4. Kapitel. Die Richterzeit und die Richterhelden.

[98] Feindseligkeit der Idumäer, der Retter Othniel. Eglon, der Moabiterkönig, Ehud. Jabin, der Kanaaniterkönig, sein Feldherr Sisera, die prophetische Richterin Deborah und Barak. Sieg am Thabor. Beginnende Blüte der hebräischen Poesie. Leiden durch die räuberischen Wandervölker, der Held Gideon-Jerubaal, wichtiger Sieg in der Ebene Jesreël. Beginnender Wohlstand. Abimelech und seine Fehde mit den Sichemiten. Jaïr, der Gileadite. Die Feindseligkeit der Ammoniter und Philister zugleich; Jephtah und Simson. Die sebulonischen Richterhelden.


Das erste Nachbarvolk, welches nicht lange nach der Besitznahme des Landes den Israeliten Feindseligkeit zeigte, waren die Idumäer. Dieses Volk hatte zwar seinen Hauptstützpunkt im Osten des Gebirges Seïr (s.o. S. 47) und fand sich keineswegs durch die Ansiedlung der Stämme Jehuda und Simeon westlich vom toten Meere beengt. Aber es wollte sich auch nach dieser Seite hin ausdehnen, brauchte Leibeigene für seine Metallminen oder fürchtete die Nebenbuhlerschaft eines Grenzvolkes. Ein idumäischer1 König Khuschan mit dem Beinamen Rischataïm machte einen Angriff auf die Stämme Jehuda und Simeon, die, der Viehzucht ergeben, gar nicht darauf vorbereitet waren. Leicht war es, sie zu unterjochen, da sie von den übrigen Stämmen durch eine Scheidewand vollständig abgeschnitten waren (o. S. 62). Aber selbst wenn diese hätte weggeräumt werden können, wer weiß, ob die Bruderstämme ihnen Hilfe geboten hätten? Worin die Unterjochung von seiten der Idumäer bestand, läßt sich nicht mehr ermitteln, gewiß wurden die Jehudäer und Simeoniten zu Halbsklaven gemacht und mußten alljährlich den fremden Herren Huldigungsgeschenke (Minchah) von den Herden oder sonstigem Eigentum bringen und durften selbst Söhne und Töchter ihnen nicht vorenthalten. Als diese Unterjochung mehrere (acht) Jahre gedauert hatte, ermannte sich Othniël, Sohn des Kenas, der jüngere Bruder und Schwiegersohn des Kaleb, des tätigen Eroberers des Gebietes von Hebron. Er sammelte eine Schar [98] mutiger Männer, zog zum Kampfe aus und besiegte Khuschan und seine Raubscharen. Othniël war der erste Volksretter. Seine Heldentat reichte allerdings nicht weit, er befreite lediglich die beiden Südstämme vom Joche; auf die übrigen Stämme hatte sein Sieg nicht den geringsten Einfluß, kaum drang die Kunde von seiner Tat über das Gebirge Juda hinaus. Aber für diese Stämme war sie von großem Erfolge. Sie blieben lange Zeit unangefochten von ihren schlimmen Nachbarn. Es läßt sich denken, daß Othniël durch seinen Heldenmut ein beliebter Volksmann geworden ist. Doch ist von ihm weiter nichts bekannt als sein Sieg über Khuschan.

Eine Zeitlang später (es heißt vierzig Jahre) wurden andere Stämme von einem anderen Volke unterjocht, von den Moabitern. Diese konnten es nicht verschmerzen, daß sich zwei Stämme in ihrer Nähe angesiedelt hatten, und lebten in steter Furcht, sie könnten von ihnen ihres Landes beraubt werden. Ein kräftiger König Eglon, damals an ihrer Spitze, griff die nomadisierenden Stämme Gad und Rëuben an, die einem kräftigen Angriff nicht Widerstand leisten konnten und daher in Abhängigkeit gerieten. Eglon begnügte sich aber nicht mit der Unterjochung der jenseitigen Stämme, sondern überschritt den Jordan, um auch die diesseitigen mit Krieg zu überziehen. Weil er aber bei diesen eine größere Widerstandskraft und Gegenwehr fürchtete, verbündete er sich mit den beiden erbittertsten Feinden der Israeliten, mit den Ammonitern und Amalekitern. Beim Überschreiten des Jordan stießen die Verbündeten zunächst auf die Stämme Benjamin und Ephraim. Diese scheinen sich zur Wehr gesetzt zu haben. Unter den Benjaminiten gab es geschickte Schleuderer, die auch mit der linken Hand Steine gegen die Feinde zu schleudern vermochten, ohne zu fehlen2. Aber auch sie unterlagen der Überzahl der Feinde, weil die übrigen Stämme sie im Stiche ließen. Auch sie wurden unterjocht und wurden von den Sie gern mit Schmach behandelt. Auch sie mußten dem moabitischen Könige alljährlich Huldigungsgeschenke überbringen. Sie ertrugen die Demütigung längere Zeit (achtzehn Jahre). Moabiter wurden in das diesseitige Land als Besatzung der Städte gelegt. Aus der Palmenstadt (Zoar) verjagte Eglon die Israeliten und besetzte sie mit Moabitern3. Endlich entstand in dem winzigen Stamm Benjamin [99] ein Volksretter, Ehud aus der Familie Gera, wahrscheinlich aus der Stadt Geba4. Er wagte aber nicht, die Leidensgenossen zu offenem Kampfe gegen die Moabiter aufzurufen; erst mußte ihr König beseitigt werden. Ehud ließ sich zu diesem Zwecke als Abgeordneter des Volkes zur Überbringung der Huldigungsgeschenke zu Eglon senden, oder es lag ihm, als dem Gliede einer vornehmen Familie, dieses Geschäft ob. In der Hauptstadt Moabs angekommen, erbat er sich von Eglon eine geheime Unterredung, stieß ihm dabei aber unversehens ein kurzes Messer in den Leib, verschloß die Tür des Gemaches hinter sich und entfloh. Ehe die Diener Eglons und die Moabiter dessen Tod gewahr wurden, hatte Ehud den Jordan überschritten. Dann erst rief er die Benjaminiten und Ephraimiten zum Kampfe auf, sorgte dafür, daß die Furten des Jordans besetzt wurden, um den Moabitern, welche diesseits in den Städten hausten, die Flucht abzuschneiden und besiegte sie diesseits des Jordan, wie es heißt, 10000 Mann tapferer Krieger. Seit der Zeit hatten wenigstens die diesseitigen Stämme lange Ruhe vor Moab.

Dafür begannen Reibungen auf einer andern Seite, die im ersten Augenblick kleinlich waren, aber mit der Zeit eine größere Tragweite erhielten. Die Philister, auf Vergrößerung ihres Gebietes angewiesen, begannen Angriffe auf das Gebiet der Nachbarstämme, wohl Dan und Benjamin, zu machen. Eine Streifschar von 600 Mann überfiel die an der Grenze gelegenen Städte und Dörfer, plünderte nach damaliger Gewohnheit die Bewohner und führte Gefangene fort. Dieser Schar gegenüber setzte sich ein Held Schamgar, Sohn Anats, zur Wehr, schlug sie mit einem »Ochsenziemer«, wie die Nachricht lautet, und wies sie aus dem Gebiete Israels. Von diesem Richterhelden ist weiter nichts als eben diese Tat bekannt, nicht einmal, aus welchem Stamme er war.

Indessen sind in dem Jahrhundert nach Josuas Tode Veränderungen vorgegangen, von denen jedoch nur Spuren bekannt sind. Die Nordstämme, die vom Gebirge Naphtali bis zur Ebene Jesreël angesiedelt waren, hatten durch günstige Umstände mehr Selbständigkeit und Erweiterung ihres Gebietes durchgesetzt. Auch der Stamm Dan scheint die Emoriter in der Saronebene verdrängt und sich dem Meere bis[100] Japho (Joppe) genähert zu haben5. Der Stamm Isaschar war mehr erstarkt und scheint sich von der Untertänigkeit der ihn umgebenden Kanaaniter teilweise wenigstens frei gemacht zu haben. Es bestand überhaupt bereits ein größerer Zusammenhang zwischen den Stämmen; sie verkehrten miteinander, allerdings mit Ausschluß des südlichsten Stammes Juda und seines Gefolges, deren vereinzelte Stellung auch in dieser Zeit noch fortdauerte. Eine größere Wohlhabenheit hatte sich entwickelt. Die Vornehmen kleideten sich in farbige Gewänder mit künstlichen Stickereien6, ritten auf weißen Eselinnen und hatten schon reiche Sättel zum Reiten7. Das städtische Leben hatte schon eine feste Grundlage. Aber die Erstarkung der israelitischen Stämme war selbstverständlich den Kanaanitern widerwärtig, ihre Verkehrsstraßen führten durch israelitisches Gebiet, und wenn diese ihnen verlegt wurden, so stockte der Zwischenhandel.

Um diese Machtvergrößerung der Israeliten abzuwenden, scheinen mehrere kanaanitische Könige ein Bündnis zu deren Bekämpfung geschlossen zu haben8. An der Spitze der Verbündeten stand ein König von Chazor, namens Jabin, der durch seinen kriegerischen Feldherrn Sisera die Übermacht erlangt zu haben scheint. Sisera konnte Streitwagen mit eisernen Beschlägen ins Feld rücken lassen, welche unter den nur mit Schleudern oder Bogen bewaffneten Israeliten Schrecken verbreiteten. Jabin und sein Feldherr brachten neue Drangsale über die Nordstämme, besonders über die um den Thabor und in der Ebene wohnenden. Die Städte, durch welche die Verkehrsstraßen führten, wurden ihnen entrissen und überhaupt die Wege verlegt9. Auch der Waffen scheinen sie die Feinde beraubt zu haben10. Von seinem Wohnsitze Charoschetha-Gojim bedrängte Sisera die Nachbarstämme so grausam, daß sie in Verzweiflung gerieten. Am meisten litten die Stämme Naphtali und Sebulon, welche in der Nähe von Chazor wohnten. Die Not war um so größer, als die Stammführer selbst ratlos und durch den Schrecken gelähmt waren.11 »Kein Haupt, kein Führer in Israel,« [101] das war die laute und stumme Klage derer, die nicht in den Tag hineinlebten. Zum ersten Male wurde dieser Mangel an einer Führerschaft mit der ganzen Tiefe nationalen Schmerzes empfunden. Die tiefe Schmerzempfindung eines Volkes führt öfter die Heilung der Wunde herbei.

