Zweites Kapitel.

Die Schlacht auf dem Lechfelde.

10. August 955.

[114] Die Schlacht bei Augsburg oder auf dem Lechfelde ist die erste deutsche Nationalschlacht gegen einen auswärtigen Feind. Das Gefecht bei Andernach (876), in dem die Söhne Ludwigs des Deutschen ihren westfränkischen Oheim zurückschlugen, hatte noch keinen anderen Charakter, als den einer dynastischen Fehde. Der wirkliche Gedanke eines deutschen Staatswesens entsteht erst mit der neuen Dynastie, die sich von dem Gesamt-Frankenreich emanzipierte, und die erste Schlacht, in der sich diese neue Staatseinheit bewährt, in der Krieger aller Stämme zusammenwirken, ist der Sieg über die Ungarn bei Augsburg. Wir haben darüber eine ausführlichere Erzählung in der sächsischen Geschichte des Mönches Widukind von Corvey,112 und eine zweite in der Biographie des Bischofs Ulrich von Augsburg von einem Gerhard, der die Belagerung erlebte und als Augenzeuge schreibt,113 und verschiedene Einzelnachrichten, so daß sich mit Sicherheit ein Bild von dem Vorgang gewinnen läßt.

König Otto war nach endlicher Überwindung des großen Aufstandes seiner Söhne nach Sachsen zu rückgekehrt, als ihn die Nachricht erreichte, daß die Ungarn, die schon während des Bürgerkrieges[114] Deutschland wieder einmal durchzogen hatten, von neuem ins Land gefallen seien. Sie durchquerten, wie man demnächst weiter hörte, Bayern südlich der Donau und belagerten die Grenzstadt Schwabens, Augsburg am Lech, das der Bischof Ulrich mit einer Schar tapferer Krieger verteidigte. Gerhard schildert uns, wie er den Mut der Seinen stärkt durch eine Predigt über den Psalm »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal« und bei einem Ausfall im bischöflichen Ornat ohne Helm und Panzer mitritt.

Mittlerweile sammelte der König ein großes Entsatzheer. In acht Scharen, Legionen, wie Widukind sich ausdrückt, war es gegliedert; eine davon bildeten die Böhmen (Tschechen), deren Stärke er auf 1000 Mann angibt. Die Zahl soll offenbar besagen, daß das Kontingent sehr stark war, wie denn auch nach einer anderen Quelle ihr Herzog Boleslaus persönlich sie führte;114 am stärksten aber war die Schar des Königs Otto (legio regia), die aus dem gewöhnlichen kriegerischen Gefolge des Königs, das nicht so ganz klein gewesen sein kann, aus wenigen Sachsen und wohl denjenigen fränkischen Rittern bestand, die im unmittelbaren Dienst des Königs standen und während seines Anmarsches zu ihm gestoßen waren. Das Gros der sächsischen Lehnsleute hatte nicht mit aus ziehen können, angeblich da Sachsen selbst durch einen Krieg mit den Slaven in Anspruch genommen war; wohl mehr, weil sie zu spät gekommen wären, da zwischen dem Eintreffen der ersten Nachricht in Magdeburg und der Schlacht noch nicht sechs Wochen lagen, was für die Verschickung des Aufgebots, die Mobilmachung und den Marsch bis Augsburg für alle nördlichen und westlichen Sachsen zu kurz war. Das ganze Heer darf hiernach auf 7000 bis 8000 Mann, gewiß nicht mehr, eher weniger, veranschlagt werden, sämtlich Reiter. Etwa hierzu noch einen Zuschlag zu machen für Begleiter der Ritter zu Fuß oder zu Pferd, die als Krieger zu zählen wären, ist unrichtig. Gewiß hatten die meisten dieser Ritter einen und die vornehmeren mehrere Knechte bei sich, die unter Umständen auch kriegerische Funktionen ausübten, aber für die Feldschlacht kamen sie nicht in Betracht; ein Heer von 7000-8000 Reitern, die alle durchgebildete Berufskrieger sind, ist schon eine ganz gewaltige Macht, und Karl der Große wird[115] schwerlich öfter, wenn überhaupt je, eine solche Mannschaft auf einem Haufen zusammen gehabt haben.

Ob die Zahl der Ungarn, die nach den deutschen Chronisten natürlich ins Ungeheuerliche geht, größer oder kleiner gewesen ist, müssen wir dahingestellt sein lassen, vermutlich war sie geringer.

Eine vielbehandelte Streitfrage unter den Gelehrten ist, ob die Schlacht auf dem rechten oder linken Ufer des Flusses stattgefunden hat.

Aus dem Namen Lechfeld ist noch nichts zu schließen, da Augsburger Lokal-Historiker diesen Namen auf die Ebene südlich der Stadt auf beiden Ufern des Flusses beziehen.115

Einen Fingerzeig scheint die Nachricht zu geben, daß das Herannahen des deutschen Heeres den Ungarn durch Berthold von Reisenburg verraten worden sei. Reisenburg liegt an der Donau, drei Meilen abwärts von Ulm. Man dürfte also vermuten, daß Otto hier in der Nähe über den Strom gegangen ist und sich von west-nord-westlicher Richtung Ausgburg genähert hat. Sieht man aber näher zu, so hat diese Nachricht nur eine sehr geringe Glaubwürdigkeit. Woher sollen die Deutschen gewußt haben, wer den Ungarn die Meldung von ihrem Anmarsch gebracht hat? Daß der Ungarn-König, den sie auf der Flucht gefangen nahmen und aufhängten, darüber erst vernommen worden ist, ist wohl recht unwahrscheinlich. Ohne Zweifel schwärmte ein Teil der ungarischen Reiter, während das Gros Augsburg belagerte, allenthalben durch das Land, und die Donau wurde von dem kriegserfahrenen Volke sicherlich systematisch beobachtet. Daß das große deutsche Heer diesen Strom hätte überschreiten können, ohne von den Ungarn bemerkt zu werden, ist ausgeschlossen; sie gebrauchten für diese Kunde nicht der Hilfe eines Deutschen. Der Verräter Berthold dürfte daher nichts sein als der typische Verräter, der wohl in allen, auch den siegreichen Schlachten der Weltgeschichte auftritt, mit denen sich die Volksphantasie beschäftigt: von dem Unbekannten an, der bei Marathon den Persern mit einem Schilde auf einem Berge ein Zeichen gab, bis zu dem Müller, der in der Schlacht bei Königgrätz[116] Benedek durch die Bewegung seiner Mühlenflügel den Anmarsch des Kronprinzen verriet. Auch im Weltkrieg hat dieser Aberglaube zahllosen Unglücklichen, namentlich Müllern, das Leben gekostet. Berthold von Reisenburg war der Sohn des Pfalzgrafen Arnulf aus dem alten, von Otto abgesetzten bayrischen Herzogsgeschlecht – ob er wirklich mit den Ungarn konspiriert hat, muß dahingestellt bleiben. Da ihm nachher nichts geschehen ist, ist es sehr unwahrscheinlich.

Mit der Glaubwürdigkeit dieser Meldung fällt auch das Zeugnis für den Anmarsch Ottos aus dieser Richtung. Man meine nicht, daß, wenn auch die Meldung selbst zu streichen ist, doch so viel bleibe, daß das deutsche Heer aus dieser Gegend gekommen sein müsse. So rationell arbeitet die Legende nicht. Die Deutschen können ganz woanders hergekommen sein, und die Legende konnte dennoch den Reisenburger, auf den einmal ihre Aufmerksamkeit und ihr Argwohn gerichtet war, zu dem meldenden Verräter stempeln.

Fällt nun die Rücksicht auf die Lage von Reisenburg weg, so bleibt zur Bestimmung des Schlachtfeldes die Wendung Widukinds, die Ungarn seien, als ihnen das Nahen des Königs gemeldet wurde, unverweilt über den Lech gegangen ihm entgegen. Da wir aus der Biographie des Bischofs wissen, daß die Ungarn Augsburg belagerten und diese Stadt auf dem linken Ufer des Flusses, nicht einmal unmittelbar am Wasser lag, so müßten die Ungarn, um dem König zu begegnen, auf das rechte Ufer gegangen sein, der König wäre also von Osten, von Ingolstadt oder Neuburg her angerückt. Ganz sicher ist dieser Schluß aber nicht, da Widukind von der Belagerung Augsburgs nichts erzählt; diese Belagerung war auch nur ganz kurz, vielleicht nur zwei Tage; eben erst hatten die Ungarn, von Osten kommend, den Lech überschritten: es wäre also nicht unmöglich, daß Widukind die Ereignisse zusammenziehend, diese erste Überschreitung des Flusses meint und die Schlacht doch auf dem linken Ufer stattgefunden hat.116[117]

Auch daß Widukind die Schlacht in Bayern stattfinden läßt (dum haec in Boioaria gerunter), ist zwar ein direktes Zeugnis für das rechte Ufer und fällt als solches stark ins Gewicht; um so mehr als Schwaben sogar gegenüber und aufwärts von Augsburg etwas über den Lech hinübergriff. Dennoch ist das Wort nicht entscheidend, da eine Unaufmerksamkeit oder Unklarheit des sächsischen Mönchs über die Geographie von Süddeutschland vorliegen mag.

Die direkte Aussage aber wird bestätigt durch indirekte Momente, die wir in der Erzählung Widukinds finden. Er überliefert uns die Marschordnung der acht Scharen: die ersten drei bildeten die Bayern, die vierte die Franken unter Herzog Konrad, die fünfte die Königsschar, die sechste und siebente die Schwaben, die achte die Böhmen. Es wäre doch sehr auffallend, daß die Schwaben, die Landeskundigen, nicht die Spitze hatten, wenn der Marsch durch ihr Land ging. Statt ihrer haben die Bayern die Spitze, sicherlich aus dem Grunde, weil sie dann wieder ihrerseits, ohne die natürlichen Verbände zu zerreißen, die besten Kenner der Gegend nach vorn nehmen konnten. Ferner erzählt Widukind, daß der Entschluß zur Schlacht gefaßt wurde, als der Herzog Konrad ankam; wäre der Sammelplatz des Heeres weiter im Westen, etwa zwischen Ulm und Dillingen gewesen, so wäre schwer zu verstehen, weshalb der Franke später ankam als der Böhme. War aber der Sammelplatz etwa bei Ingolstadt, so ist es ganz natürlich, daß Konrad, dessen Familiengüter bei Speyer und Worms lagen, so spät erschien. Ist auch der Weg von Speyer nach Ingolstadt ungefähr ebenso weit wie der von Prag, so muß der Böhmenherzog doch weit früher die Nachricht und den Befehl gehabt haben. Schließlich erzählt uns Ruotger,[118] der Biograph Brunos, des Erzbischofs von Köln und Stadthalters von Lothringen, die Lothringer hätten an der Schlacht nicht teilgenommen, weil sie nicht rechtzeitig hätten zur Stelle sein können und Lothringen selbst gegen einen Einfall hätten decken müssen. Die letzte Wendung klingt sehr verdächtig nach Ausrede, denn die beste Deckung für Lothringen war doch immer, die Ungarn mit der gesammelten Macht des Reichs zu schlagen. War aber der Sammelplatz des Heeres bei Ingolstadt, so war der Weg für die Lothringer in der Tat zu weit und sie wurden aus demselben Grunde nicht heranbefohlen wie die Sachsen.

