, welche den Gegenstand vorschrieben, werden damit wohl vor allem den Kampf gegen ein Dämonisches gemeint haben. Lernen konnten manche in diesen Heiligtümern, und Abkömmlinge des Gottes, Asklepiaden, hießen Jahrhunderte hindurch viele und große Ärzte68, aber der priesterliche Dienst scheint die Seinigen festgehalten zu haben, und man liest nicht von solchen, die den Tempel verlassen hätten, um sich zur Stadtpraxis zu wenden.

Daß nicht selten auch Träume von Heilmitteln berichtet werden ohne Erwähnung eines Tempels, ließe sich schon dadurch erklären, daß von vorangegangenen Tempelkuren her sich eine Gewöhnung an den Heiltraum im Patienten festgesetzt hatte, allein vom Traum wurde ja ohnehin jede Art von Offenbarung und Weisung erwartet. Wenn man einem Schlafenden weissagende Träume (vera somnia) verschaffen konnte, indem man ihm Lorbeer zu Häupten legte69, so wird dies am ehesten bei Leidenden geschehen sein, gleichviel wo.

Eigentliche Spitäler hat das griechische Altertum nicht gekannt, wohl aber Kurorte zum Aufenthalte vieler, und hie und da schloß sich wohl an ein Asklepieion eine Anstalt an, bei welcher man an eine dauernde Versorgung denken darf. Beim Tempel des Asklepios Archagetas, zwei Stunden vom phokischen Tithorea, welcher die Verehrung von ganz Phokis genoß, fanden sich innerhalb des Peribolos auch Wohnungen[271] sowohl von Schutzflehenden als von »Sklaven«70 des Gottes; die ersten (ἱκέται) mögen noch Heilung gehofft, die letztern eher darauf verzichtet und beim Heiligtum ausgelebt haben. Ob und wieweit dies ganze Personal sich in der Welt der Heilträume bewegte, wird leider nicht gemeldet.

Neben den Heilträumen behauptete aber auch der prophetische Traum fortwährend ein hohes Ansehen, und die Griechen erzählten von solchen, welche den ausgezeichnetsten Männern zuteil geworden. Diese müssen sich also einer solchen Art von Offenbarung auf keine Weise geschämt haben. Cicero gibt71 eine Auswahl merkwürdiger und bedeutungsvoller Träume, welche gewiß zu ihrer Zeit Aufsehen erregt hatten. Es ist aber begreiflich, daß das Altertum bei einer solchen Stimmung leicht jeden irgend auffallenden Traum auch für bedeutungsvoll hielt, und daß man zur Ermittelung des Sinnes dieser oft so erstaunlich bunten Gebilde seit frühen Zeiten die Hilfe eines Auslegers suchte. In Sizilien wandte sich Vornehm und Gering z.B. an die Galeoten, in welchen wahrscheinlich die Gereaten unweit Hybla zu erkennen sind, eine nicht einmal griechische Landgemeinde; noch zur Kaiserzeit deuteten sie Wunder und Träume und galten als die frömmsten unter den Barbaren auf Sizilien72. In den Städten Griechenlands wurde die Traumdeutung mit der Zeit ein Geschäft wie ein anderer Marktkram, an fester Stelle und für jedermann leicht und augenblicklich zu erreichen; in Athen saß beim Iakcheion ein gänzlich heruntergekommener Enkel des großen Aristides73, welcher von[272] einer Traumtafel (wahrscheinlich mit Figuren und Erklärungen) lebte, aus der er den Leuten weissagte; bei demselben Tempel aber saßen solche Menschen noch zu makedonischer Zeit74. Dergleichen war für das gemeine Volk, welches sich gerne und geschwind in irgendeine Deutung fügen mochte, und doch verschmähte es auch der sehr Wohlhabende nicht immer75. Höherstehende werden über ihre Träume selber nachgedacht und sie etwa einer Gottheit erzählt haben, wie Klytämnestra ihren Schreckenstraum dem Helios und die taurische Iphigenie den ihrigen dem Äther76. Mit der Zeit aber wurden so viele Träume nach Inhalt, Deutung und Ausgang aufgezeichnet, daß daraus eine Literatur entstand, und hier knüpft dann unter den Antoninen Artemidor (aus dem lydischen Daldis) an mit seinen »fünf Büchern Traumdeutung«.

Er hatte sich alle jene Schriften, auch die ältern und seltenen, verschafft und konnte nun seine unmittelbaren Vorgänger mit Recht tadeln, welche Altüberliefertes nur bruchstückweise gekannt, schlecht erklärt und eigene Erfindungen hinzugefügt hatten. Nun begnügte er sich nicht damit, auf das Echte und Alte zurückzugehen, sondern er ließ sich viele Jahre hindurch auf emsigen Umgang ein mit »jenen vielgeschmähten Wahrsagern der öffentlichen Plätze, welche von den Leuten des gravitätischen Aussehens und der emporgezogenen Augenbrauen als Bettler, Goeten und Lumpen betrachtet werden«; er ging ihnen nach in den Städten und bei den großen Festen, in Hellas, Kleinasien und Italien und auf den größten und volkreichsten Inseln und hörte alte und neue Berichte von Träumen und von deren Erfüllung. Ein gutes Stück Volksphantasie ist uns in seinem Werke aufbehalten, und wenn man die Gesamtumrisse spätgriechischen Wünschens und Fürchtens sich einmal vergegenwärtigen wollte, so wäre er nicht zu umgehen. Gleich anfangs stellt er den Unterschied fest zwischen dem zukunftverkündenden Traum (ὄνειρος) und demjenigen, welcher nur Folge und Spiegelung von etwas schon Vorhandenem ist, wie Hunger, Durst, Indigestion usw. (ἐνύπνιον);77 sein eigentliches Verdienst aber mochte er wohl erkennen im Aufsammeln der äußerst vielartigen Traumsymbolik. Die wenigsten Träume sind ja »theorematisch«, d.h. unmittelbare Vorgesichte eines bevorstehenden Ereignisses; weit die meisten muß man erst deuten, und diese heißen die[273] »allegorischen«. Ohne die vorhergegangene Tätigkeit vieler Generationen von Traumdeutern78 wäre nun die Menge der hier vorgekommenen Erklärungsweisen nicht denkbar. Diese sind oft entstanden oder wollen wenigstens entstanden sein aus der Beobachtung wirklich vorgekommener Träume und wirklich darauf erfolgter Schicksale; die Deutung, welche beides verbindet, kann dann auch für künftige Fälle gelten, und Artemidor bestrebt sich nach Kräften, dieselbe nicht schuldig zu bleiben. In der Regel jedoch wird nur dem einzelnen Traumgebilde irgendeine Erklärung gegeben, und diese pflegt begründet zu werden durch die oberflächlichsten Ideenassoziationen und ganz besonders durch metaphorische Beziehung des im Traum Geschauten und Erlebten. Dabei sind dem Traumdeuter auch ganz entgegengesetzte Bescheide möglich, je nach dem wirklichen oder nach dem im Traume vorausgesetzten Zustande des Befragenden, und Glanz und Pracht im Traum können z.B. das größte Unglück weissagen. Bei aller Torheit aber hat man es mit einem unabhängigen und überzeugten Mann zu tun, der sein Leben auf seine Sache gewandt hat.

Unter der gewaltigen Menge von Vorzeichen aller Art, welche die spätere Kaiserzeit beherrscht haben, nimmt der weissagende Traum – so sehr sich die sonstigen Prodigien in den Vordergrund zu drängen suchen – noch immer eine mächtige Stelle ein, und auch das Christentum brachte später hierin keine weitere Veränderung hervor als diejenige, welche sich auf die traumsendenden Mächte bezog. Nero hatte nie geträumt, bis ihm nach dem Muttermord jener Schreckenstraum wurde, welchen Sueton (Kap. 46) erzählt. Vorzüglich Septimius Severus ist von Träumen umgeben und bedingt79 und hat ein Vorgesicht auf dem römischen Forum durch ein großes ehernes Bildwerk verewigen lassen.


Hier ist nun die Stelle, des griechischen Sehers und Wahrsagers, des Mantis im Zusammenhang zu gedenken. Schon für die Deutung der Vorzeichen überhaupt und der oft so dunkeln Sprüche der Orakel war er eine erwünschte Hilfe, und auch die Traumdeutung wird, sobald er sich in der Nähe befand, ihm von selbst obgelegen haben. Bei den größern Opfern ist er, wie oben gesagt, der Deuter der Tiereingeweide, und dieses Amt bleibt ihm dann in der ganzen historischen Zeit. Nochmals muß bei diesem Anlaß auf die relative Ohnmacht des griechischen Priesterwesens hingewiesen werden, welches sich die Übung der Mantik hat müssen entgehen[274] lassen80, weil es an bestimmte Tempel gebunden war; der Mantis dagegen ist beweglich und kann überall auftreten; Opferer aber ist jedermann, und sobald das Opfer zugleich ein Vorzeichen sein soll, kann er des Mantis bedürfen, den Priester aber entbehren. Eine offizielle Definition dessen, was ein Mantis sei und zu tun habe, gab es allerdings nie; die Persönlichkeit und ihr Ruf wird die engern oder weitern Grenzen des Tuns bestimmt haben. Bei den Germanen stand der Seher ungleich höher, denn hier war er zugleich der Priester, Weissager und Zauberer81; vollends aber ist bei den Griechen nicht die Rede von jener mächtigen Gestalt des Propheten, welche bei den Hebräern dem König und dem Priester gegenübertritt, denn auch die am höchsten verklärten Seher des hellenischen Mythus reichen nicht von ferne an diesen, aber unentbehrlich ist der Mantis doch geblieben und eine der Figuren, ohne welche das Bild dieses Volkslebens unvollständig wäre.

Die Zukunft, welche er enthüllt, kann auch hier wieder eine von Göttern gewollte und verordnete oder nur ein blindes Schicksal sein, und er erkennt sie durchaus nicht immer. Derselbe Hesiod, welcher von Akarnanen die Mantik gelernt82 und, heißt es, sogar mantische Dichtungen geschaffen haben soll, sagt doch: »kein sterblicher Mensch ist solch ein Seher, daß er den Sinn des ägishaltenden Zeus wüßte«83. Sogar die Begabung und Sendung des mythischen Mantis wird sehr verschieden aufgefaßt, als kaum von Göttern verliehen, öfter aber von ihnen beneidet und bestraft, zumal durch Erblindung; Phineus ist blind geworden, weil er den Menschen die Zukunft weissagte84. Wohl mag sich dann auch die Meinung so gewendet haben, daß auserwählten Blinden, wie der Gesang, so auch die Mantik zugetraut wurde als ein inneres und höheres Schauen[275] statt des verlorenen äußern85. Doch wird man sich vor einer allzu poetischen Auffassung hüten lernen, wenn man das Verhältnis des Mantis der Urzeit zu den Tieren erwägt. Mehrere Tiere gelten nämlich als besonders ahnungsfähig, z.B. die Bienen, Ameisen, Mäuse usw., den Vögeln (freilich auch den Holzwürmern) traut man ohnehin eine Sprache zu, und nun macht der Mythus die Tiere zu Lehrern des Sehers. Dem Melampus lecken Schlangen im Schlafe die Ohren aus; er erwacht und versteht auf einmal die Sprache der über ihm fliegenden Vögel und weissagt daraus den Menschen das Zukünftige86. Athene, nachdem sie den Teiresias erst aus Rache geblendet, reinigte ihm die Ohren, und auch er verstand dann die Reden der Vögel; die Göttin, weit entfernt, ihm selber ein Wissen der Zukunft zu geben, weist ihn an Tiere. Auch die Erblichkeit des mantischen Vermögens, welche bis spät von Melampodiden, Jamiden, Telliaden, Klytiaden geltend gemacht wurde, steht doch tiefer als eine hohe individuelle Begabung und paßt im Grunde zu einer mehr nur elementaren Kraft.

Doch bleibt wenigstens die Stellung des Mantis bei den großen Dichtern87 eine höhere als in der Volkssage. Homer gönnt seinem Theoklymenos beim letzten Gelage der Freier88 ein vollständiges und sehr furchtbares Vorgesicht ihres baldigen Unterganges; die Tragödie vollends erhebt den thebanischen Greis Teiresias zu einer ihrer feierlichsten Gestalten89. Nachdem ihm von den Gewalthabern schweres Mißtrauen und bitterer Hohn, sogar wegen Geldgier, zuteil geworden, behält er nicht nur tatsächlich immer Recht, sondern Sophokles stattet ihn mit einer hohen Macht der dunkel weissagenden Rede aus und läßt ihn den Hohn zurückgeben90. In »König Ödipus« bildet die Mantik, sowohl die des Sehers als die der Orakel, die allverbindende Hauptkraft des Stückes, und ebenso in dem von Anfang an so ahnungsvollen »Agamemnon« des[276] Äschylos. Hier wird sie wiederum in eigentümlich grandioser Weise persönlich in der Gestalt der Kassandra, welche nicht nur durch die Mauern des Palastes hindurch sieht, was eben jetzt geschieht, sondern auch das Vergangene seit dem thyesteischen Gastmahl und auch das Künftige weiß, nämlich die Vergeltung, welche des Ägisth und der Klytämnestra harrt; mit diesem letzten Trost schreitet die Seherin dem Palast und ihrem eigenen Untergang zu: »genug des Lebens – ἀρκείτω βίος!« – Das Geschick des Mantis im Mythus und in der Poesie ist überhaupt, daß man ihm nicht glaubt, daß er nicht überzeugen (πείϑειν) kann, bis das Unheil offen hereinbricht. Kassandra, hieß es, hatte von Apollon die Weissagung gelernt, sich ihm aber nicht ergeben wollen, worauf der Gott ihren Worten das Glaubhaftmachen benahm. Ganz besonders bitter lautet dann die Sage von Amphiaraos, welcher Seher und zugleich einer der Heerführer von Argos ist; er weiß den unseligen Ausgang des Zuges gegen Theben voraus, allein durch ein vorgängiges Versprechen an seine Gemahlin Eriphyle ist sein Wort in den Händen derselben; sie aber ist durch das berühmte Halsband von den Antreibern zum Kriege bestochen, und nun bleibt dem Verzweifelnden nichts übrig, als seine Söhne zur künftigen Rache an der furchtbaren Mutter aufzufordern. Sein großartiges Ende, da er auf der Flucht samt Wagen, Rossen und Lenker in einer durch Zeus' Blitzstrahl geöffneten Erdspalte verschwand, um nun fortan dort als »Unsterblicher« die Zukunft zu künden, deutet auf einen göttlichen Ursprung seiner Person hin. Fortan kann keine Eriphyle mehr seine Weissagungen hindern, die von Hellenen und Barbaren eifrig gesucht werden.

So nimmt denn die Dichtung immer die Partei des Sehers; erst bei Euripides, wenn ihn seine Aufklärung unruhig macht, darf etwa (unter deutlicher Beipflichtung des Dichters) ein Bote und der Chor gegen alle Mantik im Leben polemisieren91, indem Verstand und weiser Entschluß die besten Wahrsager seien; wenn die Mantik etwas taugte, so hätte Kalchas etwas sagen müssen, als seine Genossen »um einer Wolke92 willen« umkamen. Allein das Andenken an die mythischen Seher war mit dergleichen nicht zu verdunkeln; Kalchas hatte noch zu Strabos Zeit93 auf einer Felsenhöhe im unteritalischen Daunien sein Heiligtum, wo ihm als einem Heros geopfert und Tempelschlaf gesucht wurde.

In die historische Zeit tritt der Mantis öfters ein als wirklicher Führer der wandernden Völker, welchem sich auch der Volkskönig zu fügen hat. Schon bei der Heimkehr von Troja begegnet man dem Kalchas, dem[277] Amphilochos und Mopsos als Führern ganzer Scharen94, die dorische Wanderung aber vollzieht sich durchweg unter der Leitung solcher Seher. Von der Besetzung des nunmehrigen Böotiens durch Scharen von Norden her heißt es: »Peripoltas, der Mantis, führte aus Thessalien den König Opheltas und dessen Völker nach Böotien«95. Ohne die mitwandernde Weissagung und Zeichendeutung hätten diese Stämme, deren Schicksal lange Zeit hindurch von den gewaltsamsten Entscheiden abhing, sich sehr unglücklich befunden. In der folgenden Zeit der bleibenden Staatenbildung, über welche wir nur so spärlich unterrichtet sind, wird sich dann der offizielle Mantis allmählich auf die Deutung der Zeichen bei den öffentlichen Opfern, besonders im Kriege beschränkt haben, während im Volke viele geringe Wahrsager aller Art ein Gewerbe aus der Weissagung machten und dabei denselben Titel führten. In den messenischen Kriegen, welche in den Erinnerungen des unterliegenden Volkes noch gewissermaßen zum heroischen Zeitalter gehören, ist der Mantis eine wichtige Gestalt; derjenige des Volksanführers Aristomenes schaut z.B. noch Götter, wo dieser sie nicht erblickt; umsonst warnt er den Aristomenes, im Siegestaumel an dem wilden Birnbaum vorbeizustürmen, auf welchem er die Dioskuren sitzen sieht96; es ist derselbe Theoklos, welcher dann glanzvoll im letzten Kampfe fällt97. Auch in Sparta, dessen Königen alle öffentlichen Opfer vorbehalten waren, hinderte die anfangs so häufige Befragung des Orakels von Delphi nicht, daß man des Mantis beständig bedurfte, und daß derselbe im Kriege den Königen und Anführern vollends nicht von der Seite kam. Mit Leonidas harrte ruhmvoll aus sein Seher, den er umsonst hatte wegschicken wollen98; für denselben Perserkrieg aber hatten die Spartaner einen Mantis Tisamenos gewonnen, welcher dann nicht nur bei Platää, sondern im Verlauf von zwei Jahrzehnten noch bei vier weitern Siegen mit ihnen war99. Der ganze Bericht bei Herodot lautet äußerst merkwürdig: Tisamenos hat sich auf einen unrichtig verstandenen delphischen Spruch hin zum Agonalkämpfer ausgebildet, die Lakedämonier aber »wissen« (μαϑόντες), daß jener Spruch sich nicht auf Wettkämpfe, sondern auf Schlachten bezieht, und bieten[278] nun dem Tisamenos hohen Lohn, daß er »mit« ihren Königen Anführer in ihren Kriegen werde. Er wird inne, wie viel ihnen an ihm gelegen ist, und steigert den Preis, indem er – ein geborener Eleer – unerhörter Weise das spartanische Vollbürgerrecht eindingen will; sie brechen darauf zunächst die Verhandlung ab, unter der wachsenden Sorge wegen des persischen Angriffs aber geben sie nach und müssen jetzt auch noch den Bruder des Sehers als Bürger in den Kauf nehmen. Wer aber als Mantis der Gegner den Spartanern fatal war, dessen konnte, wenn sie ihn bekamen, brutale Einkerkerung und Ermordung warten, wie es z.B. dem Telliaden Hegesistratos erging100. Wie stark damals die allgemeine Voraussetzung für den Wert der Seher als Opferzeichendeuter im Kriege war, erhellt schon daraus, daß auch Mardonios um hohen Lohn einen hellenischen Mantis warb, wie er denn auch alle namhaften griechischen Orakel befragte. Es ist ein Ereignis, wenn ein Seher aus den Diensten eines Staates in die eines andern übergeht; mit starker Besoldung werden solche Männer gewonnen und dann festgehalten. Ein eigenes Grabmahl barg in Lakedämon die Seher aus dem Stamme der Jamiden, welche die Könige in die Kriege begleitet hatten; im plastischen Denkmal aber wurde der Mantis entweder mit dem Heerführer zugleich verherrlicht101 oder auch durch Einzeldarstellung102.

