9. Die Judenverfolgung in York und Bray.

[392] Ephraim von Bonn, welcher ein Martyrologium seiner Zeit vom zweiten Kreuzzuge bis zum Jahre 1196 geschrieben hat (gedruckt als Beilage zur deutschen Übersetzung des Emek ha-Bacha, Leipzig 1858), berichtet auch über die überschriebenen Judenverfolgungen. Aber die Handschrift, der dieser Konteros entlehnt ist, hat eine stark korrumpierte Gestalt, und der Text bedarf der nachhelfenden Hand der Kritik. Namentlich müssen die Data berichtigt werden. Er gibt nämlich an, die Verfolgung in York habe im Jahre 1191 stattgefunden, und zwar am Sabbat vor dem Passahfeste, dem großen Sabbat (S. 10): תנשב ךכ רחא ארטלגנאב רשא ךו"רבא ריעב 'ה םע לע םיעוט ואב א"נקתת תיב לא וחרביו שנועלו סנואל ךפהנ סנה תעו לודגה תבשב תושפנ 'סכ טחשיו בוט םוי ר"רה דומעיו הלפתה. Der zeitgenössische Annalist aber, Wilhelm aus Neubury, welcher diese Judenverfolgung in England ausführlich beschreibt, setzt das Gemetzel in York ein Jahr vorher, nicht lange nach Richards Abreise nach Frankreich, um die Rüstungen zum dritten Kreuzzuge zu treffen. Des Tages Datum ist bei ihm wie bei Ephraim dasselbe, nämlich das Ende der Verfolgung und namentlich die Belagerung der Burg von York am Sabbat vor dem Palmsonntag: sane tempore dominicae passionis, pridie scilicet ante dominicam palmarum talia Eboracis (Judaeis) contigerunt (rerum Anglicarum historia IV, 10 Ende, in Catuats Rerum Britannicarum scriptores vetustiores, Lyon 1587). Auch der Zeitgenosse Radulph de Diceto setzt diese Verfolgung an im Jahre 1190 und näher am 17. der Aprilischen Kalenden: septimo decimo calend. April. apud Eboracum sicut dicitur, fere quingenti neci traditi sunt (Judaei), mutuis sese vulneribus appetentes (Imagines historiarum in Twydens Historiae Anglicanae scriptores decem p. 651).

Halten wir die Angabe fest, daß die Verfolgung einerseits am לודגה תבש, anderseits am Sonnabend vor dem Palmsonntage, und zwar im März, stattgefunden hat, so wird sich Jahr und Tag genau ermitteln lassen. Im Jahre 1191 kann das Faktum nicht vorgefallen sein; denn damals fiel der große Sabbat auf den 6. April. Dagegen traf er im Jahre 1190 auf den 17. März, gerade auf den Sabbat vor dem Palmsonntag. Bei de Diceto muß man demnach emendieren XVII. Calend. April. in XVI. Das übrige, was Ephraim darüber berichtet, stimmt mit den Angaben Wilhelms aus [392] Neubury überein. In betreff der Zahl der Märtyrer weicht er von de Diceto ab: dieser hat 500, Ephraim nur 250.

