Beziehungen zu Kreta. Die Kafti

[105] Dauernd erhalten hat sich die Verbindung mit Kreta und der ägäischen Welt. In den ägyptischen Texten wird sie, wie herkömmlich, als Oberhoheit, die von den Gesandtschaften überbrachten Geschenke als Tribut dargestellt. So rühmt sich Thutmosis I. der Herrschaft über die Ḥaunebu und die Inseln des großen Meeres193, und seine Nachfolgerin Ḥatšepsut nennt sich gelegentlich »König (ati) der Ḥaunebu«194.[105] Eine Gesandtschaft haben ihr Minister Senmut195 und der Vezir User196 in ihren Gräbern abbilden lassen: Männer mit gerader Nase und Stirn, langem in Strähnen über die Schultern fallendem Haupthaar, mit hochgekämmten Stirnlocken, ohne Bart. Sie tragen stiefelartige Sandalen, deren Riemen um die Waden gewickelt sind. Der Leib ist durch einen reichgezierten Gürtel eng zusammengeschnürt; ein buntgesäumter Schurz liegt auf den Hüften, vorn hängt ein großes Futteral. Gestalten und Tracht stimmen vollständig überein mit den Darstellungen der Kreter auf den gleichzeitigen einheimischen Denkmälern197, die zugleich zeigen, daß dieses Futteral eine mißverstandene Nachzeichnung der kretischen Phallustasche ist; offenbar hat der ägyptische Künstler, wie auch die wespenartige Einschnürung zeigt, nach einer kretischen Vorlage gearbeitet. Auch die Gaben, die sie bringen, Gefäße von Silber, Gold und Kupfer, sind in Gestalt und Technik und in der reichen Ornamentik echt kretische Erzeugnisse, ebenso das Schwert, das einer der Männer, offenbar der Führer der Gesandtschaft, in Paradehaltung an die Schulter lehnt198.

Im Grabe Senmuts ist den Kretern kein Name beigefügt199; bei User und in anderen Gräbern der Zeit Thutmosis' [106] III. heißen sie Kaftiu. Am wichtigsten ist das große Gemälde aus dem Grabe des Vezirs Rechmerê', des Nachfolgers Users. In langer Reihe führt er dem König, neben den Gesandtschaften anderer Völker, die »Magnaten von Kafti und den Inseln im großen Meer« vor, »die in Frieden kommen, das Haupt neigend vor der Majestät König Thutmosis' III.; sie haben seinen Sieg über alle Lande gehört und bringen ihre Gaben auf dem Rücken«. Dargestellt sind, wie bei Senmut und User, die Erzeugnisse des kretischen Kunsthandwerks, Becher und Kannen, Deckel in Gestalt von Löwen-, Stier-, Greifen-, Steinbockköpfen, daneben große Prunkschalen aus Edelmetall mit auf den Rand aufgesetzten Blüten (dazwischen einmal der Kopf eines Steinbocks), die unter dem Einfluß ägyptischer Vorbilder gearbeitet sind200. Dazu kommen Barren von Kupfer und Edelmetall in der dafür in der ägaeischen Welt üblichen Form, Haufen von Silber und Gold in Ringform, Perlenketten, ferner ein Elefantenzahn. Gestalt und Haartracht dieser Kaftier stimmt mit den Gesandten bei Senmut und User sowie mit den Kretern völlig überein, ebenso das Schuhzeug; um die Lenden dagegen tragen sie bei Rechmerê' einen bunten Schurz mit gesticktem, vorne spitz zulaufendem Saum, der die Scham verhüllt201. [107] Zwei Männer tragen statt dessen ein geflecktes Tierfell mit langem haarigen Schwanz202. Dazu ist das Gegenbild auf Kreta in den ebenso gekleideten Gestalten des sog. Prozessionfreskos aus dem Palast von Knossos erhalten203, die Gefäße tragen, die mit denen bei Rechmerê' übereinstimmen. Man hat vermutet, das seien Abgesandte eines anderen, demselben Kulturkreise angehörenden Volkes, etwa der Kydonen im Westen Kretas oder einer benachbarten Insel oder Küste. Indessen erweisbar ist das nicht, und die Verfeinerung der Tracht ist leicht begreiflich, zumal bei einer Gesandtschaft an dem Pharaonenhof; überdies ist auch auf Kreta die ältere Tracht mehrfach in ein größeres Schurztuch umgewandelt204.

Wir dürfen daher die Kafti als Kreter betrachten205, und ihren Namen zugleich mit dem Namen Kaptor verbinden, [108] der in der israelitischen und assyrischen206 Überlieferung die große Insel im Westmeer bezeichnet.

Bilder wie das bei Rechmerê' kehren aus wenig späterer Zeit, unter Amenophis II., in den Gräbern des Schatzmeisters und ersten Propheten des Amon Mencheperre'senib und des Generals Amenemḥeb wieder. Aber hier haben die Künstler nicht mehr sorgfältig gearbeitet und die verschiedenen Volkstümer durcheinander geworfen. So stehn bei Mencheperre'-senib207 an der Spitze der Gesandten ein Magnat von Kaftu, von Cheta, von Tunip und von Qadeš – einige andere Beischriften sind zerstört –; aber der Kaftier hat kahlen Kopf, Bart und Linnenschurz, der Chetiter semitische Züge und Haartracht, der von Tunip, der seinen kleinen Sohn an den Hof bringt, ist kahlköpfig und bärtig, in langem Leinenrock, ebenso der von Qadeš. Dann aber folgt eine lange Reihe von wirklichen Kaf tiern in derselben Gestalt und Kleidung wie bei Rechmerê' und mit Gaben gleicher Art; darunter stehn zwei Reihen von Asiaten, ein weiteres Bild stellt Gaben aus dem Süden dar. Im Grabe Amenemḥebs208 sollen nach den Beischriften die Magnaten von Ober-und Unterrezenu und die von Kaftu dargestellt sein; aber die ethnographischen Züge sind völlig vernachlässigt209 und das Bild daher für uns ohne Wert210.

[109] Der rege Verkehr mit Kreta und der ägaeischen Welt wird durch die dauernde Wechselwirkung beider Kulturen auf künstlerischem Gebiete bestätigt. Von einer Oberherrschaft Ägyptens kann keine Rede sein, auch nicht zur Zeit Thutmosis' III., und an gleichartigen Gesandtschaften und Geschenken von Ägypten aus wird es nicht gefehlt haben; aber auch wenn wir die maßlosen Übertreibungen der Königsinschriften beiseite lassen, tritt die Machtstellung des Pharaonenreichs in den reichen Gaben, welche die Fürsten von Kreta der Ḥatšepsut – und offenbar schon ihren Vorgängern – gesandt haben, deutlich hervor.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 105-110.
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