8. Alter und Bedeutung der kabbalistischen Schriften Kana und Pelia.

[449] Die Kabbala hat, seitdem sie ihr Centrum im Buche Sohar gefunden, bis zum Auftreten des Isaak Lurja keinen wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie bewegte sich stets in ihrem engen Kreise nebelhafter Vorstellungen, Deutungen und Declamationen. Einen einigermaßen abweichenden Charakter haben zwei Schriften, welche ihrem Inhalte nach noch wenig bekannt sind: Das Buch Kana (הנקה רפס öfter edirt) über die religiösen Vorschriften (תוצמה לע) und das Buch Pelia (הבילפ, einmal edirt Korez 1784, die Handschriften häufiger als die gedruckten Exemplare) über den pentateuchischen Abschnitt תישארב. Beide haben einen eigenthümlichen Zug, der ihnen das Ansehen giebt, als wollte ihre kabbalistische Theorie sich gegen den Talmudismus kehren. Doch ehe wir auf den Inhalt näher eingehen, müssen die Präliminarien über Identität beider Schriften, Zeit, Verfasserschaft und Vaterland derselben erledigt werden.

[449] Daß beide kabbalistische Schriften (welche manche Bibliographen fälschlich für völlig identisch gehalten haben) aus einem Gusse sind und von einem Vater stammen, erkennt der Leser an jeder Zeile. Beide beginnen mit denselben Einleitungsworten: Pelia: רמא םר תחפשממ רודגיבא ןב הנקלא, und Kana: ןבא הנק רמא הנקה ןב הינוחנ 'ד תחפשממ אוה ... םר תחפשממ םיחנ ונב רודג. Die Gedankengleichheit beider wird sich weiter unten noch mehr herausstellen. Was die Zeit betrifft, so giebt Kanaan, daß von den drei darin auftretenden Hauptpersonen: Vater, Sohn und Enkel, der erstere im Jahre 4000 der Welt = 240 chr. Z. einen Traum gehabt habe. Allein schon der Kabbalist Asulaï zweifelte an der Richtigkeit dieses Datums, da später lebende talmudische Autoritäten darin genannt werden (םש םילודגה II. Ende Buchstabe ם und s.v. הנק). Seine Jugend verräth das Buch Pelia durch Nennung der Gaonen (in der langen Abhandlung von den sechs Ordnungen der Mischnah): םילודגה םינואגהמ ןואג יפמ. Jellinek hat nachgewiesen, daß dasselbe Buch Plagiate enthält nicht nur aus Schriften des Jona Gerundi, sondern auch des Abraham Abulafia, des Mose de Leon, des Joseph G'ikatilla, des Recanati und aus dem Tur des Jakob Ascheri, kurz aus Schriften des 13 ten und 14 ten Jahrhunderts (Bet ha-Midrasch III, Einleit. XXXVIII f.). Der Verf. kennt auch den Bahir unter dem Namen הנקה ןב הינוחנ 'ר שרדמ (K. p. 47 d): ונב דוע ?תיציצב תלכתו ןיטוח ב"ל המ ינפמ רמא הנקה ןב הינוחנ 'רש 'וכו ךלמל לשמ, auch andere Stellen in K. und P. Und dieses Machwerk aus dem Conventikel der Kabbalisten Esra und Usriel ist erwiesenermaßen in den ersten vier Jahrzehnten des XIII. Jahrhunderts in die Welt gesetzt worden (Monatsschrift, Jahrg. 1887, S. 299). Da nun beide Werke das Jahr 1490 als das messianische Erlösungsjahr nach kabbalistischen Berechnungen angeben (P. p. 39 ms. folio der Bibliothek meines verstorbenen gelehrten Freundes Raphael Kirchheim, und in K. zweimal), so haben die Bibliographen, Wolf und andere, mit Recht angenommen, daß beide nicht lange vorher verfaßt wurden, und also dem fünfzehnten Jahrhundert angehören. Denn oft eitirt werden die beiden Schriften erst von rabbinischen Autoritäten des sechzehnten Jahrhunderts, dagegen die des vorhergehenden Jahrhunderts, so weit deren literarische Erzeugnisse uns vorliegen, kennen sie nicht, d.h. berufen sich nicht darauf. Durch den Einfluß der Kabbala oder des Sohar haben nämlich einige Hyperreligiöse den Brauch einführen wollen, zum Schlusse der Schemá-Partie im Gebete die letzten drei Worte zu wiederholen, um die mystische Anzahl von 248 Wörtern zu vervollständigen. Im Sohar heißt es nämlich: man soll die drei Wörter תמא םכיהלא 'ה wiederholen; eine andere Lesart im Sohar lautete, zu wiederholen םכיהלא 'ה ינא. Gegen diese Wiederholung waren aber gewichtige Bedenken von Seiten des Talmuds, der namentlich das Repetiren von תמא geradezu verbietet. Nun empfehlen die beiden kabbalistischen Schriften Kana nnd Pelia das םכיהלא 'ה ינא. Von den vielen rabbinischen Autoritäten des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts beruft sich dabei keiner auf diese Schriften, z. B. Simon Duran II. (Respp. ןיכי זעבו II. No. 2 [geb. 1437, gest. nach 1509]). Er beruft sich dafür auf seinen Großvater Simon Duran I., seinen Vater Salomo Duran I., seinen Bruder Zemach Duran, von denen keiner etwas von Kana und Pelia gewußt hat. Auch Mose Alaschkar (gest. nach 1531), der die Frage über das Gestattetsein der Wiederholung ventilirt und den Sohar dabei citirt (Respp. No. 66), kennt das Vorhandensein dieser kabbalistischen Schriften nicht. Eben so wenig Levi ben Chabib, der sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt (Respp. No. 73), ja nicht einmal eine der ersten polnisch-rabbinischen Autoritäten des XVI. Saecul., Salomon Lurja (Respp. No. 64). Die ersten, die [450] das Buch Kana dagegen citiren, sind Elia Misrachi (gest. zwischen 1525 und 1527, in dessen Respp. No. 1) und David Ibn-Abi Simra (ז"בדר gest. nach oder um 1570, Respp. ed. Livorno No. 55); aber der letztere verwirft zugleich dessen Autorität: תוצמה לע הנקה רפסב אצמנש יפ לע ףאי םשמ ורמאש ךומסל יואר שרדמה לע ,םכיהלא 'ה ינא רזו?ש םיאנתה. Nach ihnen bezeugt Kana der Kabbalist Joseph Karo im ףסוי תיב zu Orach Chajim No. 61. Das ist wohl Beweis genug, daß der Verfasser der beiden kabbalistischen Schriften keine alte Autorität ist.

