1744.

[376] Nachdem die Preußen wieder ausgeschieden und die Engländer den Österreichern zu Hilfe gekommen waren, wurden die Franzosen über den Rhein zurückgetrieben und es schien, daß sie auch das Elsaß wieder aufgeben müßten. Da ergriff der Preußenkönig zum drittenmal die Waffen, eroberte Prag und drang bis in das südliche Böhmen vor. Die Österreicher mußten aus dem Elsaß zurück, griffen jedoch die Preußen nicht direkt an, sondern erschienen nördlich von ihnen und schnitten ihnen die Verbindungen ab. Friedrich seinerseits war nicht in der Lage, den Knoten durch eine Schlacht zu lösen. Zwar hatte er fast 20000 Mann Kavallerie, aber durchs Land zu streifen und den Feind zu erkunden, war diese Kavallerie nicht geeignet. Friedrich war lange Zeit ganz ohne Nachrichten und als er endlich den Feind vor sich fand, schien ihm dessen Stellung zu günstig, um sie anzugreifen. Er ging unter Verlust seiner Proviantwagen nach Schlesien zurück, räumte auch unter Opferung des schweren Geschützes Prag und der Rückzug löste sein Heer nahezu auf. Die Soldaten desertierten in Massen. Ohne eine Schlacht, fast ohne größere Gefechte hatte Traun einen glänzenden Sieg erfochten und Friedrich nahm sich vor, nie wieder so tief ins feindliche Land einzudringen.


Das Generalstabswerk und namentlich ein Vortrag des Majors v. Rößler (Beiheft z. Mil.-Wochenbl. 1891, 3. H.) legen großen Wert auf die Angriffspläne des Königs von 1741 bis 1744, die den Geist der Niederwerfungs-Strategie atmen sollen. Richtig ist, daß in diesen Jahren der König sich theoretisch dem Schlachtpol, also wenn man will, der Niederwerfungs-Strategie am meisten genähert hat. Aber es fehlt[376] doch sehr viel. Nirgends ist das feindliche Heer als das spezifische Objekt des Angriffs bezeichnet. Nur in ganz unbestimmter Form, ohne daß je der Ausführung auch nur näher getreten wäre, erscheint der Angriff auf Wien, 1744, wo die Vereinigung aller Verbündeten und ein Sieg über die österreichische Armee in Süd-Böhmen präsumiert ist, schließt sich dennoch nicht sofort der Weitermarsch auf die nur noch 20 Meilen entfernte feindliche Hauptstadt an, sondern Winterquartiere und Aufnahme des Marsches nach Wien im nächsten Jahr. Da soll dann dem Feind »der Fuß auf die Gurgel gesetzt werden«, aber schon in der spezielleren Ausführung der Idee (Korresp. III, 135) heißt es bloß: »avancer jusqu'au Danube et me porter même du côté de Vienne, s'il en est besoin«. Zu dem Allen ist es nicht unwahrscheinlich, daß Friedrich es mit den großen Plänen nicht so ernst gemeint hat, da er ja Österreich gar nicht zu zertrümmern beabsichtigte und tatsächlich den großen Entscheidungen, selbst wo die Franzosen sie ihm vorschlugen, aus dem Wege gegangen ist.

Die falsche Grundauffassung von Friedrichs Strategie, die dem Generalstabswerk zugrunde liegt, erzeugt natürlich auch im Einzelnen immer neue Fehler. Fortwährend müssen Tatsachen umgebogen oder verschleichert werden, endlich aber führt die logische Konsequenz dazu, daß die beabsichtigte Glorifizierung in Tadel unschlägt, weil keine Kunst mehr ausreicht, Friedrichs Handlungsweise in das angenommene Schema einzupassen. Das ist, was 1744 betrifft sehr gut dargelegt und der König gegen die im Generalstabswerk erhobenen Vorwürfe verteidigt von MAX LEITZKE »Neue Beiträge zur Geschichte der preußischen Politik und Kriegführung i.J. 1744«. Heidelberger Dissert. 1898.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 376-377.
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