D. Gedenktage aus der römischen Epoche.

[573] Es sind nur wenige Tage aus dieser Zeit aufgezeichnet im Verhältnis zu der größeren Zahl der Siegestage aus der syrischen Zeit. Aber auch diese wenigen zeugen von der lebendigen Beteiligung der Vertreter des Judentums und der Nation an den glücklichen Ereignissen dieser Zeit. Der Gedenktag für Herodes' Tod gehört ebenfalls in diese Gruppe, da er eigentlich als Römling verhaßt war.

22) Herodes' Todestag, 2. Schebat (25). Es ist schon erwähnt (o. S. 571), daß weder bei diesem Gedenktag, noch bei dem des 7. Kislew in der Aufschrift irgend eine Motivierung angegeben ist, sondern daß beide ganz trocken durch die Formel: בוט םוי und םוי דפסמל אלד בוט ausgedrückt werden. Das Scholion setzt bei diesem Herodes' und bei jenem Jannaïs Tod an. Da es schwerlich die Motive für diese Gedenktage erfunden hat, so müssen sie traditionell gewesen sein. Herodes ist indessen nach Josephus' Angabe im Nissan oder frühestens im Adar gestorben, da die siebentägige Trauer um ihn erst gegen das Passahfest zu Ende ging (Altert. XVII, 8, 4). Man muß also annehmen, daß zur Zeit der öffentlichen Begehung dieses Gedenktages – gewiß erst nach Archelaus' Verbannung oder vielleicht noch später nach Beseitigung der Herodianer – Herodes' Todestag nicht mehr in sicherer Erinnerung geblieben war. Aber so viel ist sicher, daß das Scholion die Todestage des Jannaï und Herodes verwechselt hat. Es scheint aber durch Verkennung eines Namens zu dem Irrtum verleitet worden zu sein. Es berichtet zum Gedenktage des Monats Schebat von dem Befehle, 70 judäische Gesetzeslehrer an dem Todestage hinzurichten, und daß eine Frau Salominon diesen Befehl nach dem Tode des Tyrannen unausgeführt gelassen habe. Nach Josephus (das. 8, 2, jüd. Krieg I, 33, 6) war der Tyrann Herodes und die Befreierin seine Schwester Salome. Da der Scholiast aber nur die Königin Salominon, Jannaïs Frau, kannte, so hat er diese mit Herodes' Schwester verwechselt, das Faktum von dem Blutbefehl dem Könige Jannaï zugeschrieben und demgemäß auch Jannaïs Tod in den Schebat gesetzt. Einen Anhaltspunkt dafür, daß Herodes' Todestag als Festtag gefeiert wurde, gibt auch Josephus. Er läßt Herodes in der Vorahnung seines Todes sprechen: »ich weiß, die Judäer werden meinen Todestag feiertägig begehen« (jüd. Krieg das.): οἶδα, Ἰουδαίους τὸν ἐμὸν ἑορτάσοντας ϑάνατον.

23) Das Eintreffen der Nachricht vom Tode des Kaisers Cajus Caligula und das Unterbleiben des Befehls, das kaiserliche Standbild im Tempel aufzustellen, 22. Schebat, (26). Vergl. darüber Note 21.

24) Das Einstellen der Steuerleistungen an die Römer, 25. Siwan (9). So glaube ich diesen Gedenktag erklären zu können. Vor allem spricht der Wortlaut dafür; denn die יאנסומיד, welche aus Judäa und Jerusalem vertrieben [573] worden seien, bedeuten nichts anderes als Zöllner δƞμοσιῶναι = publicani. Dann spricht die ganz bestimmte Nachricht des Josephus dafür, daß im ersten Stadium des Aufstandes gegen die Römer die Steuerzahlungen eingestellt worden sind. Der König Agrippa machte dem Volke deswegen Vorwürfe und hielt diesen Akt mit Recht für den Abfall von Rom: Ἀλλὰ τὰ ἔργα Ρωμαίοις ἤδƞ πολεμούντων ἐοτίν, οὔτε γὰρ Καίσαρι δεδώκατε τὸν φόρον (jüd. Krieg II, 16, 5). Sogar die Zeit der Steuerverweigerung läßt sich annäherungsweise ermitteln; sie fällt zwischen den Tag nach Florus' Abzug, 16. oder 17. Ijar, und die Zeit, in welcher Agrippa das Volk zur Unterwerfung aufgefordert hat. Dieses letztere geschah noch vor dem beginnenden Parteikampfe in Jerusalem, also vor dem Monat Ab (vergl. Josephus das. 17, 5), mithin ist die Steuerzahlung zwischen den Monaten Ijar und Ab eingestellt worden, und zwar näher zu Ijar als zu Ab; denn nach Agrippas Abzug begann das Einstellen des Opfers für den Kaiser, die Absendung von Abgeordneten an Florus und Agrippa, und der Einzug der Truppen (Josephus das. 17, 2-4). So dürfte das Datum des 25. Siwan für die Vertreibung der Zöllner seine volle Richtigkeit haben. Der Talmud gibt zu diesem Tage eine Motivierung, die nichts weniger als zutreffend ist (Sanhedrin 91 b) und auch in das Scholion übergegangen ist. Das Wort יאנסומיד, auf welches hier am meisten Gewicht zu legen ist, bleibt dabei ganz unerklärt; Raschis Erklärung durch Prozeßsüchtige ןיררועמ ist ganz ungerechtfertigt. Der Midrasch zu Genesis c. 61 hat übrigens dieselbe Relation mit einigen Varianten, ohne sie jedoch mit der Vertreibung der Demosnaï in Zusammenhang zu bringen. [Herzfeld (a.a.O. I, 408) möchte hier vielleicht mit größerem Recht an die Entfernung der fremden Steuerpächter zur Zeit des Tobiaden Joseph denken. Dagegen ist die Beziehung Dalmans (a.a.O. S. 33) auf I. Makk. 13, 39 wenig einleuchtend.].

