Der Versuch eines Monismus

durch die Lehre vom Zrvan

[123] Allerdings steht nun dem Dualismus das dem menschlichen Denken innewohnende Bedürfnis nach einer einheitlichen Auffassung der Gesamtheit der Erscheinungswelt, die Tendenz zum Monismus, gegenüber. Vielfach hat man sich dadurch geholfen, daß man, so im Judentum, auch die bösen Mächte zu Geschöpfen des einheitlichen Gottes machte, die, ursprünglich zum Guten [123] bestimmt, aus freiem Willen unter seiner Duldung von ihm abgefallen sind. Eine wirkliche Lösung gibt das nicht: der Trieb zum Bösen und die Möglichkeit seines Sieges bleibt dadurch unerklärt, oder er geht doch auf den Willen des Schöpfers selbst zurück, der dann also zum mindesten indirekt auch der Schöpfer des Bösen ist. Die Religion Zoroasters hat daher diesen Ausweg verworfen und mit allem Nachdruck bekämpft. Aber der Drang zum Monismus, zu einer obersten Einheit und Endursache alles Bestehenden, hat sich doch auch in ihr geltend gemacht. Das hat dazu geführt, daß man den beiden entgegengesetzten Mächten ein neutrales höchstes Prinzip überordnete, die »unendliche Zeit« (Zrvân akarana). Auch diese Lehre hat sich bereits in der Achämenidenzeit gebildet, da Eudemos von Rhodos, der Schüler des Aristoteles, sie kennt: »die Magier und das gesamte arische Völkergeschlecht nennen das einheitliche Urwesen die einen Raum, die andern Zeit; aus ihm habe sich ein guter Gott, Oromasdes, und ein böser Dämon, Arimanios, oder wie einige sagen, noch vor diesen Licht und Finsternis geschieden«247. Von dem Raum als Urwesen erfahren wir in den einheimischen Schriften nichts248, er wird als selbstverständlich vorhanden betrachtet, da die beiden Mächte uranfänglich durch einen weiten Abstand getrennt sind, bis Ahriman [124] aus dem finsteren Abgrund hervorbricht und das Licht erblickt, in dem Ahuramazda weilt; daraus erklären sich die Angaben des Eudemos. Im Awesta wird Zrvân akarana nur ganz vereinzelt in den langen Listen der angerufenen Gottheiten mitgenannt249. Aber unter den Sassaniden ist diese Lehre lange Zeit die herrschende gewesen und von den höchsten Staatsbeamten vertreten und verbreitet worden250, bis sie unter Chosrau I. (531 bis 579) für ketzerisch erklärt wurde und man zum reinen Dualismus zurückkehrte. Daher ist in den parsischen Schriften von ihr nicht mehr die Rede; Martânfaruch polemisiert gegen sie als atheistisch251, das Bundeheš und die ähnlichen Werke erwähnen die »unendliche Zeit« überhaupt nicht. So wissen wir nicht, wieweit diese Gestalt etwa mit mythischen Zügen ausgestattet sein mag. Nur im Minochired, einem vielleicht noch aus dem Ende der Sassanidenzeit stammenden Werk, in dem »der Geist der Weisheit« (die wie die jüdische Chokma zum Wesen der Gottheit gehört, aber hier wie dort personifiziert wird) einem namenlosen alten Weisen auf seine Fragen Aufschluß gibt, wirkt die zrvanitische [125] Lehre noch an einer Stelle nach: »der Schöpfer Ahuramazda hat die Geschöpfe, die Erzengel und den Geist der Weisheit aus seinem eigenen Glanz geschaffen, unter dem Segen der unendlichen Zeit. Denn die unendliche Zeit ist unvergänglich und unsterblich, ohne Schmerz, Hunger und Durst und ohne Störung; und auf ewig ist niemand imstande, sie zu ergreifen oder ihr den maßgebenden Einfluß auf sein Geschick zu nehmen«. Dann schafft Ahriman seine Mißgeburten, und innerhalb der »unendlichen Zeit« wird der Vertrag der beiden Mächte auf 9000 Winter geschlossen, mit dessen Ablauf Ahrimans Macht zusammenbricht; dann werden die guten Mächte, Sraoš (der Gehorsam), Mithra, die »unendliche Zeit«, der Geist der Gerechtigkeit, Schicksal und Vorsehung seine Kreaturen vernichten und den seligen Urzustand wiederherstellen252. Ähnlich heißt es später: »Sämtliche Vorgänge dieser Welt vollziehen sich durch Schicksal und Zeit und den beherrschenden Beschluß des durch sich selbst existierenden Zrvan, des Königs und langbestehenden Herrn, da jedem zu seiner Zeit geschieht, was ihm notwendig geschehen muß253

Völlig gelöst sind durch den Dualismus die Probleme des Weltlaufs natürlich nicht. Neben dem Willen und den Taten Gottes und seines Gegners steht, wie an diesen Stellen, so auch später das Schicksal und der Beschluß der Zeit254, nur daß diese von Ahuramazda erst nach der Schöpfung der geistigen Welt geschaffen ist255. Die εἱμαρμένη wird, wie ja z.B. in der jüngeren Stoa auch, vor allem durch die Sterne bestimmt; die Astrologie hat, wie in der gesamten abendländischen Kulturwelt, so auch hier Eingang gefunden256. Aber sie ist unter der Einwirkung des Dualismus wesentlich modifiziert: Schöpfungen Ahuramazdas sind nur die Fixsterne, [126] vor allem die zwölf Zeichen des Tierkreises; dann aber ist Ahriman in die Himmelssphäre eingedrungen und hat die ursprüngliche Ordnung gestört. So sind die fünf Planeten und weiter – denn man wollte trotz der Ausscheidung von Sonne und Mond die Siebenzahl beibehalten – die beiden zu ihnen gerechneten Sterne Gôćîhar, ein fiktiver Planet, der die Verfinsterungen von Sonne und Mond verursacht, und Mûšpar (der Komet) entstanden, die daher hier, anders als sonst in der Astrologie, sämtlich Unheilbringer sind257.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 123-128.
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