Den Verfasser nennen einige Autoren Abigedor, und Spätere haben daraus gar Abigedor Kara ge macht; vergl. Asulaï a.a.O. Artikel האילפ. Allein sie ließen sich sämmtlich durch die Oberfläche täuschen. Der Name רודג יבא oder רודג ןבא ist ein allegorischer und soll bedeuten, der Mann, welcher die Risse, d.h. kritische Einwürfe gegen die Gebote des Judenthums, wiederherstellt, gleich רדגה לעב. So in Kana ed. Porizk p. 6 b, 16 b (bis): רדגה לעב רודג ןבא ירבד הלאו לא תדוהב, p. 11 d unten: רדג רשא רודג ןבא ירבד הלאו .הרותב Der Verfasser ist unbekannt, wie die Verfasser vieler pseudo-epigraphischer Schriften. Was das Vaterland betrifft, so kann ich Jellinek nicht zustimmen, daß es Italien oder Griechenland gewesen wäre, weil die Begründung gar zu schwach erscheint: »denn nur in diesen Ländern konnte sich ein so fanatischer Anhänger Abulafia's herausbilden«. Muß denn der Verfasser ein Anhänger dieses Schwärmers gewesen sein, wenn er mindestens 150 Jahre später dessen Schriften gelesen und sich unter vielem Andern Manches daraus angeeignet hat? Nein, in diesen Ländern kann sich der Verfasser des Kana und Pelia nicht gebildet haben, weil die Juden dieser Länder nicht alle jene Phasen durchgemacht hatten, um zu einer so kühnen antitalmudischen Kritik zu gelangen. Nur Spanien, wo zugleich die Kabbala und die Skepsis heimisch waren, vermochte solche Produktionen hervorzubringen. Nur hier, wo im Contact der Geister, der confessionellen Controversen und Disputationen die Dinge beim rechten Namen genannt und die verhüllenden Schleier von der einen oder der andern Seite entfernt wurden, nur hier konnte sich eine so rücksichtslose Kritik geltend machen.