Es gab keinen Führer und keinen starken Mann in Israel, aber eine starke Frau, stark nicht durch mannweibliche Bluttaten, nicht durch das Blendwerk mystischer Berufung, sondern durch das sanfte Säuseln dichterischer Gehobenheit. Deborah, »die Frau eines sonst unbekannten Mannes Lapidot, die da wohnte an der Grenze der Stämme Ephraim und Benjamin, zwischen Bethel und Rama,« mehr wissen wir von ihren Lebensumständen nicht. Aber daß sie »die Mutter Israels« genannt und so hoch verehrt wurde, bezeichnet sie als eine außergewöhnliche Erscheinung. Lieder sang sie, aber nicht zu müßigem Spiele, sondern mit so hinreißender Begeisterung und so gewaltiger Kraft, daß sie Feiglinge in Helden zu verwandeln vermochte. Deborah war eine Dichterin, und die Begabung der Poesie war in ihrem Busen zur prophetischen Vorschau gesteigert. Von ihren Liedern hat sich kaum eine Spur erhalten; aber es läßt sich voraussetzen, daß sie religiös-nationalen Inhalts waren. In ihrer Brust lebten die großen Taten der Vergangenheit, die wunderbare Leitung Israels von Ägypten bis zum Einzuge ins Land Kanaan. Diese mochte sie in schön gesetzten Weisen verlebendigt und daran die Hoffnung und die prophetische Vorausverkündigung geknüpft haben, daß Gott sein Volk in der Drangsalszeit nicht verlassen werde. Unter einer Palme sitzend, die später ihren Namen erhielt, unter der »Palme Deborahs«12 sang sie ihre begeisterten Lieder.

Der Ruf ihrer hoffnungerweckenden Gesänge drang weithin durch das Land bis zu den Nordstämmen, und da diese, besonders Sebulon und Naphtali, sich von Männern verlassen sahen, so sandten sie Boten an Deborah, sich in ihre Mitte zu begeben und durch ihre Lieder den Mut gegen die Bedränger anzufachen. Ihr Bescheid lautete, daß ein Mann aus Kedesch-Naphtali, Barak, Sohn Abinoams, sich zu ihr verfügen möge. Diesem eröffnete sie im Namen Gottes, er möge die[102] kriegsfähige Mannschaft der beiden Stämme auf dem Berge Thabor versammeln; dort werde die Macht des Königs Jabin und seines Feldherrn Sisera gebrochen werden. Barak mochte aber nicht ohne sie die gefahrvolle Gegenwehr gegen so zahlreiche und kriegstüchtige Feinde unternehmen. Er verlangte, daß Deborah mit ihm hinaufziehen und durch ihre Lieder die Mannschaft zum Kampfe ermutigen möge: »Wenn du mit mir gehst, so gehe ich, wenn du es aber unterläßt, so gehe ich nicht«13. Deborah erwiderte ihm: »Wohl werde ich mit dir gehen, aber wisse, daß du auf diesem Wege keinen Ruhm haben wirst, denn in die Hand eines Weibes wird Gott Sisera überliefern.« Darauf zog Deborah mit ihm. Wie es scheint, schloß sich ihr zum Kampfe ein Teil der Ephraimiten an, die am Berge Amalek bei Pirathon wohnten14, und auch ein Teil der Benjaminiten. Die Anwesenheit der prophetischen Dichterin inmitten der Nordstämme erweckte in ihrer Brust Begeisterung und das Gefühl der Hingebung. Die Naphtaliten und Sebuloniten waren bereit, ihr Leben zur Erkämpfung der Freiheit hinzugeben. Zehntausend Männer und Jünglinge sammelten sich unter Leitung Baraks und Deborahs auf dem Berge Thabor. Es ergingen auch Botschaften an die übrigen Stämme, sich ihnen anzuschließen. Aber nur wenige folgten dem Rufe. Von Halb-Manasse (Machir) stellten sich einige Volksführer ein und von Isaschar ebenfalls einige Häupter. Dagegen hielten sich die Stämme Ascher und Dan fern und noch mehr die jenseitigen Stämme. Selbst eine Stadt in der Nähe des Kampfplatzes, Meros15, versagte die Hilfe des Zuzuges.

Auf dem mit Wald bedeckten Berge Thabor16 war der Sammelpunkt der israelitischen todesmutigen Schar. Bei ihr weilten Barak und Deborah, jener ihr kriegerischer Anführer und diese ihre geistige Leiterin. Mit Zuversicht sahen sie einem Siege entgegen. Sisera hatte, sobald er Kunde von dem Ansammeln israelitischer Streiter erhalten, [103] seine Schar und seine Kriegswagen ihnen entgegengeführt, und einige kanaanitische Könige hatten ihre Scharen damit vereinigt. Sisera war ebenso zuversichtlich, daß seine bewährten Krieger und überlegenen Kriegsmittel über die Ungeübten den Sieg davon tragen würden. Er hatte in der Ebene Jesreël bei Taanach an dem Wasser bei Megiddo sein Heer vereinigt. Einige Zeit mögen die beiden Scharen sich in der Entfernung gehalten haben. Als Deborah dem israelitischen Führer eines Tages eröffnete, daß eben dieser Tag günstig für die Aufnahme des Treffens sei, eilte Barak mit seiner Schar vom Berge Thabor hinunter und dem Feinde entgegen. Als es zum Handgemenge kommen sollte, trat plötzlich ein Ereignis ein, welches die kanaanitischen Streiter in Schrecken versetzte. Ein starkes Gewitter mit einem Wolkenbruche oder etwas Ähnliches machte die Rosse scheu, brachte die Streitwagen und Krieger in Verwirrung und trieb sie in die Hand der Israeliten oder in wilde Flucht. Der Fluß Kischon in der Nähe schwoll plötzlich an, und die Fliehenden fanden den Tod in den reißenden Fluten. Sisera selbst entfloh zu Fuß, und Barak eilte hinter ihm her. Es war ein entscheidender Sieg. Sisera, der so sehr gefürchtete Feldherr des Königs Jabin, fand einen unerwarteten Tod. Er hatte auf seiner Flucht einen Vorsprung gewonnen, war keuchend und Schutz suchend in das Zelt eines Keniten Cheber eingetreten, der auf friedlichem Fuße mit den Kanaanitern und zugleich mit den Israeliten stand. Er hielt sich hier für geborgen, stillte seinen lechzenden Durst und schlief vor Müdigkeit ein. Es erfolgte kein Erwachen darauf. Im Schlafe trieb Jaël, die Frau des Keniten, dem kanaanitischen Feldherrn einen Zeltpflock mit dem Hammer in die Stirn, und als Barak, ihn suchend, in die Nähe des Zeltes kam, rief sie ihm entgegen: »Komm, so werde ich dir den Mann zeigen, den du suchest.« Die israelitischen Streiter, durch den Erfolg mutig gemacht, scheinen aus der Verteidigung zum Angriff übergegangen zu sein und den König Jabin bekriegt zu haben. Aus bedrückten Untertanen wurden sie Meister über die nördlichen Kanaaniter.

Dieser so unerwartete, so entscheidende Sieg, der erste seit den Tagen Josuas, hatte auch nach einer anderen Seite hin günstige Folgen. Diejenigen, welche Beteiligte oder Zeugen der Vorgänge waren, wie durch den Zauber aus dem Munde eines Weibes die Mutlosigkeit in Todesverachtung umschlug, und die Ermannung zum Siege führte, fanden sich wie von einem geistigen Hauche angeweht. Sie fühlten sich wieder als Glieder einer Gesamtheit, die eine gemeinsame Vergangenheit vereinte, und die einer gemeinsamen Zukunft entgegengehen sollte. Das Hochgefühl, ein Volk Gottes zu sein, ist erst durch diese Erhebung [104] und diesen Sieg unter Deborah und Barak in das Bewußtsein der Israeliten eingezogen und zu klarer Überzeugung geworden und hat erst dadurch in scharfer Fassung Ausdruck gefunden. Sobald in einer Gesamtheit ein dunkles Gefühl sich zu klarem Worte ringt und zur Selbsterkenntnis führt, wird es zur mächtigen Triebkraft und leistet Staunenswertes, offenbart, was in der Charakteranlage verborgen ruhte, und verwirklicht ihr innerstes Wesen.

Eine nicht geringe Wirkung der Vorgänge, die sich an die Unterdrücker Jabin und Sisera und an die Retter Deborah und Barak knüpfen, war die Entfaltung einer echten Poesie, die schon dem Stempel naher Vollendung an sich trägt. Ein Dichter17, wahrscheinlich von levitischer Abkunft, besang die Erhebung des Gottesvolkes und den Sieg mit allen Nebenumständen in so anschaulicher Weise, mit so dramatischer Lebendigkeit und in so einfach schöner Form, daß noch spätere Hörer und Leser gegenwärtige Zeugen der Ereignisse zu sein glauben könnten. Ehe noch bei den übrigen Völkern, selbst bei dem Musenvolke der Griechen, die Anfänge der Poesie auftauchten, noch mehrere Jahrhunderte vor Homer, zeigt das sogenannte Deborahlied eine hohe Entwickelungsstufe derselben, die eine lange Reihe vorangegangener Stufen ahnen lassen. In echt israelitischem Geiste feiert dieses Siegeslied nicht die Führer und nicht die Krieger ob ihrer Heldentaten, sondern Gott als den Urheber des Sieges; es wendet sich an die Könige und Großen Kanaans, daß sie, Zeugen dieser Vorgänge, dem Gotte Israels Ehre und Preis geben mögen:


»Höret, o Könige,

Lauschet, ihr Fürsten,

Ich singe dem Herrn,

Preise den Gott Israels.«


Das Lied erinnert dann an Gottes Allgewalt über die Natur, wie er sie in Aufruhr versetzte, die Erde erzittern, den Himmel in Wolkenbrüchen sich ergießen, die Berge und ganz besonders den Sinaï zerfließen machte, als er sein Volk befreite, ihm voranzog und ihm den [105] Weg zur Besitznahme des Landes bahnte. Ebenso hat Gott in dem Kampfe gegen Sisera durch eine gewaltige Naturaufregung seinem Volke den Sieg verliehen18:


»Vom Himmel kämpften

Die Sterne in ihren Bahnen,

Kämpften gegen Sisera,

Der Fluß Kischon raffte sie hin ...«


Das Lied schildert die Schwäche und Gesunkenheit des Volkes und Landes in der vorangegangenen Zeit unter den früheren Richtern:


»Die Straßen hatten aufgehört,

Und die Wanderer mußten Umwege suchen.«


Ganz besonders gebrach es anmutigen Führern in Israel.


»Bis du aufstandest, Deborah,

Aufstandest als Mutter in Israel.«


Der Dichter benutzt die Gelegenheit, um die Ursache des Verfalls dem Volke vor Augen zu führen:


»Es wählte neue Götter,

Darum wurden seine Städte bekriegt.

Wurden wohl Bogen und Speere gesehen

Unter vierzigtausend in Israel?19«


Das Lied schildert dann die außergewöhnliche Erhebung von Häuptern und fordert auf, den Herrn dafür zu preisen. Das Volk selbst rief Barak und Deborah zur Führerschaft auf:


»Erwache, erwache, Deborah,

Erwache, erwache, singe Lieder!

Auf, Barak und mache Gefangene,

Sohn Abinoams!«


Es erzählt, welche Stämme und Stammesgruppen sich dem Kampfe angeschlossen und verhöhnt zugleich die andern, die sich aus Selbstsucht fern gehalten haben, zuerst Rëuben:


[106] »Warum weiltest du (Rëuben) zwischen den Hürden,

Zu hören das Blöken der Herde?

...

Gilead (Gad)20 blieb jenseits des Jordan,

Und Dan, warum schleifte21 es Schiffe!

Ascher wohnte am Hafen des Meeres

Und blieb an seinen Buchten.

Sebulon, ein Stamm,

Der seine Seele dem Tode preisgab,

Und Naphtali, auf den Höhen der Gefilde.«


An die Verwünschung der Stadt Meros (Meron?), die sich ebenfalls ferngehalten, knüpft das Lied das Lob der den Israeliten fernstehenden Keniterin Jaël und malt förmlich ihre Tat oder Untat an Sisera:


»Gepriesen sei unter den Weibern Jaël,

Die Frau des Keniters Cheber,

Unter den Frauen im Zelte gepriesen.

Um Wasser bat er,

Sie reichte ihm Milch,

Ihre Linke nach dem Zeltpflock

Streckte sie aus

Und ihre Rechte nach dem Hammer der Arbeiter.

Und sie hämmerte den Sisera

Und durchlöcherte22 sein Haupt,

Durchbohrte und spaltete ihm die Stirn.

Vor ihren Füßen, krümmte er sich, fiel, lag.

Wo er sich krümmte,

Da lag er bewältigt.«


Das Lied schildert darauf die Empfindungen der Mutter Siseras, wie sie in banger Erwartung ihres Sohnes ihre Augen anstrengt, ihn mit Beute reich beladen zurückkehren zu sehen. Schon dieser eine dramatische, lebendige Zug beurkundet in seiner Einfachheit das Siegel eines Künstlers:


[107] »Hinter der Fensterbrüstung

Lugte aus und jammerte die Mutter Siseras,

Hinter dem Gitter:

›Warum säumt sein Wagen zu kommen,

Warum zaudern seiner Wagen Räder?‹

Die Klügste ihrer Fürstinnen erwiderte ihr,

Sie selbst erwidert sich auf ihre Worte:

›Fürwahr, sie werden gefunden haben und geteilt die Beute,

Ein Haufen, zwei Haufen23 auf den Kopf eines Kriegers.

Beute von farbigen Gewändern für Sisera,

Beute von farbigen Gewändern mit Stickereien,

Farbiges mit Doppelstickerei für meinen Hals erbeutet‹«24.


Anstatt zu schildern, welche Enttäuschung auf diese Erwartung folgte, was sich eigentlich von selbst versteht, läßt das Lied sie mehr ahnen und schließt:


»So mögen alle deine Feinde untergehen,

O Herr!

Und deine25 Freunde mögen sein wie der Aufgang

Der Sonne in ihrer Kraft.«


Wie der Inhalt, so ist auch die Form des Liedes in angemessener Gliederung künstlerisch angelegt. Es zerfällt in gleichgemessene größere Gruppen (Strophen), die sich wieder in kleinere abgliedern, welche die Gedankenbilder wie in einem Rahmen abrunden und abschließen. Die Grundform der hebräischen Poesie, das gedoppelte Gleichmaß der Versteile (Parallelismus), fehlt in diesem Liede nicht, aber sie ist noch gefälliger und anmutiger gestaltet durch scheinbare Wiederholungen, durch die Zutat eines passenden Wortes, welches doch wieder etwas Neues bietet. [108] Das Lied ist so angelegt, daß daraus zu erkennen ist, daß es zur Gesangbegleitung gedichtet wurde. Wahrscheinlich ist es mehr als einmal in Volksversammlungen und vielleicht gar in der Nähe des Heiligtumes von Schilo gesungen worden. Es hat auch den Ansatz zu einem an das Volk gerichteten Psalm:


»Häupter erhöhen sich in in Israel,

Preiset dafür den Herrn26


Zum Ruhme Gottes, des Lenkers der Schlachten, des Siegverleihers, ist es gedichtet, nicht zur Verherrlichung der Krieger, nicht einmal Baraks und Deborahs. Der Dichter rückte beide in den Hintergrund, wie auch der spätere Geschichtsschreiber dieses Sieges nicht bei ihnen verweilt. Nach geschehener Tat verschwinden sie vom Schauplatz, und die gespannte Wißbegierde, zu erfahren, ob und wie sie noch später zum Wohle des geretteten Volkes gewirkt haben, wird nicht befriedigt. Wahrscheinlich sind infolge der überraschenden Vorgänge bessere Zustände in Israel eingetreten; es wird angegeben, daß das Land vierzig Jahre vor erneuten Angriffen Ruhe hatte.

Allein Israel war noch lange nicht vor Überfällen und feindlichen Schritten gesichert. Die gewaltigen Stöße der unruhigen Nachbarn wiederholten sich noch von Zeit zu Zeit, und das Volk war nicht stark oder nicht geeint genug, sie unmöglich zu machen oder wenigstens sie abzuschwächen. Das Wandervolk der Midianiter, das bald in der Sinaïhalbinsel, bald im jenseitigen Jordanlande hauste, verbunden mit Amalekitern und Mischstämmen, welche mit dem Namen Morgenländer (Bene Kedem) genannt wurden27, machten die Mitte des Landes zum Zielpunkte regelmäßiger Plünderungen. Sie überschritten eine Reihe von Jahren (sieben) hintereinander zur Zeit der Ernte den Jordan mit ihren Zelten, Kamelen und Herden »wie Heuschrecken in Menge«, plünderten die Tennen, führten die Herden von Kleinvieh, Rindern und Eseln fort und ließen das Land ausgeleert und verarmt zurück. Ihre Zahl war so groß, daß kein Stamm den Mut hatte, sie abzuwehren. Am meisten war die reich gesegnete Ebene Jesreël mit ihrem Nachbargebiete in Nord und Süd der Plünderung ausgesetzt. Um auch nur dürftig Lebensmittel zu retten, versteckten sie die Besitzer in Höhlen, Schlupfwinkeln und Löchern. In Felsenkellern mußte die geringe Weizenernte ausgedroschen werden. Die zunächst betroffenen Stämme wendeten sich in der Not flehend an den Gott ihrer Väter und versammelten [109] sich vielleicht in Schilo. Bei einer solchen Gelegenheit warf ihnen ein Gottesmann, wahrscheinlich ein Levite, ihre Untreue gegen diesen Gott vor und wies darauf hin, daß ihr Unglück eine Strafe für ihren Abfall und für ihre Anhänglichkeit an die Götzen der Emoriter sei. Diese Mahnung scheint nur auf einen einzigen Zuhörer einen aufrüttelnden Eindruck gemacht zu haben, auf den Manassiten Jerubaal, auch Gideon genannt. Von tiefem Schmerz über die Gesunkenheit und das Elend Israels ergriffen und gewillt, die Befreiung herbeizuführen, begann er damit, die erste Ursache des Verfalls, den Baalsdienst, zu beseitigen.

Jerubaal oder Jeruboschet, ein Sohn des Manassiten Joasch in der Stadt Ophra aus der Familie Abiëser (J-Eser), war im Baalkultus erzogen und hatte seinen Namen von diesem Götzen oder der weiblichen Vorstellung der kanaanitischen Mythologie, der Bo schet (Astarte), entlehnt. In seiner Vaterstadt bestand ein Baalsaltar, dem heilige Bäume geweiht waren28. Diese anerzogene und angewöhnte falsch-religiöse Verehrung schüttelte Jerubaal mit einem Male ab. Er muß eine kräftige, anziehende Persönlichkeit gewesen sein. Die Feinde selbst rühmten von ihm, er sei schön wie ein Königssohn gewesen29. In einer Nacht zerstörte er mit Hilfe von Sklaven den Baalsaltar, hieb die Astartenbäume um und erbaute einen anderen Altar im Namen des israelitischen Gottes, der Gottglück (Ihwh-Schalom) genannt wurde. Wie erstaunt waren die Bewohner von Ophra, als sie des Morgens die Veränderung gewahrten! Beinahe wäre Jerubaal als Heiligtumsschänder vom Volke gesteinigt worden30. Indessen fand er doch Anhänger für seine Überzeugung. Mit diesen gedachte er die plündernden Midianiter und ihre Hilfsvölker anzugreifen. Aber bange Bedenklichkeiten beschlichen sein Herz, zunächst die, daß Gott sein Volk aufgegeben haben müsse, da er es den Midianitern preisgegeben hatte. Dann fürchtete er, daß sein Aufruf zur Rettung des Vaterlandes kein [110] Gehör finden werde, indem seine Familie die schmächste im Stamm Manasse und er selbst der Jüngste in seiner Familie war. Über alle diese Bedenken wurde er indessen durch eine Stimme, die er vernahm, beruhigt.

Ermutigt sandte Gideon Boten zu den nahegelegenen Stämmen Manasse, Ascher, Sebulon und Naphtali mit der Aufforderung, mit ihm gemeinschaftlich den verheerenden Feind aus dem Lande zu treiben, und diese stellten ihm mehr oder weniger Mannschaft. Nur den Stamm Ephraim rief er nicht zur Teilnahme auf, überzeugt, daß die stolzen und herrschsüchtigen Ephraimiten ihm, dem unangesehenen Manassiten, nur mit Hohn begegnen würden. Mit den angesammelten Streitern zog er den Midianitern entgegen, als sie abermals einen Einfall in das Land gemacht, über den Jordan gezogen waren, geplündert und die Widersetzlichen niedergemacht hatten. Zwei Brüder Gideons, die gleich ihm schön waren, wurden von den midianitischen Königen Sebach und Zalmuna am Berge Thabor umgebracht31. In der Ebene Jesreël, am nordwestlichen Fuße eines Bergrückens, der dem Gilboa nördlich und dem Thabor südlich gegenüber liegt, Moreh genannt32, schlugen sie ihr Lager auf; Gideon und seine Scharen lagerten bei Endor, im Norden des Bergrückens. Kaum eine Stunde Weges trennte die beiden Lager voneinander. Je näher aber die Stunde der Entscheidung rückte, desto ängstlicher wurde die israelitische Streitmannschaft, und Gideon mochte mit Recht fürchten, daß die Ängstlichen weit eher schaden als nützen könnten. Daher ließ er bekannt machen, daß die Ängstlichen sich vom Berge Gilboa33 vor dem Beginne des Treffens entfernen möchten. [111] Viele machten sofort Gebrauch von der Erlaubnis und eilten davon. Die Zurückgebliebenen unterwarf Gideon einer Prüfung; er wollte nur die schnell Entschlossenen in den Kampf führen34. Er entließ die Langsamen, welche die Probe nicht bestanden, und behielt nur dreihundert Streiter. Mit diesen, die er in drei Abteilungen den schlafenden Feind umringen ließ, griff er mit Hörnerklang, geschwungenen Brandfackeln und dem Kriegsgeschrei »Für Gott und Gideon« das midianitische Lager an, und dieses, auf einen nahestehenden Angriff nicht vorbereitet, geriet in Verwirrung. Die schlaftrunkenen Midianiter rannten gegeneinander und ergriffen die Flucht, um den Jordan zwischen sich und den sie verfolgenden Israeliten zu haben. Die früher entlassenen israelitischen Wehrmänner, welche den Ausgang der Schlacht in der Nähe des Gilboa abgewartet hatten, faßten jetzt Mut, auch ihrerseits den fliehenden Feind zu verfolgen. Auch die Ephraimiten ermannten sich endlich und griffen zu den Waffen und schnitten den Midianitern den Übergang über den Jordan ab. Ihnen gelang es, zwei midianitische Fürsten, Oreb und Seeb, auf der Flucht zu Gefangenen zu machen, deren Köpfe sie als Trophäen Gideon überbrachten. Der »Tag Midians«, an dem es einer Handvoll israelitischer Streiter gelungen war, eine Überzahl von Feinden zu zerschmettern, blieb viele Jahrhunderte im Andenken des Volkes35.