Je nach Umständen wurde ein solcher Mann bisweilen zum kriegerischen Ratgeber und Erfinder von Stratagemen103. Das (wenigstens attische) Gesetz soll hierüber eine ausdrückliche Warnung enthalten haben: »der Mantis soll nicht über den Anführer Meister sein, sondern dieser über jenen«104 – allermindestens mußte vermieden werden, daß der Mantis sich über den Anführer hinweg mit der Mannschaft in Verbindung setzte. Außer den Opferzeichen deutete der Seher im Heer natürlich auch Vorzeichen jeder andern Art, wie z.B. den Vogelflug, den Donner, die Eklipsen, Naturwunder und Träume, und wie weit seine Befugnisse gehen konnten, war gewiß unbestimmt. Dem Themistokles hat auf seinem Admiralsschiff vor der Schlacht von Salamis sein Mantis ein Menschenopfer befehlen können105. Spätere Kriegsanführer wußten etwa[279] ihren Seher damit zu übertönen, daß das betreffende Vorzeichen den Feinden gelte und nicht der eigenen Schar, oder sie wechselten die Gegend, ordneten die Mannschaft neu und befahlen dann neue Opfer106. Bei den Arginusen (406 v. Chr.) hatten beide Parteien gegen die Warnung ihrer Seher gekämpft107; der athenische Stratege jenes Tages, Thrasyllos, hatte überdies einen Traum gehabt, welcher ihm und seinen Amtsgenossen den Sieg und den nachherigen Untergang (durch den berüchtigten Prozeß) bedeutete, wie ihm der Mantis sofort offenbarte. Bekannt ist sodann Xenophons Gehorsam gegen die Opferweissagung108, und seinen Schriften verdankt man auch die reichlichste Kunde über die Gläubigkeit des von ihm so sehr bewunderten damaligen Sparta109.

Bei sehr schlimmen Opferzeichen kam viel darauf an, daß der Mantis auch die äußersten Hilfsquellen seines Amtes kannte, wie denn dasselbe überhaupt eine bedeutende Tradition voraussetzt. Im ersten Jahre des Königtum des Agesilaos (397 v. Chr.), als die für das ganze Dasein Spartas hochgefährliche Verschwörung des Kinadon dem Ausbruch nahe110 war, sagte bei einem der ordnungsgemäßen Staatsopfer der Mantis zum König: die Götter zeigten eine überaus schreckliche Nachstellung an; es wurde von neuem geopfert, und er fand die Zeichen noch schlimmer. Beim dritten Opfer sprach er: so kommt es mir jetzt vor, als wären wir mitten von Feinden umringt! Darauf opferten sie »denjenigen Göttern, welche das Böse abwenden können, und den rettenden Göttern«, und bei diesen vielleicht namenlosen Anrufungen ergaben sich etwas bessere Zeichen. In nicht viel späterer Zeit ist dann Dion bei all seinem Tun, zumal bei seiner Fahrt zur Befreiung von Syrakus, stark von Mantik umgeben und bedingt111; sein wichtigster Seher aber, Miltas, war zugleich Platoniker.

[280] Alexander der Große, ein gläubiger Grieche, wenn es je einen gegeben hat, besaß auf seinen Zügen an Aristandros einen würdigen und getreuen Mantis, welcher »deshalb, weil Alexander lieber etwas anderes gehört hätte, doch nicht anders redete, als wie die Gottheit sprach«112. Es war nichts kleines, der Seher des leidenschaftlichen Königs zu sein, auch wird er in den letzten Jahren wenig mehr erwähnt oder nur in der Schar der Manteis stillschweigend mitbegriffen; als aber der König tot war und während des ersten wilden Haders um die Befehlshaberschaften die Leiche verlassen lag, da trat Aristandros hervor und weissagte113 in hoher Ekstase demjenigen Lande, welches sie besitzen würde, ewiges Glück und Frieden. So nur wurde sie begehrenswert und für ein herrliches Grab gerettet: Ptolemäos, der Sohn des Lagos, brachte sie beiseite.

Solange es ein griechisches und dann ein römisches Heidentum gab, blieben die wichtigern Opfer vorbedeutungsvoll114, und diejenigen im Kriege verlangten unbedingt den Zeichendeuter, schon weil die Heere daran gewöhnt sein mochten; Alexander hatte sogar bisweilen die bei der Eingeweideschau besonders günstig vorgefundenen Opfertiere durch die Reihen tragen lassen115. Neben allem, was sonst noch Vorzeichen und Weissagung hieß, behaupteteA6 diese Schau des Kriegsopfers ihren alten Stil und ihren Mantis. Wer aus einem andern Glauben und Bildungskreise stammte, der mochte sie unbegreiflich finden; als einst König Antiochos III. sich durch ein Opferergebnis von einem Kriegsunternehmen abhalten ließ, stand Hannibal116 daneben und meinte: »du tust, was ein Stück Fleisch sagt, nicht aber, was ein vernünftiger Mensch sagt.« Wenn man jedoch im ganzen erwägt, wie bei dringenden Entschlüssen bisweilen »vernünftige Menschen« auch einem Hannibal von allen Seiten dreinreden, so möchte das, was der Mantis aus der Tierleber folgerte, nicht immer den schlimmsten Rat enthalten haben.

Hier ist auch noch der vorherrschenden Herkunft der Seher zu gedenken. Aristandros war aus dem lykischen (oder karischen) Telmessos,[281] welches als eine Heimat vorzüglicher Seher immer gegolten hat117. Bei weit den meisten Manteis der halbmythischen und historischen Zeit aber fällt es auf, daß es lauter Griechen von der Westküste des Landes gewesen sind. Ein alter Molosserkönig und sein Sohn waren treffliche Seher118; Skiros kam von Dodona nach Eleusis119; Karnos, welcher schon die in Lakonien eindringenden Dorer beriet, war ein Akarnane und ebenso später der von Peisistratos bestellte Amphilytos und Megistias, jener Seher des Leonidas120; auch sollte ja bereits Hesiod von Akarnanen die Mantik gelernt haben; sonst finden sich bei den dorischen Eroberern namentlich Seher vom Hause der Jamiden und diese121 waren Eleer wie die Telliaden und die Klytiaden und viele andere; derjenige Seher aber, welchen die griechischen Zuzüger im Mardonios-Heere mit sich hatten, war ein Leukadier122. Es ist kaum anzunehmen, daß dies alles nur zufällig sich so verhalten habe.

Im Privatleben war der Gebrauch der Mantik Sache des einzelnen nach Belieben. Hochstehende Athener wie Kimon123 waren ihr zugetan und Nikias hielt sich seinen Mantis Stilbildes im Hause weniger für die Staatssachen als für seine Privatangelegenheiten, besonders seine Silbergruben124. Der Mann soll mäßigend auf ihn eingewirkt und ihm den allzugroßen Aberglauben eher zu benehmen gesucht haben. In sehr gespannten Augenblicken tauchten Wahrsager von allen Seiten auf, und beim Entscheid über die Expedition nach Sizilien ließ Alkibiades alles, auch den Protest der Priester, überschreien durch die von ihm aufgestellten Manteis, welche sich auf angebliche uralte Sprüche beriefen. Allein auch in gewöhnlichen Zeiten gab es wenigstens in volkreichen Städten jene Menge Propheten aller Gattungen, welche es nicht übelnahmen, wenn man sie Manteis nannte, dabei aber jeder Art von Wahn um Geld dienten. Artemidor125 zählt diese Anhängsel der Weissagung umständlich und zwar als Betrüger auf; wir lassen indes die Liste weg, um nur diejenigen zu nennen, deren Bescheide er noch gelten läßt, obgleich auch bei ihnen noch manche Verwahrung einzulegen wäre: Opferer,[282] Vogelschauer, Sternbeschauer126, Deuter von Wunderzeichen (τέρατα), Traumdeuter und Eingeweidebeschauer. »Wie es sich mit Astrologen und Horoskopstellern verhält, wollen wir erst untersuchen«. Jenes Volk, welches täglich auf den öffentlichen Plätzen zu finden war, muß bisweilen insoweit Geschäfte gemacht haben, daß sich eine Besteuerung zu lohnen schien, und die Byzantier127 haben einst von »Taschenspielern, Manteis und Quacksalbern« den Drittel ihrer Einnahmen, also eine Erwerbssteuer von 33 Prozent erhoben oder zu erheben getrachtet; denn die Betreibung möchte ihre praktischen Schwierigkeiten gehabt haben.

Athen hielt noch unter den Kaisern einen besoldeten Mantis von Stadt wegen128, und zwar nicht zur Opferschau, für welche anderweitig gesorgt sein mochte, sondern als Weissager. Man kam auf diese Weise wohlfeiler durch als etwa mit Botschaften nach Delphi, dessen Orakel damals von Städten kaum mehr befragt wurde; für kleine abergläubige Verstimmungen der Einwohnerschaft genügte der offizielle Mann.

Der Ausschluß der Weiber von der Mantik in der historischen Zeit läßt sich etwa daraus erklären, daß dieselbe eine Sache nicht bloß der Stimmung, sondern des Lernens und Wissens war, und daß besonders die Opferschau nicht wohl die Aufgabe von Frauen und Mädchen sein konnte. Aus dem Mythus kannte man Kassandra und Manto, die Tochter des Teiresias, und wo noch eine Stiftung aus mythischer Zeit weiterlebte, begegnet man noch immer prophetischen Frauen: im Heiligtum von Delphi erschallte die Weissagung aus dem Munde der Pythia seit Phemonoe, welche dort die erste Priesterin ihres Vaters Apollon gewesen war, und in Dodona, soweit die Kunde sich verfolgen läßt, vermittelten noch immer die drei greisen Frauen (Peleiaden) die Offenbarung. Von den Sibyllen jedoch (vgl. unten) taucht kaum hie und da eine in historisch deutlicher Umgebung auf, wie jene Athenais von Erythrä, welche dem großen Alexander Bescheid gab über seine göttliche Abstammung129; die Diotima des platonischen Symposions aber ist wohl nur ein Gebilde der Phantasie. Man besaß höchstwahrscheinlich, wie bei Anlaß des Tempelschlafes bemerkt wurde, den Somnambulismus, aber es fehlt die weissagende Somnambule; man hatte die Alte mit Amuletten und Mixturen, auch die Zauberin sogar der gefährlichen Art, von Theokrits Pharmakeutria bis zur Canidia des Horaz, aber nicht die Prophetin.

[283] An die allgemeine Möglichkeit einer über den Menschen kommenden mantischen Stimmung glaubte man noch spät, und außer den eigentlichen Sehern erreichten auch andere auf Augenblicke die Kraft zur Weissagung. Noch immer wurde behauptet, daß hie und da die Seele sich vom Leib zeitweise trennen und dann einer höhern Entflammung genießen könne; andere wurden aufgeregt durch den Klang gewisser (menschlicher) Stimmen und phrygischen Gesanges, andere durch Haine und Wälder, Ströme und Meere, und sahen dann vieles Künftige voraus. Und gewisse Erddämpfe befähigten noch immer den Sinn, Orakel auszusprechen130.


Von allen Ermittlungsweisen der Zukunft steht am tiefsten die Astrologie, welche den Griechen erst spät durch den Orient ist aufgedrungen worden, der sie schon in ganzer systematischer Fülle besaß, bevor die Griechen eine Ahnung davon hatten. In der Tat unterscheidet sie sich von aller sonstigen Divination durch die kalte furchtbare Vollständigkeit, womit hier ein völlig durchgeführter Fatalismus auftritt. Die Mantik hofft gerne insgeheim noch etwas von den Göttern, die Sterndeutung nicht mehr131, denn auch, wenn Planeten und Fixsterne göttliche Wesen wären, so bliebe doch das von ihnen ausgehende Schicksal ein absolutes; zu diesem aber gehört hier auch der Charakter und die Moralität des einzelnen, welche gegenüber von den Gestirnen unfrei sind.

Ohne Zweifel sind es die Ägypter gewesen, welche zuerst die Abhängigkeit sowohl des Lebenslaufes als des Wesens der einzelnen Menschen von den Gestirnen behaupteten. »Auch das«, sagt Herodot132, »haben die Ägypter erfunden, welches Gottes jeder Monat, jeder Tag ist, und welches Schicksal, Ende und Charakter der an einem bestimmten Tage Geborene haben wird«. Die seitherige Forschung hat dargetan133, daß es sich nicht nur um den Tag, sondern um die Stunde handelte, und daß dieselbe nach der Konstellation, dem Stande der Gestirne, beurteilt wurde, sodann daß die letztern nicht bloß um das Horoskop der Geburt, sondern um die gute oder schlimme Stunde für jedes Vorhaben befragt zu werden pflegten. Die zweite große Heimat der Astrologie war bekanntlich Babylon134,[284] und einer der Namen des dortigen Volkes, Chaldäer, hat hernach bei Griechen und Römern den Sterndeuter als solchen bezeichnen können.

Für den Griechen waren einstweilen die Sterne noch lange nichts anderes als eine Aushilfe für die Zeitrechnung, Richtungszeichen bei der Seefahrt und schöne Erscheinungen, an deren zur Gestalt gewordene Gruppierung sich hie und da ein Mythus hing. »Für die Sterblichen führen sie, die leuchtenden Herrn, Winter und Sommer herauf«135. Nicht von Gestirnen, nur von Tagewahl, d.h. vom Einfluß bestimmter Tage auf Unternehmungen und Erlebnisse redet Hesiod136, und zwar sind es gewisse Monatstage, welche dafür günstig oder ungünstig sind, wie beim Aderlaßmännchen unserer alten Kalender. Laut Herodot a.a.O. wären bei den Griechen zuerst gewisse Dichter auf das ägyptische Horoskop eingegangen; doch hat man dieselben bisher nicht ausmitteln können und nur vermutungsweise die Orphiker genannt; indes mag unter den verschiedenen Spuren ägyptischen Einflusses bei den Griechen seit dem VII. Jahrhundert (u.a. in den Vorstellungen vom Jenseits) auch diese Aussage ihre Stelle behaupten. Die früheste deutliche Schicksalserkundung aus den Sternen wird dann die des »Astronomen« Meton in Athen gewesen sein, welcher den Ausgang der sizilischen Expedition weissagte und sich der Teilnahme daran entzog137. Wenn dann lange Zeit kaum mehr von solchen Dingen die Rede ist, so muß man erwägen, daß die Beschäftigung mit den Gestirnen eine schwierige Wissenschaft war, welche von aller übrigen Mantik leicht verdunkelt werden konnte. Aristoteles, welcher (in seinem Weltgebäude von konzentrischen Sphären) den Sternen des Fixsternhimmels ein unvergängliches und seliges Leben zuschreibt und auch die Beweger der sieben Planetensphären für ewige Wesen hält, weiß doch nichts von einem Einfluß der Gestirne auf das Menschenschicksal.

Allein seit Alexander wurden Ägypter und Chaldäer Untertanen griechischer Herrscher, und bei der beginnenden Mischung orientalischer und griechischer Kultur und Religion mußte auch die Sterndeutung dem Abendland vertrauter werden. Der große König selbst hatte sich in der Mantik noch völlig an die griechische Praxis gehalten, und selbst diejenigen Leute seiner Umgebung, welche über seine und Hephästions Lebensdauer das Schicksal befragten, vollzogen dies durch die Eingeweide von Opfertieren138[285] und noch nicht mit Hilfe der Gestirne. Als Chaldäer den König vor seiner letzten Reise nach Babylon warnten, indem dies sein Tod sein werde, hörte er nicht auf sie und traute ihnen sogar eine elende Absicht des Eigennutzes zu139. Allein schon die nächsten Erben seiner Reiche wurden nachgiebig. Hatte man öffentlich, vor einer Armee, wo Makedonier und Griechen den Ton angaben, Vorbedeutungen geltend zu machen, so berief man sich auf solche hellenischer Art, und Seleukos hat einst, bevor er den mächtigern Antigonos angriff, vor der Front einen Bescheid des milesischen Apollon und einen Traum erzählt140. Auf Antigonos aber, der sonst bisher die Weissagung aus den Sternen verachtete, hatte es tiefen Eindruck gemacht, als Chaldäer ihm sagten, wenn er den Seleukos entrinnen lasse, werde er einst im Kampfe gegen ihn das Leben verlieren, und nun hatte er demselben, freilich umsonst, nachsetzen lassen141. »Denn bei den Chaldäern,« fügt Diodor hinzu, »ist große Erfahrung und genaueste SternbeobachtungA7 seit vielen Myriaden von Jahren.« Jedenfalls setzteA8 sich die Astrologie fortan auch in der griechisch redenden Welt fest, nur wird sie im ganzen eine Sache der Fürsten und der Reichen und an hohe Besoldungen geknüpft geblieben sein. Auch kam es vor, daß ein Chaldäer, wenn er im Kriege brauchbar sein sollte, zugleich griechischer Mantis wurde, wie z.B. ein gewisser Sudinos im Hauptquartier Attalos I. von Pergamon, vor dem großen Siege über die Galater, und es lohnt der Mühe, nachzulesen142, wie der König mit einem Opferbetrug den Mantis und durch diesen das Heer auf die glücklichste Weise zum besten hält. Neben der Astrologie errang allerdings die wissenschaftliche Astronomie in der alexandrinischen Zeit die bekannten großen Erfolge, und es scheint, daß sie dabei nicht nötig hatte, dem Sternwahn Huldigungen zu erweisen. Der berühmte Eudoxos hatte die chaldäische Lehre verworfen, und bei seinem poetischen Bearbeiter Aratos ist weder in dem astronomischen noch in dem meteorologischen Gedicht von einem Einfluß der Sterne auf Schicksal und Wesen des Menschen auch nur mit einem Worte die Rede143. Allein es dauerte nicht mehr lange, bis die Kunst der »Mathematici« sich großer ehrgeiziger Römer bemächtigte;[286] das Horoskop, die Nativität, sowohl die eigene als die von solchen, welche jemandem im Wege waren, offenbarte nicht nur, welchem Schicksal, sondern auch, welchem Charakter der einzelne unwiderruflich verfallen sei144, und gewöhnte den Sterngläubigen an Ablösung von allen sittlichen Bedenken. Einige Imperatoren haben sich durch die Konsequenzen dieses Wahns den furchtbarsten Ruf zugezogen. In die christliche Welt hat sich mancher heidnische Aberglaube hineingeschlichen, aber Jahrhunderte hindurch niemals die Astrologie, und es war ein bedenkliches Zeichen für die Religion gewisser Mächtigen, als im XIII. Jahrhundert vom Islam her der Sternwahn wieder eindringen durfte.


