Erstes Kapitel.

Ritterschaft und Phalanx.

[259] Wenn wir die Geschichte des römischen Kriegswesens nach denselben Grundsätzen beginnen wollten, die wir bei der des griechischen angewandt haben, so müßten wir beim zweiten punischen Kriege einsetzen. Denn erst aus dieser Zeit haben wir Berichte, die uns ein wirklich zuverlässiges und anschauliches Bild von dem Verlauf einer Schlacht und dem eigentümlichen Charakter der römischen Fechtweise geben. Aber wie die römische Geschichte, so ist auch die römische Historiographie ganz anderer Art als die griechische; wir können die Entwicklung des römischen Staatswesens viel höher hinauf mit Zuverlässigkeit verfolgen als die jener, und daraus ergibt sich auch für unsern Zweck ein anderes Verfahren. Die griechischen Kleinstaaten haben entweder in ihrer Verfassung etwas Stagnierendes wie Sparta, das uns überdies recht unsicher bekannt ist, oder sie sind aus einer radikalen Umwälzung in die andere gestürzt, so daß Aristoteles für Athen elf verschiedene Verfassungen zählen konnte, die einander abgelöst hätten. Rom in allen Erschütterungen, die es durchgemacht hat, hat doch eine kontinuierliche Entwicklung.133 Selbst der Übergang[259] vom Königtum zur Republik war wohl eine Revolution, setzte aber doch in wesentlichen Grundbegriffen das alte Staatswesen fort. So lassen auch die Institutionen noch in sehr später Zeit in ihren Formen die früheren Stadien der Entwicklung erkennen und führen uns hoch hinauf in Perioden, über die wir eine unmittelbare historische Überlieferung nicht mehr besitzen. In der Stimmordnung späterer Zeit sind Elemente der Heeresordnung uralter Zeit aufbewahrt. Die eigentliche Erzählung von der älteren römischen Geschichte ist durchaus legendarisch; fast nur die ganz äußerlichen Daten von Kriegen und Schlachten oder die Namen der Heerführer sind mit selbständiger Sicherheit überliefert. Aber über die Entwicklung des römischen Staatsrechts und der Kriegsverfassung lebte bei den römischen Antiquaren eine Tradition, die sich an der Gegenwart selber kontrollierte, sich deshalb nie ganz ins Phantastische verlor und auch die Legende sozusagen historisch disziplinierte.

Die historische Forschung würde noch leichter zu gesicherten Ergebnissen gelangt sein, wenn nicht diese eigentümliche, staatsrechtliche Tradition von der politischen Tendenz sehr stark übermalt, und an wichtigen Stellen rundweg gefälscht worden wäre. Aber mit der Zeit hat die historische Methode Mittel und Wege gefunden, diese Fälschungen zu erkennen und auszumerzen. Während es früher auch kritische Historiker ohne Arg nachsprachen, daß der Census, den König Servius Tullius veranstaltet, 80000 Bürger ergeben habe, wissen wir heute, daß man solche Zahlen an der Größe des Staatsgebiets und der Stadt selber kontrollieren kann, und scheiden sie mit allen Konsequenzen, die sich daraus für das Verfassungsleben ergeben, aus.

Mit diesen und ähnlichen Vorbehalten dürfen wir den Nachrichten, die auf uns gekommen sind, ein gewisses Vertrauen entgegenbringen.[260] Unsere Hilfsmittel, aus dem Legendarischen Falschen, Mißverstandenen, was sich naturgemäß auch eingeschlichen hat, das Wahre herauszuschälen, ist der Zustand derjenigen Zeit, die wir im hellen Licht der Geschichte deutlich und sicher zu erkennen vermögen. Diejenigen Nachrichten, die sich als Vorstufen der historisch deutlichen Periode ohne Widerspruch aneinander reihen, müssen die richtigen sein, diejenigen, die sich auf keine Weise, auch nicht als Ausnahmen, Versuche, vorübergehende Abirrungen oder dergleichen begreifen lassen, sind zu verwerfen.

Mancherlei Spuren weisen darauf hin, daß in Italien der Reiterkampf in alten Zeiten eine größere Bedeutung gehabt hat als in Griechenland. In der ersten Auflage dieses Werkes habe ich mich an dieser Stelle mit diesem Hinweis begnügt und auf den Fortgang der Darstellung verwiesen, wo ich wieder darauf zurückkommen würde. Ich mußte, um die soziale Bedeutung der Reiterwaffe unter den wirtschaftlichen Verhältnissen des latinischen Stammes voll ans Licht stellen und zum Verständnis bringen zu können, den Lesern erst das mittelalterliche Rittertum in seiner ganzen Breite vorgeführt und genetisch entwickelt haben. Mit einigen abstrakten Sätzen ist die wirkliche Einsicht in die Werte dieser militärisch-sozialen Formen nicht zu ermitteln. Nachdem nun der dritte Band dieses Werkes vorliegt, darf ich auf diesen verweisen und die Rückschlüsse, die uns die mittelalterlichen Erscheinungen zu ziehen gestatten, auf die römische Urzeit anwenden.134 Es handelt sich um die Heranziehung der Tatsache des ausgebildeten Reiterkampfes in Italien für die Frage der Entstehung des Patrizierstandes in Rom.