Diese Untersuchung, auf welchem Ufer das Schlachtfeld zu suchen ist, scheint zunächst nur von lokalem Interesse – was liegt daran, den Ort des Gefechts so genau zu bestimmen? Wir werden sofort sehen, daß die anscheinend kleinliche Frage von weltgeschichtlicher Bedeutung ist, denn der Kampfplatz ist maßgebend für den strategischen Zusammenhang, die strategische Anlage der Schlacht. Die Schlacht bietet uns aber noch in einer anderen Beziehung ein Problem.

Otto kam mit seinem Heer von Norden, von der Donau; das Lechfeld liegt südlich von Augsburg und nach der Aussage des Augenzeugen Gerhard hat der Kampf so weit entfernt der Stadt stattgefunden, daß man ihn von den Mauern aus nicht sehen konnte. Ferner erzählt uns Gerhard, die Ungarn, die bis dahin die Stadtmauern berannten, seien, als ihnen das Nahen des deutschen Heeres gemeldet wurde, ihm entgegengezogen. Wie konnte die Schlacht dann südlich der Stadt, auf dem Lechfelde stattfinden? Wie soll das deutsche Heer soweit nach Süden gekommen sein?

Da die Ungarn den Deutschen entgegenzogen, so muß der erste Zusammenstoß nördlich, nordwestlich oder nordöstlich von Augsburg stattgefunden haben.

Dies Gefecht war nach der Aussage des Zeugen Gerhard nicht sehr hartnäckig; als die Augsburger die Ungarn aus dem Gefecht zurückfluten sahen, schien ihre Masse so wenig geändert, daß man zuerst glaubte, es habe gar kein Kampf stattgefunden. Es scheint so, als ob die Ungarn einen Versuch gemacht hätten,[119] die Deutschen mit einer Abteilung Bogner zu umgehen und sie im Rücken anzugreifen; dieser Angriff wurde aber abgewiesen, und als nun die Ungarn die gewaltige Masse der deutschen Reiter mit Schwert und Lanze anstürmen sahen, machten sie kehrt und eilten in ihr Lager südlich von Augsburg zurück. Wenn sie auch die Schlacht und den Feldzug verloren gaben, so mußten sie doch suchen, von ihrem Troß, den Packpferden, der bisher gemachten Beute, namentlich aber die Frauen, die sie sicherlich in einer gewissen Zahl auf dem Zuge begleiteten, so viel wie möglich zu retten. Zu dem Zweck mußten sie zunächst noch einmal über den Lech zurück, um dann schnell den Fluß abermals zu überschreiten und eine der nach Osten, heimwärts, führenden Straßen zu gewinnen. Hätte der erste Zusammenstoß nun auf dem linken Ufer, im Nordwesten von Augsburg, stattgefunden, so hätten die Ungarn einen unbehinderten Rückzug gehabt; sie hätten, da das Treffen vom Flusse ziemlich entfernt war, vor den schweren deutschen Reitern einen Vorsprung gehabt und es wäre zu wesentlichem weiteren Fechten nicht gekommen. Die Ungarn hätten in möglichster Eile den Lech, der zwar reißend ist und Untiefen hat, aber im August wenig Wasser führt und kein wesentliches Hindernis bildet, wieder überschritten und wären nach Hause geritten. Ganz anders, wenn die Deutschen von Nordosten, auf dem rechten Ufer, kamen. Der erste Zusammenstoß war für die Ungarn noch glimpflich abgelaufen, jetzt aber erschien das deutsche Heer auf der Rückzugstraße der Ungarn, und an den Übergängen über den Fluß, auf dem Lechfelde entspann sich jetzt erst die eigentliche, wirkliche Schlacht, in der das ungarische Heer, da ihm der Rückweg abgeschnitten war, zum großen Teil vernichtet wurde. Man wird sich vorstellen dürfen, daß die Ungarn immer weiter aufwärts ritten, um über den Fluß zu kommen, und daß der deutsche Feldherr dafür Sorge trug, daß auch seine Krieger sich immer weiter ausdehnten, das ganze Lechfeld entlang und noch weiter, um ihr Vernichtungswerk zu vollenden. Wenn auch der Fluß dem wiederholten Überschreiten kein wesentliches Hindernis bot, so ist doch wahrscheinlich, daß bei dem Massenandrang nicht wenige Ungarn in Untiefen geraten oder gestoßen und,[120] wie die Meldung lautet, ertrunken sind. Das Eigentümliche der Schlacht ist also, daß sie in zwei zeitlich und räumlich getrennte Akte zerfällt. Widukinds Erzählung, daß die Schlacht, nämlich der erste Zusammenstoß, in Bayern stattgefunden, ist richtig, und daß die Schlacht »die Schlacht auf dem Lechfelde« genannt wird, ist ebenso richtig.