Bevor nun von den Orakeln die Rede sein kann, muß noch einer Gattung von Weissagung gedacht werden, welche in ihrer völligen Bodenlosigkeit zeigt, daß die griechische Begier nach Enthüllung der Zukunft auch mit dem Zweifelhaftesten vorlieb nahm: Die Chresmen oder Sprüche (λόγια) der Chresmologen. Sobald dieselben in ihrer vollständigen Form und nicht in gewöhnliche Rede aufgelöst mitgeteilt werden, sind es fast immer Hexameter, und ihr Stil nähert sich möglichst dem der delphischen Bescheide.

Leider sind nun die Griechen, sobald sie nur schreiben konnten, ein Volk von Fälschern gewesen. Der erste Brief, dessen noch der (wenn auch erst nachhomerische) Mythus Erwähnung tut, war jener vor Ilion auf Betrieb der größten achäischen Helden geschmiedete, angeblich von Priamos kommende, womit Palamedes ins Verderben gestürzt wurde. Mit der Zeit aber, als so manche dunkel und prächtig lautende delphische Verse allbekannt wurden, mochte mancher finden, etwas der Art vermöge er auch, und so entstanden ganze Massen schriftlicher Zukunftssprüche, welche man gerne uralten mythischen Sehern zuschrieb: dem Bakis, Musäos, Laïos, Eukloos, Lykos usw., oder den sogenannten Sibyllen, also lauter Leuten, die niemand mehr persönlich gesehen hatte, und die man nicht mehr fragen konnte. Über die Sibyllen, diese nach Zeit und Herkunft so fraglichen Gebilde, empfing man erst ganz spät Bescheid, als es längst Nachrichten von Bakis, Musäos usw. gab; Heraklit wußte nur erst von einer, welche »ernst, ungeschminkt und ungeziert für tausend Jahre145 auf Antrieb des Gottes weissagte«. Auch Plato zitiert nur[287] eine146, Herodot aber trotz vielfacher Gelegenheit spricht nie davon. Man zeigte etwa einen Fels, von welchem herab die Sibylle gesprochen, und in Delphi beim Buleuterion den Stein, wo die früheste, vom Helikon gekommene Sibylle ausgeruht hatte. Wie ihrer später mehrere, endlich in festen Zahlen und mit Eigennamen und Heimat aufgezählt wurden, kann hier als bekannt vorausgesetzt werden; am Ende stritt man sich eifrig um die Herkunft einzelner, wie z.B. der Herophila147. Das allgemeine Bild ist das einer Seherin in geheimnisvoller Einsamkeit, welche sich den Menschen nur auf Augenblicke nähert und nach dem weissagenden Gesang wieder verschwindet; ein völlig literarisch gewordenes Zeitalter aber dachte sich dann die Sibylle als Schriftstellerin: die als Weihgeschenk der Epigonen nach Delphi gesandte Daphne, eine Tochter des Teiresias, »schrieb dort allerlei Chresmen von verschiedener Beschaffenheit«148.

Was man aber Schriftliches wirklich unter dem Namen jener alten Seher und Seherinnen besaß, war alles ersonnen, ebensogut wie z.B. die ganze orphische Literatur, welche seit dem VI. Jahrhundert entstanden war, und welche noch durch die spätgriechische Gelehrsamkeit (u.a. bei Suidas) sogarA9 hat können auf die wahren Verfasser verteilt werden, nachdem alles »Orpheus« geheißen hatte. Gerne möchte man den Namen »Fälschung« bei diesen Dingen vermeiden und es als eine harmlose, den alten Völkern geläufige Sitte geltend machen, daß Schriften, welche man in einem bestimmten Geiste abfaßte, einem ruhmvollen alten Repräsentanten dieses Geistes beigelegt wurden. Dies mag in Religionsschriften sich hie und da so verhalten, deren Bestimmung es ist, die Bilder von Gesinnungen und Gefühlen weiterzutragen, allein bei den Chresmen hing der ganze Wert und die Wirkung davon ab, daß sie buchstäblich als Schöpfungen der mythischen Seher galten, und da sie dies nicht waren und dennoch bestimmte Ereignisse weissagten, so wird man einfach von Betrug zu sprechen haben.

Von diesem Tatbestand müßte nun, so dünkt uns, eine so kluge Nation wie die Griechen etwas gemerkt haben, und sobald es sich um eigene künftige Schicksale handelt, wird doch bei allen Völkern jeder irgendwie scharfsichtig. Allein wir haben es eben mit einem Volke zu tun, dessen Glaube an Mantik wahrhaft unbegrenzt, und dessen Beschäftigung mit der Zukunft im großen und kleinen, mit den Schicksalen der einzelnen wie der Staaten eine tägliche und stündliche war. Neben allen andern Erkundungsarten[288] ließ man sich nun auch diese Chresmen gefallen; der Verdacht und selbst der enthüllte Betrug hinderten ja nicht, daß neben dem Unechten auch Echtes und Uraltes sein konnte. Sodann hatten es die Chresmenschmiede noch zu rechter Zeit dahinA10 gebracht, daß ihre Verse bei Mächtigen als wertvoller Geheimbesitz aufbewahrt wurden, und von da an sorgte schon der Neid dafür, daß Schicksalssprüche als eine begehrenswerte Sache erschienen.

Der Unterschied zwischen solchen Chresmen und Orakelsprüchen liegt auf der Hand. Der Chresmos ist das vor alters, ungefragt, im Vorrat Geweissagte und aufbewahrt Gebliebene, das Orakel das auf Anfrage in einem bestimmten zeitlichen Augenblick Geoffenbarte. Die Schwierigkeit der Deutung bezieht sich beim Chresmos auf den Anfang: das Vorbedingende, von welchem der bestimmte Ausgang abhängt, ist meist dunkel gesagt und ein zu erratendes Rätsel, während bei der Orakelbefragung umgekehrt der Anlaß und die Frage selbstverständlich klar, der Bescheid dagegen dunkel zu sein pflegt. Ein ähnlicher Unterschied waltet zwischen dem Chresmos und den Entscheidendes Mantis: es versteht sich zwar von selbst, daß jene Spruchweissager der Urzeit im schwankenden Sprachgebrauch der Spätern oft Manteis heißen, sonst aber wußte man, »daß der Mantis nicht Spruchweissager war, sondern Träume, Vogelflug und Tiereingeweide deutete«149, d.h. er entsprach, wie das Orakel, den Vorzeichen und dem Fragebedürfnis eines bestimmten Augenblickes, während der Chresmos gerade die Vorereignisse, an welchen die bestimmte Erfüllung hing, dunkel und unsicher andeutete, so daß man in der Regel erst aus dem Ausgang merkte, wie es eigentlich gemeint gewesen war. Dabei ist nicht zu leugnen, daß auch Delphi bisweilen seine Weissagungen an eine dunkel ausgesprochene, erst zu erratende Vorbedingung geknüpft hat. Endlich stimmen Chresmos und Orakel bisweilen darin zusammen, daß beide statt einer Offenbarung auch bloße Vorschriften zum Handeln erteilen.

Geht man nun z.B. von dem Bilde des bewegten V. Jahrhunderts und des damaligen Athen aus, so erscheint das Volk im Vollbesitz einer Menge von Schicksalssprüchen150. Schon die Perserkriege waren geweissagt worden von Bakis, Musäos, Eukloos u.a., und Herodot führt eine Anzahl dieser Chresmen wörtlich151 an und bekennt sich einmal fast unbedingt als gläubig, nur möchte gerade der schöne Chresmos, welchen er dort (VIII, 77) mitteilt, wohl erst nach Salamis ersonnen sein. Für die[289] damaligen Demagogen war es eine wichtige Sache, die schon in den Händen der Masse befindlichen Sprüche sich dienstbar zu machen, und Themistokles soll sich den Ruf erworben haben, »die Götterstimmen in den Chresmen allein zu verstehen152«. Beim Ausbruch des peloponnesischen Krieges »sangen« Chresmologen vieles sowohl in den beteiligten Städten als auswärts, was jeder nach seinem Sinne eifrig aufnahm; da hörte man (und nicht irrig), der Krieg werde dreimal neun Jahre dauern; bei der großen Pest entsannen sich schon alte Leute des Spruches: Kommen wird dorischer Krieg und mit ihm ... (folgte entweder Hunger oder Seuche, je nach der Aussprache des Wortes). Die unglücklichen Melier dagegen, als man sie (416 v. Chr.) zu verderben gesonnen war, höhnte man noch mit einer Warnung gegen allfallsige Zuversicht auf Mantik und Sehersprüche »und was sonst noch dergleichen die Menschen durch erregte Hoffnungen ins Verderben führt«. Im folgenden Jahre, als es sich um die sizilische Expedition handelte, hat dann Athen diesen Hohn bezahlt, indem es sich bis zum Wahnsinn durch Weissagungen und Aberglauben aller Art aufregen ließ und in dieser Stimmung seinen Entschluß faßte; diesmal brachte Alkibiades durch seine Manteis153, d.h. von ihm ohne Zweifel bezahlte Menschen, jene »uralten Sprüche« vor, wonach Athen hohen Ruhm von Siziliens wegen gewinnen sollte; freilich, als die Sache entsetzlich ausging, »zürnte man dann solchen Leuten sehr«. Zehn Jahre später, als die Athener bei Ägos Potamoi – wie sie natürlich meinten, durch Verrat – unterlagen, trösteten sie sich damit, daß Untergang und Verrat bereits in den Chresmen der Sibylle und des Musäos geweissagt gewesen154. Es wird nun nachzuweisen sein, daß der Gebrauch dieser Art von Weissagung nicht immer so eine Sache jedermanns gewesen war.

Zunächst sind jene »Chresmologen« völlig abusive Personen. Alte Schicksalssprüche gehören von vornherein nicht in die Vorratstasche des ersten Besten oder eines Mantis der öffentlichen Plätze, sondern in Tempel oder in die Burgen der Mächtigen; wenigstens werden sie ursprünglich nicht für die Masse geschmiedet worden sein, sondern für hohe Verwertung bei solchen, welche bezahlen konnten. Schon das Königshaus der Temeniden von Argos (bis um 750 v. Chr.) hatte seine Sprüche vorrätig gehabt, welche nur der König kannte und erst im Sterben seinem Nachfolger mitteilte155. Vielleicht waren dann Tyrannenhäuser für solche Erdichtungen ganz vorzügliche Kunden geworden, und jedenfalls wurden[290] es die Peisistratiden. Ein Teil oder das Ganze ihres Chresmenvorrates war (508 v. Chr.) im Heiligtum der athenischen Akropolis, wo sie denselben bei ihrer Vertreibung zurückgelassen, dem König Kleomenes in die Hände gefallen, der diese Skripturen nach Sparta brachte, und hier glaubte man daraus zu lesen, daß noch viel Widerwärtiges von den Athenern zu erleben sein werde156. Aus einer weitern Nachricht157 erfährt man zunächst, daß es vorzüglich Sprüche des Musäos waren, welche Hipparchos, der Sohn und Nachfolger des Peisistratos besaß; in deren Deutung aber hatte sich der Stadtherrscher offenbar nicht aus eigener Kraft zurecht zu finden gewußt, so daß er dazu eines Ordners (διαϑέτης) bedurfte. Wo vollends dieser Funktionär auftaucht, darf man auf jede Art von Betrug gefaßt sein; im vorliegenden Fall war es derselbe Onomakritos von Athen, welchem man noch andere Erdichtungen (namentlich eines Teiles der sogenannten orphischen Literatur) zuschreibt, und Hipparchos selber hatte diesen bisherigen Vertrauten aus Athen weggejagt, als er durch den Dithyrambendichter Lasos über einer Fälschung eben jener Chresmen des Musäos ertappt worden war. In ihrem Flüchtlingsleben söhnten sich dann die Peisistratiden mit ihm aus und nahmen ihn mit nach Susa, als es sich darum handelte, den Großkönig zum Krieg gegen Hellas zu bestimmen. Wie er auch hier das Betrügen nicht lassen konnte, erzählt Herodot weiter auf ergötzliche Weise.

In das VI. Jahrhundert fällt auch schon der berühmte Ankauf der sibyllinischen Bücher in Rom, sei es durch den ältern oder durch den jüngern Tarquinius. Von den Varianten, mit welchen diese Geschichte berichtet wird, ist diejenige158 hervorzuheben, wonach das betreffende Weib nicht selber eine Sibylle, sondern nur eine Fremde war. In jener Zeit mochte sich von Griechenland aus ein allgemeiner Begehr nach Chresmen verbreitet haben, so daß auch der König von Rom davon hörte; da aber das prosaische Römervolk dergleichen schwerlich hätte selber ersinnen können und auch den Fälschungstrieb nicht in sich hatte, nahm man mit einem Ankauf in griechischer Sprache vorlieb. Es ist noch die Frage, ob diese Sibyllinen besonders für Rom geschmiedet worden159 und nicht einfach aus einem unteritalischen Tempel gestohlen waren. Als nach der Königsflucht der patrizische Populus den Staat zuhanden[291] nahm, müssen dieselben sofort als eine wichtige Erbschaft gegolten haben, ja als ein Besitz, um welchen man vielleicht die Tarquinier längst beneidet hatte. Und nun ging Rom praktisch vernünftig mit diesem sonderbaren Schatz um; es ließ sich keinen »Ordner« über den Kopf wachsen, sondern bestellte erst zwei, dann zehn und endlich fünfzehn regelrechte Beamte ad hoc und behielt dem Senat allein die Entscheidung darüber vor, ob und wann die Sibyllenbücher sollten befragt werden; auch durften jene Beamten keinen sibyllinschen Spruch eigenmächtig dem Volke mitteilen. Inzwischen gingen die Griechenstaaten trotz ihrer Chresmen allmählich unter, Rom aber gewann und behielt die Weltherrschaft unter periodischer Befragung jener Bücher, so sinnlos sie lauten mochten; warum hätte es nicht dabei beharren sollen?

Wir sahen bereits, wie ganz anders die Dinge in Athen sich gestaltet hatten. Schicksalsverse aller Art, vielleicht zum Teil auch noch aus dem peisistratidischen Geheimbesitz, waren unter die Leute gekommen, und der Staat war völlig außer Stande, deren Gebrauch zu überwachen und an eine bestimmte Behörde zu binden, ja die Demokratie mochte sich ein Verdienst daraus machen, daß jetzt jeder brave Einwohner erfahren konnte, was Bakis und Musäos einst sollten gesungen haben. Athen besaß allerdings eine Gegenkraft, welche Rom nie hätte aufbringen können: den Hohn seiner Komiker, und dessen Möglichkeit beweist, daß auch dem attischen Publikum stellenweise die Augen aufgegangen waren über den ganzen Schwindel. Es ist ein Hauptvergnügen des Aristophanes, den bekannten feierlichen Stil der Chresmen nachzumachen und den verächtlichsten Individuen anzuheften, seinem Hierokles160 und seinem zudringlichen Bettelpropheten bei der Gründung der Vögelstadt161; die Krone alles Lächerlichen aber gebührt den bekannten Szenen in den »Rittern«162. Der Paphlagonier (Kleon) besitzt Chresmen, welche ihm sein Mitsklave stiehlt, sobald er eingeschlafen ist; dieselben weissagen Kleons Sturz und die Reihe seiner Nachfolger und werden in Proben mitgeteilt; im Verlauf des Stückes kommen der Paphlagonier und sein Konkurrent, der Wursthändler, mit gewaltigen Stößen von Schicksalssprüchen vor den Demos: – »ich habe noch eine ganze Kiste voll« – »ich aber ein ganzes Obergeschoß und zwei Kammern«; – »die meinigen sind von Bakis!« – »und die meinigen von dessen älterm Bruder Glanis!« – eine Name, welcher hier frischweg erfunden wird, worauf sie im stückweisen Vortrag ihrer Ware wetteifern.

Nach solchen Exekutionen, sollte man denken, wäre es in Athen mit den Chresmen zu Ende gewesen. Allein zu gleicher Zeit hat die Tragödie[292] doch pathetisch und feierlich davon reden können. – »Es gibt, ja es gibt noch schwarzbeschriebene Pergamente, übervoll von zahllosen Sprüchen Apollons« – tönte es von seiten des Euripides163. Derjenige allgemeine Wille, welcher die Zukunftserkundung trug, kam fortwährend auch den Sehersprüchen zustatten. Zu den Betrügereien Lysanders164 gehörte u.a., daß ein dressiertes Wunderkind nach Delphi kommen und dort aufbewahrte Sehersprüche herausverlangen und lesen sollte; aus diesen würde hervorgehen, daß es für Sparta besser sei, wenn die Könige aus den besten Bürgern genommen würden, d.h. wenn der Nichtheraklide Lysander König würde. Die ganze Geschichte von diesem Götterkind auf Aktien – indem »viele und angesehene Leute« für die »Erziehung« desselben sorgen halfen – geht allerdings in einem andern Medium vor sich als in demjenigen von Athen; in Sparta war die Luft dicker, und man verehrte damals (um 400 v. Chr.) ebendort einen Chresmologen Diopeithes, »einen Mann voll alter Weissagungen, einsichtig und erfahren, wie man glaubte, in allen göttlichen Dingen« – und für einen solchen wäre doch in Athen kein Boden mehr gewesen.