Ephraims Angabe in betreff der Verfolgung in Bray läßt sich beleuchten aus Rigords Bericht über denselben Vorfall (de gestis Philippi bei Duchesne V, und Bouquet, Recueil XVII). Das Jahr ist bei Ephraim nicht deutlich angegeben, wohl aber Monat und Tag, an welchem die Gemeinde zu Bray den Mörder eines Juden hingerichtet hat, infolgedessen Philipp August intervenierte und ein Blutbad anrichtete. Es heißt bei ihm: ידוהי תפרצב רשא שי"ירב ריעב דחא עשר יוג חצר יכ ךלמ דבע היה חצורהו ץראה תרבג לא וקעציו ויבורק ואוביו דחא עמשיו ,םירופ םויב והולתיו חצורה תולתל דחוש הל ןתיו תפרצ .םידוהיה תא ףורשל וציו שי"ירב לא אביו – תפרצ ךלמ Aus Rigord läßt sich das Datum genau fixieren. Er berichtet: Philipp August hatte während seines Aufenthalts in St. Germain am XIV. Calend. April. 1191 erfahren, daß die Juden in Bray mit Erlaubnis der Gräfin von Champagne einen Christen wegen angeblichen Mordes hingerichtet hätten, und eilte dahin, um strenge Strafe zu üben: ejusdem anni (1191) XIV. Calend. April. Philippus rex existens apud Sanctam Germanam de Laia, audita cujusdam Christiani morte ignominiosa a Judaeis perpetrata – subito – – iter arripuit – et ad Castrum quod Braïam vocant velociter volat – positis custodibus et comprehensis Judaeis octoginta et eo amplius fecit comburi. Comitissa enim (Campaniae) ipsius Castri magnis Judaeorum muneribus corrupta – tradiderat eis quendam Christianum cui falso imponebant furtum et homicidium; XIV. Calend. April. = 19. März 1191; Purim fiel damals auf den 12. März. Also acht Tage nach der Exekution büßte die Gemeinde von Bray dafür, daß sie mit Erlaubnis der Landesfürstin einen Mörder hinrichtete. Die Strenge, mit welcher Philipp August verfuhr, läßt sich aus Ephraims Angabe erklären, weil der hingerichtete Christ sein Untertan war: תפרצ ךלמ דבע היה חצורהו. – Die Zahl der jüdischen Märtyrer in Bray gibt Wilhelm Brita (a.a.O.) genauer an:


Quotquot apud Braïam Judaeos repperit, omnes

Igni supposito Domini pugil incineravit

Nonaginta novem – – – –


Merkwürdigerweise spielt im Texte von Ephraims Martyrologium ein Rabbi Jom-Tob in beiden Verfolgungen zu York und Bray dieselbe Rolle. Er schlachtet ungefähr 60 Personen mit ihrer Einwilligung, um der Taufe und der Beschimpfung zu entgehen. Bei dem Vorfall in York heißt es: טחשיו בוט םוי ר"רה דומעיו וטחש םירחא םגו תושפנ 'פכ, und ebenso bei dem in Bray: םתצקמו שפנ 'סכ ודיב טוחשיו ל"צז בוט םוי ר"רה דומעיו םשה דוחי לע ופרשנ. Es ist gar nicht denkbar, daß gerade bei beiden Vorfällen eine Person desselben Namens die gleiche Zahl zu Märtyrern gemacht haben soll. Noch mehr; der Rabbi Jom-Tob, von dem hier die Rede ist, ist sicherlich identisch mit Rabbi Jom-Tob aus Joigny (ינוימ בוט םוי 'ר) und mit Rabbi Jom- Tob dem Heiligen oder Märtyrer (שודקה בוט םוי 'ר; vgl. Tossafot Joma 48a, Keritot 14b, o. S. 225). Ist dieser nun als Märtyrer bei York gefallen, so kann er nicht dieselbe Rolle als mutiger Vollstrecker der Selbstentleibung in Bray gespielt haben. Ist er aber in Bray 1191 umgekommen, so kann der bei dem Vorfalle in York genannte Rabbi Jom-Tob [393] nicht identisch sein mit dem Märtyrer. Offenbar ist der Passus: ר"רה דומעיו תושפנ 'סכ טוחשיו בוט םוי ein lapsus calami eines Kopisten, der ihn an unrechter Stelle angebracht hat. Welches ist aber die rechte und welches die unrechte Stelle? Aus einer Bemerkung von Wilhelm von Neubury läßt es sich einigermaßen entscheiden. Er bemerkt nämlich (a.a.O. IV, 10) bei dem Vorfall in York: erat ibi senior legis famosissimus doctor, qui ad docendos Judaeos Anglicanos ex partibus venerat transmarinis. Dieser hat die in der Burg eingeschlossenen Juden von York überredet, sich selbst zu entleiben, und hat zuerst Hand an sie gelegt. Es war also ein Franzose und nichts ist dagegen, daß es Jom-Tob aus Joigny, der berühmte Tossasist und Märtyrer war. Es läßt sich wohl denken, daß dieser Rabbiner der angesehenen und reichen Gemeinde von York gewesen war. Was sollte er aber in der ganz winzigen Gemeinde Bray gemacht haben?


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1896], Band 6, S. 392-394.
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