Daß in dem ebenen Mittelitalien der Reiterkampf tatsächlich in alten Zeiten viel höher ausgebildet gewesen ist, als in Mittel-Griechenland und im Peloponnes, liegt in der Natur der Dinge und hat sich in der Überlieferung erhalten. Zwar sind alle die einzelnen Gefechte und Kämpfe in den ersten Büchern des Livius als schlechthin sagenhaft anzusehen, aber das generelle Überwiegen des Reiterkampfes tritt so stark hervor, daß man in dieser Tatsache einen Reflex der Wirklichkeit erblicken darf. Will[261] man das nicht gelten lassen, und in diesen Erzählungen nichts als Dichtung zum Preise der vornehmen Häuser in Rom sehen, so haben wir doch ein zwar nur indirektes, aber doch sehr gewichtiges Zeugnis an der Geschichte von Capua. Von dieser nächst Rom bedeutendsten Stadt dieses ganzen Gebiets berichtet uns Livius noch aus dem Beginn des zweiten punischen Krieges, daß das Fußvolk unkriegerisch, die Reiterei aber tüchtig gewesen sei.135 Er beschreibt uns einen Zweikampf von zwei Reitern mit der Lanze, ganz wie wir solche von mittelalterlichen Rittern lesen. Die Verschiedenheit in der Entwicklung der beiden Städte wird nun gewesen sein, daß Capua auf jener Stufe einer tüchtigen Ritterschaft, aber eines unbrauchbaren Fußvolkes stehen blieb, Rom durch Organisation, strenge militärische Ausbildung und Disziplin auch die Masse der Bürger zu brauchbaren und tüchtigen Soldaten erzog. Die vorwiegende und fast ausschließliche Geltung der Ritterschaft hat aber lange genug gedauert, um den Stand, der die Waffen in dieser Art trug und pflegte, scharf von der Masse der Kleinbürger und Bauern zu scheiden. Die Vorstellung, daß die Patrizier die Urgemeinde gebildet und die Plebejer die Zuzügler, daß also der Unterschied der Stände in der Herkunft liege, wird zwar von keinem Geringeren als von Mommsen vertreten, widerspricht aber, wie von diesem selbst zugegeben, durchaus den Quellen und war wohl nur ein Notbehelf, weil eine andere Erklärung sich nicht finden ließ. Den Schlüssel zur richtigen Lösung des Rätsels gibt uns die jetzt aus der mittelalterlichen Geschichte zu entnehmende Tatsache von der ungemeinen Überlegenheit der Ritter über bürgerliches und bäuerliches Fußvolk, ehe dieses gelehrt und gewöhnt ist, im taktischen Körper zusammengefaßt zu werden. Es gab in Rom eine Zeit, wo die Legionar-Phalanx noch nicht existierte. Daß schon Romulus eine Legion gehabt, kann als Fabel ohne jeden Quellenwert gestrichen werden. In dieser Zeit war die ausschlaggebende Macht der römmische Ritter. Als ihren Kern werden wir die alten Häuptlingsfamilien anzusehen haben, die ihren Sitz allmählich alle oder[262] meistens nach der Stadt verlegt hatten, vielleicht durch eine Art von συνοικισμός wie er in Griechenland berichtet wird. Von der Stadt aus beherrschten diese zugleich reichen und kriegerischen Familien auch das Land. In der Stadt, die ein Handelsplatz war, der Umschlag für den Seeverkehr und das große Stromgebiet des Tiber, entwickelte sich der Wohlstand jener Familien kapitalistisch. Sie beherrschten den ganzen Kanton, die kleinbäuerlichen Bewohner des platten Landes ebensowohl durch ihre Waffentüchtigkeit wie durch ihre Darlehen. Die älteste römische Geschichte ist voll von dem Wucherbetriebe, durch den die Patrizier die Plebs bedrücken.

So scharf und unüberschreitbar später die Grenze zwischen Patriziern und Plebejern in Rom ist, so läßt die Überlieferung doch erkennen, daß das Patriziat seinem Ursprunge nach nicht ganz gleichartig war. Man unterschied ältere und jüngere Geschlechter. Erfolgreiche Kaufleute, die auch der Kriegspflicht gewachsen waren und sie auf sich nahmen, werden den älteren Geschlechtern beigestellt worden sein, ganz wie wir in den mittelalterlichen Städten die ursprünglich ritterlichen Familien mit emporsteigenden Gewerbetreibenden zu einem Stande verschmelzen sehen. In Rom aber wird das Element der alten kriegerischen Häuptlings-Familien stärker, das kaufmännische schwächer gewesen sein, als in den Städten des Mittelalters, und auf jeden Fall ist das kriegerische Element unentbehrlich bei der Bildung des Patriziats: es ist nicht etwa eine bloß wirtschaftliche Entwicklung; eine bloß ökonomisch fundierte Herrschaft hätte sich die Masse des latinischen Volkes von den wenigen vom Glücke begünstigsten Stammesgenossen nicht gefallen lassen.136 Aber in der Vereinigung von kriegerischer Überlegenheit und rücksichtslos ausgenutzter Kapitalmacht schichtete sich aus der Stammeseinheit die Aristokratie heraus, die schließlich auch die Ehegemeinschaft mit den Volksgenossen, der Plebs verschmähte und als eine von den Göttern[263] besonders begnadete Genossenschaft die Herrschaft beanspruchte und führte.

Die Zahl der kriegerisch-ökonomisch fundierten aristokratischen Familien, die im ältesten Rom das Patriziat bilden, haben wir uns als sehr klein vorzustellen. Die kriegerische Kraft nach außen war also, ganz wie bei den mittelalterlichen Städten, nur gering. So geschah es, daß Rom nach einer Überlieferung, der wir trauen dürfen, unter die Herrschaft benachbarter etruskischer Fürsten kam.

Von dieser Fremdherrschaft hat die latinische Stadt sich wieder befreit und es ist wohl möglich, daß dieser Kampf in seinem Fortgang den Anlaß gegeben hat zu der Erweiterung und Umwandlung der bisher rein ritterlichen Kriegsverfassung. An die Seite der Ritterschaft trat das Aufgebot der gesamten Bürger- und Bauerschaft in kompakter Masse, in der Phalanx. Die Organisation wurde durchgeführt durch einen mit absoluter Gewalt ausgestatteten König. Diese römischen Könige sind nicht eine erbliche Dynastie, sie sind auch nicht Tyrannen im griechischen Sinne, sondern sie sind für Lebenszeit eingesetzte höchste Beamte. Griechisch würde man sie wohl am besten Archonten nennen; am meisten Anschauung wird uns der Ausdruck Doge geben. Wie den ältesten venetianischen Dogen steht auch den römischen Königen ein Rat zur Seite, der Senat, aber er beschränkt sie kaum, und der Wunsch, die königliche Würde erblich zu machen, mag auch in dieser Epoche der römischen Geschichte innere Konflikte erzeugt haben, wie im alten Venedig. Das Prinzip des Amtes aber behauptete sich und entwickelte sich zur allerhöchsten Kraft und Strenge, da die patriarchalische Milde, die oft mit dem Erbkönigtum verbunden ist, fehlte, und die gefährdete Lage des Staates nur die kräftigsten Persönlichkeiten mit dem Amte zu betrauen gestattete. Ein derartiger Herrscher organisierte das Waffenaufgebot des Volkes, die Phalanx des Fußvolks.