Die in Delphi liegenden Sehersprüche endlich lassen schließen, daß sich in Tempeln überhaupt dergleichen ansammelte, vermutlich schenkweise, etwa von Leuten, welche der Privatbesitz von Chresmen beunruhigt hatte.

In der Folgezeit ist immer hie und da neben allen andern Vorzeichen von solchen Sprüchen die Rede, welche von den Griechen ernst genommen werden. Lykophrons Kassandra (aus der Zeit des Ptolemäos Philadelphos) will wohl nur eine Dichtung sein, beweist aber (durch den für uns kaum begreiflichen Erfolg des Werkes) doch einen verbreiteten Geschmack für das dunkel Prophetische. Aus dem Anfang des II. Jahrhunderts v. Chr. müssen dann die Weissagungen stammen, welche in den Mirabilien des Phlegon erhalten sind. Dieselben werden nicht mehr dem Bakis, Linos oder Musäos zugeschrieben, sondern absurden gespenstischen Individuen aus jener Zeit in den Mund gelegt, mit naher Beziehung auf die Kämpfe der Ätolier und auf die Aussichten des Königs Antiochos in dem schon halb verlorenen Kampfe gegen Rom, bis zuletzt ein wahnsinnig gewordener Römer Poplios (Publius) das Wort abwechselnd in Prosa und in Hexametern ergreift, um seiner Stadt den Untergang zu weissagen. Worauf mitten im Heere ein roter Wolf erscheint und ihn vor aller Augen frißt, ausgenommen den Kopf, dieser aber prophezeit dann noch weiterA11. So abgeschmackt die Einkleidung ist, so wenig darf man[293] doch bezweifeln, daß solche Sprüche damals ersonnen und geltend gemacht wurden, um die Stimmung gegen Rom zu erbittern. Nun mag man erraten, wievieles von dieser Gattung während der weitern Kriege Roms in Hellas und in den Diadochenländern noch kann zutage gefördert worden sein. In diesen an Weissagung von jeher so fruchtbaren Gegenden konnte der Chresmos das Gefäß werden für die Gedanken des Toren wie des Weisen, des Gauners wie des fromm und heimatlich Gesinnten, des Feindes der Römer wie desjenigen, der ihnen eine bestimmte Handlungsweise einzugeben wünschte. Als Augustus das Oberpontifikat übernahm165, beschloß er diesem Andrang ein Ende zu machen; was damals beim Publikum von griechischen und lateinischen Weissagebüchern im Kurs war, alles anonym oder von »ungeeigneten« Autoren, ließ er von allen Seiten her sammeln, über zweitausend Stück, und verbrennen; bloß die Sibyllinen behielt er bei, und auch diese nur in einer Auswahl; sie kamen in den prächtigen Tempel des Apollo Palatinus, und zwar in zwei vergoldete Behälter unterhalb der Basis des Tempelbildes. Allein die Phantasie der Ostvölker seines Reiches, die nun einmal fruchtbar war an Schicksalssprüchen, wird der Herr der Welt nicht haben bändigen können. Noch Plutarch166 klagt über das Gesindel, welches bei den Tempeln der großen Mutter und des Serapis lungere und entweder frischweg, oder nachdem sie haben Lose ziehen lassen, aus gewissen Schriftstücken den Sklaven und den Weibern Chresmen vortrage und dies Publikum mit dem Metrum und den hochtönenden Ausdrücken hinreiße, so daß dabei die ganze Poesie in Mitschuld und Mitleidenschaft gerate. Außerdem mag jenem Autodafé gar vieles entzogen worden sein, namentlich die wohl längst vorhandenen fingierten Sibyllinen, und gerade an diesen wurde unter den Kaisern von den verschiedensten Seiten, zuletzt auch von Juden und Christen, weitergedichtet, bis das umfangreiche Depositum beisammen war, welches man jetzt die Pseudosibyllinen nennt. Von den echten glaubte man im XIII. Jahrhundert, dieselben lägen im Lateran verwahrt, und wußte Stücke daraus zu zitieren167.

Mit Göttern und Religion hatten im Grunde die Chresmen weniger in Verbindung gestanden als alle andere Mantik. Wenn man in der Folge Bakis, Linos, die SibyllenA12 usw. mit Zeus und Apollon zusammenbrachte, so war dies nur eine Logik der SpätmythologieA13.

[294] Vom Wesen der griechischen Orakel ist schon deshalb nicht leicht zu sprechen, weil das bei weitem bekannteste derselben, Delphi, eine in jeder Beziehung ganz abnorme Ausbildung erreicht hat. Bei sehr vielen Nachrichten über die delphische Weissagung kann man im Zweifel bleiben, wie weit damit für die Orakel überhaupt zu exemplieren sei. Zudem aber war Delphi in seiner Blütezeit ein höchst eigentümliches Lebensorgan der griechischen Nation geworden, d.h. es wirkte so sehr auf dieselbe und empfing von ihr solche Rückwirkungen, daß beide, das eine ohne das andere kaum zu denken sind. Dem Betrachtenden scheint es bald mehr, daß geistige Quellen vom Parnaß niederströmen auf ganz Hellas hinab, bald mehr, daß Wellenschläge des griechischen Geistes von Küsten und Tälern empordringen bis an das Felsgebirge mit dem doppelten Haupt. Nicht nur haben die Fragen der Griechen aus diesem Orakel erst mit der Zeit gemacht, was es zum Unterschied von den andern Orakeln wurde, sondern alles, was die Nation sonst noch auf das stärkste bewegte, hat sie um dieses Heiligtum versammelt: ihre Wettkämpfe, ihr Denken, ihre Poesie und ihre hohe Kunst in Gestalt von Weihgeschenken, wie sie anderswo kaum wieder so beisammen waren168. Und dies alles aus freiem Antriebe, indem die allgemeine Phantasie von selbst in diesen Schwung geraten war: sie postulierte ihr Delphi und erhielt es wirklich.

Neben dieser riesigen Erscheinung muß nun dennoch ermittelt werden, was Orakel überhaupt waren. Vor allem wird zu verzichten sein auf das herrschende Gedankenbild, wonach dieselben lauter Künftiges geweissagt hätten, denn Zukunft und Weissagungen waren nur eine von ihren Äußerungen und weder die häufigste noch die wichtigste noch auch wohl die ursprüngliche.

Bedeutungsvollerweise wird Gäa als ursprüngliche Herrin des Orakels von Delphi genannt, sie ist auch sonst die Urprophetin und weissagt schon dem Kronos und dem Zeus. Vielleicht hatte ja die griechische Religion einst (je nach Gegenden) eine Zeit, da sich für sie in zwei Welten oder Mächte schied, was dem Äther eigen war, wie die Himmelslichter und alles Meteorische, und was die Erde von Kräften barg, und damals kann es schon Orakel gegeben haben, und sie gehörten der Erde an. Einzelne Stätten verrieten eine ganz besondere Nähe und Wirkung einer außermenschlichen Kraft: schöne und mächtige Quellen, Höhlen und gewisse Erdspalten. Der eigentümliche Hauch und Duft169, welchen etwa[295] die nahen Hirten hier zu spüren glaubten, brachte sie bisweilen außer sich, und eine der altertümlichsten Nachrichten, welche auf uns gekommen sind, möchte die von der Höhle der sphragitischen Nymphen am Kithäron170 sein. »Darin war einst ein Manteion, und viele Eingeborene wurden davon besessen, und man nannte solche von den Nymphen ErgriffeneA14.« Hier ist noch nicht von einer Befragung die Rede; ein geheimnisvoller Hauch des Elementarischen, der Natur ergreift einstweilen den Nahenden. Daß die Offenbarung ursprünglich aus der Erde emporkomme, ist noch in der Sage des Amphiaraos wider Willen versinnbildlicht: das Orakel entsteht an der Stelle, wo die von Zeus' Blitzstrahl gespaltene Erde den Seher samt Wagenlenker und Rossen verschlungen oder »geborgen« hat, er muß unterirdisch werden, um hinfort Weissagungen zu spenden171.

Alle sonstige Mantik ist vom Ort unabhängig und begleitet den Menschen, das Orakel dagegen ist ein Ort, welcher sich als mantisch zu erkennen gibt, ein Heiligtum, welches seine Stelle selber gewählt hat. Es wird dann gefolgt sein die Einfriedung oder Überbauung, um den Ort zu sichern und ihm auch äußerlich eine weihevolle Gestalt zu verleihen. Ferner wird zu den begeistert Außersichgebrachten ein Ausdeuter dessen, was sie tun und äußern, sich hinzufinden, und wie der Raum ein Tempel, so mag dieser ein Priester dieses Tempels geworden sein; ja es ließe sich fragen, ob bei den Griechen, da sie selber Opferer waren, überhaupt je Priester entstanden wären, wenn nicht die Orakeldeutung sie verlangt hätte172? Die Stätte wird nun ein »Gnadenort«, welcher von nahe und ferne die hoffnungsreichen wie die sorgenvollen Sterblichen an sich zieht und ihnen für wichtige Fragen aller Art Bescheid zu versprechen scheint. Und wenn wahre Wallfahrten zu gewissen Tempeln entstehen, so bliebe wiederum die Frage, ob die Opfer und Wettkämpfe, der Markt und der Festjubel dies von Anfang an hervorgebracht haben würden, und ob nicht der erste Grund zur Wallfahrt ein Orakel war. Man darf nicht vergessen, daß das gewaltige Olympia als[296] Orakelstätte des Zeus begonnen hat: »als das Manteion einging, behauptete sich dann dennoch der Ruhm des Heiligtums, und es gewann Gedeihen durch das Fest und den Agon173.« Auch die Amphiktyonien wären wohl kaum entstanden bloß um eines Tempels willen, und wäre er noch so reich und prächtig und sein OpferdienstA15 noch so feierlich gewesen; vielmehr sind diese zum Teil uralten Vereine griechischer Stämme und Staaten am ehesten zu verstehen als Schutzbündnisse, welche die Zugänglichkeit und Neutralität wichtiger Orakelstätten sicherten; der Pilger sollte nicht beraubt, die feierliche Staatsgesandtschaft nicht gehindert werden. Jedenfalls waren Delphi, Onchestos und Delos, welche den Schutz ihrer Amphiktyonien genossen, zugleich berühmte alte Orakelstätten, und auch die Tempel des Apollon zu Argos und des Poseidon zu Kalauria werden wohl ihre Schutzvereine ursprünglich Orakeln verdankt haben. Bündnisse der Urzeit stiften nicht erst ihr Gesamtheiligtum (wie in der Folge z.B. die Ionier in Kleinasien taten), sondern sie entstehen wegen desselben und für dasselbe, aber vermutlich nur aus einem sehr mächtigen Grunde. Welcher aber könnte dies eher gewesen sein, als daß der Gott sich nicht bloß mit Opfern feiern ließ, sondern Bescheide gab, wichtigere und höher verehrte als alle übrigen Orakel der Gegend?

Nun stammen unsere Aufzeichnungen erst aus Zeiten, da eine beschränkte Zahl berühmter Orakel die Aufmerksamkeit fast allein auf sich zogen174. In der Frühzeit hat es ihrer sehr viel mehrere gegeben, und schon Böotien allein war damit so reichlich versehen, daß es das »vielstimmige« hieß175. Noch bei Strabo ist es beinahe Sprachgebrauch, statt Tempel überhaupt Manteion zu sagen, als wäre einst beides dasselbe gewesen. Daß mit der Entvölkerung Griechenlands seit der Diadochenzeit die meisten noch vorhandenen Orakel wegstarben, erklärt sich von selbst; aber auch schon viel früher, in der sog. Blütezeit, wird das Eingehen dieser und jener Fragestätte erwähnt. Das noch bis zu den Perserkriegen hochangesehene Orakel des Apollon beim böotischen Tegyra war kurz vor Pelopidas eingegangen176, dasjenige des Teiresias in Orchomenos[297] erlosch bei einer großen Pest177, und auch in betreff anderer, da der Zeitpunkt nicht näher angegeben wird, läßt sich annehmen, daß das Erlöschen nicht erst wegen der spätern Menschenarmut Griechenlands erfolgte. Das Hauptorakel für Theben, das nur fünfzehn Stadien entfernte Ptoon erlosch seit der Eroberung durch Alexander178.

Das äußerliche Gesetz, welchem Orakel wie Wallfahrten unterliegen können, ist nämlich das der Konkurrenz;179 auch von unsern Gnadenorten des spätern Mittelalters sind mehrere erweislich sehr rasch emporgekommen und ebenso rasch wieder in Abgang geraten, wenn andere aufblühten. Da niemand ein bestimmtes Orakel besuchen mußte, kann allmählich oder plötzlich ein tatsächliches Privilegium, ein hoher Ruhm für einzelne dieser Stätten eingetreten sein, und die Phantasie tat das übrige. Die Gottheit des Orakels und ihre höhern Organe, die Propheten, Promanteis, oder wie sie hießen, mögen hierbei nur getan haben, was ihnen zukam; wenn sich aber bereits eine Ortschaft, ein Geschäft um das Heiligtum angesetzt hatte, so konnte sich bei den dortigen Krämern und Küstern eine Malice gegen den nächsten Konkurrenten bilden. Aus einer solchen Quelle scheint der Mythus zu stammen, welcher in dem homerischen Hymnus auf Apollon erhalten ist180. Der Gott – so hieß es wohl in Delphi bei Leuten jener Art, – hätte können seine Stätte auch anderswo suchen; er verhandelt mit der Quellgöttin Telphusa (bei Haliartos); diese aber, nachdem er bereits Fundamente (ϑεμέλια) gelegt hatte, verleidet ihm den Ort wegen des Lärms von Wagen und Rossen, d.h. wohl wegen eines großen Agons, der bereits beim Quelltempel entstanden war; sie will, daß ihr selber aller Ruhm auf Erden zuteil werde; Apollon jedoch rächt sich in der Folge, indem er ihr die Quellen durch einen Felssturz versperrt; das Zeichen seines Triumphes an Ort und Stelle ist dann der Altar, den er sich selber gebaut als Apollo Telphusios.

Einstweilen werden immerhin auch neben den ruhmvollsten Fragestätten noch eine Menge kleinerer sich viele Jahrhunderte hindurch behauptet haben, ohne daß wir davon hören; manche Fragende zogen wohl unter allen Umständen schon das nächste Orakel vor, aus Armut, aus Ungeduld, aus alter Gewöhnung ihres Ortes oder ihrer Familie; oft ging man auch von einem Orakel zum andern und war froh, überhaupt eine Auswahl zu haben. Ein besonderes Seitenlicht fällt jedoch auf diese ganze Sache, sobald man sich das Verhältnis der Orakel zur griechischen Polis[298] und ihren Lebensbedingungen so deutlich, als es bei unsern Kunden möglich ist, vorstellt.

Aus der Urzeit, ja vielleicht von einer Bevölkerung her, die noch keine griechische war, hatten sich nach unserer Vermutung die Orakel erhalten und waren zunächst gegenüber von jeder griechischen Staatsbildung das Frühere, Vorgefundene. Fortan mögen dann die Stammeskönige, die Herrschaften der Edeln, die Tyrannen und endlich die beginnenden Demokratien sich zu den Orakeln verschieden verhalten haben; in der Hauptsache aber blieb sich die Polis gleich: sie konnte diese auswärtige Andacht181 weder selber entbehren noch ihren Bürgern verbieten. Ihre ganze Staats- und Stadtreligion, sowohl der Kultus der Hauptschutzgottheit als der der übrigen Tempel, war im Grunde mit allem Trost am. Ende, sobald ein Krieg mit einer andern Polis im Gange war, welche ebenfalls ihre Schutzgottheit und ihre sonstigen Tempel hatte, und auch bei Pest und andern Kalamitäten mußte man sich nach einem Heil umsehen können, welches außerhalb der Mauern lag und meistens (wie das Unheil selbst) einer weitern Strecke, ja dem ganzen Volke entsprach. Ein zweites war, daß sich im Innern dieser Stadtreligionen, da jeder Priester nur für seinen Tempel Bescheid wußte und niemand für das Ganze, bisweilen große Ratlosigkeit einstellte beim Umsichgreifen der Furcht vor Götterzorn; sodann konnte das Ritual irgend eines Kultus verloren gegangen sein, wenn etwa die Wissenden rasch wegstarben, sei es durch Krieg, Pest oder mörderische Unruhen, und auch in diesem Fall wird eine Anfrage bei einem Gott am ehesten geholfen haben. Und nun gewährten die Orakel, zumal Delphi, was so unbeschreiblich viel wert war: die Losspannung der Gemüter, meist nicht durch Weissagung, sondern durch Anordnung einer neuen Andacht oder Herstellung einer alten. Es genügte ja, daß man glaubte, ein Gott habe gesprochen; einträchtige Beschlüsse konnten jetzt gefaßt, die gefährlichen Zeiten überdauert werden. Erst die vollendete Demokratie, welche alles in ihrer Volksversammlung und in Kürze zu entscheiden liebte, überging nach Kräften die Orakel und nahm sie nur in Anspruch, wenn die noch altväterische Stimmung des Volkes dies ratsam erscheinen ließ. In solchen Staaten treten an die Stelle von Vorzeichen und Götterbefragung die Gier, der Haß und die Furcht der Streber und der Massen und das allgemeine Durcheinanderschreien, und am Ende gibt erst recht irgendein momentaner Aberglaube den wenigstens provisorischen Entscheid.

Die allgemeinen Phänomene des Orakelwesens müssen aus einer bunten Vielheit von Aussagen ermittelt werden, die meist eher jeden andern[299] Zweck haben, als den, die Nachwelt über die Hauptsache aufzuklären. Zunächst ist zu erwägen, daß an einer so aufregenden Sache, wie die Orakelbefragung war, unvermeidlich die Phantasie weiter sann sowohl bei den Fragenden als bei den Befragten, auch müssen wir darauf gefaßt sein, daß das Griechenvolk seinen Orakeln Sprüche geradezu andichtete, sobald es einmal im Fluß des Erzählens war. Die Erinnerungen des Gnadenortes selber wurden zu einem mehr oder weniger umständlichen Mythus, welchen die Pilger werden erfahren und weitererzählt haben182. Über Delphi sind Bergeslasten von Antiquitäten aufgeschüttet, welche mit den Urmythen über das Orakel selbst beginnen und dann den ganzen Heroenmythus und die ganze alte griechische Geschichte hier Einkehr halten lassen, um sich weiterhin in Kunden aller Art über den Kultus des Orakeltempels und der heiligen Stätten ringsum, über das Zeremoniell und ganz besonders über die musischen und gymnischen Agone, die berühmten Pythien, zu verlaufen. Welcher innere Hergang in den Gemütern war aber einst nötig, bis Delphi »der Nabel der Erde« hieß, sowie Ogygia, die Insel der Kalypso, der »Nabel des Meeres183« und bis die beiden Adler des Zeus, der von Osten und der von Westen (des Weltrandes) hier zusammentrafen? Wir werden es nie erfahren.

