Hundertschaft bei den Angelsachsen.

[167] Gegen meine Auffassung der Hundertschaft hat PROTHERO in der Engl. Histor. Review, Bd. II (1896), S. 544, eingewandt, daß in England die Hundertschaft erst unter Edgar im 10. Jahrhundert erscheine; sie sei also eine neue, künstlich geschaffene Einteilung.

So merkwürdig es ist, daß die Hundertschaft in den Quellen nicht früher auftritt, so kann ich das doch nur für einen Zufall halten. Daß eine solche Einteilung einmal künstlich gemacht worden sei, ist höchst unwahrscheinlich; noch mehr, daß das erst so spät geschehen sein sollte. Die alten Königreiche der Heptarchie brauchten doch notwendig zwischen dem Staat und den kleinen Dorfgemeinden ein Zwischenglied. Wohl zerfielen die größeren von ihnen in mehrere Shires, aber das genügt nicht. Diese Shires haben immer noch die Größe der kleineren Königreiche. Die späteren Grafschaften sind entweder solche Königreiche oder Shires, und von da bis zu den kleinsten Ansiedelungen ist der Sprung viel zu groß.

JENKS, in demselben Bande der Hist. Rev., S: 513, »the problem of the hundred«, glaubt aus Westgotalag nachweisen zu können, daß in Schweden die haeraed (Hundertschaft) nicht bloß ein Gerichtsbezirk ist, sondern eine Korporation, eine Einheit, die nicht aus einer Anzahl Dörfern zusammengesetzt ist, sondern umgekehrt, eine Einheit, welche durch die Bildung von Dörfern aufgeteilt ist. Ob der Beweis, den Jenks führt, stringent ist, ist mit zweifelhaft, das Ergebnis aber würde genau mit dem meinigen zusammentreffen.

PROTHERO a.a.O. wendet ferner gegen mich ein, daß der Hundreds ealdor bei den Angelsachsen ein niederer Beamter sei, neben und weit unter dem Ealdorman. Dieser sei auch nicht der Earl des 10. Jahrhunderts, der vielmehr der Repräsentant des ursprünglich selbständigen Königreichs sei. Earls wie Ealdormen seien auch im 10. Jahrhundert nur sehr wenige gewesen.

Diese Tatsachen dürften richtig sein, sind aber nicht geeignet, mich zu widerlegen, sondern zu bestätigen. Sind im 10. Jahrhundert Earls und Ealdormen noch nicht identisch, sondern bestehen nebeneinander, so sind doch die Leute mit dem simplen Namen »Ealdormen« vornehme Großbesitzer, wie sie später allgemein Earls heißen. Wie sollen so vornehme Leute zu dem Namen Ealdormen gekommen sein, wenn sie nicht tatsächlich[167] irgendwie mit den Altermännern der Urzeit, den majores natu zusammenhingen?

Gab es nun zeitweilig neben den vornehmen Ealdormen das niedre Amt des hundreds ealdor, so habe ich meine Darstellung dahin zu ergänzen, daß die beiden Äste, in die sich der Urstamm der Altermänner (= Hunni) teilte, der vornehme und der gemeine, nicht geographisch zu trennen sind, sondern daß bei den Angelsachsen beide eine Zeitlang nebeneinander bestanden.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 167-168.
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