25) Vertreibung der Römer aus Judäa und Jerusalem, 17. Elul (14). Dieser Gedenktag hat den Kritikern viel zu schaffen gemacht und die wunderlichsten Erklärungen zutage gefördert, und doch sagt er nichts anderes, als was der Wortlaut bedeutet: die Vertreibung der Römer aus Jerusalem. Am 6. Elul (Gorpiaios) streckten die Truppen Agrippas die Waffen vor den Zelotenführern Eleasar ben Anania und Menahem; die römische Besatzung unter Metilius setzte den Kampf noch einige Zeit fort – wie lange, gibt die Quelle nicht an – bis auch sie gezwungen war, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben (Josephus, jüd. Kr. II, 17, 8 bis 10). Am 17. Elul war also in Jerusalem und dem eigentlichen Judäa kein Römer zu erblicken. Diesem hochwichtigen Ereignis ist der Gedenktag gewidmet. Die konfuse, sich selbst widersprechende Motivierung des Scholiasten verdient keine Auseinandersetzung.

26-27) Aus der römischen Zeit scheinen noch zwei Gedenktage zu stammen, nämlich der 16. Adar zur Erinnerung an den Beginn des Baues der Mauern Jerusalems (32) und der 7. Elul (13) zur Erinnerung an die Einweihung derselben. Diese Gedenktage müssen sich durchaus auf eine Zeit beziehen, in welcher der Aufbau der Mauern für so denkwürdig und wichtig galt, daß diesen Gedenktagen eine höhere Bedeutung durch das Unterlassen von öffentlicher Trauer beigelegt wurde. Bei beiden heißt es דפסמל אלד. Es ist bereits oben (S. 563) angegeben, daß das Scholion, entweder von der Tradition geleitet, oder mit richtigem Takt den Bau der Mauern in Verbindung mit der Erweiterung Jerusalems bringt.

[574] Josephus erzählt, daß, als durch das Anwachsen der Bevölkerung Jerusalems zuerst der Stadtteil nördlich vom Tempel zur Stadt geschlagen und dann auch der Hügel Bezetha ringsherum besiedelt worden war, Agrippa die dritte Mauer um die neuerstandene Stadt aufgeführt habe (jüd. Krieg V, 4, 2): τοῠτο (τὸ τρίτον τεῖχος) τῇ προςκτισϑείσς πόλει περιέϑƞκεν Ἀγρίππας, ἥπερ ἦν πᾶσα γυμνἠ: πλἠϑει γὰρ ὑπερχεομένƞ κατὰ μικρὸν ἐξεῖρπε τῶν περιβόλων, καὶ τοῠ ἱεροῠ τὰ προσάρκτια πρὸς τῷ λόφῳ συμπολίζοντες, ἐπ᾽ οὐκ ὀλίγον προῆλϑον, καὶ τέταρτον περιοικƞϑῆναι λόφον, ὅς καλεῖται Βεζεϑά. Über die Lage von Bezetha vergl. Note 22. Hier nur so viel, daß Josephus unzweideutig von zweierlei Erweiterungen Jerusalems im Norden spricht; zuerst wurde der Teil an dem Hügel Bezetha zur Stadt gezogen, und dann bei noch mehr zunehmender Bevölkerung auch der Hügel selbst. An anderen Stellen nennt Josephus diesen Stadtteil die Neustadt, und (das. V, 12, 2) spricht er von der untern Neustadt (ἐπὶ τὴν κατωτέρω Καινόπολιν ƞγε τὸ τεῖχος [ὁ Τίτος]). Wir sind demnach berechtigt, zweierlei Erweiterungen der Stadt oder der Bezetha anzunehmen, zuerst die Hinzunahme des unteren Teiles am Hügel und dann die des Hügels selbst. Den letzteren hatte Agrippa mit einer starken Mauer umgeben, mußte aber auf Claudius' Befehl die Arbeit einstellen lassen (Altert. XIX, 7, 2). Auch die talmudischen Quellen sprechen von zwei neuen Stadtteilen, einem untern und obern (הנותחתה הנוילעהו) von denen der erstere vollständig konsekriert worden war und den Teilen der Altstadt ganz gleich galt, während der höhere nicht nach Vorschrift konsekriert worden war und daher nur dem Volke, nicht aber den Gesetzesstrengen (םירבח), als Teil Jerusalems galt; vergl. die Stelle Note 22. Die Konsekration eines zu Jerusalem geschlagenen Stadtteils erfolgte durch Einschließung desselben vermittelst einer Mauer unter Zeremonien, wie zur Zeit Nehemias.