Die Art des Bescheides war bei den einzelnen Orakeln eine sehr verschiedene, und jedes derselben wird sein Personal selber gebildet haben. Der Unterschied zwischen Zeichenorakeln und Spruchorakeln ist nicht so bedeutend, als man denken sollte, indem beide Gattungen der Ausdeutung durch irgendwelche Erklärer nicht entbehren konnten. Das Rauschen der heiligen Eiche184, der Klang des ehernen Beckens usw. in Dodona, der tönende Lorbeer in Delos und anderseits die Worte, welche zu Delphi die Pythia ausstieß, sind unartikulierte Laute, welche gleichmäßig der Deutung bedürfen. In Olympia und im Tempel des Apollon Ismenios zu Theben wurde aus den Opfern, d.h. aus dem Verhalten der Opferflamme und Opferasche der Bescheid entnommen185, so daß sich hier die Orakel mit dem üblichen Geschäfte des Opfermantis[300] berühren. Die Deutung wurde in Dodona durch greise Frauen (die Peleiaden) erteilt, anderswo durch Männer, einen oder mehrere, welche Priester, Propheten, Promanteis186 heißen. Man darf sich diese Leute als selber völlig gläubig, ja als der Ekstase fähig vorstellen; sie standen wohl im ganzen nicht hoch über den Fragenden, aber sie verstanden dieselben. Wir empfinden einiges Widerstreben, uns diese Dinge gar zu genau vorstellig zu machen, als eine »Verbindung zwischen Theopneustie und reflektierender Auslegung«, als »Weissagung unter Aufsicht priesterlicher Kollegien« (Preller), und wenn dies auch bei Delphi gelten sollte, wird es sich anderswo auf verschiedene Weisen verhalten haben, bei welchen uns Kunde und Vorstellung gleichmäßig im Stiche lassen. In der homerischen Zeit hatten in Dodona die »Sellen« geweissagt, »mit ungewaschenen Füßen auf der Erde liegend«, was man auf Schlafende deuten kann, welchen der Bescheid auf das Gefragte im Traum zuteil wird187; sie können aber auch wie die nordasiatischen Schamanen liegend im Wachen die Erde befragt haben, welche ja die alte allgemeineA16 Herrin der Orakel ist. Waren sie eine Korporation? eine Familie? ein Stamm? Bei dem Dionysosorakel der Satren188 im freigebliebenen thrakischen Waldgebirge waren es die zu ihnen als Teil gehörenden »Bessen«, welche den Fragenden Bescheid erteilten, die Sprüche selbst aber gab die Weissagepriesterin (Promantis) wie in Delphi, und nichts war »feiner«189. – Der Fragende brachte seine Sache meist mündlich vor, doch wenigstens in Dodona später nur schriftlich, indem er sein Anliegen auf eine Bleitafel schrieb; auch unter den Antworten gab es hier schriftliche, ebenfalls auf Bleitäfelchen, und von beiden Gattungen sind in den dortigen Ruinen welche gefunden worden190. Noch andere Fragearten kommen vor: zur Zeit der Aleuaden sandten die Thessalier, um wegen der Herrscherfolge zu fragen, Bohnen (φρυκτούς) mit den Namen der möglichen Nachfolger nach Delphi: Pythia hatte eine davon zu wählen, und der Ernannte galt als »von dem Gott« ernannt191. Aber auch das war nicht unerhört, daß[301] Pythia noch ungefragt einen sofortigen Entscheid gab, denn, sagte ein schöner alter Vers, der Gott, welchem sie dient, versteht auch den Stummen und hört den, welcher nicht redet192.

Man kam zu den Orakeln entweder aus unmittelbarem Antrieb, oder weil man bereits ein Zeichen empfangen hatte, dessen Deutung durch die Gottheit gewünscht wurde. Im homerischen Hymnus auf Hermes (541 ff.) ist dieser letztere Fall wie selbstverständich vorausgesetzt; Apollon erklärt sogar, alles hänge davon ab, ob einer auf gültigen oder auf eiteln Vögelflug hin »komme«, d.h. bei einem seiner Orakel vorspreche; wolle einer der letztern Art törichtermaßen seine, des Gottes Offenbarung erkunden und mehr wissen als die ewigen Götter, dann sei dessen Reise vergeblich, »die Geschenke aber nehme ich doch«. Diese bedenkliche Rede, welche gewiß nicht der vorherrschenden Überzeugung entspricht, mag passieren in einer so hoch humoristischen Dichtung, wie jener Hymnus, das Triumphlied aller Schelmerei überhaupt, in welchem Apollon seines Brüderchens einigermaßen würdig erscheinen muß. Auch in einem Vers des Sophokles193 wird der mögliche Erfolg der Befragung von dem Fragenden abhängig gemacht; aber hier: je nachdem derselbe weise oder töricht sei.

Die Bescheide werden nun den Hauptaufschluß darüber geben müssen, was die Orakel eigentlich waren. Die offenbarende Kraft ist die der Gottheit, welcher der betreffende Gnadenort gehört; hier wenigstens verdankt man die Erkundung der Zukunft wie jede andere Weisung entschieden einem göttlichen Wesen, hie und da auch einem Heros. Was von Zweifeln und rationalistischen Erklärungen im Altertum vorkommt, stammt nirgends aus dem Volksglauben, sondern aus philosophischen Systemen und ebenso die lange Auseinandersetzung in Plutarchs Schrift »von der Abnahme der Orakel«, wo dieselben nicht den Göttern, sonden den Dämonen als eigentlichen Urhebern zugewiesen werden. Auf diese IdeeA17 sind dann auch die Kirchenväter eingegangen; sie leugneten nicht die Orakel, schrieben sie aber dem Teufel zu.

Die Orakel sind vor allem das Unbefohlene und drängen sich mit ihren Bescheiden nicht auf; man muß dankbar sein, wenn der Gott nur etwas offenbart. Wenn sie eine Herrschaft über das Leben erreichten, so haben sie doch nie eine solche erzweckt, wovon der sprechende Beweis gerade für Delphi zu leisten ist: wäre dem Orakel an permanenter Massenpraxis gelegen gewesen, so würde man sich nicht auf einen Fragemonat im ganzen Jahr, später auf einen Fragetag im ganzen Monat beschränkt haben. Auch in seinem Tempel zu Patara in Lykien gab der Gott nicht[302] immer194 Bescheid, und wir erfahren anderweitig, daß er dort nur im Winter weilte, im Sommer aber auf Delos. Noch zur Kaiserzeit war jene Prophetin im Tempel des Apollon Deiradiotes in Argos195 nur alle Monate einmal bereit; da opferte man bei Nacht ein Lamm, und sobald sie dessen Blut genoß, wurde »sie vom Gott begeistert«. Ferner kommen die Geschenke und Anatheme an die Gottheit und nicht etwa an ein bepfründetes und genießendes Priestertum; freilich, was bei den Opfern neben abfiel, wurde wenigstens auf Delos und in Delphi von dem untergeordneten Personal vergnüglich verschmaust196, und bei diesem Anlaß wird von der Reputation der Delphier überhaupt ein Wort zu sagen sein. Zugang und Nachbarschaft des Heiligtums werden schon von alten Zeiten her, zum Teil noch in sagenhafter Weise, als gefährlich geschildert197; gegen die jeweilige Bevölkerung der Nachbarstadt Krissa und ihres Gefildes, unterhalb Delphi, hatten die Amphiktyonen schwere Exekutionen verhängen müssen, die letzte noch am Ende des VII. Jahrhunderts, weil von dort aus gegen das Heiligtum gefrevelt und gegen die Pilger Brandschatzung geübt worden war. Daneben aber verlauten auch schwere Klagen gegen Delphi selbst, welche man im wesentlichen nicht wird abweisen können, auch wenn dabei einiger Pilgerverdruß wegen bloßer Überteuerung usw. sollte mitgewirkt haben. Es hieß, feierliche Frageboten (Theoren) seien dort schon durch Mörder umgekommen198, Pilgern habe man heimlich beim Opfer Tempelkleinodien in ihre Weihrauchkörbe gelegt, sie dann als Tempelräuber verhaftet und laut delphischem Gesetz verurteilt; sie wurden auf den »Fels« geführt und hinuntergestürzt199. Dieselbe Todesart sollte auch der Fabeldichter Äsop hier erlitten haben200, und zwar auf einen ähnlichen Vorwand hin, worauf eine lange Rache der Gottheit erfolgte201. Als vor der sizilischen Expedition des Jahres 415 im Tempel selbst Raben von dem metallenen Palmbäum[303] mit dem Pallasbild die goldenen Datteln wegpflückten202, sagte man, dies seien Tücken der Delphier, welche sich hierzu hätten von den Syrakusiern gewinnen lassen. Und wenn auf der attischen Szene die Gegend um den Parnaß203 und vor allem (im Ion des Euripides) das Heiligtum selbst auf das glänzendste verherrlicht wird, so liegt es doch nicht außerhalb des delphischen Brauches, daß man einem eingetroffenen Festgaste ein Mädchen zur nächtlichen Gesellschaft gibt204. Auch die Moralität von Delos galt kaum für besser; Delier und Rhenäer schoben einander die Ermordung einer reichen äolischen Festgesandtschaft gegenseitig zu205. Denkt man sich eine Fragestätte wie Delphi in Zeiten starken Besuches von leidenschaftlichen und kummervollen Menschen, welche sich bisweilen dem Gesindel eines nur mangelhaft beaufsichtigten Fremdenortes gegenübersahen, so wird man bei diesen Klagen auf Ermittelung der genauen Tatbestände verzichten. Das Heiligtum selbst wäre von all diesem noch kaum berührt – bis Pythia selber sich bestechen ließ.

Wir übergehen einstweilen diese Fälle und konstatieren, daß die Orakel im großen immer als wahrhaftig und als wirkliche Offenbarungen gegolten haben. Von Delphi sagt Cicero206: »möge doch wenigstens das gelten, was wir nicht leugnen können, wenn wir nicht die ganze Geschichte auf den Kopf stellen wollen, daß dies Orakel viele Jahrhunderte entlang wahrhaftig gewesen ist.« Die allgemeine Stimmung ist in allen Zeiten durchaus zugunsten der Orakel; von allen Seiten sucht man aus den wenn auch späten Erfüllungen ihrer Weissagung deren Richtigkeit zu beweisen. Sprechende Beispiele von dieser eifrigen Absicht liefert der nicht seltene Fall207, da jemandes Schicksal an einem bestimmten Ort sich vollziehen soll; erfolgt dies aber anderswo, so wird dargetan, daß derselbe Name einer Örtlichkeit auch dort vorkomme. Daß und weshalb die[304] Orakel später in Abnahme gerieten, wird weiter zu erörtern sein; eine Gegnerschaft aber haben sie im Altertum nie gehabt, und kein Mensch war versucht, sie aus Gründen der Religion oder gar der Aufklärung abzuschaffen. Ein rohes Söldnerregiment mochte im IV. Jahrhundert die Schätze von Delphi für seinen Gebrauch in Münze verwandeln, aber einen Angriff oder gar einen Bildersturm gegen die prachtvolle Ausstattung solcher Gnadenorte hat es in der heidnischen Zeit nie gegeben. Die philosophische Anzweiflung, soweit eine solche vorkam, war es vollends nicht, was ihre Abnahme bewirkte.

Unserer Aufgabe gemäß wird nun zuerst von denjenigen Bescheiden die Rede sein müssen, welche eine Zukunft weissagten, obschon dieselben weder das Früheste noch vollends das Vorherrschende waren, und die Anfragen ein viel weiteres Gebiet umfaßten. Vor allem wurde nie um Lenkung der Schicksale angefragt oder gebetet, indem – nach der konsequenten Ansicht – die Götter selber der Moira untertan und auch – bei der später vorausgesetzten Steigerung ihrer Herrschermacht – kaum imstande oder willens gewesen wären, den Menschen hierin gefällig zu sein. Erst bei Lucan (V, 92 ff.) ist in betreff des Gottes von Delphi jene Alternative möglich: sive canit fatum, seu quod iubet ipse canendo fit fatum – der weitern Hypothesen des Römers nicht zu gedenken. Auch »des Zeus untrüglicher Ratschluß«, welchen Apollon in Delphi verkündigen soll, wäre ja schon an sich etwas Unabänderliches gegenüber von allen Wünschen der Sterblichen, aber selbst mit diesem Ratschluß ist es eine zweifelhafte Sache, und (wie schon früher gesagt) es wird derselbe im homerischen Hymnus auf Apollon zweimal (V. 252 und 292) anonym erwähnt mit Weglassung des Zeus. Was die Orakel voraus verkündigen, ist eben doch nur Wille des Schicksals, und was den Göttern im besten Falle zugetraut wird, ist das Vorauswissen dieses auch ohne sie vorhandenen Schicksals und die Geneigtheit, dasselbe den Menschen voraus mitzuteilen, sei es durch Vorzeichen oder durch Sprüche in ihren Tempeln. Und zwar handelt es sich meist um eine nahe Zukunft und beschränkte Kausalitäten. Es lautet ja sehr prächtig, wenn in der Anrede des Cheiron bei Pindar208 Apollon gepriesen wird als derjenige, welcher aller Dinge Ziel und alle Pfade wisse und alles Frühlingsgrün kenne, so viel die Erde emporsende, und allen Sand, welchen in Meeren und Flüssen Woge und Wind dahertreibe, und schaue das Künftige, und von wannen es komme. In feurigen Gemütern, wenn sie in Delphi, im Didymäon von Milet, im thebanischen Ismenion vor den Gott traten, mögen solche Gefühle recht wohl lebendig geworden sein; und doch ist es nicht einmal sicher, daß die große Herrschaft Apollons über die ganze Mantik eine besonders[305] frühe Anschauung und nicht erst ein Reflex von der Tatsache gewesen, daß einige besonders berühmte Orakel sich in seinen Tempeln befanden.

Nun sind freilich mehrere Schicksalssprüche der neuern Kritik verdächtig geworden als erst erfunden, nachdem das Geweissagte geschehen war (ex eventu), ja als ersonnen zugleich mit der ganzen Sage, auf welche sie sich beziehen209; doch werden manche unangefochten bleiben, und daß über die Zukunft wenigstens gefragt wurde, weiß man aus zu sichern Kunden; auch sind Fragen über Zweckmäßigkeit dessen, was man zu tun gesonnen ist, schon an sich Zukunftsfragen210. Eine dodonäische Bleitafel enthält z.B. die Frage einer Stadt, ob ein politisches Bündnis mit den Molossern ihr Sicherheit bringen werde. – Weiter frägt es sich, ob die teils metrisch, teils in Prosa überlieferten Zukunftsbescheide der frühern Zeit, auch wenn sie in Delphi und an andern Fragestätten wirklich ergangen sein sollten, genau wiedergegeben oder dem allgemeinen Lose aller lange Zeit mündlich gebliebenen Überlieferung verfallen gewesen seien? Ob nicht Mystik und Witz das ihrige hinzugetan haben? Auffallend sind die meisten davon durch geflissentliche Dunkelheit, so daß es, wie Lucian211 spottet, eines zweiten Apollon bedurft hätte, um sie zu deuten. Ein wahres Muster in dieser Beziehung sind z.B. die delphischen Antworten an Sparta auf drei Fragen wegen der BesitznahmeA18 Arkadiens, zunächst Tegeas212. Die erste ist ein Scheinversprechen, das sich in entgegengesetztem Sinn und zum Jammer Spartas erfüllt; die zweite enthält eine unmöglich scheinende Bedingung des Erfolges, nämlich die Erwerbung der Gebeine des Orestes, die dritte gibt zwar den Ort dieser Gebeine an, allein so, daß zuerst die Kunde von riesigen Überresten vorhanden sein und dann mit Mühe und Not die Ortsbestimmung des Orakels darauf bezogen werden muß. Die Wirkung des ganzen Berichtes geht im Grunde dahin, daß Delphi die Unterwerfung jener Lande durch die Spartaner nicht wünschte und diese davon abzubringen suchte. Oder ist nur die listige Entführung einer Heroenleiche historisch und das Orakel hierzu ersonnen?

[306] Für das ganze so überaus rätselhaft erscheinende Verhältnis dieses spartanischen Staates zu Delphi läßt sich vielleicht eine einfache allgemeine Erklärung aufstellen. Haben etwa die jeweiligen Lenker eines in seinem innern Bau und seiner auswärtigen Politik so gewaltsamen Staatswesens, die Könige und dann die Ephoren, den beständigen Verkehr mit Delphi in so auffallender Weise betrieben, um zu Hause den übrigen Spartiaten, auch der Gerusie, möglichst wenig Rechenschaft geben zu müssen? Wie weit die Sprüche zur öffentlichen Kunde kamen, erfährt man nicht ausdrücklich; die Regierung wird sich darauf eingerichtet haben, jeder möglichen Einrede ein Mysterium entgegenhalten zu können, die delphischen Bescheide mochten lauten, wie sie wollten.

