Ausgangspunkt.

Die Geschichte der Kriegskunst ist ein einzelner Faden in dem Zusammenhange der Universal-Geschichte und beginnt mit dieser. Man setzt jedoch mit der Untersuchung am besten nicht da ein, wo aus dem Halbdunkel der Prähistorie die ersten einigermaßen erkennbaren Erscheinungen auftauchen, sondern da, wo das Quellen-Material beginnt, einen vollen, wirklichen Einblick in die Dinge zu gewähren. Das ist die Epoche der Perserkriege, nicht eher; von ihr an aber können wir bis in unsere Tage mit ununterbrochenen Zeugnissen die Entwicklung verfolgen, und jede nachfolgende Periode hilft, die vorausgehende zu erklären. Auch für die Zeit vor den Perserkriegen fehlt es nicht an sehr beredten Zeugnissen, für die Griechen ist namentlich Homer sehr ergiebig, und für die orientalischen Völker wie die Ägypter haben wir noch Jahrhunderte, ja Jahrtausende weiter hinaufreichende Geschichtsquellen, aber diese Zeugnisse reichen doch nicht aus, um ein völlig sicheres Bild unmittelbar ablesen zu lassen. Ein in den Erscheinungen des Kriegswesens sehr geübtes historisches Sachurteil wird imstande sein, die vereinzelten Fingerzeige zu einem einheitlichen Bilde zusammenzugruppieren. Dieses Sachurteil aber ist in vollem Maße erst durch das Studium der Kriegsgeschichte selbst, also der späteren Perioden zu gewinnen. Für die ersten Schritte müssen wir suchen, auf dem festeren Boden zu wandeln, wie ihn die Aussagen von Zeitgenossen bieten. An ihnen und mit ihnen möge die Sach-Kritik sich entwickeln, um klare Anschauungen zu gewinnen. Vielleicht sind diese so gewonnenen Anschauungen später auch tauglich, um in die frühere Zeit hinaufzuleuchten und das Halbdunkel, in das sie sich selbst hüllt, zu erhellen.[1]

Auch die Perserkriege sind ja noch so unsicher überliefert, von der Legende übersponnen, nicht von einem wirklichen Zeitgenossen, sondern erst aus dem Munde der nächsten Generation aufgeschrieben, daß ein Niebuhr daran verzweifelte, ihren speziellen Verlauf zu erkennen, und wenn trotz seiner Warnung Historiker uns immer wieder alle die Einzelheiten der Herodoteischen Erzählung als Geschichte vortragen, so ist viel Selbsttäuschung dabei. Aber wie skeptisch man sich auch den farbenreichen Erzählungen des Vaters der Geschichtschreibung gegenüber verhalten mag, sie enthalten einen Wirklichkeits-Kern, der für die Zwecke einer Geschichte der Kriegskunst genügt. Wir erkennen die Fechtweise der beiden Heere, wir können das Terrain feststellen, auf dem gekämpft worden ist, und wir können die strategische Situation verstehen. Damit sind die Grundlinien des kriegerischen Ereignisses gegeben, und diese Grundlinien geben wieder einen sehr zuverlässigen kritischen Maßstab für die Einzelheiten der legendarischen Überlieferung. Kein älteres kriegerisches Ereignis liegt so offen vor uns. Die Perserkriege also bilden den natürlichen Ausgangspunkt für eine Geschichte der Kriegskunst.


Die Grundlage für die wissenschaftliche Erkenntnis des griechischen Kriegswesens bildet noch heute die

Geschichte des griechischen Kriegswesens von der ältesten Zeit bis auf Pyrrhos. Nach den Quellen bearbeitet von W. RÜSTOW, ehemaligem preußischen Genieoffizier, und Dr. H. KÖCHLY, ord. Professor der griechischen und römischen Literatur und Sprache an der Universität Zürich. Mit 134 in den Text eingedruckten Holzschnitten und 6 lithographierten Tafeln. Aarau, Verlags-Comptoir 1852;

daneben:

Griechische Kriegsschriftsteller. Griechisch und deutsch mit kritischen und erklärenden Anmerkungen von H. KÖCHLY und W. RÜSTOW. Zwei Teile in drei Abteilungen. Leipzig 1853-1855.

Neuere Werke sind:

Heerwesen und Kriegführung der Griechen von Dr. H. DROYSEN, Gymnasiallehrer und Dozent an der Königl. Universität zu Berlin. Mit 1 Tafel und 7 Abbildungen im Text (in K. F. Hermanns Lehrbuch der griechischen Antiquitäten). Freiburg i. B. 1888-89. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). (Von mir besprochen im Lit. Centr.-Blatt 1888 Nr. 16.)

Die griechischen Kriegsaltertümer von Dr. ADOLF BAUER, Professor der Geschichte des Altertums an der Universität Graz (im »Handbuch[2] der klasisschen Altertumswissenschaft«). Verlag von C. H. Beck in Nördlingen (jetzt München) 1886. Zweite Auflage 1892. Ein vortreffliches Werk, das die Quellen-Zeugnisse übersichtlich gruppiert zusammenfaßt. Sehr sorgfältig und vollständig ist bei Bauer auch die Bibliographie behandelt, auf die ein für alle Mal hier verwiesen sei.

Das Kriegswesen der Alten mit besonderer Berücksichtigung der Strategie von Dr. phil. HUGO LIERS, Oberlehrer am Gymnasium zu Waldenburg, Breslau 1895, ist ein anregendes und gelehrtes, auf umfassender selbständiger Lektüre der alten Autoren beruhendes Buch, das mich auf manche bedeutsame Stelle aufmerksam gemacht hat. Als Ganzes ist das Werk aber leider doch verfehlt; die einzelnen Stellen sind systematisch gruppiert, aber lange nicht genug auf den Grad ihrer Glaubwürdigkeit geprüft, und namentlich sind die einzelnen Perioden der Entwicklung nicht genügend unterschieden.

In der Histor Zeitschr. Bd. 98 (1907) hat BEN. NIESE einen Aufsatz »Über Wehrverfassung, Dienstpflicht und Heerwesen Griechenlands« veröffentlicht, der nichts Neues enthält.

Ich selber habe das kriegsgeschichtliche Problem der Perserkriege behandelt in einer Monographie:

Die Perserkriege und die Burgunderkriege. Zwei kombinierte kriegsgeschichtliche Studien nebst einem Anhang über die römische Manipular- Taktik. Berlin, Walther und Apolant (jetzt Hermann Walther Nachf.) 1887.

Von den allgemeinen Werken über griechische Geschichte kommen für uns wesentlich die von BUSOLT (2. Auflage), BELOCH und DUNCKER, hier und da auch noch die von GROTE in Betracht.

Durch alle Bände dieses Werkes bis in die Neuzeit werden uns begleiten die trotz Fehlerhaftigkeit und Oberflächlichkeit in der Durchführung genial angelegte

Geschichte der Infanterie von W. RÜSTOW. Zwei Bände, Gotha 1857 und 58 (und spätere Neudrucke);

sowie die namentlich in den späteren Bänden wertvolle

Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland von MAX JÄHNS. (Aus der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Auf Veranlassung S. M. des Königs von Bayern herausgegeben von der historischen Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften.) München und Leipzig. 1889-91.[3]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 1-5.
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