Auf Spanien weisen auch viele Momente in diesen kabbalistischen Schriften hin. Schon die Bezeichnung des Namens der einen Figur mit רודג ןבא, welcher in Kana konstant festgehalten ist, neben רודג יבא in Pelia, spricht dafür, daß der Verfasser ein Spanier war, wo nach arabischem Muster die Formen ןבא und יבא, spanisch: Aven und Avi, promiscue im Gebrauche waren. Auf Spanien allein paßt die Voraussetzung in Kana (p. 16 a), daß die Juden durch Uebertritt zum Christenthum sich Ansehen und Macht erworben und fremde Frauen geheirathet haben: תונקל םידמתשמ ויהו תוירבנ םישנ םהל ןיאשונ ויהו הלשממו תוכלמ םהל. Pelia klagt seine Zeitgenossen an, daß sie Wein, von Mohammedanern bereitet, tränken und meinten, solcher sei talmudisch nicht verboten (Bl. 278 r nach dem Kirchheim'schen Codex): רמול רבדב רתיה ראצמ הנאו ךסנתמ וניא לאעמשי ןייש. Verkehr von Juden mit Mohammedanern gab es damals in Europa nur in Spanien, allerdings auch in der Berberei und im Orient, aber an diese Länder ist dabei nicht zu denken. Der Verfasser erhebt Klagen gegen seine Zeitgenossen, daß sie sich in ihrer Schlemmerei über Gebote des Judenthums leichtsinnig hinwegsetzen (Kana, p. 113 c): ... תורובח םיבשוי ... םינעלב ינב םינעלב ץראה ימע םכל יו םניא םשהמו ??אמ אצי רשא דע םיתושו םילכואו לכאל תורובח םדי ובישי אל רומג ךסנ ןייו הלבנ רשב םהל ואיבי םאו .םיאדי .םהמע חמשו םהיניב דקרמ ןטשהו .םהמ Er rügt an manchen Rabbinen, daß sie sich sogar über talmudische Aussprüche lustig machen, Vieles für müßige Träume ausgeben und wenig gewissenhaft in [451] Betreff der Ritualien sind (Pelia, Bl. 229, 230 in Betreff der Controverse zwischen Rabbi Elieser und den Weisen wegen der Tochterstimme im Talmud): םירבדה ולאו םירמואו תעדה ירסח ןקזה ילעב םילודגה םינברה םיחוד תודגאהו םניאו תורהזאב םירבועו תוצמב םיליקמו רבד הלא לכב ןיא היה לכהש םירמוא .רדג רודגלו רימחהל רעש דעו טוחמ םירהזנ םילטב םירבד אלב םולח ךל ןיאו םלצא םולח. Alles das ist nur in Spanien denkbar, wo Kapitalisten und Rentenpächter von den Königen oder Granden als Rabbinen und gar als Rabi-mor, Großrabbinen, ernannt wurden, und wo der naive Glaube unterwühlt und erschüttert war, aber in keinem andern europäischen und noch weniger orientalischen Lande. Der Verfasser kennt die gangbaren philosophischen Formeln (Pelia, Bl. 80r): טלמי אל םלועהש יבר ךל עד ... ךירצ ינא דומללו איה הרות תלע אלא םש היה אל וא .... ןומדק רמוח שי וא .םיכרד ינשמ תא ארב ה"בקה אלא (רמוח) םש היה אלש רמאת םאו ... תולעה ותומצע םשגתנש רמול אוה ךחרכ לע ןכ םא םלועה לכ. Kana referirt als Thatsache: die Ketzer, Philosophen und das Laienvolk spotten über talmudische Aussprüche und finden dadurch das ganze Judenthum lächerlich (p. 124 d): וא ועמש וא ואר םא תונידמה לכב ארק ךל ותו לפנש ודיגהו ורמא םא ... ךדגיו ךיבא לאש ןושאר רודל לאש אלה (תחא הטמב delend.) הלותבב רועמה עקתנו גגהמ םדא תולובחת ףלאבו תחא הטמב םינשי תויהל םיכירצ השאו שיא התורע תיארמו המורע הנשיש תאז איה השא המו .םירבהתמ אלש םינתונו םיאשונ אתירבה וזב התע ןכו .הלעב וניאשל ןיעבטומ ונאש םינימה ןיעמוש ולאב אצויכו ולא .... טפשמב םהל תראשנ תוקחש האלמ הרותה םירמואו ונב םילייטמו םכותב ךירצ ןיאו ונתרותב םיגיעלמ ונבש תוצראה ימע וליפאו .לארשיל יכאלממ םילודגו םיליעומ םהש הרות ירבדב םירפוכה רמול (?) תרשה. Die Polemik gegen die ketzerische Ansicht, daß die Ritualien nur für Palästina vorgeschrieben seien, außerhalb desselben, d.h. in der Diaspora dagegen keine Verbindlichkeit mehr haben (Kana, p. 15 d), hat nur Sinn, wenn es in Spanien verfaßt wurde. Denn in diesem Lande oder in dem damit zusammenhängenden Nordafrika hatte diese ketzerische Ansicht Vertreter unter den Juden gerade im fünfzehnten Jahrhundert. Vgl. Respp. זעבו ןיכי III, No. 134 p. 50 d von Zemach Duran: םתנומאב םיעגושמה םיעוטה ועטי רשאכ אל ץראב אלא תוגהונ תוצמה לכ ןיאש םרמאב הרס 'ה לע םירבודה הלילחו סח .ללכ הוצמ םוש תגהונ הניא ץראל הצוחב לבא וללה םיטושה תעדמ ןלציל אנמחרו. Ganz denselben Klang hat der Fluch in Kana: תוצמה רמואה אוה הזיאו הז אוה ימו חונ תמאב תושדחכ ויהי אלש ידכ אלא ץראל ץוחב לאשיל םה 'וכו םלועב ארבנ אלש ול . Die Ausfälle gegen die jüdischen Aerzte, welche ein Wohlleben führen (p. 10a): םונדעמ לכאל םיקדקדמה םיאפורה םה הואגה ילעבל עמשת אלו הב קזוי ןפ, dürfte ebenfalls auf Spanien hinweisen. Die grelle Anekdote von einem scheinfrommen, gelehrten und angesehenen Rabbinen, der in seinem Hause Leckerbissen und Concubinen hatte und sich zu einem scheußlich unmoralischen Epicuräismus bekannte, sie konnte nur in Spanien vorkommen oder fingirt werden (Kana, p. 26 a): יל ורמאו ... דחא ןקו םע יתדעותנ תחא םעפ רשויה יכרדב ונכירדמה .. הלענה וניברו ונרומ לודגה וננודא אוה תויוג םישגלפו םישנ יתיארו תיבל ינכילוהו ודיב ינחקל זא ..... ליחתהו ... םיהלא ארי אלו ... ןיי םיאלמ תויבח ותיבב תוחפשו בזט לכ תוארל םיניע ול השעו םדאה תא ארב ה"בקה ... יל רמאי ול השע .ויניע ןוצר תושעל ויפו וילגרו וידי הנהו ונממ תונה לז ןיי התשנו לכאנ יתצעל עמש ינב התעו ,האיב לכמ ועיבשהל רבא הלטבל אל יכ רבקב םיבער וכלי ןפ ונירבא לכ עיבשנ כ"חאו לפנו ה"בקהמ יתלאש םירעוכמה וירבד יעמשבו .י"שה ונארב הבושתב יתרזחה ריעה תאו םתימהו םהילע תיבה. So spricht Alles dafür, daß Spanien das Vaterland des Kana und Pelia war.