Vom Ende des VI. Jahrhunderts, für Sparta von König Kleomenes an, beginnen dann jene Fälle, da Pythia »beredet«213 oder sogar bestochen wird zu bestimmten Sprüchen; oder ein einflußreicher Delphier wird bewogen, einen Druck auf die Unglückliche zu üben214; unmittelbar mit Geld soll Pythia bearbeitet worden sein durch die Alkmäoniden215. Auch die höchsten Autoritäten innerhalb der Religionen können zeitweise schwerer Verdunkelung anheimfallen, wie der römische Stuhl im X. und am Ende des XV. Jahrhunderts, wenn das, was nicht Religion ist, sich ins Heiligtum drängt, um die am Heiligtum hängende Macht an sich zu reißen. Doch ist zu erwägen, daß das meiste hiervon, namentlich der vor die Pythia gebrachte Hader der spartanischen Königshäuser, zu jener anekdotischen Geschichte Spartas gehört, wie man sie in Athen zurecht gemacht hatte und auch dem Herodot erzählte; in Geldsachen aber hielten die Athener überhaupt nicht mehr leicht jemand für ehrbar und zogen die Erklärung von Ereignissen durch Intrigen und Geld jeder andern vor. Spätere schwatzten in diesem Sinne ganz unbefangen weiter, bis es endlich hieß, schon Lykurg habe regelmäßig die »Prophetin« bestochen, wenn er sich in Delphi seine Gesetze bestätigen ließ216. Jedenfalls ist wenigstens dem Lysander die wirklich versuchte Bestechung der Pythia mißlungen. Derjenige Zustand Delphis endlich, wie er sich beim heiligen Kriege und beim Druck Philipps von Makedonien bildete, kann unmöglich mehr als ein regelmäßiger betrachtet werden. Im Grunde aber war es seit anderthalb Jahrhunderten oft nicht viel anders gewesen. Das Orakel, welches früher hatte zwischen streitenden Staaten Schiedsrichter sein können, wurde in die Kämpfe der Griechen hineingerissen, bis es sich beim Anfang des peloponnesischen Krieges geradezu auf die spartanische Seite stellte. Menschen und Parteien waren zur Macht gekommen,[307] welchen an dem Gott und seinen Sprüchen vielleicht innerlich nichts, aber äußerlich um so viel mehr gelegen war, und welche ihn um der Wirkung willen durchaus auf ihrer Seite haben wollten. Die Folge war, daß Apollon im Tempel und auf der Terrasse von Delphi jene Masse von Anathemen dulden mußte, welche größernteils Siege von Griechen über Griechen verherrlichten.

Wenn nun Plutarch217 recht berichtet wäre, so hätten sich in den frühern Zeiten die Orakel dem Druck der Mächtigen vorzüglich durch jene Dunkelheit ihrer Bescheide entzogen, d.h. es werden ihnen ganz naiv Rücksichten der Furcht zugetraut. Den Leuten eines Orakels habe es nicht dienen können, Mächtige und Tyrannen zu erzürnen; Apollons Diener und Propheten sollten nicht durch Böse den Untergang erleiden usw.; da habe denn der Gott das Wahre keineswegs aufgehoben, sondern nur dessen Offenbarung »seitwärts gewendet (παρατρέπων)«. Es würde indes schwer fallen, einen einzigen Bescheid namhaft zu machen, welcher notwendig oder auch nur mit Wahrscheinlichkeit auf diese Weise zu erklären wäre. Auch konnte der Bescheid ja völlig verweigert werden, wenn beim vorausgehenden Opfer das Tier sich nicht auf ganz besondere Weise verhielt, und aus den Worten der betreffenden Nachricht218 scheint hervorzugehen, daß dieser Fall leicht zu haben war; dann aber »führte man die Pythia nicht herbei«.

Glücklicherweise gibt es ein sehr vollständig erzähltes Beispiel von Schicksalsfragen, Bescheid und Deutung, aus welchem jeder Leser sich über diese ganze Sache diejenige Aufklärung verschaffen kann, die seiner Anlage, Bildung und Stimmung gemäß sein wird: die Geschichte von den athenischen Boten in Delphi vor der Schlacht bei Salamis219.

Auch gewaltsame Deutung eines Zukunftsorakels zum eigenen Vorteil ist nicht ohne Beispiel. Einst hatten Ätolier unter Anführung des großen Diomed Brundusium gegründet; später (man erfährt nicht, wann) durch die Appuler vertrieben, hatten sie sich an Orakel gewandt und den Bescheid erhalten: denjenigen Ort, den sie wieder erreichen würden, sollten sie auf ewig besitzen. Ihre Gesandten erscheinen nun in Brundusium und verlangen unter Kriegsdrohung die Zurückgabe der Stadt, werden aber von den Appulern, welche diesen Spruch vernahmen, getötet und innerhalb der Mauern begraben: »das sei nun jener ewige Wohnsitz«. Damit blieb den Appulern die Stadt, und noch spät wollte Alexander von Epirus keinen Krieg mit ihnen aus Achtung vor diesem Hergang, antiquitatis fata veneratus220.

[308] Das Hauptgebiet der Orakel war aber nicht die Weissagung, sondern der Bescheid im weitern Umfange des Wortes. In den weitmeisten Fällen sagt das Orakel nicht, was geschehen wird, sondern es ordnet an221; auch auf gestellte Zukunftsfragen wird öfter gar nicht geantwortet, sondern sofort etwas befohlen. Schon in der Urzeit kann für ein mantisch gesinntes Volk das Heiligtum, welches eine Grotte, eine dampfende Erdspalte barg, der gegebene Zufluchtsort gewesen sein, wenn man der Wirkung des häuslichen Bittopfers an die Gottheit nicht sicher war und dem herumziehenden oder seßhaften Mantis oder Traumdeuter nicht mehr genug Vertrauen schenkte; dort draußen im Berg- oder Waldheiligtum wartete derjenige Mann, aus welchem vielleicht in der Folge der Priester wurde. Und jene Anfragen umwohnender Bauern und Kleinstädter, auf welche wir in der Spätzeit sogar Delphi und Dodona reduziert finden, waren vielleicht auch schon die frühesten gewesen: die Ermittlung verlorener oder gestohlener Sachen, die Beratung des Kranken oder seiner Angehörigen um Genesung222, Fragen über ein Geschäft, über Ankauf eines Sklaven223, über Eheschließung und Nachkommenschaft224, Seefahrt, Fruchtbarkeit des Jahres usw. Zwischenhinein war dann jene Erhebung einer Anzahl von Hauptorakeln erfolgt, es kam die Zeit, da »mächtige Städte, hochstrebende Könige und Tyrannen« dieselben beschickten, da Herrscher über Dauer, Gefahren und Ausgang ihres ganzen Hauses anfragten, und auch ihnen wurde nicht immer die Zukunft verkündet, sondern irgendein Verhalten vorgeschrieben.

Unter den Bescheiden der Orakel, vorzüglich des delphischen, sind zunächst die Kultbescheide von hohem Interesse; sie ersetzten der Nation die sonst völlig mangelnde kirchliche Autorität. Nicht etwa die theologische oder dogmatische! denn mit irgendeiner Lehre oder einem allgemeinen Glaubenssatz haben sich die Orakel niemals abgegeben; wohl aber wußten sie, wie bereits bemerkt, bei Landesunglück Rat darüber, welches Gottes oder Heros Zorn zu sühnen sei durch bestimmte, oft schwere Opfer oder durch einen neuen Dienst oder Herstellung eines alten, welche Sühnungen von Toten, zumal gewaltsam Umgekommenen225, zu vollziehen seien usw. Schon in alter Zeit ist eine so wichtige[309] Kultstätte wie die des Trophonios bei Lebadea einzig auf delphische Weisung hin aufgefunden worden. Theoretisch haben die Orakel freilich nie den Anspruch gemacht, über den Gottesdienst der Hellenen eine Oberaufsicht zu führen oder in diesen Dingen eine höhere allgemeine Weisheit zu besitzen, allein man traute ihnen von allen Seiten eine solche zu. In angstvollen Augenblicken trat man vor sie und erhielt dann in der Regel eine Weisung, deren Folge, wie oben gesagt, eine Beruhigung der Gemüter in einer ganzen Stadt war; aber auch in ruhigen Zeiten fragte man über gottesdienstliche Entscheidungen aller Art am sichersten ein Orakel an um zu erfahren, ob man damit der Gottheit erwünscht sei. Schon die Pelasger fragten einst in ihrem alten Dodona, ob sie die von draußen (»von den Barbaren«) gekommenen Götternamen anwenden sollten; da antwortete das Manteion, sie sollten dieselben brauchen226. Solches, und nicht etwa Anfragen und Antworten über das Wesen der Götter war der wahre Verkehr in jenen Heiligtümern, und wo eine Frage und ein Spruch irgend theologisch lauten, ist entweder die Nachricht erdichtet oder sie stammt aus einer ganz späten Zeit, da Literaten auch dergleichen vor die Orakel verschleppt haben mögen. Geschah doch dies sogar mit historischen Fragen, als z.B. Kaiser Hadrian den Gott von Delphi damit bemühte, ihm die wirkliche Heimat und den Vater des Homer zu offenbaren227. Welch ein ganz anderer Ernst muß einst in den Anfragen gewaltet haben! Die Kerkyräer, als sie sich nach Dodona wandten um zu erfahren, welchem der Götter sie opfern sollten, damit sie unter sich einig würden, waren vielleicht am Vorabend der entsetzlichen Parteikämpfe des Jahres 427 angelangt und wußten: wenn kein Gott hilft, so beginnt der Entscheid zur Ermittlung des Stärkern!

So wie die Orakel keine theologische oder dogmatische Instanz sind, so auch keine moralische; sie künden keine sittlichen Wahrheiten, und die sieben Sprüche, welche im Tempel von Delphi in goldener Schrift zu lesen waren, stammten nicht von Apollon, sondern von den sogenannten sieben Weisen und mögen erst in einer Zeit angebracht worden sein, da das Heiligtum überhaupt mit allem, was die Griechen begeisterte, in Verbindung gesetzt wurde. Auch das Wissen und Entdecken fand sich ein und durfte sein Weihgeschenk darbringen; der große Hippokrates stiftete die eherne Nachbildung eines menschlichen Skelettes228. Die Orakel hatten vollends nicht die Absicht der sokratischen Ethik, die Menschen[310] »besser zu machen«; erst der rationalistisch gesinnte Ephoros229 meint, Apollon habe einst gemeinsam mit Themis Delphi gegründet zur Verbreitung milderer Sitte (ἡμερότης) und Vernunft (σωφρονίζειν); bisher hatte wohl niemand angenommen, daß der Gott irgend einem Menschen, dem fragenden oder einem andern, eine andere Gesinnung eingeben, ihn sittlich ändern würde. Fragen von Frevlern oder im Auftrag von solchen wiesen die Orakel allerdings ab oder beantworteten sie auf eine Weise, welche dem Frager das Wiederkommen verleiden konnte230. Gerne möchten wir den in einer späten Quelle231 berichteten schönen Spruch an den Boten von Sybaris für echt halten, als dort am Altar der Hera ein Kitharöde von dem wütenden Volk ermordet worden war, und dann beständig Blut nachfloß: »Weg von meinem Dreifuß! der Mord, der rings von deinen Händen träuft, verscheucht dich von der steinernen Schwelle! dir gebe ich keinen Bescheid usw.« – Die mächtigste Entrüstung eines Orakels aber, von welcher wir wissen, ist die des Apollon im Didymäon von Milet232 über eine Anfrage der Kymäer zur Zeit des Cyrus: sie haben gewagt, den Gott zweimal um Vollmacht zu bitten zur Auslieferung eines Flüchtlings an den Perserkönig, und beide Male hat Apollon in seinem Ingrimm bejaht, damit die Kymäer, welche sich der Asylpflicht entziehen wollen, um so sicherer untergehen und nie mehr das Orakel mit Auslieferungsfragen behelligen mögen. Bei der Naivität des griechischen Egoismus und bei der geringen Meinung von der Heiligkeit der Götter darf man sich jedoch nicht einmal wundern über das Vorbringen von wahrhaft unmoralischen Fragen, so wenig als über die unmoralischen Gebete. Noch einer der Mitredner in Plutarchs Schrift »von der Abnahme der Orakel« – seines Zeichens ein Zyniker – klagt (Kap. 7) darüber, daß Leidenschaften und Schäden der Seele, welche man vor anständigen und gesetzten Leuten verberge, vor der Gottheit breit und deutlich ausgekramt würden; es werde nicht nur angefragt über verborgene Schätze und über (bevorstehende) Erbschaften, sondern auch über ruchlose Ehebündnisse; den Gott aber führe man dabei aufs Eis wie einen Sophisten; – »kein Wunder, wenn die göttliche Vorsehung die Orakel überall zusammenpackt und sich damit von dannen macht«.

Endlich sind lächerliche und völlig bornierte Fragen zwar sicher an die Orakel gerichtet worden, aber die paar Überlieferungen davon sind[311] erfunden, um irgendeinen Menschen oder eine Bevölkerung zu verhöhnen. So sollen die Leute von Astypaläa dem Apollon von Delphi geklagt haben, daß auf ihrer Insel die Hasen so sehr überhandnähmen, worauf Pythia ihnen den Bescheid gab, Hunde zu halten und auf die Jagd zu gehen, was dann den besten Erfolg hatte, indem schon im nächsten Jahre sechstausend Hasen gefangen wurden233. Eine sehr törichte Frage aber ist leider nur zu sicher bezeugt: Sokrates hat seinen Chärephon nach Delphi – zwar nicht gesandt, aber doch wohl mit Willen gehen lassen, allwo dieser fragte: ob es einen weisern Menschen gebe als Sokrates? worauf Pythia antwortete: nein, keinen weisern234. Es genügt, sich die Mienen der »Männer von Delphi« bei dieser Zumutung auszumalen, ferner, wie Sokrates dann den Bescheid für bare Münze nimmt, darob tief nachsinnt und endlich bei den Athenern aller Stände herumgeht, um ihnen darzutun, daß sie nicht weise seien.

Allein neben solchen Tatsachen gewährt uns die Überlieferung auch wieder das Anmutige. Telesilla von Argos, angesehenen Hauses, aber kränklich, sendet an ein (gewiß apollinisches) Orakel, um Genesung zu erlangen und erhält den Bescheid: sie möge sich dem Dienst der Musen weihen. Sie folgte dem Gott und übte Gesang und Harmonie und genas und wurde die Bewunderung der Frauen; in der Folge als Heldin an deren Spitze trieb sie die in dieA19 Stadt Argos eingefallenen Spartaner zurück235.

Doch wir kehren noch einmal in die frühere Zeit zurück, zu einer der größten und segensreichsten Wirkungen der Orakel: ihren Bescheiden bei Aussendung von Kolonien. Für die der Ionier war wohl einst die Stimme Apollons im Didymäon bei Milet, für alle Griechen dann vorzüglich die des Gottes von Delphi entscheidend. Es war eine große Ausnahme und das Zeichen eines leidenschaftlich verbitterten Gemütes, wenn der spartanische Königssohn Dorieus (um 520 v. Chr.) mit seinen Genossen nach Libyen ausfuhr, ohne in Delphi gefragt zu haben236. Bei[312] diesen Dingen hebt die Verklärung an, welche in neuerer Zeit durch die begeisterte Darstellung bei Curtius dem Orakel zuteil geworden ist. Jene zum Aufsuchen einer neuen Heimat getriebenen Scharen, wie sie sich besonders seit dem VIII. Jahrhundert aufmachen, finden bei Apollon uneigennützigen Rat und Weissagung über ihre Richtung und ihre Zukunft, und dies Jahrhunderte hindurch. Hieran ist ganz unmöglich vorüberzukommen ohne die Annahme, daß die »Männer von Delphi« sich nach Kräften die irdische Kunde über die Küstenlande der Thalatta bis in die weiteste Ferne verschafft haben, bestenteils wohl durch dankbare Festpilger aus den allmählich entstandenen Kolonien selbst. Wer bei Herodot (IV, 150 bis 164) auch nur die reiche und vollständige Erzählung über die Gründung und Sicherung von Kyrene unter der langen und unablässigen Mahnung des Gottes von Delphi vernommen hat, kann genau wissen, was hierüber zu denken ist. Jene Delphier mochten sich als Stimmen ihres Gottes fühlen, wenn die Boten solcher Scharen vor sie traten, und zugleich als Fürsorger ihrer Nation. Und inzwischen, und wohl in Verbindung mit dieser Sammlung von Kunden der weiten Welt, wird dann Delphi von selbst schon durch das alles, was man allmählich von ihm erwartete und verlangte, zu jener freien, allgemeinen Autorität geworden sein, deren Beispiel in gar keiner andern Bildungswelt mehr vorgekommen ist. Es mag von dem vielen, was durch Curtius dem Wissen und dem Rat von Delphi zugewiesen worden ist, dieses und jenes abzustreiten sein, aber die Gesamttatsache bleibt, und zwar als eine der edelsten in der ganzen Geschichte höhern Gebens und Empfangens.

Das spätere Altertum, welches zur Zeit des Erlöschens der Orakel sich unparteiische Rechenschaft über diese ganze Erscheinung geben konnte, erkannte die große Hauptrichtung derselben in den Bescheiden über den Götterdienst und über Gründung von Städten (d.h. Kolonien), wobei der Zukunftsweissagung gar nicht gedacht wird237. Bei Plutarch238 sagt ein Mitredner: »wenn ich erwäge, von wie großen Gütern dies (delphische) Orakel für die Hellenen Ursache geworden ist, in Kriegen, bei Stadtgründungen, bei Seuchen und Hungersnöten, dann wird es mir schwer, Auffindung und Ursprung desselben nicht der Gottheit und der Vorsehung, sondern dem Zufall zuzuschreiben«.

Jenes Erlöschen der meisten Orakel und die starke Abnahme auch der Befragung von Delphi hatte Ursachen aller Art, zunächst die völlige Entvölkerung Griechenlands seit den letzten Jahrhunderten vor Christus.[313] »Wem käme es doch zugute239, wenn in Tegyra ein Orakel wäre wie früher, oder zu Ptoon, wo man den Tag über gerade etwa noch einem Hirten begegnet?« Sodann konnten ja auch in der Erde jene geheimnisvollen Kräfte und Dämpfe abgenommen haben, so wie Flüsse versiegen, etwa durch Erdbeben240. Als Hauptgrund aber ist zu betrachten, daß die große Zeit der Orakel, da Könige und Poleis um ihr ganzes Dasein und Gedeihen zu fragen kamen, längst und unwiderbringlich vorüber war, und daß nur noch ganz vereinzelte Anfragen Mächtiger – diese freilich bis an das Ende der heidnischen Zeit – vorkamen, zwischen lauter Konsultationen der ländlichen Umwohnerschaft und anderer geringer Leute von nahe und ferne. Wer aber eine Zunahme der Aufklärung als Grund annehmen wollte, wie etwa einer der Zwischenredner bei Cicero: »homines minus creduli esse coeperunt« – der würde sich stark irren. Die Orakel, welche eine Reise und größere Ausgaben voraussetzten für jeden, der nicht sozusagen an Ort und Stelle wohnte, traten zurück neben der sonstigen massenhaften Erkundung der Zukunft und übrigen Divination mit Beihilfe von Vermittlern jeder Art. Man höre nur in Lucians »Götterversammlung« (Kap. 12) den Tadelgott Momos:

»In Sizilien orakelt Amphilochos und betört die Leute um bloße zwei Obolen; aber auch du, Apollon, bist nicht mehr in sonderlichem Ansehen, sondern schon weissagt jeder Stein und jeder Altar, den man mit Öl beschüttet und mit Kränzen behängt, und der sich eines Goeten (d.h. eines Mantis der verdächtigsten Art) erfreut. In Olympia heilt die Statue des Athleten Polydamas, auf Thasos die des Theagenes die Fieberkranken, und dem Hektor opfert man zu Ilion und dem Protesilaos gegenüber auf dem Chersonnes. Freilich, seitdem unser (der Götter) so viele geworden, nimmt Meineid und Tempelraub nur zu, und man verachtet uns gänzlich und tut wohl daran«. – Und um dieselbe Zeit war vielleicht die alte Fragestätte des Trophonios beim böotischen Lebadea erst neu so montiert worden, wie Pausanias (IX, 39) sie vorfand, als er in den unterirdischen Räumen die Zukunft (τὰ μέλλοντα) erfuhr241.[314]


Fußnoten

1 De divinatione I, 6. – Die Literatur darüber I, 3.

2 Z.B. bei Nägelsbach.

3 Lucian, Hist. Alexandri, c. 8: »Die beiden Tyrannen des Menschenlebens sind Hoffnung und Furcht ... Der Hoffende wie der Fürchtende sind dem Vorhererkunden verfallen; davon sind alle Orakel groß geworden.«

4 Vgl. den Abschnitt über die Moira S. 122 ff.

5 Von vielen Aussagen über die Mantik nur eine der bekanntesten: Plato Phädr. p. 244 f.

6 Wenn nicht ausdrücklich beigefügt wird ἐξ Ἀπόλλωνος μανῆναι und dgl.

7 Plutarch de defectu oracc. c. 39.

8 Sophokl. Oed. Kol. 1516. – Cicero de div. I, 30. – Bei Euripides (Bacch. 296) preist Teiresias auch den Dionysos und alles Bacchische überhaupt als mantisch. D.h. bei den Griechen schlägt alle Ekstase von selbst in Mantik um.