Um die Wiederholung der räuberischen Einfälle von diesen Schwarmstämmen zu vereiteln, verfolgte sie Gideon über den Jordan, ohne sich und seinen müden, hungrigen und durstigen Scharen auch nur eine kurze Rast zu gönnen. Den midianitischen Königen, Sebach und Zalmuna, mit einem Rest des Heeres war es nämlich gelungen, an einer unbewachten Stelle über den Jordan zu setzen, und sie hatten dabei israelitische Gefangene mitgeschleppt. Gideon setzte ihnen über den Fluß nach. Für seine hungrigen Krieger verlangte er von den israelitischen Bewohnern der jenseitigen Stadt Sukkoth Brot, erhielt aber nur eine höhnische Antwort. Dieselbe Teilnahmlosigkeit zeigten die Einwohner der Stadt Penuel und gaben ihm statt Brot ein Stichelwort. Ohne sich aufzuhalten, setzte Gideon indessen den fliehenden Midianitern nach, die in nördlicher Richtung dem Haurangebirge zugeeilt waren. Es war ein mühsamer und nicht gefahrloser Weg von mehreren Tagereisen; denn diese Gegend war die Heimat der Schwarmvölker, die zu Hunderttausenden zählten. Aber der Schrecken, der vor Gideon einherging, war sein Bundesgenosse, und er errang abermals [112] einen Sieg im Gebirge Hauran in der Nähe von Nobach oder Kenath36. Die Midianiter waren durch diese Schläge so gedemütigt, daß sie nicht mehr ihr Haupt erheben konnten37.

Mit reicher Beute kehrten Gideon und die israelitischen Streiter aus dem Kriege zurück; denn die midianitischen Könige trugen goldene Schmucksachen und Purpur, und selbst ihre Kamele waren mit Schnüren von edlem Metall behangen. Zaghaft und vereinzelt war Gideon ausgezogen und kehrte als ein siegreicher, gefürchteter Held zurück. Die Einwohner von Penuel und Sukkoth züchtigte er gebührendermaßen für ihre Teilnahmlosigkeit und Hartherzigkeit38. Die beiden midianitischen Könige brachte er im Triumphe nach Ophra zum Staunen derer, welche noch kurz vorher vor ihnen gezittert hatten. Gideon war der ruhmreichste und am meisten bewunderte Richter-Held. Auch die heidnische Bevölkerung des Landes, die nicht minder durch die Raubzüge der Midianiter gelitten hatte, erfreute sich durch ihn der Freiheit. Die dankbaren Stämme, die er von so großen Drangsalen befreit hatte, trugen ihm in übertriebener Bewunderung die Königswürde an, die erblich auf seine Nachkommen übergehen sollte. Sein gewinnendes Äußere hatte gewiß Anteil an der Schwärmerei des Volkes für ihn. Bescheiden lehnte indessen Gideon die Krone ab: »Ich mag nicht über euch herrschen, auch soll mein Sohn nicht über euch herrschen, Gott soll euer König sein«, antwortete er. Indessen hatte er doch, wie ein König viele Weiber39 und scheint [113] seine Geburtsstadt Ophra zum Mittelpunkt der Stämme gemacht zu haben. Er errichtete dort bei dem Altar, den er im Namen des Gottes Israel errichtet hatte (o. S. 110), eine Art Kultusstätte mit einem goldenen Ephod, wobei wahrscheinlich ein Priester aus dem Stamme Levi den Dienst verrichten sollte40. Die Nachbarstädte wallfahrteten zum Heiligtum von Ophra, welches dadurch, daß es mehr in der Mitte des Landes lag, den Vorzug vor Schilo hatte. Dadurch gab Gideon aber zugleich dem Stolz der Ephraimiten Anstoß. Diese fühlten sich überhaupt verletzt dadurch, daß er sich erlaubt hatte, ohne sie zu siegen. Anfangs noch vollauf mit der Verfolgung des Feindes beschäftigt, mochte Gideon keine Spaltung veranlassen und gab ihnen gute Worte: »Die Nachlese Ephraims ist besser als die Hauptlese Abiësers.« Als er aber mit Sieg und Ruhm gekrönt war und einen großen Teil der Nachbarstämme hinter sich hatte, mag er wohl den Hochmut der Ephraimiten nicht geduldig ertragen haben. Es entstand daher seit der Zeit eine Spannung zwischen Gideon und den Ephraimiten oder zwischen den früher vereinten Stämmen Ephraim und Manasse, und sie brach nach dem Tode des Helden von Ophra in frevelhafte Tätlichkeit aus. Es heißt, Gideon sei in sehr hohem Alter gestorben; was er aber nach den großen Siegen geleistet, ist nicht bekannt geworden.

Nach seinem Tode verstand es sich von selbst, daß einer seiner zahlreichen Söhne – er soll von mehreren Frauen siebzig Söhne und Enkel hinterlassen haben – mindestens Oberhaupt des dankbaren Stammes Manasse und wohl auch der nördlichen Nachbarstämme wurde. Es war tatsächlich ein Königtum, das dem Hause Gideons zuerkannt wurde, wenn auch der Name und die Attribute fehlen mochten. Es war überhaupt seit diesem Richter-Helden eine Veränderung eingetreten. Infolge der außerordentlich reichen Beute an Gold und wertvollen Stoffen, welche die israelitischen Streiter den Midianitern abgenommen hatten, war mehr Wohlstand in das Land eingezogen, der selbstverständlich zunächst den Städten zugute kam. Das städtische Wesen und die Prachtliebe nahmen immer mehr zu. Die Verbindung mit den handeltreibenden Phöniziern war eine Folge der Veränderung. Größere israelitische Städte wurden Marktplätze für phönizische Handelsartikel und Freistädte für fremde Ansiedler. Damit diese Fremden Sicherheit für ihre Person und ihr Eigentum genießen und unbehelligt in Karawanenzügen auf den Verkehrsstraßen des Landes Israel ziehen konnten, wurden [114] Bündnisse geschlossen und unter den Schutz einer Gottheit gestellt, welche die Bundesbrüchigen bestrafen möge. Diese Bundesgottheit hatte den Namen Baal-Berith oder El-Berith41; ihr war ein eigener Tempel geweiht.

Da Ophra durch Gideons Söhne und ihren Einfluß der Stadt Sichem den Rang abzulaufen drohte, so sannen die Ephraimiten darauf, Zwietracht unter Gideons Nachkommenschaft zu streuen, um dadurch ihren Vorrang zu behaupten. Unter seinen Söhnen befand sich einer, welcher Ehrgeiz mit Gewissenlosigkeit verband, Abimelech, der von einer sichemitischen Frau geboren war. Sei es, daß dieser von selbst darauf kam, seine älteren Brüder zu stürzen und die Führerschaft an sich zu reißen, oder daß die Sichemiten ihn dazu reizten42, genug, sie verstanden einander und unterstützten sich gegenseitig, um Gideons ältere Söhne zu verdrängen. Die Sichemiten wählten Abimelech zum Anführer. Er warb eine Schar Soldtruppen, wozu ihm die Sichemiten Geld aus ihrem gemeinsamen Schatze gaben, wählte dazu gewissen-und gesinnungslose Menschen, und mit diesen führte er eine Fehde gegen seine Brüder. Es scheint sich ein förmlicher Bruderkrieg entsponnen zu haben, dessen Einzelheiten nicht mehr bekannt sind. Abimelech blieb Sieger und ließ, wie erzählt wird, Gideons ganze Nachkommenschaft, siebzig Söhne (und Enkel) auf einem einzigen Felsen hinrichten. Den Sieger mit den blutgetränkten Händen erkannten die Sichemiten als Oberhaupt an. Nur ein einziger von Gideons Söhnen, namens Jotam, rettete sich, entfloh aus Ophra, bestieg den Berg Gerisim bei Sichem und hielt den Bewohnern dieser Stadt ihre Undankbarkeit gegen das Haus Gideons in schneidenden Worten vor. In sinniger Rätselsprache rüttelte Jotam ihr Gewissen auf und verkündete ihnen ihr Geschick:

Die Bäume suchten einst einen Herrscher und forderten nacheinander die fruchttragenden Bäume, den Ölbaum, den Feigenbaum und den Weinstock auf, sie zu regieren. Sie lehnten aber sämtlich die Ehre ab, weil sie sich zu gut dafür hielten. In der Not um einen Herrscher wandten sich die Bäume dann an eine stachliche Heckenpflanze (Atad), daß sie die Regierung übernehmen möge. Diese tats mit Freuden, [115] stellte aber ihre Bedingung: »Wenn ihr es ernst damit meint, so will ich euch schützen, wenn aber nicht, so wird das von mir ausgehende Feuer euch alle, selbst die Bäume des Libanon, in Rauch aufgehen lassen«43. Jotam fuhr dann fort, die Nutzanwendung zu machen: »Wenn ihr im Ernst den Abimelech, den niedrigsten der Söhne meines Vaters, zum König gewählt habt, aus Dankbarkeit, weil mein Vater euch von den Midianitern gerettet hat – eine wunderliche Dankbarkeit, da ihr seine Söhne habt umbringen lassen! – so möget ihr aneinander Freude finden. Wenn es euch aber nicht ernst mit der Wahl ist, so werdet ihr und Abimelech einander aufreiben«. Nachdem Jotam von einem Felsen des Gerisim den Bewohnern Sichems diese Worte zugerufen, entfloh er weit bis nach Beera (Beerot) zum Stamme Benjamin.