Er teilte den römischen Kanton in zwanzig Tribus, von denen vier auf die Stadt, 16 aufs Land kamen; jede Tribus teilte er wieder in vier Centurien, von denen dreien die Verpflichtung auferlegt wurde, mit Schutzwaffen zu erscheinen, wobei wir freilich in der älteren Zeit schwerlich volle Hoplitenrüstung voraussetzen dürfen, sondern für die meisten nur gerade das Notwendigste an[264] Schild und Kopfbedeckung. Die vierte Centurie bildeten die Leichten, die griechischen φιλοί die gleichzeitig als Burschen, Trainsoldaten und zu militärischen Nebenzwecken gebraucht wurden. Da die Soldaten sich die Waffen selber beschafften, so gehörte ein gewisser Wohlstand dazu, um unter die Hopliten zu kommen. Wurden Proletarier unter sie eingestellt, so mußte der Staat ihnen die Waffen geben.137

Während in Athen auf jeden Hopliten ein Leichter kam, war in Rom der Dienst noch ein so viel strengerer, daß drei Hopliten sich mit den Hilfsdiensten eines Leichten begnügen mußten, und während der Begleiter in Athen häufig gewiß ein bloßer Sklave war, war er in Rom auch ein Bürger, an den kriegerische Anforderungen gestellt werden konnten.

Bis zur Vertreibung der Könige wurde das Gebiet noch etwas vergrößert und eine neue, die 21. Tribus, die clustuminische, errichtet, deren Centurien jedoch alle vier nur für den leichten Dienst herangezogen wurden, so daß nun auf fünf Hopliten zwei Leichte kamen, Rom jetzt im ganzen 84 Centurien Fußvolk hatte. Dazu kamen noch außer sechs Centurien Reitern, zwei Centurien der Schmiede und Zimmerleute, zwei der Trompeter und Hornisten, eine der Intendanturbeamten und Schreiber (accensi).

Die Größe des römischen Staatsgebietes zur Zeit der Vertreibung der Könige umfaßt nicht mehr als knapp 18 Quadratmeilen (983 Quadratkilometer), weit weniger als die Hälfte von Afrika. Als die Phalanx errichtet wurde, war es noch um etwas kleiner. Zu einer Zeit, wo das Gebiet noch so klein war, kann auch die Stadt noch nicht groß gewesen sein, sonst hätte sie die umliegenden kleinen Orte früher und schneller überwältigt. Die Landstadt Veji, die nur zwei Meilen vor den Toren Roms lag, wurde erst mehr als hundert Jahre später unterworfen und eingezogen. Das Gebiet und die Größe einer Stadt stehen immer in einem gewissen Verhältnis. Das Maximum, das man für den damaligen römischen Staat annehmen darf, werden etwas über[265] 3000 Seelen auf die Quadratmeile, also im ganzen etwa 60000 Seelen sein, wovon einige Tausend als Sklaven abzuziehen sind.138

Bei einer Seelenzahl von nicht 60000 freien Einwohnern ist die Zahl der wehrfähigen Männer vom 17. bis 46. Lebensjahr auf 9-10000, die der Älteren und Invaliden auf etwa 5 bis 6000, die Gesamtzahl der erwachsenen männlichen Bürger auf 16000 zu veranschlagen.

Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß die Tribus und Centurien nicht Aushebungsbezirke, sondern eine Aufgebotseinteilung waren; sie umfaßten die gesamten waffenfähigen Männer und entsprachen dem Namen Hundertschaft nur dann, wenn wirklich alle Männer zusammengekommen waren. Denn die 9000-10000 Felddienstfähigen verteilen sich, wie wir sahen, auf 95 Centurien (84 Centurien Fußvolk, 5 Zusatzcenturien, 6 Centurien Reiter).

Als der letzte König, den die Überlieferung Tarquinius Superbus nennt, abgesetzt und vertrieben wurde, änderte man die Verfassung in der Art, daß an die Stelle des einen lebenslänglichen Oberbeamten zwei jährlich neu zu wählende, ursprünglich Prätoren, später Konsuln genannt, treten sollten. Diese Wahl vollzog das als Heer organisierte Volk, die Centurien. Die Centurien sind also von jetzt an nicht mehr bloß Aufgebotsorganisationen, sondern politische Stimmkörper. Als solche haben sie sich erhalten durch alle Wandlungen der römischen Verfassung hindurch, und dadurch ist uns die Ur-Kriegsverfassung des römischen Volkes bekannt.

Um die Aufgebotsorganisation für den politischen Zweck, die Wahl der Konsuln (Prätoren) zu benutzen, mußte man auch die Alten, die nicht mehr Kriegsfähigen organisieren; neben den 84[266] Centurien der juniores schuf man also jetzt auch 84 Centurien der seniores und gab dadurch, sei es mit Absicht, sei es durch den Zufall des Schematismus, den älteren Bürgern ein erheblich größeres Stimmrecht als den jüngeren. Die Reiter und die Zusatz-Centurien waren nicht in seniores und juniores geteilt, woraus wir schließen dürfen, daß sie ihrer Natur nach etwas anderes waren, als die Fußvolks-Centurien. Diese waren nichts als die Aufgebots-Organisation und deshalb hatten die Alten, so lange das Kriegs-Aufgebot der einzige Zweck war, nicht dazu gehört. Die Reiter-Centurien aber werden wir als Reitgesellschaften zu denken haben, zu denen auch die alten Herren immer gehört hatten, die ihrem Ritter-Charakter entsprechend, auch immer noch mit in den Krieg gezogen waren. Ebenso waren die Schmiede, Zimmerleute, Musiker, Schreiber Berufsgenossenschaften, Zünfte, wenn man will, die ihrer Natur nach die Alten einschlossen.

Die Einsicht in den Zusammenhang der späteren römischen Stimm- und Wahlordnung mit der ursprünglichen Kriegsverfassung ist längst gewonnen und wird uns verbürgt nicht nur durch das so offensichtlich militärische Einteilungs-Prinzip, sondern auch besonders aufgehellt durch die Zahlen-Konkordanz. In der ersten Zeit der römischen Republik zerfiel der Staat in 21 Tribus, die Normalzahl der Legion aber, d.h. der Hälfte des Gesamt-Aufgebots, die jeder Konsul kommandierte, war noch im zweiten Jahrhundert 4200 Mann zu Fuß. Diese beiden Zahlen sind durchaus sicher überliefert und können unmöglich durch bloßen Zufall ineinander aufgehen. Sie erklären sich vielmehr so, daß bei Begründung der Republik die Hälfte des Aufgebots der Infanterie tatsächlich 4200 Mann stark war, neben 300 Reitern, und diese an sich zufällige Zahl dann dauernd als Normal-Zahl beibehalten worden ist. Nicht ganz genau stimmt damit die dritte überlieferte Zahl, daß nämlich die Zahl der Centurien der juniores 85, statt, wie man erwarten müßte, 84 betragen habe. Für diese kleine Abweichung aber ist jetzt eine sehr einfache Erklärung gefunden (vgl. unten Excurs 1), so daß auch diese Zahl, trotz des Fehlers darin, als eine Bestätigung jener beiden anderen und damit des ganzen Aufbaues angesehen werden kann.