Gehen wir jetzt auf den Hauptinhalt dieser beiden Schriften und auf ihre Charakteristik ein. Es ist bereits angedeutet, daß sie eine schonungslose Kritik gegen Ritualien des Judenthums, gegen die talmudische Interpretationsweise und den Talmud überhaupt üben. Sie nennen das הסירה, Zerstören, in Gedanken auflösen. Gleich im Anfange des Kana wird dieser Gesichtspunkt angegeben: [452] הניב םדא ןיאש רובעבו ידכ ירמגל וסרהמ עוער לתוכ אוה םאו םוקמה רותסי אל םא תוב ןורסחמ תוסירה רחא תוסירה תסרהנ איה ונתרותו .שדחמ וקזחל קזח ןינב םינובו םיסרוה םלכ ונישעש םירפסה לכו ונתעידי.22 Ibn-Gedor bemerkt gegen seinen Sohn Kana, der immerwährend Einwürfe gegen die Wahrheit und Gültigkeit der Ritualien macht (das. p. 15 d): רשא ינב התעו ךדמלא תוסירה סרוהו דימת ראפתמ התא. Die Rollen sind nämlich zwischen Vater und Sohn so vertheilt, daß der Letztere Ausstellungen macht, scharfe, grelle Fragen aufwirft, gewissermaßen ad absurdum führt, und der Erstere, vermöge seines Namens »der Risseausbesserer« die Einwürfe auf kabbalistischem Wege widerlegt (das. p. 22 b): וא םכמ אנליאש תחא הלאש התעו סורהא ינא וא ,והונבא ינאו וסרהת תחאכ םכינש םתאו יבא ונבת םתאו. Als Aufgabe wird im Eingange (p. 2 c) aufgestellt, ohne Schonung zu discutiren, aufzulösen und niederzureißen, um auf den (kabbalistischen) Grund zu kommen: לכ ואצמת דומלתה ילעב לכ תנוכ ובתכת רשאבו םיינחור םירבדב םילושמ םיימהב םירברו הצילמו לשמ םהירבד אצויה טשפב ונתתו ואשתו ,רעונ רומח הנושאר הרומשמ ןינעכ םהירבד רקעו דוס אב דע המוקת ילבמ הסירה וסרהל םהיפמ. Ebenso in Pelia (Bl. 399): רזעו עויס יל שיש ינא האורו הרסא אלש הריזג המהב רשב רבוסש (הריתב ןב) הדוהי 'רמ ינש הדוהי 'רו ינא הנהו ?ףוע רוזגנ ןנאו .ומא בלחב אלא הרות םק הנהו .הרותה תסירה והזו הרותה ןמ רתומ בלחב רשבש םידע סורהנו ינא םג םוקנ ,סרהו שיאה ותוא.