9 Für das Folgende umständlich C.F. Hermann, Gottesdienstl. Altert. § 38 und 39.

10 Wie z.B. Paus. VIII, 19, 1, wo vier Männer denjenigen Stier aus der Herde holen, ὃν ἂν σφισὶν ἐπὶ νοῦν ὁ ϑεὸς αὐτὸς ποιήσῃ, bei einem Winterfest des Dionysos in dem arkadischen Kynätha. – Vgl. Nägelsbach, Nachhomer. Theol. S. 169. Mit Recht werden hier angeschlossen die mit so vieler Sorge beobachteten Mißgeburten bei Menschen und im Tierreiche und andere furchterregende Vorkommnisse oder τέρατα.

11 Sophokl. Antig. 1004 ff.

12 Ilias XXIV, 291-321.

13 Odyss. XX, 98 ff. Vgl. die beiden Adler, Odyss. II, 147.

14 Für mächtige Meteore und dgl. vgl. bes. Plutarch Timoleon 8, für die Wirkung einer Sonnenfinsternis Plutarch Pelop. 31.

15 Man weiß es, daß nicht aller Vogelflug vorbedeutend ist, Odyss. II, 181.

16 Aves 720.

17 Ilias XII, 243.

18 Homer Hymn. Merc. 533 ff.

19 Vgl. u.a. Philostr. Vita Apoll. IV, 3. Auch ist zu erwägen, daß die Götter einst selbst oft in Vogelgestalt erschienen -waren.

20 Verzeichnisse von Vögeln nach ihren guten und schlimmen Vorbedeutungen bei Antonin. Liberal. Hier erfahren wir (11), welche Vögel für den Seefahrer, welche für den τέκτων, welche zu Land und Wasser glückbedeutend (αἴσιοι) sind. Ebd. heißt es (19): τὸ γένος τῶν οἰωνῶν λάϊοι καὶ κολοιοὶ καὶ κέρβεροι καὶ αἰγιαλοὶ καί εἰσιν ἀγαϑοὶ φανέντες καὶ ἐπιτελεῖς παρὰ τοὺς ἄλλους ὄρνιϑας, ὅτι τοῦ Διὸς ἴδιον τὸ αἶμα (S. den zuvor erzählten Mythus). Die στρίγξ dagegen (21) kündet Krieg und στάσις, auch der Vogel λαγώς erscheint ἐπ᾽ οὐδενὶ ἀγαϑῷ. Der Geier ist von allen Vögeln, Göttern und Menschen am meisten verhaßt, sogar nach Menschenblut gierig. – Dagegen der Baumhacker (ἴπνη) ist glücklich für den, der auf die Jagd oder zum Schmaus geht. (Er war Dienerin der in die genannten Vögel verwandelten Menschen gewesen und hatte von den Göttern erbeten, μὴ κακὸς ὄρνις ἀνϑρώποις γενέσϑαι.)

21 Apollon liebte Raben, Schwäne, Habichte und Wölfe. Plut. de Pythiae orac. 12.

22 Sie ist wohl zu unterscheiden vom Uhu (στρίγξ), welcher den Menschen, wie gesagt, nur Krieg und Aufruhr kündete. Antonin. Lib. 21.

23 Diodor XX, 11. – Bei den Römern dagegen war wenigstens die Eulengattung bubo und deren Laut als übelstes Vorzeichen verhaßt. Naiverweise ließ man einst einem Bubo, der sich sogar auf dem Kapitol hatte vernehmen lassen, durch einen gut bezahlten Vogelfänger nachstellen; das richtig eingefangene Tier wurde dann verbrannt und die Asche in die Tiber gestreut, ganz als ob damit auch Vorbedeutung und Schicksal aus der Welt wären. Iul. Obsequens, de prodigiis. Noch ein zweites Mal heißt es hier: bubo in Capitolio occisus.

24 Älian, de nat. anim. XII, 1. – Andere Fischorakel Athen. VIII, 8. – In Quellen bei Tempeln, wo man irgendetwas, etwa die Genesung, zu suchen hatte, warf man Münzen hinein. Pausan. I, 34, 3. Auch in Italien war dieser Brauch weitverbreitet. – III, 25, 5 die Quelle von Tänaron, in der man (wohl bei bevorstehender Seefahrt) Seehäfen und Fährzeuge sah (der Text ist hier offenbar lückenhaft).

25 Pausan. VII, 21, 5. 6.

26 Vgl. d. Art. Palici von Witzschel in Paulys Realenz.

27 Pausan. III, 23, 5.

28 Diodor V, 52. 53. – Cicero de divin. I, 34. II, 31. 32 samt der rationalistischen Erklärung. – Polyän. II, 3, 8 und 12. – Die damals befragten Orakel und die Verhandlung mit demjenigen von Lebadea Pausan. IV, 32, 5.

29 Wie z.B. auch Timoleon. Diodor XVI, 79.

30 Odyss. XVII, 541 ff. – Nicht zu gedenken des Klingens im Ohr, des Zuckens im Auge usw.

31 Polyän. III, 10, 2.

32 Vgl. Nachtrag 6.

33 Bei Stobäus, florileg. tom. III, p. 222. – Eine ganze Anzahl von solchen Superstitionen des täglichen Lebens im XVI. Kap. der Charaktere des Theophrast. – Auffallend große Sammlungen von Vorzeichen Plutarch, Dion. 24 (vor dem Sturz des jüngern Dionysios); Älian V.H. XII, 57 (vor Alexanders Einnahme von Theben).

34 Plutarch, de curiositate, 6.

35 Vgl. in Paulys Realenz. die reichen Artikel divinatio und magia. Über die Liebesmantik des sog. Kottabos ebd. II, S. 1305.

36 Nubes 1478.

37 Pausan. VII, 22, 2.

38 Vgl. das Fragment bei Baluz. Miscell. IV, 119.

39 Apuleius, de Magia, ed. Bipont. vol. II, p. 37.

40 Siehe die Aussage Homer, Hymn. Merc. 533 ff. – sowie Apollodor III, 10, 2. – Wie frühe ist aber Apollo zum Herrn der Weissagung geworden? Vielleicht doch erst durch den Reflex einiger großen Orakel, die sich in seinen Tempeln befanden. Ursprünglich weissagten alle Götter.

41 Pausan. VII, 25, 6.

42 Cicero, de div. II, 41.

43 Eudocia Viol. 265 aus Nonnos.

44 Cicero de div. I, 34.

45 Die sehr besondere und auffallende Anschauung, Sophokl. Elektr. 644 ff. in der Anrufung der Klytämnestra an Apollon ist hier nur zu erwähnen.

46 Merkwürdige Beispiele Plutarch Themist. 26. 30.

47 Ilias I, 63.

48 Hom. Hymn. Mercur. 13 ff.

49 Odyss. XIX, 562. XXIV, 12.

50 Ilias XIV, 231 ff.

51 Laut dem Mythus ist das Traumdeuten bereits erlernbar. Apollodor III, 12, 5.

52 Pausan. X, 32, 9. Träume der Bildner von Götterstatuen VIII, 37, 2, VIII, 42, 4.

53 Das Traumgespräch eines Strategen mit dem Zeus Soter vor der Schlacht bei Platää, Plut. Aristid. 11. – Der berühmte Traum Pindars von der Persephone Pausan. IX, 23, 2, samt dem Traum seiner Verwandten nach seinem Tode.

54 Artemidor, Oneirokrit, II, 34-40, IV, 69. 71. 72 ff.

55 Plut. Agis 9. Kleomenes 7.

56 Hyperides p. 36 ed Blaß, Orat. pro Euxenippo I, 34, 3. – Vgl. Plutarch Aristid. 19 und Herodot VIII, 134 die Befragung dieses Heiligtums im Namen des Mardonios. – Daß die dortigen Priester einiges Fasten vorschrieben, vgl. Philostrat. vita Apollon. II, 37. Man schlief auf dem Fell des geopferten Widders, Pausan. I, 34, 3. – Vgl. Virgil. Aen. VII, 86 und die Ausleger.

57 Pausan. III, 26, 1.

58 Über die zweifelhafte Bedeutung der Epidauria als Tag des eleusinischen Festes vgl. Preller bei Pauly s.v. Eleusinia.

59 Pausan. II, 38, 6. III, 26, 7. – Über den Heiltempel des Dionysos im phokischen Amphikleia X, 33, 5.

60 Pausan. VI, 11, 3.

61 In jenem Orakeltempel des Amphiaraos bei Oropos, wo auch Kranke schliefen, mußten sich dieselben auf das Fell des Widders legen, den sie zuvor geopfert, vgl. S. 267, Anm. 56. – Wie Asklepios in seinem Tempel zu Ägä in Cilicien sich vernehmlich machte, vgl. Philostr. vita Apollon I, 8-10, ein Roman, aber an manchen Stellen wichtig für die Denkweise jener spätern Zeit.

62 Wenigstens Anfragen Kranker um Genesung, auf Bleitäflein geschrieben, haben sich unter sehr zahlreichen Anfragen jeder Art in den Ruinen von Dodona gefunden.

63 Pausan. II, 26. 27.

64 Strabo XIV, p. 649.

65 Arrian VII, 26, 2.

66 Bei Tzetzes, ad Lycophr. 911, welcher als seine Quelle einen Dionysios zitiert, ohne zu sagen, welchen.

67 Welche nicht nur bei Aristophanes vorausgesetzt wird, sondern auch z.B. in einem derb abergläubisch erzählten Kurwunder im Tempel von Epidauros, bei Älian, de natura anim. IX, 33.

68 Daneben in Argos auch Abkömmlinge des Amphiaraos, welche die Epilepsie heilten. Plutarch, Quaest. Graec., 23.

69 Fulgentius, Mythologicon bei Commelinus, Mythologici Latini, p. 183.

70 Pausan. X, 32, 8. An gewöhnliche Tempelsklaven möchte hier kaum zu denken sein.

71 Cicero de div. I, 20-27. – Die Ansichten griechischer Philosophen ebd. 29. 30. 51. – Einen eigenen weissagenden Traum Ciceros findet man bei Plutarch, Cic. 44. – Ein anderes Traumverzeichnis Valer. Max. I. 7. – Der schauerliche Traum des Aristodemos von der Tochter, welche ihm, dem Mörder, das nahe Ende andeutet, Pausan. IV, 13, 2.- Dem Traum des Epaminondas IV, 26, 5 ist deshalb nicht zu trauen, weil zu dem betreffenden Moment (der Neugründung von Messene) unvermeidlich etwas der Art würde ersonnen worden sein. Und so verhält es sich wohl auch mit den Träumen der Korepriesterinnen von Korinth, Plut. Timol. 8. – Über den letzten Traum des Alkibiades gibt es zwei ganz verschiedene Aussagen (Plut. Alkib. 39), ohne Zweifel beide ersonnen. – Auch ohne die mindeste Tradition wäre der Traum ersonnen worden, den Plutarch, Gaius Gracchus 1, nach Cicero de div. 1, 56 erzählt, wonach dem C. Gracchus, als er jedes Amt mied und ruhig leben wollte, Tiberius als Traumgesicht erschien und sagte: was zögerst du, Gaius? hier gibt es kein Entweichen, sondern das gleiche Leben und der gleiche Tod ist uns vorausbestimmt, indem wir uns im Staat für das Volk bemühen.

72 Pausan. V, 23, 5.

73 Plut. Aristid. 27.

74 Alkiphron, epist. III, 59. In diesen späten Briefen ist jene Zeit wenigstens die supponierte.

75 Ein solcher ist offenbar gemeint in dem so reich ausgestatteten Bilde des »Abergläubigen«, im 16. Kapitel der Charaktere des Theophrast.

76 Sophokl. Elektr. 420, vgl. 641 f. – Eurip. Iphig. Taur. 43. – In der spätern Zeit scheinen die Vornehmen die Deutung ihrer Träume den Astrologen überlassen zu haben.

77 Andere Autoren halten jedoch diesen Unterschied auf keine Weise fest.

78 Ein solches älteres Beispiel kunstreicher Traumauslegung Plutarch, Kimon 18.

79 Dio Cass. LXXII, 23. – Herodian II, 9.

80 Wie fest war dagegen bei den Römern die Mantik in das Ganze des Priestertums eingefügt! – Über das Verhältnis von μάντεις, ϑυοσκόοι und ἱερεῖς C.F. Hermann, Gottesdienstl. Altert. § 33, 10-12.

81 Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie § 137. 139. – Der alte Mythus ist voll Zauber und später auch die Praxis des täglichen Lebens. Es läge nahe für die Urzeit, da die Götter noch schreckliche Dämonen gewesen sein können, einen mächtigen Stand von Zauberern anzunehmen, wie sie noch heute bei Völkern anderer Rassen vorhanden sind, und wie sie das Märchen noch überall kennt. Allein derselbe fehlt wenigstens im Mythus vollständig, obwohl dieser so manche mit Zauber vertraute Gestalten enthält. Die einzige Zauberin als solche, Kirke, wohnt fern von den Menschen auf einer Insel und ist göttlichen Geblütes.

82 Pausan. IX. 31, 4.

83 Hesiodi fragm. 114, al. 62.

84 Apollodor I, 9, 21. – Über die Blendung des Teiresias das Vollständigste ebd. III, 6, 6 und 7.

85 Blinde Manteis noch in der historischen Zeit: Pausan. IV, 10-12 (Ophioneus, der Messenier); – Herodot IX, 93 (Euenios, der Apolloniate), beide Erzählungen mit sehr eigentümlichen Zügen.

86 Apollodor I, 9. 11.

87 Vgl. bei Preller, Griech. Mythol., den Abschnitt über die Heroen der Weissagekunst.

88 Odyss. XX, 345. Umständlich und lehrreich die Abstammung des Theokl. Odyss. XV, 222. – Der Mantis der Kyklopen Odyss. IX, 509.

89 Der alte Seherthron des Teiresias, wo sich alle weissagenden Vögel sammeln, Sophokl. Antig. 999. Pentheus befiehlt dessen Zerstörung, Eurip. Bacch. 347.

90 Noch in der Unterwelt ist der Geist des Teiresias »unerschüttert«, wie Kirke (Odyss. X, 493) sagt, und Persephone hat ihm allein verliehen, verständig zu sein; denn die übrigen schwirren nur als Schatten.

91 Euripid. Helena 742. 756.

92 Nämlich um der nur als Scheinbild in Troja vorhandenen Helena willen.

93 Strabo VI, p. 284.

94 Vgl. die betreffenden Aussagen bei Strabo. – Der Mantis der wandernden Dorer, Karnos, wäre laut Konon, narrat. 26, sogar Apollon selber als φάσμα gewesen.

95 Plut. Kimon 1.

96 Pausan. IV, 16, 2.

97 Diese Gestalt des Mantis, welcher den Tod sucht, möchte dann typisch geworden sein, und der Mantis des Thrasybul (bei Xenoph. Hellen. II, 4, 18) ist wohl ein gedichtetes Nachbild dieser Art.

98 Herodot VII, 221. 228.

99 Herodot IX, 35. 35. Pausan. III, 11, 6.

100 Herodot IX, 37. Für das Folgende vgl. V, 44 und IX, 34. In Argos behauptete man, die Spartaner hätten auch den großen Seher Epimenides umgebracht, Pausan. I, 21, 4.

101 Pausan. I, 27, 6. – X, 1, 4.

102 Ebd. III, 2, 5. – VI, 2. 2. – X, 9, 4.

103 Herodot VIII, 27. – Ebd. VI, 83. Der Mantis Kleandros [Klearchos] als Ratgeber der ausgewichenen [ausgewiesenen] argivischen Sklaven in Tirynth.

104 Plato Lach. p. 199 a.

105 Plut. Themist. 13, aus Phanias. – In der mythischen Zeit wird dergleichen doch größer motiviert: ein Königssohn von Theben ersticht sich selber vor dem Tore der bedrohten Vaterstadt, weil Teiresias den Sieg hiervon abhängig erklärt hatte. Apollodor III, 6. 7. Wie Pelopidas eine solche Zumutung umging, Plut. Pelop. 21. 22.

106 Polyän. II, 3, 4. – III, 9, 9.

107 Diodor III, 97.

108 Die Stellen bei Nägelsbach, Nachhom. Theol. S. 176.

109 Der spartanische Feldkultus: de re p. Laced. XIII, 2. In den Hellenica ein rechtes Beispiel das Verhalten des Königs Agesipolis im Krieg, IV, 7. – Und schon aus Thukyd. V, 55 sieht man, daß die Spartaner etwa den Einfall in ein fremdes Land unterließen, wenn die Diabaterien, die Grenzüberschreitungsopfer, nicht glücklich ausfielen.