Daß die Senioren-Centurien erst nachträglich, als die Heeresabteilungen[267] als Stimmkörper dienten, hinzugefügt wurden, kann keinem Zweifel unterliegen. Ein wirkliches Aufgebot der Männer über 46 Jahre war etwas so Seltenes, daß dafür eine dauernde Organisation mit der mühseligen Listenführung139 sicherlich nicht existiert hat. Die Ausmalungen, mit denen Schriftsteller, die 200 bis 300 Jahre später lebten, die Kriege des Camillus erzählten und vom Aufgebot der Senioren zu reden wußten, haben für uns schlechterdings keinen Quellenwert.

Als das Grundprinzip der römischen Kriegsverfassung, wie sie schon unter den Königen geschaffen wurde und in der Republik fortbestand, haben wir also die allgemeine Wehrpflicht erkannt, die allgemeine Wehrpflicht in der denkbar schärfsten Anspannung und Ausdehnung.

Die römische Kriegsverfassung greift viel schärfer zu als die athenische, auch wenn wir deren Leistung zur See, die bei den Römern wegfiel, in Betracht ziehen; denn diese Leistung wurde ja in Athen, von einzelnen Momenten abgesehen, zum großen Teil von Söldnern oder gar Sklaven bestritten.

Die römische Kriegsverfassung greift auch viel tiefer ein als die spartanische. Denn hier ist die große Masse der Bauern unfrei und weder wehrfähig noch wehrpflichtig, bis die Not des peloponnesischen Krieges diesen Grundsatz durchbricht.

Die militärische Anspannung Roms ist um so größer, da auch der Sold, der den im Felde Stehenden gezahlt wurde und gezahlt werden mußte, nicht etwa aus den Tributen irgendwelcher Untertanen, wie in Athen, bestritten wurde, sondern durch Steuern aufgebracht werden mußte. Die Überlieferung knüpft die Einführung des Soldes an die Belagerung von Veji; Mommsen glaubt, wohl mit Recht, daß sie noch weiter hinauf gerückt werden müsse. Noch in der Zeit, als Rom schon die Herrscherin von ganz Italien war, rühmten sich die führenden Familien der altväterischen[268] Einfachheit ihrer Lebensweise. Dem alten Emporium am Tiberstrom inmitten einer fruchtbaren Landschaft kann es von je an Mitteln, Wohlstand zu erwerben, nicht gefehlt haben; aber nicht dem Wohlleben, sondern dem Staatszweck diente der Erwerb, und diese Gesinnung blieb im römischen Bürgertum lebendig noch lange, nachdem die Lebensbedingungen ganz andere geworden waren. Auch die historische Legende der Griechen wußte von der luxusfeindlichen Gesetzgebung des Lykurg in Sparta und dem armen, aber unbestechlichen Aristides in Athen zu erzählen, aber diese Gestalten bezeichnen doch nur Episoden des hellenischen Daseins. Die Cincinnatus, Curius Dentatus, Fabricius sind für den nationalen Typus des alten Rom noch charakteristischer.

Die beiden Zwecke, die die Centurien-Ordnung seit dem Jahr 510 in sich vereinigte, Heeres-Aufgebot und Abstimmungs-Schema gingen naturgemäß mit der Zeit auseinander. Es gab Kriege, bei denen man nicht die gesamte Mannschaft in die Waffen rief, sondern nur eine Auswahl, und je größer der Staat wurde, je weiter die Märsche, je länger die Feldzüge, desto weniger konnte man die Männer allesamt von Hause wegnehmen. An die Stelle des Aufgebots also trat die Aushebung, und die Distrikte für die Aushebung waren naturgemäß nicht die kleinen Körperschaften der Centurien, sondern die regionalen Bezirke, die Tribus. Die Bedeutung des Wortes »Centurie« spaltete sich damit in zwei Begriffe, die beide miteinander und mit der Urbedeutung »Hundertschaft« nichts mehr zu tun haben: auf der einen Seite sind es die politischen Stimmkörper, auf der anderen Unterabteilungen der Legion. Bei Erweiterung des römischen Staatsgebietes wurden neue Tribus errichtet – bis zu 35 –, und mit ihnen auch neue Centurien als Stimmkörper. Die sechs ursprünglichen Reiter-Centurien wurden zu unbekannter Zeit (vielleicht im Jahre 304) auf 18 vermehrt.

Die Gefechtsform des alten römischen Heeresaufgebots haben wir uns genau so vorzustellen, wie die der alten griechischen Hopliten-Phalanx. Wir dürfen daher auch diesen griechischen Namen auf die Römer übertragen. Zwar existiert eine positive Überlieferung darüber nicht; aber da sowohl innere Gründe wie die nachfolgende Entwicklung es ausschließen, daß die Römer etwa[269] in der ältesten Zeit mit dem bloßen Schwert bewaffnete Schlachthaufen gehabt hätten, so ist die mit dem Spiel in schwerer Schutzrüstung fechtende Linear-Aufstellung, also die Phalanx, als die einzig mögliche gegeben.

Die Legion ist eine militärisch-administrative Einrichtung, kein taktischer Körper. Sie verdankt ihr Dasein dem Zufall, daß bei der Einführung des Instituts der beiden Konsuln, von denen jeder die Hälfte des Aufgebots befehligen sollte, diese Hälfte grade 4200 Mann zu Fuß und 300 Reiter betrug.140 Das wurde als Normalzahl auch später beibehalten, als die Grundlagen in Masse wie Art völlig andere geworden waren. Man hielt sich nicht unbedingt an die Normalzahlen; oft sank der Bestand weit darunter, zuweilen wurde die Infanterie auf 5000, schließlich wohl von Marius auf 6000 Mann verstärkt, aber der Grundbegriff erhielt sich, also daß man bei großen Heeren nicht die Legionen unbestimmt vergrößerte, sondern die Zahl der Legionen vermehrte.

Auch die Unterabteilungen der Legion der älteren Zeit, die Centurien, haben, wie diese, keinerlei taktische, sondern nur administrative Bedeutung.