Die Freundschaft zwischen den Sichemiten und Abimelech dauerte in der Tat nicht lange, nur drei Jahre, weil es ihnen eben nicht ernst mit der Wahl war. Sie dachten gar nicht daran, sich unter einen König zu beugen. Sie wollten vielmehr nur das Haus Gideons aufreiben, um die Obmacht wieder an sich zu reißen. Abimelech aber wollte ernstlich regieren und den Sichemiten ihre anmaßende Freiheit nicht lassen. Als traute er den Sichemiten nicht, wohnte er nicht unter ihnen, sondern wahrscheinlich in Aruma44. So kam es zu Reibungen zwischen ihnen. Zunächst machten die Sichemiten die Verkehrsstraßen, die durch ihre Stadt führten, unsicher, lauerten den Karawanen auf, die vorüberzogen, und raubten deren Waren. Um ihnen das Handwerk zu legen, setzte Abimelech einen seiner treuen Bandenführer, Sebul, zum Aufseher über Sichem, damit er die Stadt im Zaum halte45. Das erbitterte die Sichemiten noch mehr. Doch mochten sie immer noch nicht offen gegen ihn auftreten. In Sichem waren aber Ausländer eingezogen, Gaal, Sohn Ebeds, mit seinen Verwandten, die hier unter dem Schutze der Bündnisse ungestört wohnen durften46. Dieser Fremdling, [116] der sich in das Vertrauen der Sichemiten gesetzt hatte, reizte sie noch mehr zur Auflehnung gegen Abimelech. Im Rausche bei der Weinlese sangen sie Spottlieder auf ihren Herrscher. Gaal sprach: »Wer ist denn dieser Abimelech, daß wir ihm untertänig sein sollen? Ist er doch nur der Sohn Jerubaals! Und sein Statthalter Sebul war untertänig den Leuten des Chamor, des Vaters von Sichem, und warum sollten wir ihm untertänig sein47?« »Wenn mir dieses Volk übergeben würde, so würde ich schon den Abimelech beseitigen und zu ihm sprechen: ›Vergrößere nur noch mehr deine Schar und ziehe zum Kriege aus48.‹ Die Spottreden der Zecher während der Weinlese auf Abimelech wurden selbstverständlich dem Sebul hinterbracht, und er beeilte sich, seinem Herrn Kunde davon zu geben und ihm zu raten, einen plötzlichen Angriff auf Sichem zu machen. Abimelech sammelte demgemäß seine Scharen, teilte sie in vier Gruppen, um die Stadt von vier Seiten zugleich anzugreifen, rückte des Nachts in die Nähe, und bei Tagesanbruch stürzten die Abteilungen zu gleicher Zeit von den Bergen auf das dazwischen im Tale liegende Sichem. Gaal und die Sichemiten trauten ihren Augen nicht, als sie Abimelechs Scharen herannahen sahen. Höhnisch sprach Sebul zu Gaal: »Wo bleibt nun deine Ruhmredigkeit, mit der du sprachest: ›Wer ist denn dieser Abimelech, daß wir ihm untertänig sein sollten?‹« »Sieh, das sind die Leute, die du so sehr verachtet hast, ziehe doch aus und kämpfe gegen sie!« Um nicht hinter seinem Worte zurückzubleiben, mußte sich Gaal an die Spitze der Unzufriedenen stellen und der feindlichen Schar entgegenrücken. Die Sichemiten wurden geworfen, mußten fliehend sich in die Stadt zurückziehen und viele Leichen zurücklassen. Sebul benutzte den Schrecken in der Stadt, um Gaal und seine Verwandten zu vertreiben. Die Sichemiten strengten sich zwar zum zweiten Male auch ohne ihren Verführer Gaal zum Kampfe an; er dauerte einen ganzen Tag. Abimelech siegte indessen [117] abermals, nahm die Stadt ein, zerstörte sie und ließ sie später mit Salz besäen, damit sie nimmermehr erbaut werden sollte. Der Haß Abimelechs gegen seine ehemaligen Verbündeten und Helfershelfer steigerte sich zur Grausamkeit. Als sich flüchtige Sichemiten und andere Ephraimiten in einer Nachbarstadt Migdal-Sichem49 zum Widerstand gesammelt hatten, belagerte er auch sie, schaffte Holz vom nahegelegenen Berge Zalmon, ließ damit Feuer anlegen und die Einwohner, an 1000 Männer und Weiber, im Rauch ersticken. Möglich, daß er noch andere ephraimitische Städte, die gegen ihn waren, auf ähnliche Weise gezüchtigt hat. Er fand sein Ende bei der Belagerung der ephraimitischen Stadt Thebez, etwa vier Stunden nordöstlich von Sichem, auf dem Wege nach Beth-Schean. Auch hier wollte Abimelech die Einwohner der Stadt, in welche sich die Kämpfer geflüchtet, durch Feueranlegen an die Türme umkommen lassen, als eine Frau ihm einen Mühlstein auf den Kopf warf, der ihm den Schädel zerschmetterte. Um nicht dem Spotte ausgesetzt zu sein, daß ein Weib ihn getötet, befahl er seinem Waffenträger, ihn zu erstechen. Es war eine wilde, leidenschaftliche Zeit, die Regierungszeit des Abimelech. Er kann nicht zu den Richter-Helden gezählt werden; er mag wohl die Feinde Israels von den Grenzen abgeschreckt haben; aber er hat das, was sein Vater geschaffen hatte, durch Herrschsucht und Grausamkeit wieder zerstört, und die beiden Zwillingsstämme Manasse und Ephraim zuerst entzweit und dann geschwächt.

Nach Abimelechs Tode übernahm die Führerschaft sein Vetter Thola50, Sohn Puas (oder Puwas) aus dem Stamme Isaschar, der seinen Wohnsitz auf dem Gebirge Ephraim, in Schamir, hatte. Was dieser Thola im Kriege oder Frieden geleistet hat, ist nicht bekannt und läßt sich auch nicht vermutungsweise ergänzen. Die Geschichtsquelle fügt nur noch hinzu, daß Thola dreiundzwanzig Jahre die Israeliten, d.h. die Nordstämme, richtete oder ihnen bei drohenden Gefahren beistand. Während die diesseitigen Stämme seit dem Tode Gideons Rückschritte machten, dehnten sich die jenseitigen, namentlich die Manassiten oder Gileaditen, immer mehr aus. Sie benutzten besser die Vorteile, welche Gideon ihnen an die Hand gegeben hatte. Auch sie hatten durch die Einfälle [118] der Midianiten gelitten, die östlich von ihnen im Hochgebirge des Hauran ihren Wohnsitz hatten und im Frühjahr regelmäßig gerade die Weiden und Getreidefelder des manassitischen Gebietes heimsuchten. Von diesem unersättlichen Feinde hatte sie Gideon befreit und ihnen den Weg zu weiterem Vordringen geöffnet. Von ihrer Hauptstadt Golan51 aus zogen die jenseitigen Manassiten in östlicher Richtung und unterwarfen das ganze Gebiet, welches bis zum Hochgebirge des Hauran reicht. An ihrer Spitze stand der Gileadite Jaïr, Sohn Segubs, der dreißig Söhne hatte, welche in vornehmer Weise auf Eselsfüllen zu reiten pflegten. In dem von Jaïr und den Manassiten eroberten Gebiet, welches von Argob bis tief in das Haurangebirge reichte, lagen sechzig feste Städte, auf Basaltfelsen erbaut. Diese nach und nach zu erobern, kostete viele Anstrengung; die jenseitigen Manassiten unter Jaïr müssen demnach harte Kämpfe gegen die Bewohner zu bestehen gehabt haben. Diese Städte führten seit der Zeit den Namen Chawwot-Jaïr. Auch über diesen Richter-Helden ist die Quelle wortkarg und berichtet weiter nichts von ihm, als daß er nur ein Jahr weniger, als sein Vorgänger den Israeliten, d.h. den jenseitigen Manassiten, vorstand.

Rätselhaft ist es, daß die Erstarkung dieses Halbstammes im jenseitigen Lande den südlich wohnenden Stämmen Gad und Rëuben von geringem Nutzen war, und daß gerade sie zu Ende der Richterperiode öfter Bedrängnissen von seiten der Nachbarn ausgesetzt waren. Zu gleicher Zeit erfolgte ein Stoß von zwei Seiten, der den bisherigen Zustand der Zersplitterung in seiner Unhaltbarkeit empfindlich erkennen ließ. Der Stoß kam von der einen Seite von den Ammonitern und von der anderen Seite von den Philistern52 und wirkte so lähmend und an so vielen Punkten zugleich, daß, wenn kein gewaltiger Gegenstoß erfolgt wäre, sämtliche Stämme davon zermalmt worden wären. Die Ammoniter hatten sich nach und nach von ihrer gewaltigen Niederlage erholt und im Osten des Moabiterlandes wieder eine starke Mutterstadt angelegt. Diese Stadt Rabbah oder Rabbat Ammon lag in einer fruchtbaren Gegend, geschützt von einigen Hügeln. Im Südosten [119] der Stadt befindet sich ein großer Teich, der einen kleinen Fluß mit Wasser speist53. Die Ammoniter hatten wieder einen kriegerischen König, der sie in das Feld führte und ihr Gebiet vergrößerte. Sei es, daß die Ammoniter ihre Stammverwandten, die Moabiter, in Untertänigkeit gebracht hatten oder mit ihnen im Bündnis standen, genug, sie fühlten sich von dieser Seite sicher und richteten ihre Angriffe auf das Gebiet der israelitischen Stämme Rëuben und Gad. Sie machten das Eigentumsrecht daran geltend, weil es einst vor mehr denn drei Jahrhunderten ihnen gehört hatte (o. S. 49). Den unvollständigen Rechtsansprüchen gab das Schwert Nachdruck. Die Ammoniter scheinen die Israeliten zuerst aus den ungeschützten Städten vertrieben zu haben, dann überzogen sie die festeren Städte mit Krieg. Sie drangen nordwärts bis in das Gebiet von Halbmanasse oder Gilead vor und bedrohten die hochgelegene Feste Mizpah. Auch diesseits des Jordans machten sie glückliche Streifzüge in das Gebiet der Stämme Ephraim, Benjamin und Juda von der östlichen Seite aus54. Von der entgegengesetzten Seite begannen die Philister mit vielem Eifer und Nachdruck die Stämme in ihrer Nachbarschaft zu bedrängen und sie sich untertänig zu machen. Zunächst ward der Stamm Dan davon betroffen, aber auch die Stämme Benjamin und Juda blieben nicht davon verschont55. Dennoch war diese Demütigung und Schmach nicht imstande, sämtliche Stämme zu kräftiger Gegenwehr zu vereinigen. Die jenseitigen Stämme hatten sich an Ephraim mit der Bitte gewendet, ihnen mit seiner Mannschaft zu Hilfe zu kommen; aber entweder aus Selbstsucht oder aus Schwäche, weil der Vorort Sichem und andere ephraimitische Städte durch Abimelech aufgerieben worden waren, hielt sich dieser Stamm, wie oft, von der Beteiligung am Kampfe fern56.

In dieser drangvollen Zeit traten zu gleicher Zeit zwei Retter auf, welche die Feinde zu Paaren trieben und für den Augenblick Hilfe brachten. Beide, Jephtah und Simson, hatten einige gemeinsame Charakterzüge, und zwar von ganz fremdartigem Gepräge. Sie erscheinen wie halb verwilderte Gesellen, wie Abenteurer, welche gegen Ordnung und Zucht anrennen, und gebrauchten ihre Kraft ebenso zum Bösen wie zum Guten. Sie entwickelten beide eine außergewöhnliche Kühnheit. So weit haben Jephtah und Simson Ähnlichkeit miteinander. Aber ihre Unähnlichkeit ist doch größer. Jephtah war ein Krieger, der [120] dem Feinde die Stirn bot und ihn durch kriegerische Mittel besiegte. Simson dagegen, obwohl mit außergewöhnlicher Kraft und Tollkühnheit begabt, führte, soweit wir Kunde von ihm haben, nicht einen förmlichen Krieg, sondern übermannte die Feinde durch List und plötzliche Überfälle.

Jephtah, ein Gileadite vom Stamm Manasse, war von seinen Stammesgenossen aus dem Lande gewiesen worden. Es heißt, er sei nicht aus einer anständigen Ehe geboren, sondern der Sohn einer Buhlerin gewesen. In der Heimat ungerecht behandelt, begab er sich nach einem bisher unbekannt gebliebenen Lande Tob und begann hier eine Art Räuberleben zu führen. Kühne Genossen, welche menschliche Ordnung und Satzung gering achteten, schlossen sich ihm an und nahmen ihn zum Führer. Mit ihnen vereint, brandschatzte Jephtah schwache Städte und Stämme, überfiel wohl auch Karawanen, kurz trieb dasselbe Handwerk wie die damaligen Wanderstämme, Midianiten, Ismaeliten und Kedarener. Als aber die gileaditischen Stämme in Bedrängnis von seiten der Ammoniter geraten waren, erinnerten sie sich des ausgestoßenen Sohnes ihres Stammes, von dessen kühnen Taten und Untaten sie Kunde erhalten hatten. Einige Älteste begaben sich zu ihm nach dem Lande Tob und baten ihn dringend, ihnen mit seiner Schar zu Hilfe zu kommen und die Feinde aus ihrem Gebiet zu treiben. Stolz abweisend antwortete Jephtah zuerst: »Ihr hasset mich doch und habet mich aus meinem Vaterhause vertrieben! Warum kommet ihr jetzt zu mir, da es euch schlecht geht?«

Die gileaditischen Ältesten ließen sich aber nicht abweisen, baten ihn immer dringender um Beistand und versprachen ihm, wenn er Sieger über die Feinde geworden sein werde, ihn als Oberhaupt für Gilead anzuerkennen. Daraufhin entschloß sich Jephtah mit ihnen zurückzukehren; sie mußten aber ihr Versprechen vor dem Altar ihres Vorortes Mizpeh-Gilead beschwören, so wenig vertraute Jephtah ihrer Dankbarkeit und Treue. Dann schickte er eine förmliche Gesandtschaft an die Ammoniter mit der Forderung, ihren Kriegszug gegen das israelitische Gebiet einzustellen, und als sie diese zurückwiesen und sich auf ihre alten Rechtsansprüche beriefen, durchzog er das ganze gileaditische und manassitische Gebiet, um Krieger anzuwerben. Jephtah verstand es, kühne Jünglinge anzuziehen und anzuführen. Mit ihnen zog er gegen die Ammoniter, schlug sie und verfolgte sie bis Minnith unweit Hesbon und bis Abel der Weinberge unweit ihrer Hauptstadt Rabbah und nahm ihnen zwanzig Städte ab. Für den Augenblick waren die Ammoniter gedemütigt. Als Jephtah diesen entscheidenden [121] Sieg errungen hatte, fingen die Ephraimiten Händel mit ihm an; sie nahmen es ihm, wie früher dem Helden Gideon, übel, daß er ohne sie gesiegt hatte. Es entspann sich daraus ein Bürgerkrieg, weil Jephtah nicht so schmiegsam gegen die stolzen Ephraimiten war, wie der Richter von Ophra. Die Ephraimiten überschritten den Jordan bei der Stadt Zaphon57 und nahmen eine kriegerische Haltung an, in der Absicht, die Gileaditen in ein Untertanenverhältnis zu bringen. Jephtah züchtigte aber ihre Anmaßung; er schlug sie und versperrte ihnen den Rückzug durch die Furten des Jordan. Hier standen Wachtposten, welche die ephraimitischen Flüchtlinge niedermachten. Verhehlten diese ihre ephraimitische Abkunft, so mußten sie ein Wort (Schibbólet) aussprechen, das von den diesseitigen Israeliten anders ausgesprochen wurde (Sibbólet), und daran wurden sie erkannt58. Jephtah, der imstande gewesen wäre, die jenseitigen Stämme zu kräftigen, stand nicht lange (6 Jahre) an ihrer Spitze und hinterließ keinen Sohn. Er hatte überhaupt nur eine einzige Tochter, und an diese hat sich eine tiefrührende Sage geheftet. Ihr Vater hatte gelobt, das, was ihm bei seiner Rückkehr als Sieger zuerst entgegenkommen würde, als Opfer darzubringen, und als er sich der Stadt Mizpah näherte, erblickte er zu seinem Schrecken seine Tochter, die ihm tanzend und saitenspielend entgegenkam, um den Sieger zu bewillkommnen. Sollte er sein Gelübde erfüllen und sein einziges Kind als Opfer schlachten? Er schwankte gebrochenen Herzens zwischen Liebe und Pflicht. Die beherzte Tochter selbst ermutigte ihn, sein gesprochenes Wort gegen Gott zu lösen, der ihm Sieg gegen die Ammoniter verliehen. Nur bat sie sich zwei Monate aus, um mit ihren Freundinnen auf den Bergen Gileads ihre Jungfräulichkeit zu beweinen. Nach Verlauf der begehrten Frist vollzog der Vater sein leichtsinniges Gelübde. Der Erzähler aber hat mit gewandter Kunst einen verhüllenden Schleier um den Ausgang dieser tragischen Geschichte gezogen und es ungewiß gelassen, ob Jephtah seine Tochter wirklich geopfert oder sie nur in lebenslänglichem Jungfrauenstande gelassen hat. Die gileaditischen Mädchen pflegten alljährlich auf den Bergen einen Trauergesang anzustimmen. Diese Trauer soll der Tochter Jephtahs gegolten haben.

[122] Während der Held von Gilead die Ammoniter kriegerisch besiegte, schlug sich der diesseitige Held Simson mit den Philistern herum. Simson aus dem Stamm Dan war ein Wildling, der tollkühn und todesverachtend den Gefahren geradezu entgegenlief und nur den Eingebungen seines stürmischen Innern folgte. Sein lang herabwallendes Haupthaar, das nie geschoren wurde, verlieh ihm ein wildes Aussehen und erschreckte die Feinde durch seinen bloßen Anblick. Er wird als so handfest und kräftig geschildert, daß er, obwohl nicht von riesiger Körpergestalt, imstande gewesen sei, dicke Stricke wie Wergfäden zu zerreißen, einen Löwen mit der Hand zu erlegen, die Torflügel von Gaza bis auf die Spitze des Berges von Hebron, eine Strecke von mehr denn zwölf Wegstunden, zu tragen und durch Rütteln an den Säulen eines geräumigen Tempels diesen wankend zu machen. Aber seine Stärke lag lediglich in seinem lang gewachsenen Haar. Solange er dieses hatte, fürchteten sich die Feinde, ihm nahe zu kommen. Seine Feinde, denen er arg mitspielte, waren die seines Volkes, die Philister, welche von ihren Städten längs der Meeresküste öfter Einfälle in das Land Israel machten. Ganz besonders litt der Stamm Dan, dessen unmittelbare Grenznachbarn die Philister waren, durch deren Gewalttätigkeiten. Sie mißgönnten ihm den Besitz des Küstenstriches bei Joppe, der früher ihnen gehört hatte. Dan fühlte die Schmach der Unterjochung, vermochte aber, allein gelassen, nichts Nachhaltiges zu unternehmen. Der Stammverband unterstützte nicht einmal Simson und vereinigte sich nicht mit ihm zu kriegerischen Angriffen, wie die Gileaditen mit Jephtah. Die Judäer fürchteten sich noch mehr vor den Philistern59. Ganz vereinzelt stand Simson wohl nicht; er muß Genossen gehabt haben, die ihn in seiner Feindseligkeit gegen die Philister unterstützten; aber es waren auch nur einzelne. Daher mußte Simson zur List seine Zuflucht nehmen und konnte nur durch schlaue Überfälle dem Feinde Schaden zufügen. Dieses Verfahren wird von der sittlichen Höhe des prophetischen Geistes getadelt:


»Dan wird sich seines Volkes annehmen

Gleich einem der (übrigen) Richter Israels.

Dan wird aber sein, wie eine Schlange am Wege,

Wie ein Basilisk an der Straße,

Der der Rosse Fersen beißt,

Und der Reiter fällt rücklings.

Nur auf deinen Beistand hoffe ich, o Gott60


[123] Geschichtlich Zuverlässiges von Simsons Taten, und wie er sich seines Volkes angenommen hat, ist nicht überliefert. Die Erzählung über ihn ist sagenhaft ausgeschmückt. Sie schildert, daß Simson anfangs in ein freundliches Verhältnis zu den Philistern trat, eine Philisterin aus Thimnah heiratete und auf dem Wege dahin einen Löwen erlegte, in dessen Leichnam sich ein Bienenschwarm eingenistet und Honig abgesetzt hatte, von dem er und seine Eltern genossen. Bei seinem Hochzeitsschmause gab er dem Brauche gemäß den Tischgenossen ein Rätsel auf, das sich auf Löwen und Honig bezog. Dadurch fiel es diesen schwer, es zu erraten, und sie mußten Strafgeld für die verlorene Wette zahlen. Sie steckten sich aber hinter Simsons Braut und ließen ihm durch sie die Lösung entlocken. Dadurch entspann sich Feindseligkeit zwischen Simson und den Philistern. Um die verlorene Wette zu zahlen, begab sich Simson stehenden Fußes vom Hochzeitsschmaus hinweg nach Askalon, erschlug dort dreißig Mann, zog ihnen die Kleider aus und gab sie laut der Wette den Tischgenossen. Im Unmut verließ er auch die philistäische Braut, die das Rätsel seinen Genossen verraten hatte, und begab sich in sein Vaterhaus. Ihr Vater gab sie darauf einem anderen Manne zum Weibe. Das war für Simson wieder ein Vorwand zu Feindseligkeiten gegen die Philister; er brannte ihr reifes Getreide durch mehrere hundert Schakale ab, denen er je zweien zusammenbrennende Fackeln zwischen die Schwänze gebunden hat, und die wild in die Getreidefelder und Olivengärten liefen. Die beschädigten Philister rächten sich dafür an dem Vater der thimnitischen Frau. Diese Untat gab Simson abermals Gelegenheit, scheinbar als Rächer für den Tod seiner ihm einst angelobten Frau und ihres Vaters aufzutreten und die Philister zu züchtigen. Er erschlug sehr viele von ihnen, wahrscheinlich aus dem Hinterhalte. Dann begab sich Simson in die Felsenkluft von Etam61, das im Gebiete des Stammes Juda lag. Hier suchten ihn die Philister auf, und da sie ihn nicht fangen konnten, verwüsteten sie die Gefilde Judas. Dreitausend Judäer begaben sich hierauf zu Simson, machten ihm Vorwürfe, daß er ihnen die Philister auf den Hals geschickt habe, und trafen Vorkehrung, ihn zu fesseln, um ihn seinen Feinden zu überliefern. Simson ließ sich ruhig von seinen Volksgenossen binden und zu den Philistern führen. Kaum erblickten diese ihren Feind, so jauchzten sie. Er aber zerriß die festen Stricke wie Flachswerg, ergriff einen Eselsknochen und schlug damit tausend Philister tot.

[124] Eine andere Sage erzählt von Simsons Heldentaten neue Züge. In Gaza habe er eine Buhlerin besucht und die Philister, welche sich vor ihm fürchteten, wollten seinen Schlaf benutzen, ihn zu fesseln. Zum Schrecken der ausgestellten Wächter zerbrach er die Pforten der Stadt und trug sie mit dem Riegel bis Hebron. Sein Ende schildert dieselbe Sage in heldentümlich-tragischer Färbung. Er liebte wieder ein philistäisches Weib, namens Delila, die ihn an die Philister verriet, indem sie ihm das Geständnis entlockte, daß seine Kraft an sein Haupthaar gebunden sei. Darauf schnitt sie ihm die sieben Locken seines Hauptes ab; dadurch wurde er schwach, und die Philister konnten ihn binden und nahmen schwere Rache an ihrem Feinde und an dem Zerstörer ihres Landes. Sie blendeten ihn, brachten ihn nach Gaza und ließen ihn im Gefängnis den Mühlstein drehen. Als einst sämtliche vornehme Philister sich in dem Tempel des Dagon versammelten, um sich an dem Anblick des gedemütigten und geblendeten danitischen Helden zu weiden, rüttelte er an den Säulen, worauf der Tempel ruhte, so lange, bis er sie zum Wanken brachte. Der Tempel stürzte ein und begrub unter seinen Trümmern viele Tausend Philister und Simson mit, so daß er im Tode mehr Philister umgebracht hat, als im Leben. Simson mit seinem Wesen und seinem listigen Kampfe gegen die Philister war den späteren Geschlechtern unverständlich geworden. Von dem Umstande seines langen Haarwuchses entnahm die Sage den Zug, daß Simson ein Nasiräer gewesen sei, der sein Haar geweiht hätte. In dieser sagenhaften Ausschmückung ist das Bild des danitischen Helden und Richters in entstellter Gestalt auf die Nachwelt gekommen. Zwanzig Jahre soll er für Israel gekämpft haben, aber eine Besserung der Zustände hat er nicht herbeigeführt. Die Philister behielten nach seinem Tode noch lange Zeit die Oberhand über die israelitischen Nachbarstämme Dan, Benjamin und wohl auch Juda und Ephraim. Die Hand der Philister lastete mit der Zeit immer schwerer auf Israel.

Gleichzeitig mit Simson traten nacheinander drei Retter auf, zwei im Stamme Sebulon und einer im Stamme Ephraim; aber ihre Leistungen waren so gering, daß sie sich dem Gedächtnisse nicht eingeprägt haben. Von den beiden sebulonitischen Richter-Helden sind nur die Namen und ihr Gebiet oder die Stadt, in der sie begraben wurden, nebst der Zahl ihrer Amtsjahre bekannt: Ibzan aus Betlehem im sebulonitischen Gebiet und Elon aus der Stadt Ajalon. Von Ibzan ist nur die Nachricht erhalten, daß er dreißig Söhne und Töchter hatte und vom ephraimitischen Richter-Helden Abdon, Sohn Hillels, aus der Stadt Piraton, daß er eine noch stärkere Nachkommenschaft, [125] vierzig Söhne und dreißig Enkel hinterließ, die in vornehmer Weise auf jungen Eselsfüllen zu reiten pflegten. Gegen welche Feinde diese drei Richter gekämpft haben, ist nicht angedeutet. Allein aus dem Umstande, daß die Sebuloniten, die früher von der Meeresküste entfernt wohnten, später ihren Wohnsitz bis an das Gestade ausgedehnt haben, läßt sich schließen, daß sie die Kanaaniter von dort verdrängt haben. Die Hafenstadt Akko ist zwar nicht in israelitischen Besitz gekommen, sondern verblieb in den Händen der Phönizier; aber von Akko südlich bis zum Karmel gehörte der Küstenstrich seit der Zeit zum Stamme Sebulon62.


Fußnoten

1 S. Note 7.


2 Richter 20, 16; I. Chronik 12, 2.


3 Vgl. Frankel-Graetz, Monatsschrift, Jahrg. 1872, S 138 f., daß unter םירמתה ריע תא ושריו [Richter 3, 13] nicht Jericho, sondern Zoar verstanden sein kann. שרי bedeutet austreiben und mit einer anderen Bevölkerung besetzen. Vgl. Jerem. 49, 1 דג תא םכלמ שרי עודמ בשי וירעב ומעו.


4 ארג ןב דוהא wie ארג ןב יעמש waren nicht Söhne Geras sondern aus der benjaminitischen Familie dieses Namens, Genesis 46, 21; I. Chronik 8, 3; דוהא (das. V. 6) ist übrigens gleich דוהיבא wie רזעיא [Num. 26, 30] aus רזעיבא [Richter 6, 11. 8, 2] entstanden ist. Ehud ist also identisch mit dem benjaminitischen Abihud oder Achud = דוחא in der Chronik das. S. Note 5.


5 Dieses folgt aus dem Deborahliede Richter 5, 17.: »Warum schleift Dan Schiffe?« Dan wohnte also an der Küste. Dagegen heißt es das. 1, 34: Die Emoriter ließen Dan nicht in die Ebene hinuntersteigen.


6 Folgt aus dem Deborahliede, V. 30.


7 Folgt aus dem Deborahliede, V. 10.

8 Beachtenswert dafür ist der Vers 19 im Deborahliede: »Es kamen Könige, Könige Kanaans, und kämpften.«


9 Deborahlied, V. 6.


10 Das. V. 8.


11 Das. V. 7.


12 Daß הרובד רמת nicht identisch sein kann mit ןולא תוכב [Gen. 35, 8] ist oben (S. 96) nachgewiesen. Eher kann es mit רמת לעב identisch sein (Richter 20, 33) da dieses in der Nähe von Bethel, (das. V. 18, 26, 31) und in der Nähe von Gibea (Gibeat-Saul) vorausgesetzt wird, und Gibea nicht weit von Rama war, also zwischen Bethel und Rama lag, wie eben Thomer-Deborah.


13 Die griechische Übersetzung hat zu Richter 4, 8 noch den sonderbaren Zusatz: ὅτι οὐκ οἶδα τὴν ἡμέραν, ἐν ἧ εὐοδοῖ τὸν ἄγγελον κύριος μετ᾽ ἐμοῦ. »Denn ich kenne nicht den Tag, an welchem der Herr seinen Engel mit mir führen wird.«


14 Folgt aus dem Deborahliede, V. 14 verglichen mit Richter 12, 15.


15 Vielleicht ןארמ oder ןארמ ןורמש [Jos. 12, 20], das spätere Simonias, einige Stunden westlich von Thabor. זורמ [Richter 5, 23] kommt sonst nicht vor.

16 Auf diesen Krieg am Thabor spielt vielleicht der Vers im Segen Moses an, Deuteron. 33, 18. 19. »Von Sebulon sprach er: freue dich, Sebulon, bei deinem Auszuge (zum Kriege). Stämme werden sie zum Berge (Thabor) einladen: וארקי רה םימע und werden dort aufrichtige Opfer bringen.« Zu קדצ יחבז וחבזי vgl. Ps. 4, 6; 51, 21.


17 Man sollte doch aufhören, das Deborahlied der Deborah selbst zu vindizieren. Wie könnte sie sich selbst »Mutter in Israel« nennen! Man hat eine Verbalform in diesem Liede (Richter 5, 7) verkannt, und daher entstand der hartnäckige Irrtum. Man hat יתמקש als erste Person angesehen, während es die zweite Person feminini nach alter Bildung statt תמקש ist. Deborah spricht nicht in diesem Liede, sondern der Richter redet sie an: »Bis du aufstandest, Deborah, aufstandest als Mutter in Israel.« [Doch halten z.B. Oettli in Strack-Zöcklers kurzgef. Handkommentar u. Kleinert bei Riehm-Bäthgen S. 305 an Deborahs Autorschaft fest.]


18 V. 4-5 im Deborahliede hängen mit V. 20-21 zusammen, daß Gott dieses Mal wie früher beim Erscheinen auf Sinaï außerordentliche Naturerscheinungen zugunsten seines Volkes eintreten ließ. Zu V. 4 muß ergänzt werden ךמע ינפל »vor deinem Volke,« wie der Psalmist von Ps. 68, 8 den V. verstanden hat, der ihn benützte, und ebenso Habakuck 3, 3 f. לחנ םימודק(V. 21) gibt keinen Sinn; ist vielleicht םי םדק »im Osten des Meeres« zu lesen? Auch זע ישפנ יכרדת (das.) ist noch nicht befriedigend erklärt.


19 Es ist ein unberechtigter Einfall von Ewald und anderen םישדח םיהלא רחבי durch »man wählte neue Richter« zu erklären. Hätte der Dichter diesen Gedanken beabsichtigt, so hätte er ein unzweideutiges Wort für »Richter« gewählt. Sämtliche alte Versionen verstanden darunter »Götter«. Ebenso Deuteron. 32, 17 ואב ברקמ םישדח ...םיהלא .


20 Merkwürdigerweise hat die griechische Übersetzung דג statt דעלג in Vers 17 [Swete hat im Text Γαλαάδ].


21 Das. Vers 17 תוינא רוגי המל ןדו kann unmöglich den Sinn haben, »weilen auf Schiffen,« weil רוג nur »zeitweilig sich aufhalten« bedeutet und nie den Akkusativ regiert (eine scheinbare Ausnahme muß anders erklärt werden). Die syrische Version hat dafür ראג, hat es also abgeleitet von ררג »wälzen, schleifen« d.h. die Schiffe an das Gestade ziehen. Es müßte also eigentlich רוגי [jigor] vokalisiert werden.


22 Statt הקחמ Vers 25b ist zu lesen הצחמ, da קחמ nur »auslöschen« bedeutet; das Lied ist reich an palilogischen Parallelismen. הפלחו ist transponiert für החלפו von חלפ bohren, stechen, spalten.


23 So alt auch die Erklärung von םיתמחר םחר Vers 30 »ein Mädchen, zwei Mädchen« ist, die von den neuen Auslegern wiederholt ist, so abgeschmackt ist sie. 1. Man findet keine Parallele, daß םחר »Schoß« auf Mädchen oder Frau übertragen wird. 2. Man kann auch nicht im Hebräischen den Dual von zwei nicht zusammengehörenden Substantiven [aber unmittelbar nachher םיתמקר!] gebrauchen. 3. Gefangenschaft von Mädchen verursacht keine Verzögerung. Es ist offenbar transponiert für םיתרמח רומח (Richter 15, 16). Die Peschito übersetzt es mit אינדוכ, sie las also רומח. Wenn jeder Krieger zwei Haufen zusammenlesen und tragen soll, dann wird der Rückmarsch verzögert.


24 ללש יראוצל ist sehr dunkel. Die griechische Übersetzung hat ויראוצל, was aber nicht paßt. Denn Sisera wird doch nicht bunte Gewänder getragen haben? Wohl aber die Frauen. Die Mutter Siseras erwartet für sich glänzende Gewänder als Mitgebrachtes. Es empfiehlt sich daher zu lesen יראוצל. Über den Parallelismus in diesem Liede vgl. Frankel-Graetz Monatsschr. Jahrg. 1873, S. 290 f.


25 Die Peschito hat hier richtig die zweite Person ךימחרו, also ךיבהאו.


26 Zweimal wiederholt V. 2 und 9.

27 Die םדק ינב sind identisch mit רדק ינב, die in Hauran hausten. Vgl. Jeremia 49, 28.


28 Auch der Stier, von dem Richter, 6, 25 zuerst die Rede ist, scheint dem Baal geweiht gewesen zu sein, dieser sollte zugleich mit dem Altar vernichtet werden. Dagegen sollte ינשה רפ = ינש רפ, ein anderer Stier, der nicht geweiht war, zum Opfer dienen. Ewalds Erklärung von ינש »annuus« alt, ist ebenso absurd, wie die eines anderen Auslegers, daß es »fett« bedeute.


29 Richter 8, 18.


30 Daß die Deutung des Namens לעברי »Baal mag mit ihm streiten« zu den eigentümlichen, deutenden Etymologien gehört, ist bekannt. Jerubaal war vielmehr seine Hauptname. Weit eher könnte Gideon ein historischer Name sein, von עדג »umhauen, zerstören,« weil er den Altar und die Haine des Baal zerstört hat.


31 Richter 8, 18.


32 Vgl. über diesen Berg, jetzt ed-Duhy genannt, Frankel-Graetz, Monatsschr. Jahrg. 1872, S. 582 f. Übrigens folgt aus Ps. 83, 11, daß die Schlacht bei En-Dor stattgefunden hat. Denn רוד ןיעב ודמשנ das. kann sich nicht auf den Krieg gegen Sisera und Jabin, sondern nur auf den gegen Midian (das. V. 10) beziehen. Statt דרח ןיע (Richter 7, 1) muß man daher lesen רוד-ןיע. [S. jedoch Buhl S. 106] Gideon lagerte in En-Dor und die Feinde lagen nördlich in der Ebene vom Hügel (ed-Duhy) [So auch Bertheau z. St. Vgl. jedoch Buhl S. 103] entfernt. Auch aus Richter 8, 18 folgt, daß die Feinde nördlich lagen, am Thabor. Auf diese Weise ist der Krieg vollständig erklärt. Der Süden, auch der Gilboa, waren vom Feinde frei; daher konnte Gideon ungehindert hinaufziehen.


33 Es ist bereits von andern bemerkt, daß man Richter 7, 3 statt דעלגה רהמ lesen müsse עבלגה רהמ; das Verbum רפציו ist dunkel. Vielleicht ist dafür ץרפיו zu lesen, im Sinne von durchbrechen, wie Genesis 38, 29; Micha 2, 13 [Anderer ähnlicher Vorschlag in den Kittelschen Bibel-Ausg. z. St.].


34 Richter, 7, 6 ist םימה statt םדיב zu lesen.


35 Jesaia 9, 3; 10, 26.


36 Durch die Angabe Richter 8, 11, daß Gideon die Midianiter ההבגיו חבנל םדקמ geschlagen hat, ist die Lokalität ihrer Flucht und ihrer Heimat bestimmt. Nobach ist identisch mit תנק (Numeri 32, 42), und die Lage dieser Stadt, bei Josephus, auf Münzen, bei Plinius, Eusebius und in Konzilprotokollen Κάναϑα genannt (s. Ritter II, S. 937 f.), ist bekannt [s. auch Buhl S. 252]; sie heißt jetzt Kanuath oder Kanawa, einige Stunden nördlich von dem 6000 Fuß hohen Berg el-Klub (Kuleib) im südlichen Hauran. Ist vielleicht חבנ, der »Beller«, identisch mit el-Klub, dem Hündchen? Gideon hat die Feinde also noch östlich von Kanath verfolgt, also im Osten des Hauran: dort war der Sitz der םדק ינב oder רדק ינב. Dadurch ist es verständlich, daß Gideon die Straße der םילהאב ינוכש zog, d.h. der skenitischen Araber, wo später die Ghafaniden oder Ghefniden wohnten. Daß Gideon in der Verfolgung eine nördliche Richtung eingeschlagen hat, und nicht eine südliche, dafür spricht auch, daß er zuerst Sukkoth und dann erst Penuël berührte (8, 5-9). Dieses lag nördlicher als jenes (Genesis 32, 31-32; 33, 17). – חבנ ist also nicht identisch mit חפנ, das im südlichen Peräa lag und ebensowenig mit רקרק Καρκαρία im Onomasticon, weil dieses nicht weit von Petra, also ganz im Süden lag.


37 Richter, 8, 28.


38 Das. 8, 14-25.


39 Richter 8, 30.


40 Richter 8, 27. Vergl. o. S. 96; ein Ephod diente dazu, die Zukunft zu verkünden, und dazu gehörte stets ein Levite. Das war eine Konkurrenz mit Schilo, wo die Ahroniden Träger des Ephod waren, vgl. I. Samuel 2, 28.

41 Aus Richter 9, 33 ergibt sich, daß nicht bloß in Sichem, sondern auch in andern Städten ein תירב לעב verehrt wurde. Daß unter diesen Baal der Schutz eines Städtebundes gestellt war, ist eine falsche Hypothese. Nur zum Schutz von Fremden diente er; daher wurden Gaal und seine Brüder, welche Nichtisraeliten waren, von Abimelech nicht gezüchtigt, sondern lediglich aus der Stadt gewiesen.


42 Folgt aus Richter 9, 18. 24.


43 Die Fabel ist durchaus echt und paßt nur für die Situation bei der Wahl Abimelechs.


44 S. weiter unten.


45 In Vers 9, 25 ist zum Schluß zu ergänzen: דגיו [ םבש לע דיקפ לבז תא םשיו] ךלמיבאל.


46 Gaal und seine Brüder waren entschieden Ausländer und nicht Israeliten. Dafür sprechen nicht bloß die unisraelitisch klingenden Namen לעג und דבע, (die L.-A. Ἰωβήλ kann nur ein Korruptel sein [Alex. hat wiederholt dafür Ἀβέδ], sondern ganz besonders Vers 26: םכשב ורבעיו ...לעג אביו, was sonst nicht verständlich ist. Es wird aber verständlich, wenn man ץראב אביו »er kam ins Land«, dazu ergänzt. Ferner spricht dafür, daß Gaal, der Urheber der Empörung, lediglich aus Sichem ausgewiesen und nicht am Leben bestraft wurde – eben weil er ein Ausländer war und unter dem Schutze des תירב לעב stand.


47 Vers 9, 28 ist sehr dunkel, namentlich wenn ודבע als Imperativ verstanden wird. Die griechische Version las dafür ודבע [awdo] δοῦλος αὐτου σὺν τοῖς ἀνδράσιν Ἐμμώρ κτλ., was noch weniger Sinn gibt. Besser stimmt die syrische Version הנדקופ ינשד לבזו חלפ [ ? mit Patach] רומח ישנאל. Sie las דבע [awad]. Sebul war untertänig den Leuten des Chamor d.h. den Chiwwiten. So erhält der Vers einen leidlichen Sinn. Schwierig ist nur die Frage םכש ימו, und es wird nicht durch die L.-A. der Septuaginta gebessert υἱὸς Συχέμ; es könnte den Sinn haben: was bedeutet Abimelech gegenüber der Stadt Sichem?


48 Man braucht sich mit Ewald gar nicht so anzustrengen, um einen Sinn in Vers 29 zu finden und braucht nicht unsinnige Emendationen לעגל statt ךלמיבאל zu machen. LXX lasen καὶ ἐρῶ πρὸς αὐτόν, also ךלמיבאל רמואו [veomer] statt רמאיו [vajomer] [so auch Oettli und bei Kittel].


49 םכש-לדגמ ist eine Stadt wie דג-לדגמ (Jos. 15, 37), לא-לדגמ (Jos. 19, 38) und andere dieses Namens. Was חרצ dabei bedeutet, ist nicht klar. Gleich arx, castellum kann es unmöglich sein, da es nach I. Sam. 13, 6 eher ein unterirdischer Gang zu sein scheint.


50 Richter 10, 1. Sämtliche Versionen faßten ודוד ןב, als Sohn des Oheims von Abimelech auf. Es war also eine Art Continuum. Über den Namen vgl. Genesis 46, 13. Numeri 26, 23.


51 S. Note 12.


52 Richter 10, 7 ist angegeben, Gott habe die Israeliten preisgegeben in die Hand der Philister und Ammoniter, d.h. also zu gleicher Zeit. Darauf wird zuerst der Kampf mit den Ammonitern und von Kap. 13 an Simsons Kampf gegen die Philister erzählt. Schwierig ist in 10, 8 איהה הנשב; die griechische Version hat dafür ἐν καιρῷ τούτῳ und die syrische אהה הנשמ. Es scheint in diesem Verse eine Lücke zu sein, und zwar muß das Subjekt ןומע ינב wiederholt gewesen sein. Vaihingers Emendation dieser Stelle ist unannehmbar (Herzog, Realenzykl. XI, 574).


53 Vgl. Ritter II, 11-18 f.


54 Folgt aus Richter 10, 9 ff.


55 Folgt aus Richter 15, 9 ff.


56 Folgt aus Richter 12, 1-3.


57 Die Richt. 12, 1 genannte Stadt ist dieselbe, die in Josua 13, 27 vorkommt; sie lag in der östlichen Jordanaue. Wahrscheinlich ist die Identifizierung derselben mit der zur Zeit der Griechen genannten Stadt Ἀμαϑοῦς, jetzt Amateh unweit des Wady Ragib, nach dem jerusal. Talmud (Schebiith IX, 2.) וז ןופצ. ותמע. [S. jedoch Buhl S. 259.] Dann lag Zaphon gerade dem Gebiete Ephraims gegenüber, unweit des Jordan.


58 Der letzte Halbvers 12, 4 ist dunkel.


59 Richter 15, 9 f.


60 Vgl. Note 7.


61 Das Etam Richt. 15, 11 kann unmöglich identisch sein mit dem südlich von Bethlehem unweit der Salomonsteiche gelegenen, sondern muß in der Nähe von Thimna oder Askalon gewesen sein; und יחל oder תמר יחל kann nicht weit entfernt davon gelegen haben.


62 Daß der Küstenstrich von Karmel bis Akko exkl. zu Ascher gehört hat, wird allgemein zugegeben, folgt auch aus Josua und ist deutlich genug im Deborahliede [v. 17] angegeben. ויצרפמ לעו םימי ףוחל בשי רשא ןוכשי. Sebulon dagegen hatte seinen Anteil an und bei dem Thabor (vgl. Note 5). Und doch heißt es im Segen Jakobs [Gen. 49, 13] in derselben Ausdrucksweise wie im Liede der Deborah von Ascher: ןולובז ןדיצ לע ותכריו תינא ףוחל אוהו ןכשי םימי ףוחל. Also besaß Sebulon das Gestadeland bis Akko. Ähnlich heißt es im Segen Moses (Deuteron. 33, 19), daß sie, Sebulon und sogar Isaschar, den Reichtum des Meeres saugen: וקניי םימי עפש יכ. Josephus setzt daher mit Recht Sebulons Anteil vom Genesaret bis zum Karmel und dem Meere (Altert. V, 1, 22): Ζαβουλωνῖται δὲ τὴν μέχρι Γεννƞσαρίτιδος καϑήκουσαν δὲ περὶ Κάρμƞλον καὶ ϑάλασσαν ἔλαχον. Wie ging das zu? die Geographen sind irre daran geworden. Das Sachverhältnis ist nur so denkbar, daß zur Zeit Deborahs Ascher noch die Küste besaß, daß sie aber später in den Besitz Sebulons kam.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1, S. 127.
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