Der Widerspruch, daß das deutsche Heer von Norden kam und daß die Schlacht südlich von Augsburg geschlagen wurde, ist gelöst.

Spätere Überlieferung, an sich von geringem Quellenwert, läßt sich jetzt so gut in den Zusammenhang einordnen, daß sie dadurch Glaubwürdigkeit erhält.

In einem Annalenwerk des zwölften Jahrhunderts, dem Zwifaltenses, wird als Kampfplatz ein Ort »Kolital« angegeben. zwei Meilen von Augsburg, südöstlich der Straße nach Ingolstadt, zwischen Dasing und Aichach, liegen heute nahe beieinander der Ort Gallenbach und das Gehöft Gollenhofen. Ob diese zwei Namen aus derselben Wurzel stammen, mag bei der Verschiedenheit des Vokals zweifelhaft sein und ein eigentlicher etymologischer Zusammenhang mit »Kolital« ist nicht herzustellen, aber da das Wort »Kolital« nicht aus der Luft gegriffen sein kann, und ein Anklang vorhanden ist, so darf man vermuten, daß es sich um eine mündliche Überlieferung handelt, in der der Name, nur halb verstanden, fortgewandert und entstellt niedergeschrieben worden ist. Es ist damit nicht gesagt, daß der Zusammenstoß gerade an der Stelle des heutigen Gollenhofen stattgefunden hat, denn die Ortsnamen können im Laufe der Jahrhunderte durch Zerstörung und Wiederaufbau ziemlich weit verschoben werden. Aber die hügelige Gegend, einen halben Tagemarsch nordöstlich von Augsburg, wo noch heute Gollenhofen an einen Platz Kolital erinnert, muß den Kampfplatz bei dem ersten Zusammenstoß abgegeben haben.

Zwei andere Chroniken aus dem 12. und 13. Jahrhundert nennen als Schlachtort einen oft erwähnten Hügel, sechs Kilometer aufwärts von Augsburg, auf dem rechten Lech-Ufer; er[121] hieß »Gunzenle« und ist heute vom Flusse fortgespült. Alles spricht dafür, daß wirklich an dieser Stelle sich die Hauptszenen aus dem letzten Akt der Schlacht abgespielt haben.117

Wir sind aber noch nicht am Ende.

Als König Otto zu Magdeburg, Anfang Juli, die Nachricht von dem Einfall der Ungarn erhielt, muß seine erste Überlegung gewesen sein, wo er den Sammelplatz des Reichsheeres bestimme: natürlich nördlich der Donau.118 Die Herzöge von Bayern und Schwaben werden schon aus eigenem Antrieb dem Aufgebot ihrer Ritter diese Direktive gegeben haben.