110 Xenoph. Hellen. III, 3. 4. – Vgl. das Angstopfer des Pausanias vor Platää, Plut. Aristid. 17. 18.

111 Plut. Dion., passim., bes. c. 22.

112 Arrian IV, 4. 3, bei Anlaß des Überganges über den Iaxartes. Appian, welcher in seiner Parallele des Cäsar und Alexander (bell. civil. II, 152) letztern als besondern Verächter der Mantik hinstellt, gilt hier viel weniger als Arrian.

113 Älian V.H. XII, 64. – Laut Eudocia 186 hinterließ Aristandros zehn Bücher »über Mantik«, womit vielleicht die literarische Fixierung des Gegenstandes überhaupt möchte begonnen haben.

114 Ein dickes Opferwunder, das dem Seleukos vor dem Auszug mit Alexander nach Asien zuteil wurde, siehe Pausan. I, 16, 1.

115 Polyän. IV, 3. 14.

116 Welcher doch für seine Person mit der Eingeweideschau vertraut gewesen sein soll. Vgl. Dio Cass. fragm. libror. prior. 47.

117 Cicero de divin. I, 41.

118 Antonin. Liberal. 14.

119 Pausan. I, 36, 3.

120 Herodot I, 62. – VII, 221. – Pausan. III, 13, 2.

121 Hierzu vor allem Pindar Olymp. VI, und die Ausleger.

122 Herodot IX, 38.

123 Plut. Kimon. 18.

124 Plut. Nik. bes. 4. 13. 23. Merkwürdig, daß man damals glaubte, die Manteis könnten nur andern die Zukunft weissagen, wüßten aber ihre eigene nicht. So der historische Sokrates bei Xenoph. conviv. IV, 5.

125 Oneirokrit. II, 69.

126 Diese hier offenbar als unschuldige Gattung von den Astrologen unterschieden.

127 Aristot. Oekon. II, 4.

128 Lucian Demonax 37.

129 Strabo XIV, p. 645. – XVII, p. 814.

130 Cicero, de divin. I, 50.

131 Sueton, Tiber. 69: Circa deos ac religiones (Tiberius) neglegentior, quippe addictus mathematicae persuasionisque plenus, cuncta fato agi.

132 Herodot II, 82. – Abgesehen hiervon beobachteten sie auch Wunderzeichen, τέρατα, fixierten das darauf Erfolgte schriftlich und folgerten, daß bei demselben Vorzeichen inskünftig auch der Ausgang derselbe sein müsse.

133 M. Dunker, Gesch. des Altertums, III. Aufl. Bd. I, S. 178 und die dortigen Zitate.

134 Die Stellen siehe bei Krause in Paulys Realenzykl. s.v. Mathematici.

135 Äschyl. Agam. 5.

136 Hesiod opp. et d. 763 ff. Die Sterne erwähnt er vorher bei Anlaß der Jahreszeiten.

137 Älian V.H. XIII, 12. Die Nebenumstände Plut. Alkib. 17. Nikias 13. – Daß schon im V. Jahrhundert etwa Chaldäerin Griechenland reisten, ist möglich; laut A. Gellius XV, 20 hätten solche dem Vater des Euripides geweissagt, sein Sohn werde dereinst in Wettkämpfen siegreich sein.

138 Arrian VI, 8, 1.

139 Arrian VII, 16. 17.

140 Diodor XIX, 90.

141 Diodor XIX, 55.

142 Polyän. IV, 20.

143 Zwar hätte Aratos laut den Aussagen bei Westermann, Biogr. p. 55 und 61, auch eine Astrologie geschrieben; allein dies Wort wird damals auch im Sinne von Astronomie gebraucht.

144 Das Gedicht des Manilius aus tiberischer Zeit ist das früheste bedeutendere poetische Zeugnis dieser Denkart. Vgl. Manil. I, 4 ff. 113. – Umsonst schon bei Cicero der umständliche Nachweis der Nichtigkeit der Astrologie, de divin. 42-47.

145 Oder wie man χιλίων ἐτῶν ἐξικνεῖται τῇ φωνῇ übersetzen will. Heraklit. fragm. 10.

146 Plato, Phädr. p. 244, b. – Theages p. 124 d. eine zwar pseudoplatonische, aber fast gleichzeitige Schrift.

147 Pausan. X, 12, 4, eine Hauptaussage. Das große und konfuse Hauptverzeichnis der Sibyllen bei Suidas, vgl. Westermann, Biogr. p. 83.

148 Diodor IV, 66.

149 Pausan. I, 34, 3.

150 Für das Folgende Pausan. X, 4. 3. – Thukyd. II, 8. 21. 54. V, 26. 103 VIII, 1.

151 Herodot VIII, 20. 77. 96. IX, 43.

152 Älian V.H. XII, 43. Daß er auch die Orakel verstand, vgl. Herodot VII, 143.

153 Plut. Nikias 13.

154 Pausan. X, 9, 5 f.

155 Nikol. Damasc. fragm. 31 (Dindorf I, p. 24).

156 Herodot V, 90.

157 Ebd. VII, 6.

158 Dionys. Hal. I, 4.

159 Wenn nämlich ihr Inhalt sich wesentlich auf Rom bezogen hätte, so würde man bei ihrem Untergang durch den Brand des Jahres 84 v. Chr. sich nicht nach lauter griechischen Gegenden gewandt haben, um neue Sprüche zu sammeln, d.h. irgend etwas ähnliches zustande zu bringen, wie die untergegangenen.

160 Pax. 1044 ff.

161 Aves 960. 973.

162 Equites 109 ff., 197 ff., 957 ff.

163 Eurip. Pleisthenes, fragm. 8.

164 Plut. Lys. 25. 26.

165 Sueton, Octav. 31.

166 Plutarch, de Pyth. oracc. 25.

167 Huillard-Bréholles, in der Vorrede zum Chronicon Placentinum p. XXXVI.

168 Nach dem Perserkriege wird überall das von den Barbaren verunreinigte Feuer ausgelöscht und reines Feuer geholt von Delphi, »dem gemeinsamen Herd«. Plut. Aristid. 20.

169 Πνεύματα, ἀτμοί, ἀναϑυμιάσεις, Plutarch, de defectu oracul. 46.

170 Plut. Aristid. 11. – Auch die Hirten von Delphi sind anfänglich von den Erddämpfen begeistert, ἔνϑεοι, worden. Pausan. X, 5, 3, – Den aus der Erde schlagenden Flammen beim illyrischen Apollonia wurde ein Entscheid abgewonnen, je nach dem sie sich gegen den hineingeworfenen Weihrauch verhielten. Dio Cass. XLI, 45.

171 Apollodor III, 6, 8. – Für das unterirdische Orakel des Trophonios bei Lebadea ist gänzlich auf die bekannte Schilderung bei Pausanias zu verweisen.

172 Damit soll nicht geleugnet sein, daß in der Folge, bei einem umständlicher gewordenen Ritual die Priester schon um der Opfer willen wünschbar wurden.

173 Strabo VIII, p. 353. – Außerdem wußte man, daß das Gaion ebenda vor alters eine Orakelstätte der Gäa gewesen war, Pausan. V, 14, 8. Auch die isthmischen Spiele schlossen sich an den Dienst des »in der Erde geborgenen« Palämon an, und hier darf man ebenso eine wichtige alte Orakelstätte voraussetzen.

174 Vgl. das merkwürdige Verzeichnis einer Anzahl derselben Herodot VIII, 134. 135.

175 Πολύφωνος bei Plutarch, de defectu orac. 5.

176 Plut. Pelop. 16. Andere Beispiele frühen Eingehens Pausan. VIII, 37. 9 (ein Pansorakel), Plut. Aristid. 11 (das schon genannte am Kithäron).

177 Plutarch, de def. or. 44.

178 Pausan. IX, 23, 3.

179 Symbolisiert in den Sagen vom Streit des Amphilochos und Mopsos, Strabo XIV, p. 675, 676, sowie des Mopsos und Kalchas, Konon 6.

180 Homer Hymn. Apoll. 243 ff. – Vgl. 375.

181 Es mochte erwünscht sein, ein angesehenes Orakel im eigenen Gebiete zu haben: so gehörte das Ptoon den Thebanern, Herodot VIII, 138.

182 In dem merkwürdigen Mythus des Didymäons von Milet (Konon 33. 44, bei Westermann, Mythogr.) herrscht die Absicht, das dortige Orakel durch eine eigentümliche Affiliation vom delphischen abzuleiten.

183 Phlius bildete sich ein, den Nabel des Peloponnes innerhalb seiner Mauern zu besitzen. Pausan. II, 13, 7.

184 Ein Stück Holz von dieser Eiche fügte Athene in den Vorderteil der Argo, und dieses »tönte« – aber erst laut der gewiß späten Erfindung bei Apollodor I, 9, 16.

185 Herodot VIII, 134. – Von denjenigen Tempeln, in welchen Lose und Würfel befragt wurden, wenn man dieselben will als Orakelstätten gelten lassen, ist schon oben (S. 264 f.) die Rede gewesen.

186 Über diese Hilfspersonen C. Fr. Hermann, Gottesdienstl. Altert. § 40.

187 So Eustathios, laut C. Fr. Hermann a.a.O. § 39, 18.

188 Herodot VII, 111.

189 So übersetzt Schöll ποικιλώτερον – wäre nicht »vieldeutiger« das Richtige? Auch daß die Bessen ein »Stamm« der Satren seien, sagt Herodot nicht ausdrücklich.

190 Anderswo wird der Bescheid einer Promantis sofort von drei Zeugen nachgeschrieben, Herodot VIII, 135. – Aus dem Orakel von Lebadea bringt um 100 v. Chr. ein gewisser Eutychides eine Erztafel mit, deren Inhalt sich auf römische Dinge bezog. Jul. Obsequens.

191 Plutarch, de fraferno amore. 21.

192 plutarch, de garrulitate 20.

193 Zitat bei Plutarch, de Pyth. or. 25.

194 Herodot I, 182.

195 Pausan. II, 24, 1.

196 Worüber umständlich Athenäus IV, 72. 73. Die Delier mußten sichs gefallen lassen, daß man sie παρασίτους τοῦ ϑεοῦ nannte, auch ἐλεοδύτας, d.h. solche, die unter die Küchentische kriechen. Die Delphier hießen Kraftsuppenköche.

197 Vgl. schon im Mythus die Gestalt des Kyknos.

198 Älian V.H. III, 44. Schon im Mythus der Hinterhalt der Delphier gegen Neoptolem. Eurip. Androm. 1085 ff.

199 Älian V.H. XI, 5.

200 Plutarch, de sera num. vindict. 12.

201 Auch das naive Geschenk des Krösos an die einzelnen Einwohner von Delphi (zwei Goldstateren, Herodot I, 54) läßt verschiedene Voraussetzungen zu.

202 Pausan. X, 15, 3 denkt wenigstens an Verbrecher und Diebe.

203 Eurip. Phöniss. 226 ff.

204 Eurip. Ion. 554.

205 Es gab hierüber eine Rede des Hyperides, vgl. Hyperid., ed. Blaß fragm. 73.

206 De divin. I, 19. – Ciceros eigene Anfrage in Delphi: ὅπως ἂν ἐνδοξότατος γένοιτο; – samt Antwort der Pythia Plut. Cic. 5.

207 Pausan. VIII, 11, 6. – Vgl. bei Suidas (Westermann, biogr., p. 364) aus dem II. Jahrhundert v. Chr. den Fall des Daphidas, welcher den Gott von Delphi zum Besten zu halten glaubte und eine schreckliche Strafe fand. – Alexander von Epirus, durch einen Spruch von Dodona gewarnt vor Pandosia und dem Fluß Acherusios, zieht aus von seiner Heimat, wo beides vorhanden war, und findet seinen Untergang in Italien bei einer andern Stadt und einem andern Fluß dieses Namens. Justin XII, 2.

208 Pindar Pyth. IX, 44 (80).

209 Nägelsbach, Nachhomer. Theologie, S. 186.

210 Eine vielleicht nicht seltene Frage von Bevölkerungen war z.B. τρόπον τίνα εὐδαιμονήσουσι; Pausan. I, 45, 3; zugleich ein namhaftes Beispiel einer symbolisch zu deutenden Antwort (an die Megarer).

211 Lucian, Jup. Trag. 28. Es genügt, an Krösos und den Halys, an Salamis und die Söhne der Weiber zu erinnern. Und wenn Pythia von einer Triere spricht, muß man es auch auf eine Schlange deuten können. Pausan. I, 37, 4. Und Artemis muß aus einem Hasen erraten werden, III, 22, 9.

212 Herodot I, 66 ff.

213 So heißt es später bei König Pleistonax, Thukyd. V, 16: πεῖσαι.

214 Herodot VI, 66.

215 Ebd. V, 63.

216 Polyän I, 16.

217 De Pyth. oracc. 26.

218 Plutarch, de defecfu oracc. 46.

219 Herodot VII, 140-143.

220 Justin XII, 2.

221 Sehr auffallend bei Pausan. VIII, 39, 2 die delphische Anweisung an die Oresthasier zur Aufopferung für die Phigalier, 658 v. Chr.

222 Beides in Bleitafeln von Dodona.

223 Plutarch, de Phyth. oracc. 26. 28.

224 Herodot IX, 33. – Parthenios, narrat. c. 1. Gewiß eine der häufigern und wichtigern Fragen.

225 Plutarch, de sera num. vind. 17. – Von den häufigen Bescheiden über Sühnung und Verehrung von Heroen ist schon die Rede gewesen. Den Megarern ist einst (Pausan. I, 44, 9) der Umbau eines Heroengrabes befohlen worden; es war ein bloßer Erdaufwurf, ein Hünengrab gewesen und wurde nun zu einem Bau in Muschelkalk.

226 Herodot II, 52.

227 Certamen Homeri et Hesiodi, p. 5.

228 Pausan. X, 2, 4.

229 Bei Strabo IX, p. 422.

230 Vgl. Herodot VI, 86 das berüchtigte Beispiel des Glaukos.

231 Älian V.H. III, 43. Der folgende Spruch c. 44 ist offenbar nur einer von den sinnreich erfundenen.

232 Herodot I, 159. Das spätere Verhalten des didymäischen Orakels zur Zeit der Perserkriege war freilich der Art, daß es auch auf jene frühere Äußerung einen Schatten zurückwirft.

233 Athen IX, 63. – Eine Spottantwort auf eine törichte Frage der Habsucht ebd. V, 60.

234 So die sog. platonische Apologie (21 a), welche doch wahrscheinlich die echte Verteidigung des Sokrates vor dem Gerichte wiedergibt. – Den Xenophon wies Sokrates in dessen eigener Angelegenheit nach Delphi, Anab. III, 1, 5. – Daß später dem Aristoteles in Delphi irgendwelche Ehren zuerkannt wurden, geht aus dessen Brief bei Älian (V.H. XIV, 1) hervor; allein dies muß durch eine dortige politische Behörde geschehen sein, da ihm nach Alexanders Tode jene Ehren wieder entzogen werden konnten.

235 Plutarch, de mulierum virtt. 4.

236 Herodot V, 42 ff.

237 So die bekannte Stelle bei Strabo XI, p. 419: ἡ μὲν οὖν ἐπίνοια αὕτη τῆς τε τῶν πόλεων κτίσεως καὶ τῆς τῶν κοινῶν ἱερῶν ἐπιτιμήσεως... Ohne Zweifel mit Recht als Glossem, vielleicht erst aus christlicher Zeit, an den Rand verwiesen, gewährt sie doch ein wichtiges Gesamturteil.

238 Plutarch, de defectu oracc. 46.

239 Ebd. 8. 44 u.a.a.O.

240 Cicero, de divin I, 19. II, 57.

241 Das berühmte Orakel in Libyen, das Ammonium, ist hier deshalb außer Betracht geblieben, weil der unbestreitbare Tatbestand – die sehr frühe Befragung eines afrikanischen Orakels durch Griechen – nur in eine Reihe von Fragen und hypothetischen Antworten hinausführt. In einer jenseits von aller sichern Aufzeichnung gelegenen Zeit, da aber eine Seefahrt in solche Ferne jedenfalls noch etwas sehr Gefürchtetes war, gewinnt die Kunde von dieser Weihestätte eine rätselhafte Macht über griechische Bevölkerungen; die Fahrt wird offenbar häufig gewagt, und Ammonsdienst verbreitet sich dann im Peloponnes und über denselben hinaus. Daß inzwischen seit Psammetich Ägyptensich den Griechen öffnete und daß griechische Pflanzstädte im Küstenland westlich vom Nil entstanden und den Dienst des Ammon annahmen, sind nur sekundäre Fördernisse dieses Herganges. – Nach herrschender Annahme lag die Oase mit dem Ammonium früher am Meere, welches sich erst seither scheint davon zurückgezogen zu haben. – Bekannt ist die ganz besondere Ammonsandacht der Lakedämonier, zu deren Steigerung sie noch von Lysander angewiesen wurden, Pausan. III, 18, 2. Derselbe wollte sogar den Gott im Traum gesehen und dessen Rat im Kriege genossen haben. Auch die Elier, welche doch ihren olympischen Zeus so nahe hatten, befragten doch seit den ältesten Zeiten das Ammonium, und man sah dort die von ihnen geweihten Altäre, deren Inschriften Anfrage, Bescheid und die Namen der Fragenden verewigten. Pausan. V, 14, 7. – Der Besuch Alexanders des Großen bleibt trotz aller Nachrichten in dem Hauptmotiv ein Geheimnis; sicher ist nur, daß ihm enorm viel daran gelegen war, sonst würde er nicht in die libysche Wüste gegangen sein in einer Zeit, da an seiner um Wochen verlängerten Abwesenheit das Schicksal Asiens hängen konnte.


Anmerkungen: A1 Oeri: frevelhaften. A2 Oeri: allbekannte. A3 Oeri: erschienen. A4 mit eigenen .... Polemokrates fehlt bei Oeri. A5 Oeri: Schwärmer. A6 Oeri: behauptet. A7 Oeri: Sternbeachtung. A8 Oeri: setzt. A9 Oeri: Suidas) hat. A10 Oeri: dazu. A11 Oeri: dann weiter. A12 Oeri: Sibyllinen. A13 Oeri: Spätmythologen. A14 Oeri: ergriffen. A15 Oeri: Tempeldienst. A16 Oeri: die allgemeine. A17 Oeri: Ideen. A18 Oeri: wegen Besitznahme. A19 Oeri: der.

Quelle:
Jakob Burckhardt: Gesammelte Werke. Darmstadt 1956, Band 6.
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