Als Rom Hauptstadt und Vorort eines größeren Bundes wurde und seine Bundesgenossen verpflichtete, Kontingente zu stellen, wurden diese Kontingente nicht zu Legionen zusammengefaßt; das hätte keinen Zweck gehabt, da die Legionen ja nur Administrativ-Körper sind und jedes Kontingent eine gewisse eigene Verwaltung behalten mußte. Man hatte den Grundsatz, daß stets die Hälfte eines Heeres aus römischen Truppen, die Hälfte aus Bundesgenossen zu bestehen habe. Man darf also, um die Stärke eines römischen Heeres zu bestimmen, die Zahl der Legionen im allgemeinen verdoppeln, obgleich freilich in der Praxis oft sehr starke Abweichungen von dem allgemeinen Grundsatz vorkommen.141

An Kavallerie hatten die Bundesgenossen das Doppelte zu stellen von dem, was die Römer selber leisteten.[270]

Die sehr freigebige Erteilung des römischen Bürgerrechts an ganze Gemeinden ermöglichte die Festhaltung dieses Verhältnisses, führt uns jedoch schon in weit spätere Zeiten, als wir sie jetzt betrachten.


1. Die Feststellung der altrömischen Kriegsverfassung hat zum Umsturz und Neuaufbau der Vorstellungen von der altrömischen Verfassung in ihrer Ganzheit geführt. Als fundamental für diese Verfassung galt bisher die servianische Klasseneinteilung. Schon in der ersten Auflage dieses Werkes wurde dieses Klassenprinzip seines eigentlichen Inhalts entleert, da sich aus der Bevölkerungsberechnung ergab, daß die Centurien der verschiedenen Klassen unmöglich sehr verschieden stark gewesen sein können, daß also die Vorstellung, in Rom habe nicht die strenge, allgemeine Wehrpflicht, sondern nur eine abgestufte, beschränkte Wehrpflicht und demgemäß ein nach dem Vermögen abgestuftes Stimmrecht bestanden, verkehrt sein mußte. Wozu also überhaupt die Klassen? »Die einzige Auslegung, die übrig bleibt, schrieb ich damals, um das Klassenprinzip innerhalb des allgemeinen gleichen Stimmrechts zu erklären, ist das starre römische Standesbewußtsein.« Man empfindet, daß diese Auslegung im Grunde nur ein letztes verzweifeltes Hilfsmittel war, um die überlieferte Vorstellung nicht völlig preisgeben zu müssen. Einer meiner Schüler hat ihr seitdem den Rest gegeben: die ganze servianische Klassenordnung ist aus der altrömischen Geschichte zu streichen. FRANCIS SMITH142 in dem Buche »Die römische Timokratie« hat schlagend nachgewiesen, daß die sogenannte servianische Verfassung nicht dem sechsten, sondern dem zweiten Jahrhundert entstammt. Sie stellt dar den mißglückten Versuch einer Verfassungsreform im Sinne der catonischen Mittelstandspolitik, um den Staat vor der heraufziehenden Gefahr der Ochlokratie im Dienste der aristokratischen Korruption zu retten. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß dieser Versuch im Jahre 179 von den Censoren Marcus Ämilius Lepidus und Marcus Fulvius Nobilior gemacht wurde. (Mutarunt suffragia, regionatimque generibus hominum causisque et quaestibus tribus descripserunt. Livius Buch 41, Kap. 51.) Wahrscheinlich sind auch damals die Tribus statt wie bisher in je acht, in je zehn Centurien eingeteilt worden. Daß es ursprünglich acht gewesen sein müssen, ergibt sich aus der Konkordanz der Zahlen: 21 Tribus zu je 4 Centurien juniores gleich 8400 Mann oder 2 Legionen Fußvolk.[271]

Um im Jahre 179 dem Volke die Einteilung nach den neuen Prinzipien genehm zu machen, wurde sie als das überlieferte wahrhaft alte römische Staatsrecht hingestellt, und wie die Schriften des Königs Numa Pompilius, so werden damals auch die Kommentare des Königs Servius Tullius gefunden worden sein, aus deren etwas abrupten Notizen dann die römischen Antiquare die unter sich so widerspruchsvollen Bilder der servianischen Verfassung konstruiert haben. Der Vorgang hat seine Analogie im Deuteronomion, im Priester Codex, in der drakontischen und in der lykurgischen Verfassung. Die Fälscher haben noch gewußt, daß Rom zur Zeit der Vertreibung der Könige 21 Tribus hatte, und dementsprechend 168 Centurien Fußvolk. Bei der Verteilung auf die Klassen rundeten sie die Zahl (so dürfen wir wenigstens annehmen) auf 170 ab (80; 20; 20; 20; 30) und brachten dadurch den Fehler hinein, der den modernen Gelehrten so sehr viel Kopfzerbrechen gekostet hat, daß nun das Heer von 8400 Mann (zwei Legionen) 85 Centurien gehabt haben sollte, also eine zu viel.

An der anderen Irregularität, daß bei 21 Tribus, in denen jede 3 Centurien Hopliten und eine Centurie Leichte stellten, die Legion nicht 3000 Hopliten und 1200 Leichte, sondern 3150 Hopliten und 1050 Leichte hätten zählen müssen, sind die Antiquare offenbar unschuldig. Hier muß eine Irregularität in der historischen Entwicklung vorliegen, und man kann diese auch mit einem ziemlichen Grad der Wahrscheinlichkeit aufzeigen. Es darf als sicher angenommen werden, daß Rom ursprünglich nur 20 Tribus zählte; die Irregularität muß also durch den Hinzutritt der 21sten Tribus, der clustuminischen entstanden sein. Die neuen Tribulen werden im Anfang nicht als völlig gleichwertig angesehen worden sein, und da ohnehin das Verhältnis von drei Hopliten zu einem Leichten sehr knapp war, so bestimmte man die Clustuminier sämtlich für den Nebendienst, ein Verhältnis, das mit der Zeit, als der Charakter des Aufgebots sich überhaupt änderte, von selbst verschwand. Das alles ist zwar nicht direkt beweisbar, darf aber doch wohl als plausibel gelten. Im Anschluß an das Buch von Smith habe ich diese ganze Auffassung eingehend in einem Aufsatz in den »Preußischen Jahrbüchern«, Band 131, S. 87 (1908) entwickelt, auf den ich für das Spezielle hiermit verweise. Eine Reihe von Abschnitten der ersten Auflage sind dadurch antiquiert. Nur folgendes sei hier noch wieder angefügt:

2. Die alte römische Phalanx soll die Eigentümlichkeit gehabt haben, daß die Glieder nicht gleichmäßig bewaffnet waren; nur die vordersten Glieder trugen die volle Hoplitenrüstung, dann kam ein Glied, dem die Panzer, dann eines, dem auch die Beinschienen fehlten, und die allerletzten hatten nur Spieße und endlich bloße Schleudersteine. Wenn schon nicht beglaubigt, wäre es doch nicht unmöglich, daß hieran etwas Wahres ist. Wir haben oben (B. I, Kap. 3) dargelegt, daß es der Phalanx keinen Nutzen bringt, wenn als hintere Glieder Ungerüstete folgen, aber diese römischen[272] Ungerüsteten sind nicht als Glieder der Phalanx aufzufassen, sondern entsprechen den griechischen ψιλοί, Trainsoldaten, Burschen, die auch einigen sekundären Kombattantendienst als Leichtbewaffnete tun. Bei den Römern sind sie um ein Grad kriegerischer als bei den Griechen, da sie aus lauter Bürgern bestehen, während in den wohlhabenderen griechischen Städten, namentlich Athen, die Herren vielfältig Sklaven und die Spartaner Heloten mit ins Feld nahmen. Die Leute ohne Panzer und ohne Beinschienen, also mit Schild und Helm, können dagegen noch als Schwergerüstete angesehen werden und in der Phalanx fechten. Naturgemäß gab es in der ältesten Zeit sehr viele, die nicht in der Lage waren, sich den kostbaren Panzer und die Beinschienen anzuschaffen. Man mußte sie in die hinteren Glieder stellen, aber es lag zu sehr ebensowohl im Interesse des Staates als jedes dieser Männer selber, mit vollständiger Rüstung versehen zu werden, als daß die abgestufte Bewaffnung mehr als ein Übergang gewesen sein kann. So viel in irgend einem öffentlichen Arsenal oder in einem Privathause an Panzern aufzutreiben war, müssen die ausrückenden Hopliten auch damit ausgerüstet worden sein. Die Vermutung, daß es sich überhaupt nie um verschiedene Bewaffnung, sondern nur darum gehandelt habe, was der Einzelne sich selbst zu beschaffen, was der Staat ihm zu liefern habe, hat einiges für sich143. Die Einzelheiten der Überlieferung, daß die erste Klasse runde Erzschilde (clipei), die zweite (wegen des fehlenden Panzers) lange, viereckige Schilde (scuta) gehabt habe und der dritten Klasse die Beinschienen gefehlt hätten, ist deutlich als antiquarische Konstruktion zu erkennen: zu einer Zeit, wo der Staat nicht einmal imstande war, allen seinen Phalangiten eine volle Schutzrüstung zu geben, können unmöglich so seine Unterschiede durchgeführt oder auch nur vorgeschrieben gewesen sein. Ob der Schild ehern und rund oder viereckig, hölzern, lederüberzogen, mit Eisenbeschlag war, das wird den Konsuln wenig ausgemacht haben, und die Beinschienen wieder sind ein so unbedeutendes Stück der Rüstung (die späteren römischen Legionare haben sie überhaupt nicht mehr getragen), daß sie offenbar nur herangezogen sind, um einen Klassenunterschied konstruieren zu können. Das Holz des Spießes, die Schärfe der Spitze, die Stählung des Schwertes waren für die Kampftüchtigkeit des Einzelnen viel wichtigere Unterschiede, als wenn ein Soldat statt metallner Beinschienen etwa starke lederne Gamaschen um die Schienbeine getan hatte.

3. Die Ritter-Centurien haben offenbar eine eigene, von der des Fußvolkes abweichende Geschichte, gehabt, wie sie ursprünglich auch nicht Centurien, sondern Tribus hießen. Sie sind nicht eingeteilt in juniores und seniores und ihre Zahl ist für die älteste Zeit der Republik relativ zu groß. Es ist unmöglich, daß zu der Zeit, wo Rom überhaupt nicht mehr als höchstens 9-10000 felddienstfähige Bürger hatte, darunter 1800 Reiter gewesen[273] sein sollen. Als die normale Beigabe zu 8-9000 Mann Fußvolk (zwei Legionen) galten 600 Reiter; diese nehme ich daher als die damals vorhandene Reiterzahl.

Zieht man nun in Betracht, daß die drei ältesten und vornehmsten Reiter-Centurien eigene Namen hatten, die Ramnes, Tities und Luceres, denen sich die Ramnes, Tities und Lucerus secundi und dann die weiteren 12 namenlosen Centurien anschlossen, so ergibt sich die Vermutung, daß die erstgenannten Centurien alte Adelsgesellschaften waren, die existierten, ehe die Masse des Volkes in Centurien organisiert wurde. Diese Adelsgesellschaften zogen als Reiter mit etwaigem Gefolge zu Fuß in Feld; da sie aber mehr als bloße Kriegsaufgebote, nämlich Bruderschaften, Klubs waren, so gehörten ihnen auch die Alten und Invaliden an. Als nun nach der Vertreibung der Könige die Heereskörper als politische Stimmkörper zu fungieren anfingen und man deshalb die Centurien der Senioren schuf, da war das bei den Reiter-Centurien nicht nötig und nicht angängig, weil die Alten diesen bereits angehörten, wenn sie auch nicht mehr regelmäßig mit ins Feld zogen. Auf ihr Stimmrecht in den Centurien haben die Vornehmen in Rom ihre Macht ohnehin nie zu gründen gesucht, sondern auf die Beeinflussung der Volksabstimmung durch Beamtentum und Priestertum.

4. Einen Hauptbeweis dafür, daß das Heer die Grundlage der Centurieneinteilung war, sind die Centurien der Musiker und Handwerker. Die Schmiede sind wohl wesentlich als Waffenschmiede aufzufassen, die mitgenommen wurden, um die fortwährend nötigen Reparaturen im Felde vornehmen zu können.

Außer dieser gab es noch eine Centurie der accensi velati. Die römischen Antiquare waren selber sehr unsicher, was darunter zu verstehen sei (vgl. die Stellen bei MARQUARDT. Röm. Staatsverw. II, 329 Anmkg. 2). Bald identifizierte man sie mit den Plänklern, bald erklärte man sie für Ersatzmänner, die für Gefallene und Verwundete mit deren Waffen eintreten. Das ist die heute vorherrschende Meinung. Ich kann mir von solchen Leuten keine Vorstellung machen. Haben sie, bis eine Lücke eintritt, keinerlei Funktion und auch keinerlei Waffe? Das wäre, da sie doch verpflegt werden müssen wie andere, eine Kraftverschwendung. Wird ein Hoplit kampfunfähig, so ist es natürlich sehr wichtig, seine kostbaren Waffen zu retten. Am besten rüstet man sofort einen anderen damit aus. Die 100 accensi aber auf ein Heer von 8400 Mann würden schon nach dem ersten Gefecht nicht mehr ausreichen. Hat man dafür gesorgt, daß die Hopliten möglichst vollzählig blieben, so waren doch die Leichten dafür da, in die Lücken einzutreten. Wenn dem aber so war, so verliert das Häuflein der spezifischen »Ersatz-Centurie« die Existenzberechtigung. Sie wären eine Centurie Leichtbewaffneter, wie die anderen auch. Ihre Bestimmung, da sie doch als eine Besonderheit erwähnt werden, muß eine andere gewesen sein.[274]

Ich glaube, die von MOMMSEN, Staatsv. III, 1, 289 beigebrachten Inschriften und Stellen leiten auf die richtige Spur. Hier erscheint die centuria accensorum velatorum als privilegiert und der einzelne accensus velatus als ein angesehener Mann, der sich dessen rühmt. Das scheint mir auf keine Weise zu vereinen mit der Tradition, die die accensi velati als die allerunterste, völlig vermögenslose Bürgerklasse auffaßt. Wie soll aus der Centurie der Proletarier eine Genossenschaft geworden sein, der anzugehören eine begehrte Ehre war und in der wir tatsächlich Personen von ritterrang finden? Mommsen hat ganz richtig geschlossen, daß sie »einmal in öffentlichen Geschäften tätig gewesen sein müssen.« Was können das für Geschäfte gewesen sein? Mit der Armee hingen sie zusammen, für ihren Dienst wurden sie ausgehoben. Es waren also die Leute der Armee-Verwaltung, der Stab der Schreiber, Rechner, Intendantur-Beamten und Ordonnanzen, dessen die höheren und auch die niederen Führer bedurften. Varro (cit. bei Marquardt a.a.O.) berichtet das an verschiedenen Stellen ausdrücklich. Stellte sich das Heer zur Musterung auf, so mußten auch sie, als Unbewaffnete (velati) mit antreten, und als das Heer im Stimm-Centurien geteilt wurde, wurden sie zusammen als eine Centurie betrachtet und organisiert, gerade wie die Trompeter, Hornisten, Schmiede und Zimmerleute je eine bildeten. Die Vorstellung, daß die accensi velati die Proletarier seien, hat sich erst gebildet, als in den Klassen eine Vermögenseinteilung des Volkes geschaffen war, zum Zweck eines timokratischen Stimm-Organismus. Hier paßten die accensi schlechterdings nicht hinein; deshalb stellte man sie einfach unten an. Ist es richtig, daß sie auch ferentarii genannt worden sind (nach Festus und Varro) und daß das Wort von ferre abzuleiten ist, also »Träger«, so waren es ursprünglich bloße Diener, aus denen sich allmählich höhere Gehilfen entwickelten.

5. Solche Notizen, wie aus Athenäus VI, 106: »ἔλαβον δέ καὶ παρὰ Τυῤῥηνῶν τὴν σταδίαν μάχην φαλαγγηδὸν ἐπιόντων« sollte man nicht wiederholen. Es ist schon viel, wenn Cato noch von einer wirklichen Tradition gewußt, daß die Römer ursprünglich in der Phalanx gefochten, und sich das nicht bloß aus der Natur der Sache konstruiert hat. Daß die Römer aber diese Kampfesweise von irgend einem Volke übernommen, kann keinerlei wirkliche historische Überlieferung mehr berichtet haben.

Ebenso wenig hat es Zweck, zu wiederholen, daß das scutum nach Athenäus ursprünglich eine samnitische oder nach Plutarch, Romulus, eine sabinische Waffe gewesen oder nach Plutarch, Camillus, seit dieses Feldherrn Zeit mit Eisen beschlagen gewesen sei. Das sind alles ganz willkürliche Phantasien und Konstruktionen späterer Antiquare, unter sich voller Widersprüche; nach Liv. VIII, 8 z.B. führten die Römer ursprünglich clipei und erst, seit sie stipendiarii wurden, also seit Camillus, scuta.

6. W. HELBIG, Die Castores als Schutzgütter des römischen Equitatus (Hermes, Bd. 40, 1905) und Zur Geschichte des römischen Equitatus, (Abhandl. d. Kgl. Bayr. Akad. d. W. I. Kl. XXIII. 2. Abt. 1905)[275] sucht wie für die Griechen (vgl. oben S. 39), so auch für die Römer nachzuweisen, daß in der älteren Zeit die equites nicht als Kavallerie, sondern als berittene Hopliten aufzufassen seien. Die römische Untersuchung ist jedoch viel ertragreicher, als die griechische, weil sie nicht so sehr auf die Interpretation von Bildern, sondern auf direkte Quellen und Aussagen gestützt ist. Helbig konstatiert, zunächst durch Vorführung aller der zahlreichen Quellenstellen, wie stark die Tradition war, daß in der ältesten Zeit die Römer Reiterkämpfe geführt und zu Pferde in den Krieg gezogen seien. Mit dieser Tradition steht im Widerspruch die Erzählung im ineditum Vaticanum (Hermes, XXVII, 1892) p. 118, die wahrscheinlich auf Fabius Pictor zurückgeht, wonach sich erst im Samniterkrieg die Römer eine tüchtige Reiterei angeschafft hätten. Helbig vereinigt das so, daß damals die berittenen Hopliten unter hellenistischer Anregung in wirkliche Kavallerie verwandelt worden seien und bringt das zusammen mit dem nach der Tradition von Fabius Maximus als Censor im Jahre 304 eingerichteten Aufzug der Ritter durch die Stadt (Mommsen, Staatsrecht III. 1, 493 Anmkg. 1).

Der Fehler der Untersuchung liegt wie bei der entsprechenden griechischen desselben Autors in der zu scharfen Scheidung zwischen Infanterie und Kavallerie. Helbig zieht das Beispiel der Dragoner des 17. Jahrhunderts heran, die berittene Infanterie darstellten. Diese Dragoner waren in der Tat berittene Infanterie, der nur minderwertige Pferde gegeben wurden, damit sie den Verlust leicht verschmerzen könnten. Das paßt ganz gewiß nicht auf die ἱππεῖς und equites. Die wirkliche Analogie zu den römischen equites sind die mittelalterlichen Ritter, die sowohl zu Fuß wie zu Pferde kämpften, denen das Pferd keineswegs bloß Transportmittel war. Helbigs Argument, die equites könnten nicht zu Pferde gekämpft haben, weil der Schild, den sie auf den Abbildungen führen, dazu zu groß sei, schlägt nicht durch: sie mögen ja, wenn sie zu Pferde kämpfen wollten, den Schild abgegeben und ohne diesen Schutz gekämpft haben. Auch ein kleiner Schild ist ja für den Reiter, der die linke Hand zur Zügelführung braucht, eine sehr unbequeme und oft gefährliche Hilfe. Inwiefern aus der Größe und Form des Schildes auf die Kampfesart etwas zu erschließen ist, könnte wohl nur eine genaue Vergleichung mit der Fecht-Methode der mittelalterlichen Ritter lehren. Die römischen Ritter der ältesten Zeit mögen oft genug zu Fuß gekämpft haben, auch noch als die Legions-Phalanx eingerichtet wurde, aber ganz gewiß nie, wie Helbig S. 312 meint, als Reserve, sondern dann als das erste Glied der Phalanx, wie so oft die Ritter des 14. und 15. Jahrhunderts. »Reserve« ist ein Begriff, der zu der älteren Phalangen-Taktik überhaupt nicht paßt.