Man konnte nicht wissen, wie schnell und wie weit die Ungarn in den etwa fünf Wochen, die bis zur Sammlung des Heeres vergehen mußten, vordringen würden; immerhin war anzunehmen, daß sie sich zunächst südlich der Donau halten und die schwäbische Grenze, den Lech, nicht sehr erheblich überschritten haben, wenn nicht noch davor stehen würden. Legte der König den Sammelplatz tiefer nach Schwaben hinein, etwa nach Ulm oder noch weiter westlich, so konnte er sicher sein, daß er sich dem weiteren Vordringen der Ungarn vorlegen konnte. Hätte er aber diese Idee gehabt, so wäre es nicht zu verstehen, weshalb er nicht auch die Lothringer heranzog. Daß die Entscheidungsschlacht bei Augsburg stattfinden würde, könne man Anfang Juli in Magdeburg, als das Aufgebot erging, nicht voraussehen; vielleicht kam es erst in der Nähe des Neckar oder gar am Rhein zum Kampf. Bei solchen Möglichkeiten sollte der König die Böhmen, aber nicht die Lothringer aufgeboten haben? Bei Ruotger erscheint es zwar so, als ob der Erzbischof Bruno auf eigene Hand und nach eigener Einsicht seine Ritter zurückbehalten, aber bei den ausgezeichneten[122] Beziehungen des Erzbischofs zu seinem Bruder, dem König, erscheint es völlig ausgeschlossen, daß das nicht mit dessen Zustimmung geschehen ist. Man denke: wenn der Statthalter des größten und reichsten aller Herzogtümer (auch Rheinland und die Niederlande umfassend) dem Aufgebot zum Reichsheer keine Folge geleistet hat, um Lothringen, das vom Kriegsschauplatz doch noch recht entfernt war, direkt zu decken, so wäre das nicht nur Ungehorsam, sondern direkter Landesverrat gewesen. Alles aber wird klar, sobald wir uns erinnern, daß wir jetzt das Schlachtfeld auf dem rechten Lechufer festgestellt haben, das heißt also, daß der Sammelplatz des deutschen Heeres nicht bei Ulm in Schwaben, sondern etwa bei Neuburg oder Ingolstadt in Bayern war, daß also der deutsche König die strategische Idee verfolgte, nicht sich den Ungarn vorzulegen, um sie aus Deutschland wieder zurückzutreiben, sondern sein Heer so zu sammeln, daß er sie von hinten angreifen, ihnen den Rückzug abschneiden, sie vernichten, ihnen das Wiederkommen für alle Zeit verleiden konnte.

Bei Ingolstadt konnte der von Magdeburg heranziehende König sich mit den Böhmen, Bayern, Schwaben und Franken leicht und am allerschnellsten treffen. Die Bayern werden sich etwa bei Regensburg gesammelt haben, die Schwaben möglichst weit vorwärts, etwa bei Augsburg selbst, von wo sie nach Norden auswichen, als der Feind nahte, oder bei Donauwörth. Zuletzt kamen ganz naturgemäß die Franken von jenseits des Rheins mit dem Herzog Konrad. Die Lothringer aber konnten zu einem so weit östlich gelegenen Sammelplatz tatsächlich nicht rechtzeitig erscheinen: sie erhielten aber eine andere Aufgabe. Wenn die Ungarn bemerkten, daß ein großes deutsches Heer von hinten nahe, so war es ja nicht unmöglich, daß sie nach Westen auswichen, um durch Lothringen und West-Franken hindurch über Italien heimzukehren, wie sie das wirklich in den Jahren 932 und 954 getan hatten. Das mußten und konnten die Lothringer verhindern: man wird annehmen dürfen, daß der Erzbischof Bruno seine Mannschaft bereitstellte, um ihnen im äußersten Falle den Übergang über die schwere Barriere des Rheins so lange zu verwehren, bis König Otto mit dem Hauptheer zur Stelle war und sie von hinten faßte.[123]

Obgleich die Lothringer also an der Kampfhandlung auf dem Lechfelde nicht teilgenommen haben, so haben sie dennoch in der strategischen Idee, die dieser Schlacht zugrunde lag, eine wesentliche Rolle gespielt.

Ein anscheinend rein äußerlicher, zufälliger Zug, den uns die Überlieferung aufbewahrt hat, rundet in schönster Weise das gewonnene Kriegsbild ab und bezeugt, wie Otto mit vollem Bewußtsein die Schlacht auf eine Entscheidung mit verkehrter Front zum Zwecke völliger Vernichtun des Feindes anlegte. Als letzter auf dem Sammelplatz des Heeres erschien der Schwiegersohn des Königs, Konrad, mit den Rheinfranken. Er hatte es weiter als die Böhmen, Bayern, Schwaben und Mainfranken. Wenn man die Vereinigung beschleunigen wollte, hätte man ihm ein oder zwei Tagemärsche entgegenziehen können. Otto muß gewußt haben, was er tat, als er statt dessen lieber weiter ostwärts, am Rückwege des Feindes, auf ihn wartete.

Der König brachte, wie uns Gerhard weiter erzählt, die Nacht nach der Schlacht in Augsburg zu und sandte schleunigst Boten aus, daß allenthalben die Flußübergänge besetzt werden sollten, um die Ungarn auf der Flucht abzufangen. Otto wird diese Boten schon vom Schlachtfelde abgesandt und vermutlich einen Teil seiner siegreichen Ritterschaft selbst, namentlich die Bayern, sofort zu diesem Zweck detachiert haben. Da war es denn wohl möglich, den Flüchtigen vielleicht an der Isar oder noch am Inn den Weg zu verlegen, und es erklärt sich, daß Anführer der Ungarn einige Tage nach der Schlacht in die Hände Herzog Heinrichs von Bayern fielen, der sie aufhängen ließ. Auch die Nachricht, daß die Böhmen den Ungarn ein eigenes Treffen geliefert, die Feinde vernichtet und ihren König Lele gefangen genommen hätten, die sich in der gleichzeitigen Chronik von St. Gallen findet,119 mag in diesen Zusammenhang gehören. Dies Gefecht[124] könnte noch am Lech selber stattgefunden haben, wo die Sieger erschienen, ehe die Ungarn wieder hinüber waren und diese sich entweder hier vergeblich durchzukämpfen suchten, oder zunächst abbogen, weiter oberhalb den Fluß überschreiten wollten und dort von den Böhmen gefaßt wurden.

Je mehr man sich in diese Einzelheiten vertieft, desto mehr erkennt man nicht nur, wie die Kristalle von allen Seiten zusammenschießen zu dem einen entscheidenden strategischen Punkt, dem Anrücken der Deutschen von Osten her, sondern wie sehr auch der durchschlagende Erfolg der Schlacht eben durch diese Strategie bestimmt ist. Wie klein erscheint uns plötzlich der Gedanke einer Schlacht mit dem Anmarsch von Westen: eine Tat tapferer Ritterschaft, der noch der Makel anhaftete, daß ein ganzes Herzogtum sich selbstsüchtig und kurzsichtig der Mitwirkung entzogen. NIETZSCH hat in seiner Deutschen Geschichte gemeint, Otto I. erscheine in den Quellen nicht eigentlich als ein großer Krieger, sondern als ein großer Beter. WAITZ in seiner deutschen Verfassungsgeschichte (VIII, 174) erwähnt, daß von den Kaisern bedeutende Eigenschaften als Heerführer Arnulf, Heinrich I., Heinrich III. und Lothar zeigten: Otto I. nennt er in dieser Reihe nicht, und BRESSLAU in der »Allgemeinen deutschen Biographie« spricht dem Kaiser die Eigenschaften eines großen Feldherrn direkt ab. Ist die Schlacht auf dem Lechfelde auf dem linken Ufer des Flusses geschlagen, so hat diese Auffassung recht. Jetzt aber ist aus der Tat des tapferen Ritters die Tat eines großen Feldherrn geworden und die Lücke der Lothringer im Reichsaufgebot ein großartiges Stratagem. Zwei Menschenalter vorher vermochte Karl der Dicke mit dem Aufgebot des gesamten Frankenreiches nichts gegen die Normannen, als sie Paris belagerten, und noch Ottos Vater hat den Ungarn Tribut bezahlt. Haben unsere geistlichen Berichterstatter auch selber den Zusammenhang nicht verstanden und hat man ihnen deshalb den Beinamen des »Großen«, den schon die Zeitgenossen dem Kaiser gegeben haben, mehr nur nachgesprochen als nachempfunden: jetzt dürfen wir sagen, daß Otto I. in der Tat nicht umsonst zu den wenigen Königen gehört, die die Weltgeschichte mit jenem Beinamen geschmückt hat. Man versetze sich in die Lage des Königs, als ihm zu Magdeburg gemeldet[125] wurde, daß der Feind plötzlich in Bayern eingebrochen sei. Es galt nicht nur zu handeln, sondern auch mit der äußersten Schnelligkeit und Entschlossenheit zu handeln. Wie schwer war es, ein Vasallenheer ohne längere Vorbereitung zusammenzubringen! Schwaben und Bayern südlich der Donau, vom Schwarzwald und von den Alpen galt es zu vereinigen mit Böhmen, Sachsen und Franken, während das feindliche Heer gerade mitten durch diese Landschaften hindurchzog. Wo war der gegebene Vereinigungspunkt? War es nicht das Natürlichste, daß man noch versuchte, sich dem Feinde vorzulegen. War es nicht das Sicherste, daß man auch die sämtlichen Sachsen und die Lothringer heranzog und so die Kräfte des ganzen Reiches vereinigte, wenn dadurch auch etwas mehr Zeit verlorenging? Wie entging man der Möglichkeit, daß etwa die Ungarn, wenn sie die Stärke der anrückenden Deutschen bemerkten, sich dem Kampfe entzogen und das ganze gewaltige Aufgebot umsonst gewesen war?