Von welcher Art diese Kritik ist, veranschaulicht schon der angeführte Passus, daß, entgegen der talmudischen Auslegung, Fleisch mit Milch zu genießen, biblisch gar nicht verboten sei. Die stärksten Ausdrücke braucht der Verfasser, um die talmudische Interpretation und Inconsequenz zu kritisiren, vermöge welcher das weibliche Geschlecht von manchen an die Zeit gebundenen Geboten entbunden und wiederum zu andern verpflichtet sein soll. Er widmet diesem Thema im Pelia und im Kana ganze Seiten. Im ersten, Bl. 208: תוצמ לכ ורמאו ללכ םימכח ושע !אמלע אנבר דועו םישנ אמרג ןמזהש לכו תובייח םישנ אמרג ןמזה אלש השע תוצמ הרות דומלתש ךתרותב תבתכש המ ךפה םללכו תורוטפ תוצמב התוא תבייחו .... התוא תרטפו אמרג ןמזה אלש השע להקה und weiter Bl. 209: היה םנמנתמו תאז לע םימש ומוש הרות דומלתמ ןיליפת ןניפלי אל ול רמא אל המלו (ארומאה) ןמזה אלש השע תוצמ יאהו אמרג ןמזהש השע תוצמ יאהד .ול המוד וניאש הממ ןיד אשיל לכוי ךיאה יכ .אמרג

Außerordentlich grell sind die Sätze über dasselbe Thema in Kana p. 22 b: השאה ארב המל ה"בקהל ולאש תצקממ הרוטפש רחא שנוע אלו רכש אל הל ןיאש תאזה הינעה רכש ןיא תורוטפ ןהש תוצמה ולאכו אמרג ןמזהש ןוגכ תוצמ לוקשה הרות דומלתב הבייח ה"בקהו .ןלוטבב שנוע אלו ןתישעב םכינב תלמ ואצמש רובעב הורטפ ל"ז ונימכחו תוצמה לכ דגנב 'וכו הרות דומלתב. Weiterhin wird die Willkürlichkeit der talmudischen Interpretation ad absurdum geführt, und der Schluß lautet (col. d.): הל יד אל ןלכבש השקהו אלא ךלמה תוצממ הירטפש רחא ץראל דע הוליפשהש הינעל בייח ימנ דבע תבייח השאהש הוצמ לכ ורמאש דבעל הושקהש. Man glaubt einen Frauen-Emancipationssüchtigen Reform-Rabbinen zu hören. Kana kommt öfter auf dieses Thema zurück p. 49b f. und 66b f., 71 b.

Der Verfasser scheut sich nicht, Ausdrücke zu gebrauchen, daß die Talmudisten die biblischen Worte geradezu verdreht hätten (Pelia Bl. 202a b): םישק המכ שיה !אמלע ינובר ינובר .ולאה םיאנתה יפמ ואציש וללה םירבד ןיב תקלח אלו ... םישדקה םהל תרתה התאש ?הוכ תועמ טפשמ ןיווסא ןילוחש רמול ךיטפשמ ותיע םימכחו ץראה םעל שורפ אתירבה לעב היהו ןתי ימו ... !םינטקו םילודג ועמש .ץראה םעל לכש .םלועב הברח איצוהש םירבדה ויה המ ולאוש יתייהש הנה לכה רמאיו ירמגל דומל חיני וא הנשבשי וא אתיירבה הזב דמולה .םריגה אוה יכ תז םוקמב ןידה ןתי אתיירבה לעבו לבה

[453] Durch die talmudische Interpretion seien die Juden förmlich den talmudischen Weisen preisgegeben, indem sie neue Zusätze zum göttlichen Gesetz gemacht hätten (das. Bl. 203r): האר !םהרבאר הירמ התאו ואלו שדקה לע לוחמ ופיסוה םירופכה םויב !םימכחה ושע המ ךיתוצמ לכב ושע ןכו ... םלכאמ םידיספמש םיינעה לע ושח םדיב ונתרסמ כ"חאו יתרמשמל תרמשמ ושע םהל תרמא התאו רודגלו רוזגל הוצמש וז חכש הנאו םירבדה לכמ רוסת אל תרמאו ונימ וניאש וטא ונימב ןימ! Ebenso Kana 71 b: םימש ומוש םירבדה לכמ רוסת אל הרותב תבתכ !אמלעד ונובר !תאו לע אלו ףיסוח אל .. תיוצ (םימכחל) םהלו ךתרהזאב םידמוע ונאו הצמ תליבאב םישנה ובייחו אשיקה ושע ןוערוגו ןיפיסומו עדגת .תשבושמ אשיקה אוהו

Ueber eine lange talmudische Discussion im Tractat Pesachim Anfang, über die Bedeutung des Wortes רוא als »Licht- und als Lichtanzündezeit«, »Nachteintritt«23 äußert sich Kana (p. 68) mit eben so viel Unwissenheit, wie Arroganz im Ausdrucke: אנתהש רחאמו אלו רוא ארק םויה ה"בקה עדי אל ךיא עיקרד אתביתממ דרי םילטב םירבדבו תובלוכ תורבסב הדותה ושיחכי המלו .. הלילה. Solche grasse Wendungen bald gegen den Inhalt und bald gegen die Interpretationsweise des Talmud ziehen sich durch beide kabbalistische Schriften! An einer Stelle nennt der Verfasser (Kana p. 49a bis) den Talmud geradezu einen Schwär in den Eingeweiden, den man ausschneiden müsse, um einen gesunden Zustand herbeizuführen: העוב ומכ דומלתהש ךל תדמאש והזו שרש שקבל אל םא האופר םהל ןיאו םיחמצ הלעהו םיעמב אירבה םוקמ חונהלו םשמ ורקעל העובה.

Aber nicht blos gegen den Talmud verfahren diese beiden kabbalistischen Schriften destructiv und schonungslos kritisch, sondern auch gegen das biblische Judenthum selbst. Auch hierbei bedienen sie sich der allerherbsten Ausdrucksweise. Das Gebot, Schaufäden anzulegen, nennt Kana (p. 47 c), wenn es auch von Gott stamme, nach oberflächlicher Betrachtung, ein blödsinniges Thun: (תוציצ תפיטעב ה"בקה חיורמ יאמ אוה (הז) לכ תיציצ חינהלו לידג תושעלו תלכת שוה רזג המלו .םיעגושמ תדמכ אוה םוקמ לכמ י"שה דימ In der Einleitung zu Kana (p. 14 d f.) kommt ein langer Dialog zwischen Ibn-Gedor und seinem Sohne Kana vor, worin das Thema besprochen wird, ob das ganze Judenthum außerhalb Palästina's, d.h. in der Diaspora noch verbindlich sei. Kana behauptet, die Verbindlichkeit habe mit der Ausweisung des jüdischen Stammes aus dem heiligen Lande vollständig und dem ganzen Umfange nach aufgehört: ץראב תוצמהש חיכוא ול יתרמא םירוטפו םירוטפ ץראל ץוחב לבא םייק שדקמה תיבו לארשי לש ותריזגמ דבעה רטפנ ובר ורכמש דבע ינעידוהו ךלאשאו .ונא ..... ?אל וא ואנקש ןודאה תוריזגבו תוצמב בייחו ןושארה ןודא ,הרותה דומלתה ימכח ונל וראיב הלטבל ןכ םא !ינב יל רמא ךל יתרמא ... רדג רחא רדג םירדג ורדגו תוריזגה ורזג הלטבל תוצמה ויהי אלש קר בויח תרותב תאז ושע אל יכ םשמ היאר ןיא לכמ .... ונילע בוייח הרות אל םוקמ לכמ תושדחכ אבל דיתעל לוכי ןיא דחא דבע יכ םלאגיש דע (תוצמב) םיבייח םניא םוקמ .םינודא ינש דובעל Der letzte Passus erinnert an den neutestamentlichen Satz: »Man könne nicht zweien Herren dienen«. Das ist übrigens die einzige Rücksichtnahme in diesen kabbalistischen Schriften auf die Evangelien. Diejenigen christlichen Gelehrten, welche in Pelia die Bestätigung christlicher Dogmen finden wollten, haben sich gewaltig geirrt. Der Beweis von dem Schreiben des göttlichen Namens mit drei י für die Trinität ist gar zu einfältig; das war früher die übliche Abkürzungsweise, vergl. Respp. David Ibn-Abi Simra I. (oder III) No. 206: 'ג בותכל םעה וגהנש המ לע םשה םוקמב ןי"דוי.

[454] Wenn der kabbalistische Verfasser von Pelia und Kana nur scheinbar kritische Einwürfe gegen Bibel und Talmud macht, um das Angefochtene nur noch mehr zu begründen, so zeigt er gegen die Talmudisten, d.h. gegen die ausschließlichen Pfleger des Talmud, entschieden Antipathie und erhebt bittere Anklagen gegen sie, die er allerdings durch die Uebertreibung nur abschwächt: Er wirft ihnen vor, daß sie laut disputiren und täglich neue Subtilitäten erfinden, aber dabei ihren Leib pflegen, sich um das Exil der Schechina nicht kümmern und auch das Volk nicht auf bessere Wege führen (Kana, p. 122d): רבד ינב תיארה תולוקב םינתונו םיאשונה דומלתה ידמול תולגה ךרואב אמית (םישדחמו l.) םישדחתמו קודקד רחא קודקד םיקדקדמ םיקרבו ןיי יקרזמב םיתושו תויראו םיבודכ רשבה ילכוא םה םישודח םניא םעה תאו םירכוז הניא הניכשה תולגו ..... םהיפ םימדאתמו םשפנ תלעותל אלי םפוג תלעותל םידמול קר ... םירסימ ןומהב לדגתהל םתנוכ קר ןימיקמ םניאו םיעדויו םידמולו.24 Aehnlich in Pelia (Bl. 11r): ירפס דמלש הנוכה ןיא ... םכה ... קזח וחכו ורקע ןיאש דוסי והז יכ .הנשמ ירדם השש וא ארפסו םיאשונ םהלש ןורועב םיראפתמו לכשה [ivreiʽ] ירוע המכו דמל םאש רמול םיעוטו םהירבד יליעוי אל יכ חור לכהו םינתונו וכו םכח והז ןתלו אשיל. Das. Bl. 64 r: ילעב םה המשל אלש דומלתה. Kana p. 2 b: ילעב ןוע רכזנ עיקרד אתביתמ ךותמ יפלכ םימישגמ יכ דע קירו לבהל םינתונו םיאשונה דומלתה םיארומאה םגו םיאנתה אל .הנובתהו תעדה ןורסחמ הלעמ םניאו םיאבה םינודחאה ןמ תצק קר שדק םהירבד לכ יכ .ורבחש םיגישמ. Beiläufig sei hier bemerkt, daß sich das Buch durch diese Bemerkung allein »die Spätern disputiren über den Talmud in eitler Weise« als ein jüngeres Produkt verräth und sich damit gründlich dementirt, daß es im Anfange der Amoräerzeit verfaßt worden sei. Vergl. noch Kana, p. 37 d, 38 a.

Aus dieser Charakteristik der beiden Schriften geht mit Sicherheit hervor, daß die Kabbala im fünfzehnten Jahrhundert bereits anfing, sich im Gegensatze zu dem Talmud zu befinden, daß sie zwar scheinbar die talmudischen Elemente hochgeachtet wissen wollte, aber sie so sehr auflöste, zersetzte und kritisirte, daß ganz etwas Anderes daraus wurde. Die Richtung blieb nicht auf Einzelne beschränkt. Im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts klagt der als Kind mit seinem Vater David (Note 13) aus Portugal nach der Türkei ausgewanderte Jakob Tam Ibn-Jachja, daß die Kabbalisten, allerdings die unechten, die Grundsäulen der Thora umstürzen und das Volk gewöhnen, mit Verachtung auf die Talmudisten zu blicken (vgl. Respp. Elia Misrachi No. I gegen Ende: (תוכז םת הז וננמזבו םה הברדא (הלבקב) תאזה המכחב קדצב קיזחמ ןיאו תובא םה םיצצחמ לוקמ ןוצלפתי הידומעו הרותה תונפ םיסרוה ןיאו ורבש עתפ חיורהל ובשחש םוקמבו ... םירועה םירבעה השרומ ונל תודוס םרמאב םידהיתמ עראה ימעמ םיברו .אפרמ שיאו .... ךשוחב םיכלוהה דומלתה ילעב םכל אל םינוילעה םימה ומצעל הבוט קיזחי אל ... הלבקב ןייעל הצרי לארשי ינבמ שיא סורהל הלקת הזמ אצת יכ רובצל ש"כ דיחיל ותלוזל תורוהל העטיו ןיבי אלש המב ראפתיו רדג ץורפלו הרותה תמוח .'וכו תונימ ידיל אביו הישרשו הרותה תולחתהב


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Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1890], Band 8, S. 449-456.
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Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

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Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

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