Der Widerspruch zwischen der gewiß richtigen Tradition, daß das älteste Rom über eine reisige Ritterschaft gebot, und dem ineditum Vaticanum ist daher anders zu eliminieren. Die Stelle lautet: »οὐδ᾽ ἱππεύειν ἰσχύομεν, τὸ δε πᾶν ἢ τὸ πλεῖστον τῆς Ρωμαικῆς δυναμεως πεζὸν[276] ην ... ἱππεύευν δὲ αὐτοὺς ἀναγκάσαντες« Nichts zwingt uns, in die Stelle mehr hineinzutragen, als ihr Wortlaut besagt, nämlich, daß in den Samniterkriegen die Römer ihre Reiterei wesentlich verstärkten, nämlich 12 neue Centurien errichtete, so daß sie jetzt 18 hatten. Daß es erst und gerade im Jahre 304 geschehen sei, kann nicht gerade als bezeugt gelten; immerhin ist nicht ausgeschlossen, daß der feierliche Aufzug durch die Stadt an die Reform anknüpfte.

Sehr interessant ist eine von Helbig angeführte und abgebildete Steinplatte aus dem 6. Jahrhundert, die römische Ritter zeigt, von denen einer ein Schwert, ein anderer eine Streitaxt führt; die Waffe des dritten ist nicht zu erkennen. Diese Mischung der Waffen ist ganz unkavalleristisch, aber echt ritterlich.

Ob auf die Verehrung der Dioskuren als Patrone der Ritterschaft wirklich so viel aufzubauen ist, wie Helbig unternimmt, entzieht sich meiner Beurteilung.

7. Das gesamte Quellenmaterial wie Literaturverzeichnis für das römische Kriegswesen ist enthalten im 2. Bande der »Römischen Staatsverwaltung« von JOACHIM MARQUARDT; zweite Auflage besorgt von A. v. Domaszewski 1884 (Fünfter Band des Handbuchs der Römischen Altertümer von Joachim Marquardt und Theodor Mommsen). Die zweite Auflage ist in der Substanz nur ein Neudruck der ersten unter Zufügung von Ergänzungen, namentlich Angabe der neueren Literatur. Hier wird deshalb auch noch die jetzt wohl allgemein aufgegebene Auffassung von der schachbrettförmigen Stellung der Manipeln im Kampf vorgetragen.

Ich selber habe das Problem der römischen Manipel-Phalanx zuerst behandelt Histor. Zeitschrift Bd. 51 (1883), ferner Hermes Bd. 21 (1886) und Histor. Zeitschrift Bd. 56, S. 504 (1886) und Bd. 60 S. 239 (1888). Die beiden ersten Aufsätze sind zusammengefaßt in dem Anhang zu den »Perser- und Burgunderkriegen«. Andere Auffassungen haben entwickelt: FRÖHLICH, Beitr. z. Kriegführung u. Kriegskunst d. Römer zur Zeit d. Republik, 1886. SOLTAU, Hermes Bd. 20. BRUNCKE, Neue philologische Rundschau, Jahrg. 1888, S. 40. KUTHE in einer dem Direktor Nölting gewidmeten Festschrift 1888. STEINWENDER, Programm d. Marienburger Gymnas. 1877. Zeitschr. f. Gymn.- Wesen 1878. GIESING, Progr. d. Vitzthumschen Gymn. 1891. Alle diese Arbeiten haben den gemeinschaftlichen Fehler, daß sie sich die taktischen Vorgänge, deren höchstes Gesetz die Einfachheit ist, viel zu kompliziert vorstellen.

Hinzugekommen ist jetzt noch LAMMERT, Die Entwicklung der römischen Taktik (Neue Jahrb. f. d. kl. Altertum, 1902), worin sehr gut S. 102 das altrömische Rittertum nach den fragmentarischen Zeugnissen und Analogien dargestellt wird. Des übrigen aber sind die Konstruktionen des Verfassers zu künstlich und jetzt durch das Buch von Smith überholt.

Sehr wertvoll ist der Artikel »exercitus« von LIEBENAM in Paulys Real-Encyklopädie; er enthält eine sorgsam gearbeitete Übersicht sowohl[277] über das ganze Quellen-Material, wie über die neuere Literatur ihre Kontroversen.

1913 ist hinzugekommen STEINWENDER, die röm. Taktik z. Zeit d. Manipularstellung. Danzig, H. Bruning. Wertvolle Besprechung dieser in den meisten Einzelheiten verfehlten Untersuchung von ROB. GROSSE, D. Liter. Zeit. 1914, Nr. 11, S. 685.

9. Über die Bedeutung der Ausdrücke classis, infra classem, classes hat Soltau im Philologus 72, 358 (1914) eine Untersuchung veröffentlicht, die auf dem richtigen Wege, ihn aber nicht ganz bis zu Ende gegangen ist. Ich fasse es so auf: »classis« heißt ursprünglich das Aufgebot; dem Aufgebot folgten von Anfang an eine Anzahl Burschen, Leichte usw., die φιλοί, die »infra classem« genannt wurden; als diese »Leichten« reguliert und der Legion je 1200 zugeteilt wurden, war dies eine zweite »classis«. So erhielt das Wort die Bedeutung »Abteilung« und man konnte jetzt von »classes« sprechen.

8. Von entscheidender Bedeutung für die Bildung der römischen Infanterie ist natürlich die Soldzahlung, die, wenn nicht von Anfang an, doch jedenfalls sehr bald eingeführt worden ist. Da ist es interessant, daß SCHLOSSMANN (Archiv f. latein. Lexikographie, Bd. 14, 1905) festgestellt hat, daß stipendium, das später sowohl »Sold« wie »Steuer« (Tribut) bedeutet, ursprünglich »Soldsteuer« heißt, d.h. die speziell für den Zweck der Soldatenlöhnung erhobene Steuer.[278]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 259-279.
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