Alle diese Fragen müssen damals in Magdeburg aufgeworfen worden sein, und wir erkennen, wie sie beantwortet worden sind. Auf die Heranziehung der entfernten Sachsen und Lothringer wurde verzichtet und als Sammelpunkt nicht etwa der untere Neckar, sondern das Nordufer des bayerischen Donaulaufes zwischen dem Einfluß des Lech und der Altmühl bestimmt, wohin die Bayern und Schwaben sich vor den Ungarn wegzuziehen hatten. Den ausreitenden Boten wie den Herzogen wurde die äußerste Beschleunigung anbefohlen, etwa mit den Worten, wie es einst in einem karolingischen Ausschreiben hieß, wenn der Befehl am Morgen ankomme, noch am Abend, und wenn er am Abend ankomme, am nächsten Morgen aufzubrechen, und wehe dem, der ihn nicht so ausführe (terribile imperium).120 Mit der Ritterschaft, die ihn umgab, und den nächsterreichbaren Sachsen setzte sich der König selbst sofort zum Sammelplatz in Marsch. Den Lothringern wurde befohlen, ihr eigenes Land zu decken, indem sie den Rhein besetzten.[126]

Der Feldzug ist so angelegt, daß die Ungarn diesmal ihrem Schicksal nicht entgehen konnten, wenn anders sie nicht etwa schließlich in der Schlacht, auf die alles angelegt war, die Deutschen besiegten. Denn die Schlacht ist immer erst die Probe, die entscheidet, ob das Exempel in der Strategie richtig gerechnet ist. Wäre die Schlacht auf dem Lechfelde verloren gegangen, so wäre auch die Kritik schnell bei der Hand: weshalb wartete König Otto nicht, bis er wirklich die Ritter des ganzen Reiches zusammen hatte, und weshalb steigerte er selbst die Tapferkeit der Ungarn bis zur Verzweiflung, indem er ihnen den Rückzug verlegte und sie von hinten angriff? Soll man nicht dem Feinde goldene Brücken bauen?

Nicht bloß, daß er seinen Plan so klug entwarf, mit solcher Schnelligkeit ausführte, solchen Gehorsam bei seinen großen Vasallen fand, sondern vor allem, daß er es wagte, die Schlacht unter diesen Bedingungen herauszufordern und zu schlagen, machte Otto I. zum großen Feldherrn.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 114-127.
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