Vergegenwärtigen wir uns die Lage. Als die Bevölkerung zunahm und sich nur nach der Nordseite hin anbauen konnte, entstand eine Verlegenheit. Die Festopferteile und der zweite Zehnte, ganz besonders aber das Passahlamm, sollten in Jerusalem innerhalb der Mauer (המוחה ןמ םינפל) verzehrt werden. So lange also der neue Stadtteil nicht umwallt und konsekriert war, mußte die dort wohnende Bevölkerung sich jedesmal in die Alkstadt begeben, um ihre geweihten Mahle zu halten. Noch größer war die Verlegenheit für die zahlreichen Auswärtigen, die zur Passahzeit nach Jerusalem zu kommen pflegten. Ein großer Teil von ihnen mußte in der Vorstadt ein Unterkommen suchen, konnte aber da nicht das Passahlamm verzehren. Es galt daher als ein höchst wichtiger Akt, die Neustadt mit einer Mauer zu umgeben und sie einzuweihen. Die Bewohner derselben und die Fremden konnten seit der Zeit auch hier ihrer Pflicht genügen. Auf diesen Vorgang scheinen sich die beiden Gedenktage zu beziehen: der 16. Adar, an dem die Mauer um die Neustadt Jerusalems begonnen wurde: ינבמל וירש, und der 7. Elul, an dem sie vollendet war. Das Scholion bezieht auch diesen Gedenktag auf die Konsekrierung des neuen Stadtteils םוי והואשע םויה ותוא ותונבל ורמגשכו בוט. Es ist indessen fraglich, ob diese Konsekrierung eines Teils der Bezetha erst unter Agrippa I. oder schon früher erfolgt ist (vgl. o. S. 563). Beide Akte, durch welche die Vergrößerung Jerusalems und die Erleichterung der Gesetzeserfüllung herbeigeführt wurde, waren wichtig genug, um ihnen eine besondere Bedeutsamkeit beizulegen und öffentliche Trauer an den Tagen, die einer solchen Erinnerung galten, zu unterlassen.

28) Gedenktag für die Restauration der eigenen Gerichtsbarkeit (12), 24. Ab, nach L.-A. des Talmud im Monat Tebet (Baba Batra 115 b). Das Motiv [575] ist im Talmud angegeben, und das Scholion hat es aufgenommen, aber ungeschickter Weise [vgl. hierzu meine Darlegungen in der M. S. XXV, S. 410 ff und XXVI, S. 141 ff] mit einer anderen Begebenheit in Zusammenhang gebracht. In einem Atem erzählt es: während der griechischen Zwingherrschaft sei den Judäern die fremde Rechtspraxis aufgezwungen worden, und die Sadduzäer hätten ein verschiedenes Erbrecht eingeführt, und wegen dessen sei der Gedenktag eingesetzt worden: םיקודצהש ינפמ םירכנ ינידב םינד ויה ןוי תוכלמ ימיב םינד ויהו םולטב יאנומשח תיב די הרבגשכו ... שרית םירמוא לארשי ינידב. Undenkbar ist es überhaupt, daß wegen des Sieges über die Sadduzäer bezüglich des Erbrechtes für einen selten eintretenden Fall ein Gedenktag in Gebrauch gekommen sein sollte. Indessen der Ausdruck אננידל אנבת, »wir sind zu unserem Gesetze zurückgekehrt«, deutet ein anderes Moment an. Es liegt zunächst darin, daß die Begebenheit, welche dem Tage zu Grunde lag, den Diaskeuasten noch erinnerlich war, und daß es sich um die Restitution der eigenen Gerichtsbarkeit handelte. Nun war unter der Herrschaft der römischen Prokuratoren den judäischen Gerichten die peinliche Gerichtsbarkeit entzogen; diese wurde ihnen restituiert während Agrippas I. Regierungszeit (40-44) und nach dem Ausbruch der Revolution. Auf das eine oder andere Faktum bezieht sich wohl dieser Gedenktag [Anders, aber kaum richtig, Dalman a.a.O. S. 33].


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1906, Band 3.2, S. 573-576.
Lizenz:
Faksimiles:
573 | 574 | 575 | 576
Kategorien:

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon