An den Festen.

[34] Die Feier eines Gedenktages auch äußerlich hervorzuheben lag freilich in der Art der Mutter, die, trotz ihrer tiefen Innerlichkeit ziemlichen und ansprechenden Formen hold, den Sinn für sie früh in uns zu erwecken versuchte.[34]

An allen Festen wurden wir Kleinen von Kopf zu Fuß frisch angezogen, an einem jeden bekamen wir, und mit uns die Dienstboten, Kuchen zum Fcühstück und an den größten auch Wein zu Mittag.

An den Geburtstagen wurden die Torten mit so vielen Lichtern umgeben, wie wir Jahre zählten, und es ward immer für den zierlichen Aufbau der Geschenke gesorgt. So lange wir klein waren, zeichnete die Mutter das Geburtstagskind – wohl nach einer heimischen Sitte – durch eine seidene Schärpe aus. Auch den eigenen Geburtstag sah sie gern feiern, und so lange ich denken kann, wurde an ihm – er fiel auf den 25. Juli – eine Landpartie unternommen.

Wir wußten, daß es sie glücklich machte, uns am Geburtstag an ihrem Tische zu sehen, und noch bis in ihr spätestes Alter führte dies Fest jeden von uns zu ihr, dem es der Beruf irgend erlaubte.

Am Sonntag ging sie in die Kirche, und am Karfreitag hielt sie darauf, daß nicht nur während des Gottesdienstes, sondern auch während des übrigen Tages die Schwestern wie sie selbst schwarz gekleidet waren.

Eine schönere Weihnachtsfeier als die unsere wurde wohl wenigen Kindern bereitet; denn unter dem mit besonderer Liebe geschmückten Baume fand jedes seine wärmsten Wünsche befriedigt, und hinter dem Gabentische der Familie stand stets eine andere Tafel, an der mehrere weniger Bemittelte, ich möchte sagen »Klienten« des Hauses, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Bescherung fanden. Unter diesen fehlte, bis ich als Elfjähriger nach Keilhau kam, nie die Amme meiner ältesten Schwester Martha mit ihrem braven und stattlichen Eheherrn, dem[35] Schuhmachermeister Großmann, und ihren wohlgeratenen Kindern.

Bevor der Aufbau bei uns begann, hatte die Mutter die Schwestern zu Armen begleitet oder sie zu ihnen führen lassen, um ihnen in großen Körben allerlei nützliche und den Kindern erfreuliche Dinge zu überbringen.

Auch uns Knaben hielt sie an, von dem Unsern mitzuteilen, und die vielen Almosen, die sie spendete, ließ sie gern durch uns den Bedürftigen geben. Das paradox klingende Wort: »Vom Geben ist noch niemand arm geworden«, hörte ich zuerst von ihr, und sie fand mehr als einmal Gelegenheit, es uns zu wiederholen.

Das Mitteilen von dem Ihren haben wir ihr übrigens nie so hoch angerechnet wie die Mühen und Unbequemlichkeiten, die sie willig auf sich nahm, um andere durch die mancherlei Beziehungen, in die sie das Leben und die Gesellschaft brachte, und den Einfluß, den sie wohl besonders durch ihr anmutiges Wesen gewonnen hatte, zu retten, zu fördern oder zu beglücken. So manchem, der sich gegenwärtig in ansehnlicher Stellung befindet. hat sie den Anfang ermöglicht oder die Wege geebnet.

Wie in viele Berliner Familien, so kam auch zu uns der Weihnachtsmann, ein vermummter Alter mit großem Bart und mit einem Sack voller Nüsse und Näschereien und bisweilen auch mit kleinen Geschenken. Er redete uns mit verstellter Stimme an und sagte, der heilige Christ sende ihn, doch sei das Süße und Gute, das er bei sich habe, nur für die artigen Kinder bestimmt, die etwas herzusagen wüßten. Natürlich war dafür gesorgt, daß wir dies konnten. Jedes drängte sich vor, um das Seine zum besten zu geben, doch hielt der Weihnachtsmann[36] auf Ordnung, und wenn eins nach dem andern sein Verschen hergesagt hatte, öffnete er den Sack und warf seinen Inhalt unter uns aus.

In den ersten Jahren erfüllte mich die Erscheinung des Weihnachtsmannes mit frommer Scheu; als Ludo und ich aber infolge einer Verschiebung des Bartes in dem Vermummten einen Freund des Hauses erkannt hatten, war der Zauber gebrochen.

Gewöhnlich brachte der Weihnachtsmann auch einen Gefährten mit, der ihm als Knecht Ruprecht mit einem eigenen Gabensacke folgte und unter die Scherze auch Drohungen gegen unartige Kinder mischte.

Wir dankten ihm und dem Weihnachtsmann manchen Spaß, doch sah ich später ein, daß meine Frau recht hatte, als sie mich ersuchte, von meinem Wunsche, diese Figuren auch bei der Christbescherung unserer Kinder einzuführen, zurückzustehen.

Die Karpfen, die man am Heiligabend nach der Bescherung in jeder Berliner Familie aufträgt und die auch auf dem Tische der Mutter nie fehlten, gab es ebenfalls bei mir in Jena, Leipzig und München oder wo wir uns sonst am Abend des 24. Dezember befinden mochten. Im ganzen blieben wir überhaupt den Weihnachtsgebräuchen meiner Heimat treu, die nicht viel von denen der Deutschen in Riga, denen meine Frau entstammt, abweichen, ja es wird mir so schwer, von solchen Kindheitsgewohnheiten zu lassen, daß ich, als ich für die beiden »Heiligabende«, die ich am Nil verlebte, keinen Christbaum austreiben konnte, einen jungen Palmenschoß aufputzte und mit Lichtern besteckte. Daß die Mutter den Knecht Ruprecht zu uns einlud, verstieß entschieden gegen ihren Grundsatz,[37] uns niemals durch Schreckbilder ängstigen zu lassen. Ja, wenn sie wahrnahm, daß uns die Dienstboten mit dem »Schwarzen Manne« und ähnlichen Gestalten der Berliner Kinderstubenphantasie bedroht hatten, konnte sie sehr ungehalten werden. Den Argumenten meiner Frau, die mich veranlaßten, den Weihnachtsmann und Knecht Ruprecht aus unserem Hause zu verbannen, stimme ich, nun ich das Herz der Kinder zu kennen meine, freudiger zu als im Anfang unserer Ehe. Ist es doch so viel schöner und dazu ebenso leicht – will man schon Weihnachtsgaben als pädagogische Hilfsmittel benützen –, die Kinder zum Bravsein anzuhalten, indem man sie auf die Freude des Christkindchens an ihrer Artigkeit hinweist, als sie durch die Furcht vor dem Zorne des Knechtes Ruprecht dazu zu bringen.

Freilich ließ es auch die Mutter an dem Bestreben nicht fehlen, uns das Christkindchen und später den Heiland selbst lieb zu machen und ihn uns nahe zu bringen. Sie sah in ihm vor allem die Verkörperung der Liebe, und sie liebte ihn, weil ihr liebreiches Herz das seine verstand.

In späterer Zeit führte mich eigenes Forschen und Denken auf die nämliche Ueberzeugung, zu der sie das Verhältnis des weiblichen Gemütes zu der Person und Lehre ihres Heilands gebracht. Ich erkannte, daß die Welt, wie Jesus Christus sie fand, ihm nichts Größeres, Schöneres, Höheres, Folgenschwereres dankt, als daß er ihren Liebeskreis, der nur den Einzelmenschen, die Familie, die Stadt und im höchsten Fall den Staat, dessen Bürger man war, umschloß, auf die ganze Menschheit erweiterte, und diese Menschenliebe, die das Leben der Mutter auch uns zu bethätigen lehrte, ist das Banner, unter dem sich jeder wahre Fortschritt der späteren Menschheit[38] vollzog. Neunzehn Jahrhunderte sind vergangen, seit derjenige, der sie uns schenkte, am Kreuze verblutete, und wie weit sind wir noch von der vollen Bewahrheitung dieser edelsten aller Regungen des Herzens und Geistes entfernt. Und doch! An dem Tage, wo sich diese Menschenliebe voll bethätigt, wird die soziale Frage, die jetzt die Gemüter beunruhigt und die das Gehirn der Besten nicht ruhen läßt, gelöst sein.

Quelle:
Ebers, Georg: Geschichte meines Lebens. Vom Kind bis zum Manne. In: Gesammelte Werke, 25. Band, Stuttgart, Leipzig, Berlin [um 1895]., S. 34-39.
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